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- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
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- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 2. Erzählung des Schulmeisters
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(Reclam, S. 9)
Der Alte sah mich mit verständnisvollem Lächeln
an. "Nun also!" sagte er. "In der Mitte des vorigen
Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer zu bestimmen, vor
und nach derselben, gab es hier einen Deichgrafen, der
von Deich- und Sielsachen mehr verstand, als Bauern und
Hofbesitzer sonst zu verstehen pflegen; aber es reichte
doch wohl kaum, denn was die studierten Fachleute
darüber niedergeschrieben, davon hatte er wenig
gelesen; sein Wissen hatte er sich, wenn auch von
Kindesbeinen an, nur selber ausgesonnen. Ihr hörtet
wohl schon, Herr, die Friesen rechnen gut, und habet auch
wohl schon über unsern Hans Mommsen von Fahretoft
reden hören, der ein Bauer war und doch Bussolen und
Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein
Stück von solch einem Manne war auch der Vater des
nachherigen Deichgrafen gewesen; freilich wohl nur ein
kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Raps und Bohnen
baute, auch eine Kuh graste, ging unterweilen im Herbst
und Frühjahr auch aufs Landmessen und saß im
Winter, wenn der Nordwest von draußen kam und an
seinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu
prickeln, in seiner Stube. Der Junge saß meist
dabei und sah über seine Fibel oder Bibel weg dem
Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub sich
mit der Hand in seinen blonden Haaren. Und eines Abends
frug er den Alten, warum denn das, was er eben
hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse und nicht
anders sein könne, und stellte dann eine eigene
Meinung darüber auf. Aber der Vater, der darauf
nicht zu antworten wußte, schüttelte den Kopf
und sprach: "Das kann ich dir nicht sagen; genug, es ist
so, und du (Reclam, S.
10) selber irrst dich. Willst du
mehr wissen, so suche morgen aus der Kiste, die auf
unserm Boden steht, ein Buch, einer, der Euklid
hieß, hat's geschrieben; das wird's dir
sagen!"
-
- - - Der Junge war tags darauf zum
Boden gelaufen und hatte auch bald das Buch gefunden;
denn viele Bücher gab es überhaupt nicht in dem
Hause; aber der Vater lachte, als er es vor ihm auf den
Tisch legte. Es war ein holländischer Euklid, und
Holländisch, wenngleich es doch halb Deutsch war,
verstanden alle beide nicht. „Ja, ja", sagte er,
"das Buch ist noch von meinem Vater, der verstand es; ist
denn kein deutscher da?"
- Der Junge, der von wenig Worten war,
sah den Vater ruhig an und sagte nur: "Darf ich's
behalten? Ein deutscher ist nicht da."
-
- Und als der Alte nickte, wies er noch
ein zweites, halb zerrissenes Büchlein vor. "Auch
das?" frug er wieder.
- "Nimm sie alle beide!" sagte Tede
Haien; "sie werden dir nicht viel
nützen."
-
- Aber das zweite Buch war eine kleine
holländische Grammatik, und da der Winter noch lange
nicht vorüber war, so hatte es, als endlich die
Stachelbeeren in ihrem Garten wieder blühten, dem
Jungen schon so weit geholfen, daß er den Euklid,
welcher damals stark im Schwange war, fast überall
verstand.
-
- "Es ist mir nicht unbekannt, Herr",
unterbrach sich der Erzähler, "daß dieser
Umstand auch von Hans Mommsen erzählt wird; aber vor
dessen Geburt ist hier bei uns schon die Sache von Hauke
Haien - so hieß der Knabe - berichtet worden. Ihr
wisset auch wohl, es braucht nur einmal ein
Größerer zu kommen, so wird ihm alles
aufgeladen, was in Ernst oder Schimpf seine
Vorgänger einst mögen verübt
haben.
-
- (Reclam, S.
11) Als der Alte sah, daß
der Junge weder für Kühe noch Schafe Sinn hatte
und kaum gewahrte, wenn die Bohnen blühten, was doch
die Freude von jedem Marschmann ist, und weiterhin
bedachte, daß die kleine Stelle wohl mit einem
Bauer und einem Jungen, aber nicht mit einem
Halbgelehrten und einem Knecht bestehen könne,
angleichen, daß er auch selber nicht auf einen
grünen Zweig gekommen sei, so schickte er seinen
großen Jungen an den Deich, wo er mit andern
Arbeitern von Ostern bis Martini
(11. November) Erde karren
mußte. "Das wird ihn vom Euklid kurieren", sprach
er bei sich selber.
-
- Und der Junge karrte; aber den Euklid
hatte er allzeit in der Tasche, und wenn die Arbeiter ihr
Frühstück oder Vesper aßen, saß er
auf seinem umgestülpten Schubkarren mit dem Buche in
der Hand. Und wenn im Herbst die Fluten höher
stiegen und manch ein Mal die Arbeit eingestellt werden
mußte, dann ging er nicht mit den andern nach Haus,
sondern blieb, die Hände über die Knie
gefaltet, an der abfallenden Seeseite des Deiches sitzen
und sah stundenlang zu, wie die trüben Nordseewellen
immer höher an die Grasnarbe des Deiches
hinaufschlugen; erst wenn ihm die Füße
überspült waren und der Schaum ihm ins Gesicht
spritzte, rückte er ein paar Fuß höher
und blieb dann wieder sitzen. Er hörte weder das
Klatschen des Wassers noch das Geschrei der Möwen
und Strandvögel, die um oder über ihm flogen
und ihn fast mit ihren Flügeln streiften, mit den
schwarzen Augen in die seinen blitzend; er sah auch
nicht, wie vor ihm über die weite, wilde
Wasserwüste sich die Nacht ausbreitete; was er
allein hier sah, war der brandende Saum des Wassers, der,
als die Flut stand, mit hartem Schlage immer wieder
dieselbe Stelle traf und vor seinen Augen die Grasnarbe
des steilen Deiches auswusch.
-
- (Reclam, S.
12) Nach langem Hinstarren nickte
er wohl langsam mit dem Kopfe oder zeichnete, ohne
aufzusehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft,
als ob er dem Deiche damit einen sanfteren Abfall geben
wollte. Wurde es so dunkel, daß alle Erdendinge vor
seinen Augen verschwanden und nur die Flut ihm in die
Ohren donnerte, dann stand er auf und trabte halb
durchnäßt nach Hause.
-
- Als er so eines Abends zu seinem
Vater in die Stube trat, der an seinen
Meßgeräten putzte, fuhr dieser auf: „Was
treibst du draußen? Du hättest ja versaufen
können, die Wasser beißen heute in den
Deich."
- Hauke sah ihn trotzig an.
- - "Hörst du mich nicht? Ich sag,
du hättst versaufen können."
- "Ja", sagte Hauke; "ich bin doch
nicht versoffen!"
- "Nein", erwiderte nach einer Weile
der Alte und sah ihm wie abwesend ins Gesicht - "diesmal
noch nicht."
- "Aber", sagte Hauke wieder, "unsere
Deiche sind nichts wert!"
- - "Was für was,
Junge?"
- "Die Deiche, sag ich!"
- - "Was sind die Deiche?"
- "Sie taugen nichts, Vater!" erwiderte
Hauke.
- Der Alte lachte ihm ins Gesicht. "Was
denn, Junge? Du bist wohl das Wunderkind aus
Lübeck!"
- Aber der Junge ließ sich nicht
irren. "Die Wasserseite ist zu steil", sagte er; "wenn es
einmal kommt, wie es mehr als einmal schon gekommen ist,
so können wir hier auch hinterm Deich
ersaufen!"
-
- Der Alte holte seinen Kautabak aus
der Tasche, drehte einen Schrot ab und schob ihn hinter
die Zähne. „Und wieviel Karren hast du heut
geschoben?" (Reclam, S.
13) frug er ärgerlich; denn
er sah wohl, daß auch die Deicharbeit bei dem
Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben
können.
- "Weiß nicht, Vater", sagte
dieser, "so, was die andern machten; vielleicht ein
halbes Dutzend mehr; aber - die Deiche müssen anders
werden!"
- "Nun", meinte der Alte und
stieß ein Lachen aus; "du kannst es ja vielleicht
zum Deichgraf bringen; dann mach sie anders!"
- "Ja, Vater!" erwiderte der
Junge.
- Der Alte sah ihn an und schluckte ein
paarmal; dann ging er aus der Tür; er wußte
nicht, was er dem Jungen antworten sollte.
- ____________
-
- (Reclam, S. 13, Zeile
14) Auch als zu Ende Oktobers die
Deicharbeit vorbei war, blieb der Gang nordwärts
nach dem Haff hinaus für Hauke Haien die beste
Unterhaltung; den Allerheiligentag
(1.November)
, um den herum die Äquinoktialstürme zu tosen
pflegen, von dem wir sagen, daß Friesland ihn wohl
beklagen mag, erwartete er wie heut die Kinder das
Christfest. Stand eine Springflut bevor, so konnte man
sicher sein, er lag trotz Sturm und Wetter weit
draußen am Deiche mutterseelenallein; und wenn die
Möwen gackerten, wenn die Wasser gegen den Deich
tobten und beim Zurückrollen ganze Fetzen von der
Grasdecke mit ins Meer hinabrissen, dann hätte man
Haukes zorniges Lachen hören können. "Ihr
könnt nichts Rechtes", schrie er in den Lärm
hinaus, "so wie die Menschen auch nichts können!"
Und endlich, oft im Finstern, trabte er aus der weiten
Öde den Deich entlang nach Hause, bis seine
aufgeschossene Gestalt die niedrige Tür unter seines
Vaters Rohrdach erreicht hatte und darunter durch in das
kleine Zimmer schlüpfte.
-
- (Reclam, S.
14) Manchmal hatte er eine Faust
voll Kleierde mitgebracht; dann setzte er sich neben den
Alten, der ihn jetzt gewähren ließ, und
knetete bei dem Schein der dünnen Unschlittkerze
allerlei Deichmodelle, legte sie in ein flaches
Gefäß mit Wasser und suchte darin die
Ausspülung der Wellen nachzumachen, oder er nahm
seine Schiefertafel und zeichnete darauf das Profil der
Deiche nach der Seeseite, wie es nach seiner Meinung sein
mußte.
- Mit denen zu verkehren, die mit ihm
auf der Schulbank gesessen hatten, fiel ihm nicht ein,
auch schien es, als ob ihnen an dem Träumer nichts
gelegen sei. Als es wieder Winter geworden und der Frost
hereingebrochen war, wanderte er noch weiter, wohin er
früher nie gekommen, auf den Deich hinaus, bis die
unabsehbare eisbedeckte Fläche der Watten vor ihm
lag.
- Im Februar bei dauerndem Frostwetter
wurden angetriebene Leichen aufgefunden; draußen am
offenen Haff auf den gefrorenen Watten hatten sie
gelegen. Ein junges Weib, die dabeigewesen war, als man
sie in das Dorf geholt hatte, stand redselig vor dem
alten Haien. "Glaubt nicht, daß sie wie Menschen
aussahen", rief sie; „nein, wie die Seeteufel! So
große Köpfe", und hielt die ausgespreizten
Hände von weitem gegeneinander, “gnidderschwarz
und blank, wie frischgebacken Brot! Und die Krabben
hatten sie angeknabbert; und die Kinder schrien laut, als
sie sie sahen!"
-
- Dem alten Haien war so was just
nichts Neues. "Sie haben wohl seit November schon in See
getrieben!" sagte er gleichmütig.
-
- Hauke stand schweigend daneben; aber
sobald er konnte, schlich er sich auf den Deich hinaus;
es war nicht zu sagen, wollte er noch nach weiteren
Toten (Reclam, S.
15) suchen, oder zog ihn nur das
Grauen, das noch auf den jetzt verlassenen Stellen
brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis
er einsam in der Öde stand, wo nur die Winde
über den Deich wehten, wo nichts war als die
klagenden Stimmen der großen Vögel, die rasch
vorüberschossen; zu seiner Linken die leere weite
Marsch, zur andern Seite der unabsehbare Strand mit
seiner jetzt vom Eise schimmernden Fläche der
Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem
Tod.
- Hauke blieb oben auf dem Deiche
stehen, und seine scharfen Augen schweiften weit umher;
aber von Toten war nichts mehr zu sehen; nur wo die
unsichtbaren Wattströme sich darunter drängten,
hob und senkte die Eisfläche sich in stromartigen
Linien.
-
- Er lief nach Hause; aber an einem der
nächsten Abende war er wiederum da draußen.
Auf jenen Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie
Rauchwolken stieg es aus den Rissen, und über das
ganze Watt spann sich ein Netz von Dampf und Nebel, das
sich seltsam mit der Dämmerung des Abends mischte.
Hauke sah mit starren Augen darauf hin; denn in dem Nebel
schritten dunkle Gestalten auf und ab, sie schienen ihm
so groß wie Menschen. Würdevoll, aber mit
seltsamen, erschreckenden Gebärden; mit langen Nasen
und Hälsen sah er sie fern an den rauchenden Spalten
auf und ab spazieren; plötzlich begannen sie wie
Narren unheimlich auf und ab zu springen, die
großen über die kleinen und die kleinen gegen
die großen; dann breiteten sie sich aus und
verloren alle Form.
- "Was wollen die? Sind es die Geister
der Ertrunkenen?" dachte Hauke. "Hoiho!" schrie er laut
in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten sich
nicht an seinen Schrei, sondern trieben ihr wunderliches
Wesen fort.
- (Reclam, S.
16) Da kamen ihm die furchtbaren
norwegischen Seegespenster in den Sinn, von denen ein
alter Kapitän ihm einst erzählt hatte, die
statt des Angesichts einen stumpfen Pull von Seegras auf
dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, sondern
bohrte die Hacken seiner Stiefel fest in den Klei des
Deiches und sah starr dem possenhaften Unwesen zu, das in
der einfallenden Dämmerung vor seinen Augen
fortspielte. "Seid ihr auch hier bei uns?" sprach er mit
harter Stimme; "ihr sollt mich nicht
vertreiben!"
-
- Erst als die Finsternis alles
bedeckte, schritt er steifen, langsamen Schrittes
heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie
Flügelrauschen und hallendes Geschrei. Er sah nicht
um; aber er ging auch nicht schneller und kam erst
spät nach Hause; doch niemals soll er seinem Vater
oder einem andern davon erzählt haben. Erst viele
Jahre später hat er sein blödes Mädchen,
womit später der Herrgott ihn belastete, um dieselbe
Tages- und Jahreszeit mit sich auf den Deich
hinausgenommen, und dasselbe Wesen soll sich derzeit
draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat
ihr gesagt, sie solle sich nicht fürchten, das seien
nur die Fischreiher und die Krähen, die im Nebel so
groß und fürchterlich erschienen; die holten
sich die Fische aus den offenen Spalten.
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