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Die
Judenbuche
Inhaltsangabe
- Hintergrund
1
Ein
Sittengemälde aus dem gebirgichten
Westfalen
2 Das
Dorf B. galt für die hochmütigste, schlauste und
kühnste Gemeinde
3
Das
zweite Jahr dieser unglücklichen Ehe ward mit einem
Sohne...
4
Er
war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von
ihrem....
5
Margreth
stand ganz still und ließ die Kinder
gewähren.
6
Um
diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze
7
Um
Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte
Tee.
8
Die
gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang
genommen,
9
Am
nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh
auf,
10
Es
war sieben Uhr abends und alles in vollem
Gange;
11
Herr
von S. war auf dem Heimwege verstimmt,
12
Die
Juden der Umgegend hatten großen Anteil
gezeigt.
13
In der Küche befanden sich außer dem Manne eine
Frau
14
Herr
von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen
Schelm
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Annette
von Droste-Hülshoff
Die Judenbuche
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-
- Das Dorf B. galt für die
hochmütigste, schlauste und kühnste Gemeinde
des ganzen Fürstentums. Seine Lage inmitten tiefer
und stolzer Waldeinsamkeit mochte schon früh den
angebotenen Starrsinn der Gemüter nähren; die
Nähe eines Flusses, der in die See mündete und
bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um
Schiffbauholz bequem und sicher außer Land zu
führen, trug sehr dazu bei, die natürliche
Kühnheit der Holzfrevler zu ermutigen, und der
Umstand, daß alles umher von Förstern
wimmelte, konnte hier nur aufregend wirken, da bei den
häufig vorkommenden Scharmützeln der Vorteil
meist auf seiten der Bauern blieb. Dreißig, vierzig
Wagen zogen zugleich aus in den schönen
Mondnächten mit ungefähr doppelt soviel
Mannschaft jedes Alters, vom halbwüchsigen Knaben
bis zum siebzigjährigen Ortsvorsteher, der als
erfahrener Leitbock den Zug mit gleich stolzem
Bewußtsein anführte, als er seinen Sitz in der
Gerichtsstube einnahm. Die Zurückgebliebenen
horchten sorglos dem allmählichen Verhallen des
Knarrens und Stoßens der Räder in den
Hohlwegen und schliefen sacht weiter. Ein gelegentlicher
Schuß, ein schwacher Schrei ließen wohl
einmal eine junge Frau oder Braut auffahren; kein anderer
achtete darauf. Beim ersten Morgengrau kehrte der Zug
ebenso schweigend heim, die Gesichter glühend wie
Erz, hier und dort einer mit verbundenem Kopf, was weiter
nicht in Betracht kam, und nach ein paar Stunden war die
Umgegend voll von dem Mißgeschick eines oder
mehrerer Forstbeamten, die aus dem Walde getragen wurden,
zerschlagen, mit Schnupftabak geblendet und für
einige Zeit unfähig, ihrem Berufe
nachzukommen.
-
-
- Foto: Waldhütte bei Schloß
Hülshoff (teehäuschen), © Martin Schlu,
Mai 2007
-
- In diesen Umgebungen ward Friedrich
Mergel geboren, in einem Hause, das durch die stolze
Zugabe eines Rauchfangs und minder kleiner Glasscheiben
die Ansprüche seines Erbauers sowie durch seine
gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen
Umstände des jetzigen Besitzers bezeugte. Das
frühere Geländer um Hof und Garten war einem
vernachlässigten Zaune gewichen, das Dach schadhaft,
fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs
auf dem Acker zunächst am Hofe, und der Garten
enthielt, außer ein paar holzichten
Rosenstöcken aus besserer Zeit, mehr Unkraut als
Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches
hiervon herbeigeführt; doch war auch viel Unordnung
und böse Wirtschaft im Spiel. Friedrichs Vater, der
alte Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein
sogenannter ordentlicher Säufer, das heißt
einer, der nur an Sonn- und Festtagen in der Rinne lag
und die Woche hindurch so manierlich war wie ein anderer.
So war denn auch seine Bewerbung um ein recht
hübsches und wohlhabendes Mädchen ihm nicht
erschwert. Auf der Hochzeit gings lustig zu. Mergel war
gar nicht so arg betrunken, und die Eltern der Braut
gingen abends vergnügt heim; aber am nächsten
Sonntage sah man die junge Frau schreiend und
blutrünstig durchs Dorf zu den ihrigen rennen, alle
ihre guten Kleider und neues Hausgerät im Stich
lassend. Das war freilich ein großer Skandal und
Ärger für Mergel, der allerdings Trostes
bedurfte. So war denn auch am Nachmittage keine Scheibe
an seinem Hause mehr ganz, und man sah ihn noch bis
spät in die Nacht vor der Türschwelle liegen,
einen abgebrochenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum
Munde führend und sich Gesicht und Hände
jämmerlich zerschneidend. Die junge Frau blieb bei
ihren Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. Ob
nun den Mergel Reue quälte oder Scham, genug, er
schien der Trostmittel immer bedürftiger und fing
bald an, den gänzlich verkommenen Subjekten
zugezählt zu werden.
-
- Die Wirtschaft verfiel; fremde
Mägde brachten Schimpf und Schaden; so verging Jahr
auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt
ziemlich armseliger Witwer, bis er mit einemmale wieder
als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für
sich unerwartet, so trug die Persönlichkeit der
Braut noch dazu bei, die Verwunderung zu erhöhen.
Margreth Semmler war eine brave, anständige Person,
so in den Vierzigen, in ihrer Jugend eine
Dorfschönheit und noch jetzt als sehr klug und
wirtlich geachtet, dabei nicht unvermögend; und so
mußte es jedem unbegreiflich sein, was sie zu
diesem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in
dieser ihrer selbstbewußten Vollkommenheit zu
finden. Am Abend vor der Hochzeit soll sie gesagt haben:
»Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt
wird, ist dumm oder taugt nicht: wenns mir schlecht geht,
so sagt, es liege an mir.« Der Erfolg zeigte leider,
daß sie ihre Kräfte überschätzt
hatte. Anfangs imponierte sie ihrem Manne; er kam nicht
nach Haus oder kroch in die Scheune, wenn er sich
übernommen hatte; aber das Joch war zu
drückend, um lange getragen zu werden, und bald sah
man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus
taumeln, hörte drinnen sein wüstes Lärmen
und sah Margreth eilends Tür und Fenster
schließen. An einem solchen Tage - keinem Sonntage
mehr - sah man sie abends aus dem Hause stürzen,
ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf
hängend, sich im Garten neben ein Krautbeet
niederwerfen und die Erde mit den Händen
aufwühlen, dann ängstlich um sich schauen,
rasch ein Bündel Kräuter brechen und damit
langsam wieder dem Hause zugehen, aber nicht hinein,
sondern in die Scheune. Es hieß, an diesem Tage
habe Mergel zuerst Hand an sie gelegt, obwohl das
Bekenntnis nie über ihre Lippen kam.
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