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Die
Judenbuche
Inhaltsangabe
- Hintergrund
1
Ein
Sittengemälde aus dem gebirgichten
Westfalen
2 Das
Dorf B. galt für die hochmütigste, schlauste und
kühnste Gemeinde
3
Das
zweite Jahr dieser unglücklichen Ehe ward mit einem
Sohne...
4
Er
war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von
ihrem....
5
Margreth
stand ganz still und ließ die Kinder
gewähren.
6
Um
diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze
7
Um
Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte
Tee.
8
Die
gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang
genommen,
9
Am
nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh
auf,
10
Es
war sieben Uhr abends und alles in vollem
Gange;
11
Herr
von S. war auf dem Heimwege verstimmt,
12
Die
Juden der Umgegend hatten großen Anteil
gezeigt.
13
In der Küche befanden sich außer dem Manne eine
Frau
14
Herr
von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen
Schelm
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Annette
von Droste-Hülshoff
Die Judenbuche
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-
- Die Juden der Umgegend hatten
großen Anteil gezeigt. Das Haus der Witwe ward nie
leer von jammernden und Ratenden. Seit Menschengedenken
waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden.
Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs
äußerste erbittert, hatten sie weder Mühe
noch Geld gespart, dem Täter auf die Spur zu kommen.
Man weiß sogar, daß einer derselben,
gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden,
der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für
einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der
ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung
des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein
unter den Juden, daß der Täter nur mit guter
Beihülfe entwischt und wahrscheinlich noch in der
Umgegend sei. Als dennoch alles nichts half und die
gerichtliche Verhandlung für beendet erklärt
worden war, erschien am nächsten Morgen eine Anzahl
der angesehensten Israeliten im Schlosse, um dem
gnädigen Herrn einen Handel anzutragen. Der
Gegenstand war die Buche, unter der Aarons Stab gefunden
und wo der Mord wahrscheinlich verübt worden war. -
»Wollt ihr sie fällen? So mitten im vollen
Laube?« fragte der Gutsherr. - »Nein, Ihro
Gnaden, sie muß stehenbleiben im Winter und Sommer,
solange ein Span daran ist.« - »Aber, wenn ich
nun den Wald hauen lasse, so schadet es dem jungen
Aufschlag.« - »Wollen wir sie doch nicht um
gewöhnlichen Preis.« Sie boten zweihundert
Taler. Der Handel ward geschlossen und allen
Förstern streng eingeschärft, die Judenbuche
auf keine Weise zu schädigen. - Darauf sah man an
einem Abende wohl gegen sechzig Juden, ihren Rabbiner an
der Spitze, in das Brederholz ziehen, alle schweigend und
mit gesenkten Augen. - Sie blieben über eine Stunde
im Walde und kehrten dann ebenso ernst und feierlich
zurück, durch das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo
sie sich zerstreuten und jeder seines Weges ging. - Am
nächsten Morgen stand an der Buche mit dem Beil
eingehauen:
-
-
- Und wo war Friedrich? Ohne Zweifel
fort, weit genug, um die kurzen Arme einer so schwachen
Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war
bald verschollen, vergessen. Ohm Simon redete selten von
ihm, und dann schlecht; die Judenfrau tröstete sich
am Ende und nahm einen anderen Mann. Nur die arme
Margreth blieb ungetröstet.
-
- Etwa ein halbes Jahr nachher las der
Gutsherr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des
Amtsschreibers. - »Sonderbar, sonderbar!« sagte
er. »Denken Sie sich, Kapp, der Mergel ist
vielleicht unschuldig an dem Morde. Soeben schreibt mir
der Präsident des Gerichtes zu P.: 'Le vrai n'est
pas toujours vraisemblable'; das erfahre ich oft in
meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wissen Sie wohl,
daß ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den
Juden mag ebensowenig erschlagen haben als ich oder Sie?
Leider fehlen die Beweise, aber die Wahrscheinlichkeit
ist groß. Ein Mitglied der Schlemmingschen Bande
(die wir jetzt, nebenbei gesagt, größtenteils
unter Schloß und Riegel haben), Lumpenmoises
genannt, hat im letzten Verhöre ausgesagt, daß
ihn nichts so sehr gereue als der Mord eines
Glaubensgenossen, Aaron, den er im Walde erschlagen und
doch nur sechs Groschen bei ihm gefunden habe. Leider
ward das Verhör durch die Mittagsstunde
unterbrochen, und während wir tafelten, hat sich der
Hund von einem Juden an seinem Strumpfband erhängt.
Was sagen Sie dazu? Aaron ist zwar ein verbreiteter Name
usw.« - »Was sagen Sie dazu?« wiederholte
der Gutsherr: »und weshalb wäre der Esel von
einem Burschen denn gelaufen?« - Der Amtsschreiber
dachte nach. - »Nun, vielleicht der Holzfrevel
wegen, mit denen wir ja gerade in Untersuchung waren.
Heißt es nicht: der Böse läuft vor seinem
eigenen Schatten? Mergels Gewissen war schmutzig genug
auch ohne diesen Flecken.«
-
- Dabei beruhigte man sich. Friedrich
war hin, verschwunden und - Johannes Niemand, der arme,
unbeachtete Johannes, am gleichen Tage mit
ihm. - -
-
- Eine schöne lange Zeit war
verflossen, achtundzwanzig Jahre, fast die Hälfte
eines Menschenlebens; der Gutsherr war sehr alt und grau
geworden, sein gutmütiger Gehülfe Kapp
längst begraben. Menschen, Tiere und Pflanzen waren
entstanden, gereift, vergangen, nur Schloß B. sah
immer gleich grau und vornehm auf die Hütten herab,
die wie alte hektische Leute immer fallen zu wollen
schienen und immer standen. Es war am Vorabende des
Weihnachtsfestes, den 24. Dezember 1788. Tiefer Schnee
lag in den Hohlwegen, wohl an zwölf Fuß hoch,
und eine durchdringende Frostluft machte die
Fensterscheiben in der geheizten Stube gefrieren.
Mitternacht war nahe, dennoch flimmerten überall
matte Lichtchen aus den Schneehügeln, und in jedem
Hause lagen die Einwohner auf den Knien um den Eintritt
des heiligen Christfestes mit Gebet zu erwarten, wie dies
in katholischen Ländern Sitte ist oder wenigstens
damals allgemein war. Da bewegte sich von der Breder
Höhe herab eine Gestalt langsam gegen das Dorf; der
Wanderer schien sehr matt oder krank; er stöhnte
schwer und schleppte sich äußerst mühsam
durch den Schnee.
-
- An der Mitte des Hanges stand er
still, lehnte sich auf seinen Krückenstab und
starrte unverwandt auf die Lichtpunkte. Es war so still
überall, so tot und kalt; man mußte an
Irrlichter auf Kirchhöfen denken. Nun schlug es
zwölf im Turm; der letzte Schlag verdröhnte
langsam, und im nächsten Hause erhob sich ein leiser
Gesang, der, von Hause zu Hause schwellend, sich
über das ganze Dorf zog:
-
- Ein Kindelein so
löbelich
- Ist uns geboren
heute,
- Von einer Jungfrau
säuberlich,
- Des freun sich alle
Leute;
- Und wär das Kindelein
nicht geborn,
- So wären wir alle zusammen
verlorn:
- Das Heil ist unser
aller.
- O du mein liebster Jesu
Christ,
- Der du als Mensch geboren
bist,
- Erlös uns von der
Hölle!
-
- Der Mann am Hange war in die Knie
gesunken und versuchte mit zitternder Stimme einzufallen:
es ward nur ein lautes Schluchzen daraus, und schwere,
heiße Tropfen fielen in den Schnee. Die zweite
Strophe begann; er betete leise mit; dann die dritte und
vierte. Das Lied war geendigt, und die Lichter in den
Häusern begannen sich zu bewegen. Da richtete der
Mann sich mühselig auf und schlich langsam hinab in
das Dorf. An mehreren Häusern keuchte er
vorüber, dann stand er vor einem still und pochte
leise an.
-
- »Was ist denn das?« sagte
drinnen eine Frauenstimme; »die Türe klappert,
und der Wind geht doch nicht.« - Er pochte
stärker: »Um Gotteswillen, laßt einen
halberfrorenen Menschen ein, der aus der türkischen
Sklaverei kommt!« - Geflüster in der
Küche. »Geht ins Wirtshaus«, antwortete
eine andere Stimme, »das fünfte Haus von
hier!« - »Um Gottes Barmherzigkeit willen,
laßt mich ein! Ich habe kein Geld.« Nach
einigem Zögern ward die Tür geöffnet, und
ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. - »Kommt
nur herein«, sagte er dann, »Ihr werdet uns den
Hals nicht abschneiden.«
-
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