20.
Jahrhundert
19.
Jahrhundert
Spätromantik
Wedekind
Biographie
Werke
Inhaltsangabe
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Frank
Wedekind:
Frühlings Erwachen, 3. Akt, 5.
Szene
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- Ein Schlafgemach. -
Frau Bergmann, Ina Müller und Medizinalrat Dr. v.
Brausepulver. - Wendla im Bett.
-
- Dr. von Brausepulver
- Wie alt sind Sie denn
eigentlich?
-
- Wendla
- Vierzehneinhalb.
-
- Dr. von Brausepulver
- Ich verordne die
Blaudschen Pillen seit fünfzehn Jahren und habe in
einer großen Anzahl von Fällen die
eklatantesten Erfolge beobachtet. Ich ziehe sie dem
Lebertran und den Stahlweinen vor. Beginnen Sie mit drei
bis vier Pillen pro Tag, und steigern Sie, so rasch Sie
es eben vertragen. Dem Fräulein Elfriede Baronesse
von Witzleben hatte ich verordnet, jeden dritten Tag um
eine Pille zu steigern. Die Baronesse hatte mich
mißverstanden und steigerte jeden Tag um drei
Pillen. Nach kaum drei Wochen schon konnte sich die
Baronesse mit ihrer Frau Mama zur Nachkur nach Pyrmont
begeben. - Von ermüdenden Spaziergängen und
Extramahlzeiten dispensiere ich Sie. Dafür
versprechen Sie mir, liebes Kind, sich um so
fleißiger Bewegung machen zu wollen und ungeniert
Nahrung zu fordern, sobald sich die Lust dazu wieder
einstellt. Dann werden diese Herzbeklemmungen bald
nachlassen - und der Kopfschmerz, das Frösteln, der
Schwindel - und unsere schrecklichen
Verdauungsstörungen. Fräulein Elfriede
Baronesse von Witzleben genoß schon acht Tage nach
begonnener Kur ein ganzes Brathühnchen mit jungen
Pellkartoffeln zum Frühstück.
-
- Frau Bergmann
- Darf ich Ihnen ein Glas
Wein anbieten, Herr Medizinalrat?
-
- Dr. von Brausepulver
- Ich danke Ihnen,
liebeFrau Bergmann. Mein Wagen wartet. Lassen Sie sich's
nicht so zu Herzen gehen. In wenigen Wochen ist unsere
liebe kleine Patientin wieder frisch und munter wie eine
Gazelle. Seien Sie getrost. - Guten Tag,Frau Bergmann.
Guten Tag, liebes Kind. Guten Tag, meine Damen. Guten
Tag.
-
- Frau Bergmann
geleitet ihn vor die Tür.
-
- Ina
-
- am Fenster -
-
- Nun färbt sich eure
Platane schon wieder bunt. - Siehst du's vom Bett aus? -
Eine kurze Pracht, kaum recht der Freude wert, wie man
sie so kommen und gehen sieht. - Ich muß nun auch
bald gehen. Müller erwartet mich vor der Post, und
ich muß zuvor noch zur Schneiderin. Mucki bekommt
seine ersten Höschen, und Karl soll einen neuen
Trikotanzug auf den Winter haben.
-
- Wendla
- Manchmal wird mir so
selig - alles Freude und Sonnenglanz. Hätt' ich
geahnt, daß es einem so wohl ums Herz werden kann!
Ich möchte hinaus, im Abendschein über die
Wiesen gehn, Himmelsschlüssel suchen den Fluß
entlang und mich ans Ufer setzen und träumen... Und
dann kommt das Zahnweh, und ich meine, daß ich
morgen am Tag sterben muß; mir wird heiß und
kalt, vor den Augen verdunkelt sich's, und dann flattert
das Untier herein - - - Sooft ich aufwache, seh' ich
Mutter weinen. O, das tut mir so weh - ich kann's dir
nicht sagen, Ina!
-
- Ina
- Soll ich dir nicht das
Kopfkissen höher legen?
-
- Frau
Bergmann
-
- kommt
zurück
-
- Er meint, das Erbrechen
werde sich auch geben; und du sollst dann nur ruhig
wieder aufstehen... Ich glaube auch, es ist besser, wenn
du bald wieder aufstehst, Wendla.
-
- Ina
- Bis ich das nächste
Mal vorspreche, springst du vielleicht schon wieder im
Haus herum. - Leb wohl, Mutter. Ich muß durchaus
noch zur Schneiderin. Behüt' dich Gott, liebe
Wendla.
-
- Küßt sie.
-
- Recht, recht baldige
Besserung!
-
-
- Wendla
- Leb wohl, Ina. - Bring
mir Himmelsschlüssel mit, wenn du wiederkommst.
Adieu! Grüße deine Jungens von
mir.
-
- Ina ab.
-
- Wendla
- Was hat er noch gesagt,
Mutter, als er draußen war?
-
- Frau
Bergmann
- Er hat nichts gesagt. -
Er sagte, Fräulein von Witzleben habe auch zu
Ohnmachten geneigt. Es sei das fast immer so bei der
Bleichsucht.
-
- Wendla
- Hat er gesagt, Mutter,
daß ich die Bleichsucht habe?
-
- Frau
Bergmann
- Du sollest Milch trinken
und Fleisch und Gemüse essen, wenn der Appetit
zurückgekehrt sei.
-
- Wendla
- O Mutter, Mutter, ich
glaube, ich habe nicht die Bleichsucht...
-
- Frau
Bergmann
- Du hast die Bleichsucht,
Kind. Sei ruhig,Wendla, sei ruhig; du hast die
Bleichsucht.
-
- Wendla
- Nein, Mutter, nein! Ich
weiß es. Ich fühl' es. Ich habe nicht die
Bleichsucht. Ich habe die Wassersucht...
-
- Frau
Bergmann
- Du hast die Bleichsucht.
Er hat es ja gesagt, daß du die Bleichsucht hast.
Beruhige dich, Mädchen. Es wird besser
werden.
-
- Wendla
- Es wird nicht besser
werden. Ich habe die Wassersucht. Ich muß sterben,
Mutter. - O Mutter, ich muß sterben!
-
- Frau
Bergmann
- Du mußt nicht
sterben, Kind! Du mußt nicht sterben...
Barmherziger Himmel, du mußt nicht
sterben!
-
- Wendla
- Aber warum weinst du
dann so jammervoll?
-
- Frau
Bergmann
- Du mußt nicht
sterben - Kind! Du hast nicht die Wassersucht. Du hast
ein Kind, Mädchen! Du hast ein Kind! - Oh, warum
hast du mir das getan!
-
- Wendla
- Ich habe dir nichts
getan -
-
- Frau Bergmann
- O leugne nicht
noch,Wendla! - Ich weiß alles. Sieh, ich hätt'
es nicht vermocht, dir ein Wort zu sagen. - Wendla, meine
Wendla...!
-
- Wendla
- Aber das ist ja nicht
möglich, Mutter. Ich bin ja doch nicht
verheiratet...!
-
- Frau Bergmann
- Großer, gewaltiger
Gott -, das ist's ja, daß du nicht verheiratet
bist! Das ist ja das Fürchterliche! - Wendla,
Wendla,Wendla, was hast du getan!!
-
- Wendla
- Ich weiß es,
weiß Gott, nicht mehr! Wir lagen im Heu... Ich habe
keinen Menschen auf dieser Welt geliebt als nur dich,
dich, Mutter.
-
- Frau Bergmann
- Mein Herzblatt
-
-
- Wendla
- O Mutter, warum hast du
mir nicht alles gesagt!
-
- Frau Bergmann
- Kind, Kind, laß
uns einander das Herz nicht noch schwerer machen! Fasse
dich! Verzweifle mir nicht, mein Kind! Einem
vierzehnjährigen Mädchen das sagen! Sieh, ich
wäre eher darauf gefaßt gewesen, daß die
Sonne erlischt. Ich habe an dir nicht anders getan, als
meine liebe gute Mutter an mir getan hat. - O laß
uns auf den lieben Gott vertrauen,Wendla; laß uns
auf Barmherzigkeit hoffen und das Unsrige tun! Sieh, noch
ist ja nichts geschehen, Kind. Und wenn nur wir jetzt
nicht kleinmütig werden, dann wird uns auch der
liebe Gott nicht verlassen. - Sei mutig,Wendla, sei
mutig! - - So sitzt man einmal am Fenster und legt die
Hände in den Schoß, weil sich doch noch alles
zum Guten gewandt, und da bricht's dann herein, daß
einem gleich das Herz bersten möchte... Wa - was
zitterst du?
-
- Wendla
- Es hat jemand
geklopft.
-
- Frau Bergmann
- Ich habe nichts
gehört, liebes Herz. - Geht an die Tür und
öffnet.
-
- Wendla
- Ach, ich hörte es
ganz deutlich. - - Wer ist draußen?
-
- Frau Bergmann
- Niemand - - Schmidts
Mutter aus der Gartenstraße. - - - Sie kommen eben
recht, Mutter Schmidtin.
-
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