20.
Jahrhundert
19.
Jahrhundert
Spätromantik
Wedekind
Biographie
Werke
Inhaltsangabe
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Frank
Wedekind :
Frühlings Erwachen, 2. Akt, 3.
Szene
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- Hänschen
Rilow
- ein Licht in der
Hand, verriegelt die Tür hinter sich und öffnet
den Deckel
-
- Hast du zu Nacht
gebetet, Desdemona?
-
- Er zieht eine
Reproduktion der Venus
von Palma Vecchio
aus dem Busen -
-
-
- Du siehst mir nicht nach
Vaterunser aus, Holde - kontemplativ des Kommenden
gewärtig, wie in dem süßen Augenblick
aufkeimender Glückseligkeit, als ich dich bei
Jonathan Schlesinger im Schaufenster liegen sah - ebenso
berückend noch diese geschmeidigen Glieder, diese
sanfte Wölbung der Hüften, diese jugendlich
straffen Brüste - o, wie berauscht von Glück
muß der große Meister gewesen sein, als das
vierzehnjährige Original vor seinen Blicken
hingestreckt auf dem Diwan lag!
-
- Wirst du mich auch
bisweilen im Traum besuchen? - Mit ausgebreiteten Armen
empfang' ich dich und will dich küssen, daß
dir der Atem ausgeht. Du ziehst bei mir ein wie die
angestammte Herrin in ihr verödetes Schloß.
Tor und Türen öffnen sich von unsichtbarer
Hand, während der Springquell unten im Parke
fröhlich zu plätschern beginnt...
-
- Die Sache will's - Die
Sache will's! - Daß ich nicht aus frivoler Regung
morde, sagt dir das fürchterliche Pochen in meiner
Brust. Die Kehle schnürt sich mir zu im Gedanken an
meine einsamen Nächte. Ich schwöre dir bei
meiner Seele, Kind, daß nicht Überdruß
mich beherrscht. Wer wollte sich rühmen, deiner
überdrüssig geworden zu sein!
-
- Aber du saugst mir das
Mark aus den Knochen, du krümmst mir den
Rücken, du raubst meinen jungen Augen den letzten
Glanz. - Du bist mir zu anspruchsvoll in deiner
unmenschlichen Bescheidenheit, zu aufreibend mit deinen
unbeweglichen Gliedmaßen! - Du oder ich! - Und ich
habe den Sieg davongetragen.
-
- Wenn ich sie
herzählen wollte - all die Entschlafenen, mit denen
ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! -:
Psyche von Thumann - noch ein Vermächtnis der
spindeldürren Mademoiselle Angelique, dieser
Klapperschlange im Paradies meiner Kinderjahre; Io von
Corregio; Galathea von Lossow; dann ein Amor von
Bouguereau; Ada von J. van Beers - diese Ada, die ich
Papa aus einem Geheimfach seines Sekretärs
entführen mußte, um sie meinem Harem
einzuverleiben; eine zitternde, zuckende Leda von Makart,
die ich zufällig unter den Kollegienheften meines
Bruders fand - sieben, du blühende Todeskandidatin,
sind dir vorangeeilt auf diesem Pfad in den Tartarus!
Laß dir das zum Troste gereichen und suche nicht
durch diese flehentlichen Blicke noch meine Qualen ins
Ungeheure zu steigern.
-
- Du stirbst nicht um
deiner, du stirbst um meiner Sünden willen! - Aus
Notwehr gegen mich begehe ich blutenden Herzens den
siebenten Gattenmord. Es liegt etwas Tragisches in der
Rolle des Blaubart. Ich glaube, seine gemordeten Frauen
insgesamt litten nicht so viel wie er beim Erwürgen
jeder einzelnen.
-
- Aber mein Gewissen wird
ruhiger werden, mein Leib wird sich kräftigen, wenn
du Teufelin nicht mehr in den rotseidenen Polstern meines
Schmuckkästchens residierst. Statt deiner lasse ich
dann die Lurlei von Bodenhausen oder die Verlassene von
Linger oder die Loni von Defregger in das üppige
Lustgemach einziehen - so werde ich mich um so rascher
erholt haben! Noch ein Vierteljährchen vielleicht,
und dein entschleiertes Josaphat, süße Seele,
hätte an meinem armen Hirn zu zehren begonnen wie
die Sonne am Butterkloß. Es war hohe Zeit, die
Trennung von Tisch und Bett zu erwirken.
-
- Brr, ich fühle
einen Heliogabalus in mir! Moritura me salutat! -
Mädchen, Mädchen, warum preßt du deine
Knie zusammen? - warum auch jetzt noch? - - angesichts
der unerforschlichen Ewigkeit?? - Eine Zuckung, und ich
gebe dich frei; - Eine weibliche Regung, ein Zeichen von
Lüsternheit, von Sympathie, Mädchen! - ich will
dich in Gold rahmen lassen, dich über meinem Bett
aufhängen! - Ahnst du denn nicht, daß nur
deine Keuschheit meine Ausschweifungen gebiert? - Wehe,
wehe über die Unmenschlichen!
-
- ... Man merkt eben
immer, daß sie eine musterhafte Erziehung genossen
hat. - Mir geht es ja ebenso.
-
- Hast du zu Nacht
gebetet, Desdemona?
-
- Das Herz krampft sich
mir zusammen - - Unsinn! - Auch die heilige Agnes starb
um ihrer Zurückhaltung willen und war nicht halb so
nackt wie du! - Einen Kuß noch auf deinen
blühenden Leib, deine kindlich schwellende Brust -
deine süßgerundeten - deine grausamen
Knie...
-
- Die Sache will's, die
Sache will's, mein Herz!
-
- Laßt sie mich euch
nicht nennen, keusche Sterne!
-
- Die Sache will's!
-
-
- Das Bild fällt
in die Tiefe; er schließt den
Deckel.
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