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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Malen des ertrunkenen Kindes
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-
- (Reclam, S.
78) - - Daheim indessen wartete
meiner eine Kunde, so meines Lebens Schuld und Buße
gleich einem Blitze jählings aus dem Dunkel hob, so
daß ich Glied um Glied die ganze Kette vor mir
leuchten sahe.
Mein Bruder, dessen schwache Constitution von dem
abscheulichen Spectacul, dem er heute hatte assistiren
müssen, hart ergriffen war, hatte sein Bette
aufgesucht. Da ich zu ihm eintrat, richtete er sich auf „Ich
muß noch eine Weile ruhen", sagte er, indem er ein
Blatt der Wochenzeitung in meine Hand gab; „aber
lies doch dieses! Da wirst du sehen, daß Herrn
Gerhardus' Hof in fremde Hände kommen, maßen
Junker Wulf ohn Weib und Kind durch eines tollen Hundes
Biß gar jämmerlichen Todes verfahren ist."
Ich griff nach dem Blatte, das mein Bruder mir
entgegenhielt; aber es fehlte nicht viel, daß ich
getaumelt wäre. Mir war's bei dieser Schreckenspost,
als sprängen des Paradieses Pforten vor mir auf;
aber schon sahe ich am Eingange den Engel mit dem
Feuerschwerte stehen, und aus
(Reclam, S.
79) meinem Herzen schrie es
wieder: O Hüter, Hüter, war dein Ruf so fern! -
- Dieser Tod hätte uns das Leben werden können;
nun war's nur ein Entsetzen zu den andern.
Ich saß oben auf meiner Kammer. Es wurde
Dämmerung, es wurde Nacht; ich schaute in die ewigen
Gestirne, und endlich suchte auch ich mein Lager. Aber
die Erquickung des Schlafes ward mir nicht zu Theil. In
meinen erregten Sinnen war es mir gar seltsamlich, als
sei der Kirchthurm drüben meinem Fenster nah
gerückt; ich fühlte die Glockenschläge
durch das Holz der Bettstatt dröhnen, und ich
zählete sie alle die ganze Nacht entlang. Doch
endlich dämmerte der Morgen. Die Balken an der Decke
hingen noch wie Schatten über mir, da sprang ich
auf, und ehbevor die erste Lerche aus den Stoppelfeldern
stieg, hatte ich allbereits die Stadt im Rücken.
Aber so frühe ich auch ausgegangen, ich traf den
Prediger schon auf der Schwelle seines Hauses stehen. Er
geleitete mich auf den Flur und sagte, daß die
Holztafel richtig angelanget, auch meine Staffelei und
sonstiges Malergeräth aus dem Küsterhause
herübergeschaffet sei. Dann legte er seine Hand auf
die Klinke einer Stubenthür.
Ich jedoch hielt ihn zurück und sagte: „Wenn
es in diesem Zimmer ist, so wollet mir vergönnen,
bei meinem schweren Werke allein zu sein!"
„Es wird Euch niemand stören", entgegnete er und zog die
Hand zurück. „Was Ihr zur Stärkung
Eueres Leibes bedürfet, werdet Ihr drüben in
jenem Zimmer finden." Er wies auf eine Thür an der
anderen Seite des Flures; dann verließ er mich.
Meine Hand lag itzund statt der des Predigers auf der
Klinke. Es war todtenstill im Hause; eine Weile
mußte ich mich sammeln, bevor ich öffnete.
Es war ein großes, fast leeres Gemach, wohl
für den Confirmandenunterricht bestimmt, mit kahlen
weißgetünchten Wänden; die Fenster sahen
über öde Felder nach dem fernen Strand hinaus.
Inmitten des Zimmers aber (Reclam,
S. 80) stund ein weißes
Lager aufgebahret. Auf dem Kissen lag ein bleiches
Kinderangesicht; die Augen zu; die kleinen Zähne
schimmerten gleich Perlen aus den blassen Lippen.
Ich fiel an meines Kindes Leiche nieder und sprach ein
brünstiglich Gebet. Dann rüstete ich alles, wie
es zu der Arbeit nöthig war; und dann malte ich -
rasch, wie man die Todten malen muß, die nicht zum
zweitenmal dasselbig Antlitz zeigen. Mitunter wurd ich
wie von der andauernden großen Stille
aufgeschrecket; doch wenn ich inne hielt und horchte, so
wußte ich bald, es sei nichts da gewesen. Einmal
auch war es, als drängen leise Odemzüge an mein
Ohr. - Ich trat an das Bette des Todten, aber da ich mich
zu dem bleichen Mündlein niederbeugete,
berührte nur die Todeskälte meine Wangen.
Ich sahe um mich; es war noch eine Thür im Zimmer;
sie mochte zu einer Schlafkammer führen, vielleicht
daß es von dort gekommen war! Allein so scharf ich
lauschte, ich vernahm nichts wieder; meine eigenen Sinne
hatten wohl ein Spiel mit mir getrieben.
So setzete ich mich denn wieder, sahe auf den kleinen
Leichnam und malete weiter; und da ich die leeren
Händchen ansahe, wie sie auf dem Linnen lagen, so
dachte ich: Ein klein Geschenk doch mußt du deinem
Kinde geben! Und ich malete auf seinem Bildniß ihm
eine weiße Wasserlilie in die Hand, als sei es
spielend damit eingeschlafen. Solcher Art Blumen gab es
selten in der Gegend hier, und mocht es also ein
erwünschet Angebinde sein.
Endlich trieb mich der Hunger von der Arbeit auf, mein
ermüdeter Leib verlangte Stärkung. Legete
sonach den Pinsel und die Palette fort und ging über
den Flur nach dem Zimmer, so der Prediger mir angewiesen
hatte. Indem ich aber eintrat, wäre ich vor
Überraschung bald zurückgewichen; denn
Katharina stund mir gegenüber, zwar in schwarzen
Trauerkleidern und doch in all dem Zauberschein, so
Glück und Liebe in eines Weibes Antlitz wirken
mögen.
(Reclam, S.
81) Ach, ich wußte es nur zu
bald; was ich hier sahe, war nur ihr Bildniß, das
ich selber einst gemalet. Auch für dieses war also
nicht mehr Raum in ihres Vaters Haus gewesen. - Aber wo
war sie selber denn? Hatte man sie fortgebracht, oder
hielt man sie auch hier gefangen? - Lang, gar lange sahe
ich das Bildniß an; die alte Zeit stieg auf und
quälete mein Herz. Endlich, da ich mußte,
brach ich einen Bissen Brot und stürzete ein paar
Gläser Wein hinab; dann ging ich zurück zu
unserem todten Kinde.
Als ich drüben eingetreten und mich an die Arbeit
setzen wollte, zeigete es sich, daß in dem kleinen
Angesicht die Augenlider um ein weniges sich gehoben
hatten. Da bückete ich mich hinab, im Wahne, ich
möchte noch einmal meines Kindes Blick gewinnen; als
aber die kalten Augensterne vor mir lagen, überlief
mich Grausen; mir war, als sähe ich die Augen jener
Ahne des Geschlechtes, als wollten sie noch hier aus
unseres Kindes Leichenantlitz künden: „Mein
Fluch hat doch euch beide eingeholet!" Aber zugleich -
ich hätte es um alle Welt nicht lassen können -
umfing ich mit beiden Armen den kleinen blassen Leichnam
und hob ihn auf an meine Brust und herzete unter bitteren
Thränen zum ersten Male mein geliebtes Kind. „Nein,
nein, mein armer Knabe, deine Seele, die gar den finstern
Mann zur Liebe zwang, die blickte nicht aus solchen
Augen; was hier herausschaut, ist alleine noch der Tod.
Nicht aus der Tiefe schreckbarer Vergangenheit ist es
heraufgekommen; nichts anderes ist da als deines Vaters
Schuld; sie hat uns alle in die schwarze Fluth
hinabgerissen."
Sorgsam legte ich dann wieder mein Kind in seine Kissen
und drückte ihm sanft die beiden Augen zu. Dann
tauchete ich meinen Pinsel in ein dunkles Roth und
schrieb unten in den Schatten des Bildes die Buchstaben:
C. P. A. S. Das sollte heißen: Culpa Patris Aquis
Submersus, „Durch Vaters Schuld in der Fluth
versunken". - Und mit dem Schalle dieser Worte in meinem
Ohre, die wie ein (Reclam, S.
82) schneidend Schwert durch meine
Seele fuhren, malete ich das Bild zu Ende.
Während meiner Arbeit hatte wiederum die Stille im
Hause fortgedauert, nur in der letzten Stunde war
abermalen durch die Thür, hinter welcher ich eine
Schlafkammer vermuthet hatte, ein leises Geräusch
hereingedrungen. - War Katharina dort, um ungesehen bei
meinem schweren Werk mir nah zu sein? Ich konnte es nicht
enträthseln.
Es war schon spät. Mein Bild war fertig, und ich
wollte mich zum Gehen wenden; aber mir war, als
müsse ich noch einen Abschied nehmen, ohne den ich
nicht von hinnen könne.
So stand ich zögernd und schaute durch das Fenster
auf die öden Felder draußen, wo schon die
Dämmerung begunnte sich zu breiten; da öffnete
sich vom Flure her die Thür und der Prediger trat zu
mir herein.
Er grüßte schweigend; dann mit gefalteten
Händen blieb er stehen und betrachtete wechselnd das
Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen Leichnams vor
ihm, als ob er sorgsame Vergleichung halte. Als aber
seine Augen auf die Lilie in der gemalten Hand des Kindes
fielen, hub er wie im Schmerze seine beiden Hände
auf, und ich sahe, wie seinen Augen jählings ein
reicher Thränenquell entstürzete.
Da streckte auch ich meine Arme nach dem Todten und rief
überlaut: „Leb wohl, mein Kind! O mein
Johannes, lebe wohl!"
Doch in demselben Augenblicke vernahm ich leise Schritte
in der Nebenkammer; es tastete wie mit kleinen
Händen an der Thür; ich hörte deutlich
meinen Namen rufen - oder war es der des todten Kindes? -
Dann rauschte es wie von Frauenkleidern hinter der
Thüre nieder, und das Geräusch vom Falle eines
Körpers wurde hörbar.
„Katharina!" rief ich. Und schon war ich hinzugesprungen und
rüttelte an der Klinke der fest verschlossenen
(Reclam, S. 83)
Thür; da legte die Hand des
Pastors sich auf meinen Arm: „Das ist meines
Amtes!" sagte er. „Gehet itzo! Aber gehet in
Frieden; und möge Gott uns allen gnädig
sein!"
- - Ich bin dann wirklich fortgegangen; ehe ich es selbst
begriff, wanderte ich schon draußen auf der Heide
auf dem Weg zur Stadt.
Noch einmal wandte ich mich um und schaute nach dem Dorf
zurück, das nur noch wie Schatten aus dem
Abenddunkel ragte. Dort lag mein todtes Kind - Katharina
- alles, alles! - Meine alte Wunde brannte mir in meiner
Brust; und seltsam, was ich niemals hier vernommen, ich
wurde plötzlich mir bewußt, daß ich vom
fernen Strand die Brandung tösen hörete. Kein
Mensch begegnete mir, keines Vogels Ruf vernahm ich; aber
aus dem dumpfen Brausen des Meeres tönete es mir
immerfort, gleich einem finsteren Wiegenliede: Aquis
submersus aquis submersus!
Hier endete die Handschrift.
Dessen Herr Johannes sich einstens im Vollgefühl
seiner Kraft vermessen, daß er's wohl auch einmal
in seiner Kunst den Größeren gleichzutun
verhoffe, das sollten Worte bleiben, in die leere Luft
gesprochen.
Sein Name gehört nicht zu denen, die genannt werden;
kaum dürfte er in einem Künstlerlexikon zu
finden sein; ja selbst in seiner engeren Heimat
weiß niemand von einem Maler seines Namens. Des
großen Lazarusbildes tut zwar noch die Chronik
unserer Stadt Erwähnung, das Bild selbst aber ist zu
Anfang dieses Jahrhunderts nach dem Abbruch unserer alten
Kirche gleich den anderen Kunstschätzen derselben
verschleudert und verschwunden.
Aquis submersus
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