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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Rückkehr nach fünf Jahren 1661
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-
- Und schon war ich am Thorhaus und sah
drunten im Hof die alten Linden, hinter deren
lichtgrünem Laub die beiden Zackengiebel des
Herrenhauses itzt verborgen lagen. Als ich aber durch den
Thorweg gehen wollte, jagten vom Hofe her zwei fahlgraue
Bullenbeißer mit Stachelhalsbändern gar wild
gegen mich heran; sie erhuben ein erschreckliches Geheul,
der eine sprang auf mich und fletschete seine
weißen Zähne dicht vor meinem Antlitz. Solch
einen Willkommen hatte ich noch niemalen hier empfangen.
-
- Da, zu meinem Glück, rief aus den Kammern
(Reclam S.
19) ober dem Thore eine rauhe,
aber mir gar traute Stimme. „Hallo!" rief sie;
„Tartar, Türk!" Die Hunde ließen von mir
ab, ich hörte es die Stiege herabkommen, und aus der
Thür, so unter dem Thorgang war, trat der alte
Dieterich.
- Als ich ihn anschaute, sahe ich wohl,
daß ich lang in der Fremde gewesen sei; denn sein
Haar war schlohweiß geworden, und seine sonst so
lustigen Augen blickten gar matt und betrübsam auf
mich hin. „Herr Johannes!" sagte er endlich und
reichte mir seine beiden Hände.
- „Grüß Ihn Gott,
Dieterich!" entgegnete ich. „Aber seit wann haltet
Ihr solche Bluthunde auf dem Hof, die die Gäste
anfallen gleich den Wölfen?"
-
- „Ja, Herr Johannes", sagte der
Alte, „die hat der Junker hergebracht."
- „Ist denn der daheim?" Der Alte
nickte.
-
- „Nun", sagte ich, „die
Hunde mögen schon vonnöthen sein; vom Krieg her
ist noch viel verlaufen Volk
zurückgeblieben."
-
- „Ach, Herr Johannes!" Und der
alte Mann stund immer noch, als wolle er mich nicht zum
Hof hinauf lassen. „Ihr seid in schlimmer Zeit
gekommen!"
-
- Ich sah ihn an, sagte aber nur:
„Freilich, Dieterich; aus mancher
Fensterhöhlung schaut statt des Bauern itzt der Wolf
heraus; hab dergleichen auch gesehen; aber es ist ja
Frieden worden, und der gute Herr im Schloß wird
helfen, seine Hand ist offen."
-
- Mit diesen Worten wollte ich, obschon
die Hunde mich wieder anknurreten, auf den Hof
hinausgehen; aber der Greis trat mir in den Weg.
„Herr Johannes", rief er, „ehe Ihr weiter
gehet, höret mich an! Euer Brieflein ist zwar
richtig mit der Königlichen Post von Hamburg kommen;
aber den rechten Leser hat es nicht mehr finden
können."
- „Dieterich!" schrie ich.
„Dieterich!"
-
- „- Ja, ja, Herr Johannes! Hier
ist die gute Zeit vorbei; denn unser theurer Herr
Gerhardus liegt aufgebahret
(Reclam S. 20)
dort in der Kapellen, und die
Gueridons brennen an seinem Sarge. Es wird nun anders
werden auf dem Hofe; aber - ich bin ein höriger
Mann, mir ziemet Schweigen."
-
- Ich wollte fragen: „Ist das
Fräulein, ist Katharina noch im Hause!" Aber das
Wort wollte nicht über meine Zunge.
- Drüben, in einem hinteren
Seitenbau des Herrenhauses, war eine kleine Kapelle, die
aber, wie ich wußte, seit lange nicht benutzt war.
Dort also sollte ich Herrn Gerhardus suchen.
-
- Ich fragte den alten Hofmann:
„Ist die Kapelle offen?", und als er es bejahete,
bat ich ihn, die Hunde anzuhalten; dann ging ich
über den Hof, wo niemand mir begegnete; nur einer
Grasmücke Singen kam oben aus den
Lindenwipfeln.
-
- Die Thür zur Kapellen war nur
angelehnt, und leis und gar beklommen trat ich ein. Da
stand der offene Sarg, und die rothe Flamme der Kerzen
warf ihr flackernd Licht auf das edle Antlitz des
geliebten Herrn; die Fremdheit des Todes, so darauf lag,
sagte mir, daß er itzt eines andern Lands Genosse
sei. Indem ich aber neben dem Leichnam zum Gebete
hinknien wollte, erhub sich über den Rand des Sarges
mir gegenüber ein junges blasses Antlitz, das aus
schwarzen Schleiern fast erschrocken auf mich
schaute.
-
- Aber nur, wie ein Hauch verweht, so
blickten die braunen Augen herzlich zu mir auf, und es
war fast wie ein Freudenruf. „O Johannes, seid
Ihr's denn? Ach, Ihr seid zu spät gekommen!" Und
über dem Sarge hatten unsere Hände sich zum
Gruß gefaßt; denn es war Katharina, und sie
war so schön geworden, daß hier im Angesicht
des Todes ein heißer Puls des Lebens mich
durchfuhr. Zwar, das spielende Licht der Augen lag itzt
zurückgeschrecket in der Tiefe; aber aus dem
schwarzen Häubchen drängten sich die braunen
Löcklein, und der schwellende Mund war um so
röther in dem blassen Antlitz.
-
- Und fast verwirret auf den Todten
schauend, sprach ich: „Wohl kam ich in der Hoffnung,
an seinem lebenden (Reclam, S. 21)
Bilde ihm mit meiner Kunst zu
danken, ihm manche Stunde genüber zu sitzen und sein
mild und lehrreich Wort zu hören. Laßt mich
denn nun die bald vergehenden Züge festzuhalten
suchen."
- Und als sie unter Thränen, die
über ihre Wangen strömten, stumm zu mir
hinübernickte, setzte ich mich in ein Gestühlte
und begann auf einem von den Blättchen, die ich bei
mir führte, des Todten Antlitz nachzubilden. Aber
meine Hand zitterte; ich weiß nicht, ob alleine vor
der Majestät des Todes.
-
- Während dem vernahm ich
draußen vom Hofe her eine Stimme, die ich für
die des Junker Wulf erkannte; gleich danach schrie ein
Hund wie nach einem Fußtritt oder Peitschenhiebe;
und dann ein Lachen und einen Fluch von einer andern
Stimme, die mir gleicherweise bekannt
deuchte.
-
- Als ich auf Katharinen blickte, sah
ich sie mit schier entsetzten Augen nach dem Fenster
starren; aber die Stimmen und die Schritte gingen
vorüber. Da erhub sie sich, kam an meine Seite und
sahe zu, wie des Vaters Antlitz unter meinem Stift
entstund. Nicht lange, so kam draußen ein einzelner
Schritt zurück; in demselben Augenblick legte
Katharina die Hand auf meine Schulter, und ich
fühlte, wie ihr junger Körper
bebte.
-
- Sogleich auch wurde die
Kapellenthür aufgerissen; und ich erkannte den
Junker Wulf, obschon sein sonsten bleiches Angesicht itzt
roth und aufgedunsen schien.
-
- „Was huckst du allfort an
dem Sarge!" rief er zu der Schwester. „Der Junker
von der Risch ist da gewesen, uns seine Condolenze zu
bezeigen; du hättest ihm wohl den Trunk kredenzen
mögen!"
-
- Zugleich hatte er meiner wahrgenommen
und bohrete mich mit seinen kleinen Augen an.
„Wulf", sagte Katharina, indem sie mit mir zu ihm
trat; „es ist Johannes, Wulf"
-
- Der Junker fand nicht vonnöthen,
mir die Hand zu reichen; er musterte nur mein
violenfarben Wams und (Reclam, S.
22) meinte: „Du trägst
da einen bunten Federbalg; man wird dich „Sieur“
nun tituliren müssen!"
-
- „Nennt mich, wie's Euch
gefällt!" sagte ich, indem wir auf den Hof
hinaustreten. „Obschon mir dorten, von wo ich komme,
das „Herr“ vor meinem Namen nicht gefehlet - Ihr
wißt wohl, Eueres Vaters Sohn hat großes
Recht an mir."
-
- Er sah mich was verwundert an, sagte
dann aber nur: „Nun wohl, so magst du zeigen, was du
für meines Vaters Gold erlernet hast; und soll dazu
der Lohn für deine Arbeit dir nicht verhalten
sein."
-
- Ich meinete, was den Lohn anginge,
den hätte ich längst vorausbekommen; da aber
der Junker entgegnete, er werd es halten, wie sich's
für einen Edelmann gezieme, so fragte ich, was
für Arbeit er mir aufzutragen
hätte.
- „Du weißt doch", sagte er
und hielt dann inne, indem er scharf auf seine Schwester
blickte - „wenn eine adelige Tochter das Haus
verläßt, so muß ihr Bild darin
zurückbleiben."
-
- Ich fühlte, daß bei diesen
Worten Katharina, die an meiner Seite ging, gleich einer
Taumelnden nach meinem Mantel haschte; aber ich
entgegnete ruhig: „Der Brauch ist mir bekannt; doch,
wie meinet Ihr denn, Junker Wulf?"
- „Ich meine", sagte er hart, als
ob er einen Gegenspruch erwarte, „daß du das
Bildniß der Tochter dieses Hauses malen
sollst!"
-
- Mich durchfuhr's fast wie ein
Schrecken; weiß nicht, ob mehr über den Ton
oder die Deutung dieser Worte; dachte auch, zu solchem
Beginnen sei itzt kaum die rechte Zeit.
-
- Da Katharina schwieg, aus ihren Augen
aber ein flehentlicher Blick mir zuflog, so antwortete
ich: „Wenn Eure edle Schwester es mir vergönnen
will, so hoffe ich Eueres Vaters Protection und meines
Meisters Lehre keine Schande anzuthun. Räumet mir
nur wieder mein Kämmerlein ober dem Thorweg bei dem
alten Dieterich, so soll geschehen, was Ihr
wünschet."
-
- (Reclam, S.
23) Der Junker war das zufrieden
und sagte auch seiner Schwester, sie möge einen
Imbiß für mich richten lassen.
-
- Ich wollte über den Beginn
meiner Arbeit noch eine Frage thun; aber ich verstummte
wieder, denn über den empfangenen Auftrag war
plötzlich eine Entzückung in mir aufgestiegen,
daß ich fürchtete, sie könne mit jedem
Wort hervorbrechen. So war ich auch der zwo grimmen
Köter nicht gewahr worden, die dort am Brunnen sich
auf den heißen Steinen sonnten. Da wir aber
näher kamen, sprangen sie auf und fuhren mit offenem
Rachen gegen mich, daß Katharina einen Schrei that,
der Junker aber einen schrillen Pfiff, worauf sie heulend
ihm zu Füßen krochen. „Beim
Höllenelemente", rief er lachend, „zwo tolle
Kerle; gilt ihnen gleich, ein Sauschwanz oder Flandrisch
Tuch!"
-
- „Nun, Junker Wulf" - ich konnte
der Rede mich nicht wohl enthalten -, „soll ich
noch einmal Gast in Eueres Vaters Hause sein, so
möget Ihr Euere Thiere bessere Sitte
lehren!"
-
- Er blitzte mich mit seinen kleinen
Augen an und riß sich ein paar Mal in seinen
Zwickelbart. „Das ist nur so ihr
Willkommensgruß, Sieur Johannes!" sagte er dann,
indem er sich bückte, um die Bestien zu streicheln.
„Damit jedweder wisse, daß ein ander Regiment
allhier begonnen; denn - wer mir in die Quere kommt, den
hetz ich in des Teufels Rachen!"
-
- Bei den letzten Worten, die er heftig
ausgestoßen, hatte er sich hoch aufgerichtet; dann
pfiff er seinen Hunden und schritt über den Hof dem
Thore zu.
-
- Ein Weilchen schaute ich hintendrein;
dann folgte ich Katharinen, die unter dem Lindenschatten
stumm und gesenkten Hauptes die Freitreppe zu dem
Herrenhaus emporstieg; ebenso schweigend gingen wir
mitsammen die breiten Stufen in das Oberhaus hinauf,
allwo wir in des seligen Herrn Gerhardus Zimmer traten. -
- So etwa kann man sich die Bibliothek vorstellen - hier ist es die Privatbibliothek eines preußischen Königs.
- Hier war noch alles, wie ich es vordem gesehen; die
goldgeblümten (Reclam, S.
24) Ledertapeten, die Karten an
der Wand, die saubern Pergamentbände auf den
Regalen, über dem Arbeitstische der schöne
Waldgrund von dem älteren Ruisdael - und dann davor
der leere Sessel. Meine Blicke blieben daran haften;
gleichwie drunten in der Kapellen der Leib des
Entschlafenen, so schien auch dies Gemach mir itzt
entseelet und, obschon vom Walde draußen der junge
Lenz durchs Fenster leuchtete, doch gleichsam von der
Stille des Todes wie erfüllet.
-
- Ich hatte auf Katharinen in diesem
Augenblicke fast vergessen. Da ich mich umwandte, stand
sie schier reglos mitten in dem Zimmer, und ich sah, wie
unter den kleinen Händen, die sie
daraufgepreßt hielt, ihre Brust in ungestümer
Arbeit ging. „Nicht wahr", sagte sie leise,
„hier ist itzt niemand mehr; niemand als mein Bruder
und seine grimmen Hunde?"
-
- „Katharina!" rief ich; „was
ist Euch? Was ist das hier in Eueres Vaters
Haus?"
- „Was es ist, Johannes?" Und fast
wild ergriff sie meine beiden Hände, und ihre jungen
Augen sprühten wie in Zorn und Schmerz. „Nein,
nein; laß erst den Vater in seiner Gruft zur Ruhe
kommen! Aber dann - du sollst mein Bild ja malen, du
wirst eine Zeitlang hier verweilen - dann, Johannes, hilf
mir; um des Todten willen, hilf mir!"
- Auf solche Worte, von Mitleid und von
Liebe ganz bezwungen, fiel ich vor der Schönen,
Süßen nieder und schwur ihr mich und alle
meine Kräfte zu. Da lösete sich ein sanfter
Thränenquell aus ihren Augen, und wir saßen
neben einander und sprachen lange zu des Entschlafenen
Gedächtniß.
-
- Als wir sodann wieder in das
Unterhaus hinabgingen, fragte ich auch dem alten
Fräulein nach.
- „O", sagte Katharina, „Bas'
Ursel! Wollt Ihr sie begrüßen? Ja, die ist
auch noch da; sie hat hier unten ihr Gemach, denn die
Treppen sind ihr schon längsthin zu
beschwerlich."
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