20.
Jahrhundert
19.
Jahrhundert
Spätromantik
Wedekind
Biographie
Werke
Inhaltsangabe
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Frank
Wedekind:
Frühlings Erwachen, 3. Akt, 6.
Szene
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- Winzer und
Winzerinnen im Weinberg. - Im Westen sinkt die Sonne
hinter die Berggipfel. - Helles Glockengeläute vom
Tal herauf. Hänschen Rilow und Ernst Röbel im
höchstgelegenen Rebstück sich unter den
überhängenden Felsen im welkenden Grase
wälzend.
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- Ernst
- Ich habe mich
überarbeitet.
-
- Hänschen
- Laß uns nicht
traurig sein! - Schade um die Minuten.
-
- Ernst
- Man sieht sie
hängen und kann nicht mehr - und morgen sind sie
gekeltert.
-
- Hänschen
- Ermüdung ist mir so
unerträglich, wie mir's der Hunger ist.
-
- Ernst
- Ach, ich kann nicht
mehr.
-
- Hänschen
- Diese leuchtende
Muskateller noch!
-
- Ernst
- Ich bringe die
Elastizität nicht mehr auf.
-
- Hänschen
- Wenn ich die Ranke
beuge, baumelt sie uns von Mund zu Mund. Keiner braucht
sich zu rühren. Wir beißen die Beeren ab und
lassen den Kamm zum Stock
zurückschnellen.
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- Ernst
- Kaum entschließt
man sich, und siehe, so dämmert auch schon die
dahingeschwundene Kraft wieder auf.
-
- Hänschen
- Dazu das flammende
Firmament - und die Abendglocken - Ich verspreche mir
wenig mehr von der Zukunft.
-
- Ernst Ich sehe
mich manchmal schon als hochwürdigen Pfarrer - ein
gemütvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige
Bibliothek und Ämter und Würden in allen
Kreisen. Sechs Tage hat man, um nachzudenken, und am
siebenten tut man den Mund auf. Beim Spazierengehen
reichen einem Schüler und Schülerinnen die
Hand, und wenn man nach Hause kommt, dampft der Kaffee,
der Topfkuchen wird aufgetragen, und durch die
Gartentür bringen die Mädchen Äpfel
herein. - Kannst du dir etwas Schöneres
denken?
-
- Hänschen Ich
denke mir halbgeschlossene Wimpern, halbgeöffnete
Lippen und türkische Draperien
<eine Art
Vorhänge>. -
Ich glaube nicht an das Pathos. Sieh, unsere Alten zeigen
uns lange Gesichter, um ihre Dummheiten zu
bemänteln. Untereinander nennen sie sich
Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. - Wenn ich
Millionär bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal
setzen. - Denke dir die Zukunft als Milchsette mit Zucker
und Zimt. Der eine wirft sie um und heult, der andere
rührt alles durcheinander und schwitzt. Warum nicht
abschöpfen? - Oder glaubst du nicht, daß es
sich lernen ließe?
-
- Ernst
- Schöpfen wir
ab!
-
- Hänschen
- Was bleibt, fressen die
Hühner. - Ich habe meinen Kopf nun schon aus so
mancher Schlinge gezogen...
-
- Ernst
- Schöpfen wir ab,
Hänschen! - Warum lachst du?
-
- Hänschen
- Fängst du schon
wieder an?
-
- Ernst
- Einer muß ja doch
anfangen.
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- Hänschen
- Wenn wir in
dreißig Jahren an einen Abend wie heute
zurückdenken, erscheint er uns vielleicht unsagbar
schön!
-
- Ernst
- Und wie macht sich jetzt
alles so ganz von selbst!
-
- Hänschen
- Warum also
nicht!
-
- Ernst
- Ist man zufällig
allein - dann weint man vielleicht gar.
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- Hänschen
- Laß uns nicht
traurig sein! -
-
- Er küßt
ihn auf den Mund.
-
-
- Ernst
- küßt ihn
- Ich ging von Hause fort
mit dem Gedanken, dich nur eben zu sprechen und wieder
umzukehren.
-
-
- Hänschen
- Ich erwartete dich. -
Die Tugend kleidet nicht schlecht, aber es gehören
imposante Figuren hinein.
-
- Ernst
- Uns schlottert sie noch
um die Glieder. - Ich wäre nicht ruhig geworden,
wenn ich dich nicht getroffen hätte. - Ich liebe
dich, Hänschen, wie ich nie eine Seele geliebt
habe...
-
- Hänschen
- Laß uns nicht
traurig sein! - Wenn wir in dreißig Jahren
zurückdenken, spotten wir ja vielleicht! - Und jetzt
ist alles so schön! Die Berge glühen; die
Trauben hängen uns in den Mund, und der Abendwind
streicht an den Felsen hin wie ein spielendes
Schmeichelkätzchen...
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