20.
Jahrhundert
19.
Jahrhundert
Spätromantik
Wedekind
Biographie
Werke
Inhaltsangabe
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Frank
Wedekind:
Frühlings Erwachen, 3. Akt, 2.
Szene
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-
- Friedhof in
strömendem Regen. - Vor einem offenen Grabe steht
Pastor Kahlbauch, den aufgespannten Schirm in der Hand.
Zu seiner Rechten Rentier Stiefel, dessen Freund
Ziegenmelker und Onkel Probst. Zur Linken Rektor
Sonnenstich mit Professor Knochenbruch. Gymnasiasten
schließen den Kreis. In einiger Entfernung vor
einem halbverfallenen Grabmonument Martha und
Ilse.
-
- Pastor
Kahlbauch
- ... Denn wer die Gnade,
mit der der ewige Vater den in Sünden Geborenen
gesegnet, von sich wies, er wird des geistigen Todes
sterben! - Wer aber in eigenwilliger fleischlicher
Verleugnung der Gott gebührenden Ehre dem Bösen
gelebt und gedient, er wird des leiblichen Todes sterben!
- Wer jedoch das Kreuz, das der Allerbarmer ihm um der
Sünde willen auferlegt, freventlich von sich
geworfen, wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der wird des
ewigen Todes sterben! -
-
- Er wirft eine
Schaufel voll Erde in die Gruft. -
-
- Uns aber, die wir fort
und fort wallen den Dornenpfad, lasset den Herrn, den
allgütigen, preisen und ihm danken für seine
unerforschliche Gnadenwahl. Denn so wahr dieser eines
dreifachen Todes starb, so wahr wird Gott der Herr den
Gerechten einführen zur Seligkeit und zum ewigen
Leben. - Amen.
-
- Rentier Stiefel
- Mit
tränenerstickter Stimme, wirft eine Schaufel voll
Erde in die Gruft
- Der Junge war nicht von
mir! Der Junge war nicht von mir! Der Junge hat mir von
kleinauf nicht gefallen!
-
- Rektor Sonnenstich
- wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft
- Der Selbstmord als der
denkbar bedenklichste Verstoß gegen die sittliche
Weltordnung ist der denkbar bedenklichste Beweis für
die sittliche Weltordnung, indem der Selbstmörder
der sittlichen Weltordnung den Urteilsspruch zu sprechen
erspart und ihr Bestehen bestätigt.
-
- Professor
Knochenbruch
- wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft
- Verbummelt - versumpft -
verhurt - verlumpt - und verludert!
-
- Onkel Probst
- wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft
- Meiner eigenen Mutter
hätte ich's nicht geglaubt, daß ein Kind so
niederträchtig an seinen Eltern zu handeln
vermöchte!
-
- Freund Ziegenmelker
- wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft
- An einem Vater zu
handeln vermöchte, der nun seit zwanzig Jahren von
früh bis spät keinen Gedanken mehr hegt als das
Wohl seines Kindes!
-
- Pastor Kahlbauch
- Rentier Stiefel die
Hand drückend
- Wir wissen, daß
denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. I.
Korinth. 12, 15. - Denken Sie der trostlosen Mutter, und
suchen Sie ihr das Verlorene durch verdoppelte Liebe zu
ersetzen!
-
- Rektor Sonnenstich
- Rentier Stiefel die
Hand drückend
- Wir hätten ihn ja
wahrscheinlich doch nicht promovieren
können!
-
- Professor
Knochenbruch
- Rentier Stiefel die
Hand drückend
- Und wenn wir ihn
promoviert hätten, im nächsten Frühling
wäre er des allerbestimmtesten
sitzengeblieben!
-
- Onkel Probst
- Rentier Stiefel die
Hand drückend
- Jetzt hast du vor allem
die Pflicht, an dich zu denken. Du bist
Familienvater...!
-
- Freund Ziegenmelker
- Rentier Stiefel die
Hand drückend
- Vertraue dich meiner
Führung! - Ein Hundewetter, daß einem die
Därme schlottern! - Wer da nicht unverzüglich
mit einem Grog eingreift, hat seine Herzklappenaffektion
weg!
-
- Rentier Stiefel
- sich die Nase
schneuzend
- Der Junge war nicht von
mir... der Junge war nicht von mir...
-
- Rentier
Stiefel
- geleitet von Pastor
Kahlbauch, Rektor Sonnenstich, Professor Knochenbruch,
Onkel Probst und Freund Ziegenmelker, ab. Der Regen
läßt nach.
-
- Hänschen Rilow
- wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft
- Ruhe in Frieden, du
ehrliche Haut! - Grüße mir meine ewigen
Bräute hingeopferten Angedenkens, und empfiehl mich
ganz ergebenst zu Gnaden dem lieben Gott - armer
Tolpatsch du! - Sie werden dir um deiner Engelseinfalt
willen noch eine Vogelscheuche aufs Grab
setzen...
-
- Georg
- Hat sich die Pistole
gefunden?
-
- Robert
- Man braucht keine
Pistole zu suchen!
-
- Ernst
- Hast du ihn gesehen,
Robert?
-
- Robert
- Verfluchter, verdammter
Schwindel! - Wer hat ihn gesehen? - Wer
denn?!
-
- Otto
- Da steckt's
nämlich! - Man hatte ihm ein Tuch
übergeworfen.
-
- Georg
- Hing die Zunge
heraus?
-
- Robert
- Die Augen! - Deshalb
hatte man das Tuch drübergeworfen.
-
- Otto
- Grauenhaft!
-
- Hänschen
Rilow
- Weißt du bestimmt,
daß er sich erhängt hat?
-
- Ernst
- Man sagt, er habe gar
keinen Kopf mehr.
-
- Otto
- Unsinn! -
Gewäsch!
-
- Robert
- Ich habe ja den Strick
in Händen gehabt! - Ich habe noch keinen
Erhängten gesehen, den man nicht zugedeckt
hätte.
-
- Georg
- Auf gemeinere Art
hätte er sich nicht empfehlen
können!
-
- Hänschen
Rilow
- Was Teufel, das
Erhängen soll ganz hübsch sein!
-
- Otto
- Mir ist er nämlich
noch fünf Mark schuldig. Wir hatten gewettet. Er
schwor, er werde sich halten.
-
- Hänschen
Rilow
- Du bist schuld,
daß er daliegt. Du hast ihn Prahlhans
genannt.
-
- Otto
- Papperlapapp, ich
muß auch büffeln die Nächte durch.
Hätte er die griechische Literaturgeschichte
gelernt, er hätte sich nicht zu erhängen
brauchen!
-
- Ernst
- Hast du den Aufsatz,
Otto?
-
- Otto
- Erst die
Einleitung.
-
- Ernst
- Ich weiß gar
nicht, was schreiben.
-
- Georg
- Warst du denn nicht da,
als uns Affenschmalz die Disposition gab?
-
- Hänschen
Rilow
- Ich stopsle mir was aus
dem Demokrit zusammen.
-
- Ernst
- Ich will sehen, ob sich
im Kleinen Meyer was finden läßt.
-
- Otto
- Hast du den Vergil schon
auf morgen? - - -
-
- Die Gymnasiasten ab.
- Martha und Ilse kommen ans Grab.
-
- Ilse
- Rasch, rasch! - Dort
hinten kommen die Totengräber.
-
- Martha
- Wollen wir nicht lieber
warten, Ilse?
-
- Ilse
- Wozu? - Wir bringen
neue. Immer neue und neue! - Es wachsen
genug.
-
- Martha
- Du hast recht, Ilse!
-
- Sie wirft einen
Efeukranz in die Gruft. Ilse öffnet ihre
Schürze und läßt eine Fülle frischer
Anemonen auf den Sarg regnen.
-
- Martha
- Ich grabe unsere Rosen
aus. Schläge bekomme ich ja doch! - Hier werden sie
gedeihen.
-
- Ilse
- Ich will sie
begießen, sooft ich vorbeikomme. Ich hole
Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber, und
Schwertlilien bringe ich von Hause mit.
-
- Martha
- Es soll eine Pracht
werden! Eine Pracht!
-
- Ilse
- Ich war schon über
der Brücke drüben, da hört' ich den
Knall.
-
- Martha
- Armes Herz!
-
- Ilse
- Und ich weiß auch
den Grund, Martha.
-
- Martha
- Hat er dir was
gesagt?
-
- Ilse
- Parallelepipedon! Aber
sag es niemandem.
-
- Martha
- Meine Hand
darauf.
-
- Ilse
- Hier ist die
Pistole.
-
- Martha
- Deshalb hat man sie
nicht gefunden!
-
- Ilse
- Ich nahm sie ihm gleich
aus der Hand, als ich am Morgen vorbeikam.
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- Martha
- Schenk sie mir, Ilse! -
Bitte, schenk sie mir!
-
- Ilse
- Nein, die behalt' ich
zum Andenken.
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- Martha
- Ist's wahr, Ilse,
daß er ohne Kopf drinliegt?
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- Ilse
- Er muß sie mit
Wasser geladen haben! - Die Königskerzen waren
über und über mit Blut besprengt. Sein Hirn
hing in den Weiden umher.
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