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- Einleitung
und Vorbereitung
Erzählung
des Schulmeisters Unterbrechung,
Trin' Jans Haukes
kommt zum Deichgrafen Haukes
Gespräch mit Elke Eisboseln und Ole Peters Eisboseln, Versöhnung mit Trine Tod
Tede Haiens, Haukes Erbteil Begräbnis und Nachfolge Hauke
als Deichgraf Das
Pferd von Jever Haukes
Schimmel Der
neue Deich Deichbau Nachwuchs
- „etwas lebigs -Wienke
Sturm
und Untergang
Materialien
Pappes Vorlage
Rungholt
Liliencrons Gedicht
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- Theodor
Storm
Der Schimmelreiter (Novelle, 1888) - 1. Einleitung und Vorbereitung
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Reclam, S. 3)
Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich
einem halben Jahrhundert (also um
1825/1830) im Hause meiner
Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen,
kundgeworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl
sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe
eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich
vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den
"Leipziger" oder von "Pappes Hamburger
Lesefrüchten". Noch fühl ich es gleich einem
Schauer, wie dabei die linde Hand der über
Achtzigjährigen mitunter liebkosend über das
Haupthaar ihres Urenkels hinglitt. Sie selbst und jene
Zeit sind längst begraben; vergebens auch habe ich
seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann
daher um so weniger weder die Wahrheit der Tatsachen
verbürgen, als, wenn jemand sie bestreiten wollte,
dafür aufstehen; nur so viel kann ich versichern,
daß ich sie seit jener Zeit, obgleich sie durch
keinen äußeren Anlaß in mir aufs neue
belebt wurden, niemals aus dem Gedächtnis verloren
habe.
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-
- Es war im dritten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts (ca. um
1730), an einem Oktobernachmittag
- so begann der damalige Erzähler -, als ich bei
starkem Unwetter auf einem nordfriesischen Deich
entlangritt. Zur Linken hatte ich jetzt schon seit
über einer Stunde die öde, bereits von allem
Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in
unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee;
zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln
sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen
Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an
den Deich hinaufschlugen (Reclam,
S. 4) und mitunter mich und das
Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten;
dahinterwüste Dämmerung, die Himmel und Erde
nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond,
der jetzt in der Höhe stand, war meist von
treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt;
meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel
halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und
Möwen, die sich fortwährend krächzend und
gackernd vom Sturm ins Land hineintreiben ließen.
Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und schon konnte
ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes
erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich
hörte nichts als das Geschrei der Vögel, wenn
sie mich oder meine treue Stute fast mit den langen
Flügeln streiften, und das Toben von Wind und
Wasser. Ich leugne nicht, ich wünschte mich mitunter
in sicheres Quartier.
-
- Das Wetter dauerte jetzt in den
dritten Tag, und ich hatte mich schon über
Gebühr von einem mir besonders lieben Verwandten auf
seinem Hofe halten lassen, den er in einer der
nördlicherenHarden besaß. Heute aber ging es
nicht länger; ich hatte Geschäfte in der Stadt,
die auch jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach
Süden vor mir lag, und trotz aller
Überredungskünste des Vetters und seiner lieben
Frau, trotz der schönen selbstgezogenen Perinette-
und Grand-Richard-Äpfel, die noch zu probieren
waren, am Nachmittag war ich davongeritten. „Wart
nur, bis du ans Meer kommst", hatte er noch an seiner
Haustür mir nachgerufen; "du kehrst noch wieder um;
dein Zimmer wird dir vorbehalten!"
-
- Und wirklich, einen Augenblick, als
eine schwarze Wolkenschicht es pechfinster um mich machte
und gleichzeitig die heulenden Böen mich samt meiner
Stute vom Deich herabzudrängen suchten, fuhr es
(Reclam, S.
5) mir wohl durch den Kopf. "Sei
kein Narr! Kehr um und setz dich zu deinen Freunden ins
warme Nest." Dann aber fiel's mir ein, der Weg
zurück war wohl noch länger als der nach meinem
Reiseziel; und so trabte ich weiter, den Kragen meines
Mantels um die Ohren ziehend.
-
- Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas
gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer
deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht
herabließ, glaubte ich eine dunkle Gestalt zu
erkennen, und bald, da sie näher kam, sah ich es,
sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen
hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre
Schultern, und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende
Augen aus einem bleichen Antlitz an.
- Wer war das? Was wollte der? - Und
jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufschlag, kein
Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter
waren doch hart an mir vorbeigefahren!
- In Gedanken darüber ritt ich
weiter, aber ich hatte nicht lange Zeit zum Denken, schon
fuhr es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir
war, als streifte mich der fliegende Mantel, und die
Erscheinung war, wie das erste Mal, lautlos an mir
vorübergestoben. Dann sah ich sie fern und ferner
vor mir; dann war's, als säh ich plötzlich
ihren Schatten an der Binnenseite des Deiches
hinuntergehen.
-
- Etwas zögernd ritt ich
hintendrein. Als ich jene Stelle erreicht hatte, sah ich
hart am Deich im Kooge unten das Wasser einer
großen Wehle blinken - so nennen sie dort die
Brüche, welche von den Sturmfluten in das Land
gerissen werden und die dann meist als kleine, aber
tiefgründige Teiche stehen bleiben.
- Das Wasser war, trotz des
schützenden Deiches, auffallend bewegt; der Reiter
konnte es nicht (Reclam, S.
6) getrübt haben; ich sah
nichts weiter von ihm. Aber ein anderes sah ich, das ich
mit Freuden jetzt begrüßte: vor mir, von unten
aus dem Kooge, schimmerten eine Menge zerstreuter
Lichtscheine zu mir herauf, sie schienen aus jenen
langgestreckten friesischen Häusern zu kommen, die
vereinzelt auf mehr oder minder hohen Warften lagen,
dicht vor mir aber auf halber Höhe des Binnendeiches
lag ein großes Haus derselben Art; an der
Südseite, rechts von der Haustür, sah ich alle
Fenster erleuchtet; dahinter gewahrte ich Menschen und
glaubte trotz des Sturmes sie zu hören. Mein Pferd
war schon von selbst auf den Weg am Deich
hinabgeschritten, der mich vor die Tür des Hauses
führte. Ich sah wohl, daß es ein Wirtshaus
war; denn vor den Fenstern gewahrte ich die sogenannten
„Ricks", das heißt auf zwei Ständern
ruhende Balken mit großen eisernen Ringen, zum
Anbinden des Viehes und der Pferde, die hier
haltmachten.
-
- Ich band das meine an einen derselben
und überwies es dann dem Knechte, der mir beim
Eintritt in den Flur entgegenkam: "Ist hier Versammlung?"
frug ich ihn, da mir jetzt deutlich ein Geräusch von
Menschenstimmen und Gläserklirren aus der
Stubentür entgegendrang.
-
- "Is wull so wat", entgegnete der
Knecht auf plattdeutsch - und ich erfuhr nachher,
daß dieses neben dem Friesischen hier schon seit
über hundert Jahren im Schwange gewesen sei -,
"Diekgraf und Gevollmächtigten un wecke von de
annern Interessenten! Dat is um 't hoge
Wåter!"
-
- Als ich eintrat, sah ich etwa ein
Dutzend Männer an einem Tische sitzen, der unter den
Fenstern entlanglief, eine Punschbowle stand darauf, und
ein besonders stattlicher Mann schien die Herrschaft
über sie zu führen.
- (Reclam, S. 7)
Ich grüßte und bat, mich zu ihnen setzen zu
dürfen, was bereitwillig gestattet wurde. „Sie
halten hier die Wacht!" sagte ich, mich zu jenem Mann
wendend, "es ist bös Wetter draußen; die
Deiche werden ihre Not haben!"
-
- "Gewiß", erwiderte er; "wir,
hier an der Ostseite, aber glauben, jetzt außer
Gefahr zu sein; nur drüben an der andern Seite ist's
nicht sicher, die Deiche sind dort meist noch mehr nach
altem Muster; unser Hauptdeich ist schon im vorigen
Jahrhundert umgelegt. - Uns ist vorhin da draußen
kalt geworden, und Ihnen", setzte er hinzu, "wird es
ebenso gegangen sein; aber wir müssen hier noch ein
paar Stunden aushalten; wir haben sichere Leute
draußen, die uns Bericht erstatten."
-
- Und ehe ich meine Bestellung bei dem
Wirte machen konnte, war schon ein dampfendes Glas mir
hingeschoben.
- Ich erfuhr bald, daß mein
freundlicher Nachbar der Deichgraf sei; wir waren ins
Gespräch gekommen, und ich hatte begonnen, ihm meine
seltsame Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er
wurde aufmerksam, und ich bemerkte plötzlich,
daß alles Gespräch umher verstummt war. "Der
Schimmelreiter!" rief einer aus der Gesellschaft, und
eine Bewegung des Erschreckens ging durch die
übrigen.
-
- Der Deichgraf war aufgestanden. "Ihr
braucht nicht zu erschrecken", sprach er über den
Tisch hin; „das ist nicht bloß für uns;
Anno
17
(gemeint ist die Flut von
1717) hat es auch denen
drüben gegolten; mögen sie auf alles
vorgefaßt sein!"
-
- Mich wollte nachträglich ein
Grauen überlaufen. "Verzeiht!" sprach ich, "was ist
das mit dem Schimmelreiter?"
- Abseits hinter dem Ofen, ein wenig
gebückt, saß ein kleiner hagerer Mann in einem
abgeschabten schwarzen Röcklein; die eine Schulter
schien ein (Reclam, S. 8)
wenig ausgewachsen. Er hatte mit
keinem Worte an der Unterhaltung der andern teilgenommen,
aber seine bei dem spärlichen grauen Haupthaar noch
immer mit dunklen Wimpern besäumten Augen zeigten
deutlich, daß er nicht zum Schlaf hier
sitze.
-
- Gegen diesen streckte der Deichgraf
seine Hand. "Unser Schulmeister", sagte er mit erhobener
Stimme, „wird von uns hier Ihnen das am besten
erzählen können; freilich nur in seiner Weise
und nicht so richtig, wie zu Haus meine alte
Wirtschafterin Antje Vollmers es beschaffen
würde."
-
- "Ihr scherzet, Deichgraf!" kam die
etwas kränkliche Stimme des Schulmeisters hinter dem
Ofen hervor, „daß Ihr mir Euern dummen Drachen
wollt zur Seite stellen!"
-
- "Ja, ja, Schulmeister!" erwiderte der
andere, "aber bei den Drachen sollen derlei Geschichten
am besten in Verwahrung sein!"
-
- "Freilich!" sagte der kleine Herr;
"wir sind hierin nicht ganz derselben Meinung"; und ein
überlegenes Lächeln glitt über das feine
Gesicht.
-
- "Sie sehen wohl", raunte der
Deichgraf mir ins Ohr; "er ist immer noch ein wenig
hochmütig; er hat in seiner Jugend einmal Theologie
studiert und ist nur einer verfehlten Brautschaft wegen
hier in seiner Heimat als Schulmeister behangen
geblieben."
-
- Dieser war inzwischen aus seiner
Ofenecke hervorgekommen und hatte sich neben mir an den
langen Tisch gesetzt. "Erzählt, erzählt nur,
Schulmeister", riefen ein paar der jüngeren aus der
Gesellschaft.
-
- "Nun freilich", sagte der Alte, sich
zu mir wendend, "will ich gern zu Willen sein; aber es
ist viel Aberglaube dazwischen und eine Kunst, es ohne
diesen zu erzählen."
-
- (Reclam, S. 9)
"Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen",
erwiderte ich; "traut mir nur zu, daß ich schon
selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!"
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