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zusammengefaßt von Martin Schlu, September 2004
Spätes 19. Jh. und Fin de siecle
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen - Erklärung
Bleichsucht (Chlorose), eine
Art der allgemeinen chronischen Blutarmut (s.d.), welche vorzugsweise
bei heranwachsenden Mädchen, aber auch bei jungen Männern vorkommt
und weniger aus einer Verminderung der Blutmenge als aus einer mangelhaften
Ernährung der Gewebe und Organe beruht.
Als Ursache liegt der B. stets eine dürftige Anlage des Gefäßapparats,
besonders des Herzens, zu Grunde (Virchow), und daher kommt es,
daß gerade in der Periode der schnellen Entwickelung des Körpers
in den Pubertätsjahren sowie zuzeiten der Schwangerschaft bei Frauen
und bei Beginn härterer körperlicher Arbeit bei jungen Männern die
Störungen der B. zu Tage treten. Sind also Personen mit dieser fehlerhaften
Anlage schon unter ganz normalen Verhältnissen des Lebens zu B.
disponiert, so steigert sich die Erscheinung noch erheblich, wenn
starke Blutverlust (Menorrhagien), Säfteverluste, Aufenthalt in
ungesunden Räumen oder irgend einer derjenigen Umstände hinzukommt,
welche unter den Ursachen der Blutarmut aufgeführt sind. Das augenfälligste
Zeichen der B. besteht in der bleichen Beschaffenheit der äußern
Haut, der Lippen, des Zahnfleisches, der Bindehaut der Augen. Die
wachsartig durchscheinende Haut hat manchmal ein gelbliches bis
blaßgrünliches Kolorit. Vorübergehend kann auch Rötung einzelner
Hautstellen vorkommen. Bei manchen Fällen von B. werden leichte
wassersüchtige Anschwellungen um die Knöchel herum, im Gesicht,
an den Augenlidern beobachtet, welche aber meist ebenso schnell
vergehen, wie sie entstanden sind.
Die Kranken kommen beim schnellen Gehen, beim Treppensteigen etc.
sehr leicht außer Atem; sie ermüden leicht, klagen über Schwere
in den Füßen und über Schmerzen in den Muskeln. Häufig leiden Bleichsüchtige
auch an Nervenschmerzen im Gesicht und namentlich an Magenschmerz.
Gewöhnlich besteht eine abnorm gesteigerte allgemeine Empfindsamkeit
des Körpers und Geistes, eine trübe, gereizte Stimmung, Neigung
zum Weinen, oft auch eigentümliche Gelüste nach sauren oder pikanten
Speisen, selbst nach ganz ungenießbaren Dingen, wie Kohle, Kreide
etc. Fast alle an B. Leidende klagen über Herzklopfen.
Der Arzt vernimmt bei der Untersuchung des Herzens und der großen
Halsvenen eigentümliche, für die B. charakteristische Geräusche.
Abgesehen von den gewöhnlich vorhandenen Magenschmerzen. pflegt
auch der Appetit vermindert zu sein. Es besteht Verdauungsschwäche,
nach dem Essen entsteht Druck und Vollsein in der Magengrube, saures
Aufstoßen etc. Übrigens kommt bei B. sehr häufig das gefährliche
runde Magengeschwür vor. Die Menstruation fehlt entweder vollständig,
oder sie ist spärlich und unregelmäßig oder mit heftigen Schmerzen
verbunden. Selten ist die Menstruation eine übermäßig reichliche.
Neben der Menstruationsstörung besteht häufig noch ein Katarrh der
Gebärmutter und Scheide mit Abfluß eines weißen Sekrets (weißer
Fluß). Die allgemeine Ernährung scheint dem Laien zuweilen besonders
gut, da Bleichsüchtige zu Fettbildung neigen. Der Verlauf richtet
sich ganz danach, ob durch übermäßige Anstrengungen, durch Krankheiten,
durch ungesunde Lebensverhältnisse die angeborne Anlage der B. noch
gesteigert wird, oder ob sich bei geregelter Lebensweise im weitern
Wachstum der Fehler durch Vergrößerung des Herzens wieder ausgleicht.
Das Ziel der ärztlichen Behandlung ist in allen Fällen von B. auf
gute, kräftige Ernährung gerichtet; der Gebrauch der eisenhaltigen
Brunnen von Pyrmont, Driburg, Spaa, eisenhaltige Pillen oder Pulver
leisten oftmals ausgezeichnete Dienste, allein es bleiben nicht
so ganz wenige Fälle übrig, bei welchen die gewünschte Zunahme der
Herzthätigkeit ausbleibt, bei denen trotz aller Mittel die B. unheilbar
ist. Andre Fälle erreichen nur eine Art von labilem Gleichgewicht,
da ihr Gefäßapparat bei geringen Ansprüchen zwar ausreichende Thätigkeit
entfaltet, bei jeder größern Zumutung dagegen, sei es an Arbeit
oder durch fieberhafte Krankheiten oder heftige Seeleneindrücke,
leichter erlahmt und so eine fortdauernde Gefahr für Rückfälle des
Leidens in sich schließt. Vgl. Virchow, Allgemeine Störungen der
Ernährung und des Bluts (Erlang 1854); Richter, Blutarmut und B.
(2. Aufl., Leipz. 1854); Pfaff, Blutarmut und B. (das. 1870).
Quelle:
Meyers Konversationslexikon, Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens,
vierte Auflage, Leipzig, 1888-1889.
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