zurück
- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
Text als pdf-Datei
|
- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 19. Storms Vorlage
-
zurück - weiter
-
Ein Reiseabenteuer
Es war in den ersten Tagen des Monates April, im Jahre 1829 - so
erzählte mir mein Freund - als Geschäfte von Wichtigkeit
mein persönliches Erscheinen in Marienburg erforderlich machten;
ich mußte mich also zu einer Reise dahin entschließen,
so gern ich sie auch bis zur schönern Jahreszeit aufgeschoben
hätte, denn wer selten reiset, macht so eine Partie lieber
bei schönem Wetter; allein die Nothwendigkeit der Sache machte,
daß ich meine Reise beschleunigen mußte.
Ein gemiethetes Reitpferd stand um vier Uhr Nachmittags vor meiner
Thüre; ich ließ den Braunen nicht lange warten, schwang
mich hinauf, und nach wenigen Minuten hatte ich Danzig im Rücken.
Mein Weg längs der Chaussee ging gut, und das einzige Hinderniß,
welches ich zu bekämpfen hatte, war das kalte, unangenehme,
regnigte Wetter.
Durchfroren und durchnäßt kam ich bei ziemlicher Dunkelheit
in Dirschau an; stieg im erstgelegenen Gasthof ab, um ein wenig
zu ruhen, meinem sich einfindenden Appetit durch einen lmbiß
zu begegnen, und durch einen erwärmenden Trunk meine Glieder
zu erfrischen; fragte unter Anderm den Wirth, wie es mit der Weichsel
stände, und bekam zur Antwort: „Schlecht; Ihr Hinüberkommen
wird nicht allein beschwerlich, sondern auch gefährlich seyn;"
doch ich durfte mich nicht abschrecken lassen, weil ich nach meinem
Bestimmungsorte mußte, und wo möglich wollte ich dort
noch an demselben Abend eintreffen; ich bezahlte dem Wirthe meine
Rechnung und eilte weiter; aber angekommen an der Weichsel, wurde
ich von den Fährknechten zu meinem Schrecken unterrichtet,
daß das heutige Hinüberkommen für keinen Preis ausführbar
sey, wenn ich nicht mit Gewalt in die Arme des Todes eilen wolle;
auch sahe ich zum Theil die Unmöglichkeit der Sache wohl selber
ein; doch wurde mir der Vorschlag gemacht, daß ich bis zur
Güttländer Fähre reiten solle, weil dort das Hinüberschaffen
vielleicht noch zu bewerkstelligen seyn würde. Ich ließ
mir dieses nicht zwei Mal sagen, griff in die Zügel, lenkte
um, und fort ging's zur Güttlander Fähre. -
Dunkler und dunkler wurde es rings um mich, nur hin und wieder drang
das Leuchten eines Sternes durch die Nebelwolken, fremd war mir
die in schwarze Schatten gehüllte Gegend, kein menschliches
Wesen erblickte ich, und nur das Brausen des Sturmes und das Geprassel
des, durch das Wasser immer höher gehobenen und geborstenen
Eises waren meine schaurigen Begleiter. - Da plötzlich höre
ich dicht hinter mir das rasche Trappeln eines Pferdes, und freudig,
in dem Wahne, einen Gesellschafter nahe zu haben, blicke ich mich
erwartungsvoll um und sehe - Nichts - wohl aber trabt es immer schärfer
und näher, mein Brauner schnaubt und stampft, kaum vermochte
mein spitziger Sporn, ihn vorwärts zu treiben, und ein kalter
Schauer überlief meinen ganzen Körper; doch beruhigte
ich mich, da mein sonderbarer Begleiter verschwunden zu seyn schien;
als ich ihn aber plötzlich wieder, ohne ihn zu sehen, vor mir
hersprengen hörte, war es, als wollten mir meine Glieder die
Dienste versagen, ein Fieberfrost durchrieselte mich, und mein Pferd
wurde höchst unruhig; was aber die Unheimlichkeit noch mehr
vermehrte, war: daß dieses unbegreifliche Wesen mir plötzlich
und pfeilschnell vorüber zu sausen schien, so hörte sich
das ungewöhnliche Geräusch wenigstens an, welches sich
wieder allmählig verlor, um aber, wie es schien, mit erneuter
Schnelligkeit zurückzukehren; es wieder hören, dicht hinter
mir haben, die anscheinende Gestalt eines weißen Pferdes,
mit einem schwarzen, menschenähnlichen Gebilde darauf sitzend,
mir im fliegenden Galopp vorbeireiten zu sehen, war Eins; mein Brauner
machte einen Seitensprung, und es fehlte nicht viel, so wären
wir Beide den Damm, ohne es zu wollen, hinabgestürzt.
Ich habe die letzten Feldzüge mitgemacht, feindliche Kugeln
tödteten neben mir meine besten Kameraden, vom Kanonendonner
bebte die Erde, doch mich machte nichts erbeben; aber hier auf dem
Weichseldamme, ich gestehe es zu meiner Schande, zitterte ich an
allen Gliedern. -
Da hörte ich in der Ferne das Bellen eines Hundes, und wurde
das Blinken eines Lichtes gewahr. Ha! dachte ich, da werden sich
auch Menschen befinden, wie du einer bist; schnell ritt ich dem
Lichtscheine entgegen, und kam an eine sogenannte Wachtbude; ich
stieg ab, und fragte die darin versammelte Menge, ob ich bei ihnen
die Nacht über verweilen könnte - denn für heute
war ich des Reisens satt- und meine Frage wurde mit „Ja"
beantwortet.
Froh, ein schützendes Obdach gefunden zu haben, brachte ich
zuerst mein Pferd in Sicherheit, setzte mich dann ruhig in eine
Ecke, pflegte mich, so gut es sich thun ließ, und hörte
die Gespräche der Landleute, die hier auf Eiswache waren, mit
an; ließ aber wohlbedächtig, um mich nicht Neckereien
Preis zu geben, nichts von meinem überstandenen Abenteuer merken.
Da war's, als rauschte irgend etwas dem Fenster vorbei. Mit einem
Schreckensausruf sprangen mehre Männer auf, und Einer von ihnen
sagte: „Es muß irgendwo große Gefahr seyn, denn
der Reiter auf dem Schimmel läßt sich sehen;<„>
und der größte Theil eilte hinaus.
Der Reiter nun befremdete mich nicht, wohl aber die gemachte Bemerkung,
weshalb ich den neben mir sitzenden alten Mann ersuchte mir hierüber
eine genügende Erklärung zu geben, worauf ich folgende
Auskunft erhielt:
„Vor vielen Jahren, da sich auch unsere Vorfahren hier einst
versammelt hatten, um auf den Gefahr drohenden Eisgang genau Acht
zu haben, bekleidete ein entschlossener, einsichtsvoller und allgemein
beliebter Mann aus ihrer Mitte das Amt eines Deichgeschworenen.
An einem jener verhängnißvollen Tage entstand eine Stopfung
des Eises, mit jeder Minute stieg das Wasser und die Gefahr; der
erwähnte Deichgeschworene, der einen prächtigen Schimmel
ritt, sprengte auf und nieder, überzeugte sich überall
selbst von der Gefahr und gab zu deren Abwehr die richtigsten und
angemessensten Befehle; dennoch unterlagen die Kräfte der schwachen
Menschen der schrecklichen Gewalt der Natur, das Wasser fand durch
den Damm einen Durchweg, und schrecklich war die Verheerung, die
es anrichtete. Mit niedergeschlagenem Muthe kam der Deichgeschworene
in gestrecktem Gallopp beim Deichbruche an, durch den sich das Wasser
mit furchtbarer Gewalt und brausendem Getöse auf die so ergiebigen
Fluren ergoß; laut klagte er sich an, auf diese Seite nicht
genug Acht gegeben zu haben, sah darauf still und unbewegt dieses
Schrecken der Natur einige Augenblicke an; dann schien ihn die Verzweiflung
in vollem Maaße zu ergreifen, er drückt seinem Schimmel
die Sporen in die Seiten, ein Sprung - und Roß und Reiter
verschwinden in den Abgrund. - Noch scheinen Beide nicht Ruhe gefunden
zu haben, denn sobald Gefahr vorhanden ist, lassen sie sich noch
immer sehen." -
Ich setzte am (andern) Morgen meine Reise weiter fort, sah den Reiter
nicht wieder, wohl aber die schreckliche Verheerung, die das Wasser
im obengenannten Jahre angerichtet hatte.
Hiemit schloß mein Freund, betheuerte die Wahrheit der Sache,
und schien durch mein Kopfschütteln verdrießlich werden
zu wollen.
aus: Das Danziger Dampfboot. Lesefrüchten vom Felde der neuesten Literatur des In- und Auslandes.
(Ernsten und fröhlichen Inhalts.) Gesammelt von J.J.C. Pappe,
Jahrgang 1838, Zweiter Band. Hamburg, 1838, S. 125-128.
- zurück - Anfangsseite
|