zurück
Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Wiederfinden Katharinas
- zurück
- weiter
- Seitenanfang
-
- (Reclam, S.
70) Als ich hinter dem
Schloßgarten auf dem Steige war, sahe ich
drüben bei der Lehmkuhle, wo sie den neuen Galgen
hingesetzet, einen mächtigen Holzstoß
aufgeschichtet. Ein paar Leute hantierten noch daran
herum, und mochten das der Fron und seine Knechte sein,
die leichten Brennstoff zwischen die Hölzer thaten;
von der Stadt her aber kamen schon die ersten Buben
über die Felder ihnen zugelaufen. Ich achtete
deß nicht weiter, sondern wanderte rüstig
fürbaß, und da ich hinter den Bäumen
hervortrat, sahe ich mir zur Linken das Meer im ersten
Sonnenstrahl entbrennen, der im Osten über die Heide
emporstieg. Da mußte ich meine Hände
falten:
O Herr, mein Gott und Christ,
Sei gnädig mit uns allen,
Die wir in Sünd gefallen,
Der du die Liebe bist! - -
Als ich draußen war, wo die breite Landstraße
durch die Heide führte, begegneten mir viele
Züge von Bauern; sie hatten ihre kleinen Jungen und
Dirnen an den Händen und zogen sie mit sich
fort.
(Reclam, S.
71) „Wohin strebet ihr denn
so eifrig?" fragte ich den einen Haufen; „es ist
ja doch kein Markttag heute in der Stadt."
Nun, wie ich's wohl zum voraus wußte, sie wollten
die Hexe, das junge Satansmensch, verbrennen sehen.
- „Aber die Hexe ist ja todt!"
„Freilich, das ist ein Verdruß", meineten sie; „aber
es ist unserer Hebamme, der alten Mutter Siebenzig, ihre
Schwestertochter; da können wir nicht außen
bleiben und müssen mit dem Reste schon fürlieb
nehmen." -
- - Und immer neue Scharen kamen daher; und itzund
taucheten auch schon Wagen aus dem Morgennebel, die statt
mit Kornfrucht heut mit Menschen voll geladen waren. - Da
ging ich abseits über die Heide, obwohl noch der
Nachtthau von dem Kraute rann; denn mein Gemüth
verlangte nach der Einsamkeit; und ich sahe von fern, wie
es den Anschein hatte, das ganze Dorf des Weges nach der
Stadt ziehen. Als ich auf dem Hünenhügel stund,
der hier inmitten der Heide liegt, überfiel es mich,
als müsse auch ich zur Stadt zurückkehren oder
etwan nach links hinab an die See gehen, oder nach dem
kleinen Dorfe, das dort unten hart am Strande liegt; aber
vor mir in der Luft schwebete etwas wie ein Glück,
wie eine rasende Hoffnung, und es schüttelte mein
Gebein, und meine Zähne schlugen an einander. Wenn
sie es wirklich war, so letzlich mit meinen eigenen Augen
ich erblicket, und wenn dann heute - Ich fühlte mein
Herz gleich einem Hammer an den Rippen; ich ging weit um
durch die Heide; ich wollte nicht sehen, ob auf der Wagen
einem auch der Prediger nach der Stadt fahre. - Aber ich
ging dennoch endlich seinem Dorfe zu.
Als ich es erreichet hatte, schritt ich eilends nach der
Thür des Küsterhauses. Sie war verschlossen.
Eine Weile stund ich unschlüssig; dann hub ich mit
der Faust zu klopfen an. Drinnen blieb alles ruhig; als
ich aber stärker klopfte, kam des Küsters alte
halb blinde Trienke aus einem Nachbarhause.
(Reclam, S.
72) „Wo ist der
Küster?" fragte ich.
- „Der Küster? Mit dem Priester in die Stadt
gefahren."
Ich starrete die Alte an; mir war, als sei ein Blitz
durch mich dahin geschlagen.
„Fehler Euch etwas, Herr Maler?" frug sie.
Ich schüttelte den Kopf und sagte nur: „So
ist wohl heute keine Schule, Trienke?"
- „Bewahre! Die Hexe wird ja verbrannt!"
Ich ließ mir von der Alten das Haus
aufschließen, holte mein Malergeräthe und das
fast vollendete Bildniß aus des Küsters
Schlafkammer und richtete, wie gewöhnlich, meine
Staffelei in dem leeren Schulzimmer. Ich pinselte etwas
an der Gewandung; aber ich suchte damit nur mich selber
zu belügen; ich hatte keinen Sinn zum Malen; war ja
um dessen willen auch nicht hieher gekommen.
Die Alte kam hereingelaufen, stöhnte über die
arge Zeit und redete über Bauern- und Dorfsachen,
die ich nicht verstund; mich selber drängete es, sie
wieder einmal nach des Predigers Frau zu fragen, ob
selbige alt oder jung, und auch, woher sie gekommen sei;
allein ich brachte das Wort nicht über meine Zungen.
Dagegen begann die Alte ein lang Gespinste von der Hex
und ihrer Sippschaft hier im Dorfe und von der Mutter
Siebenzig, so mit Vorspuksehen behaftet sei;
erzählete auch, wie selbige zur Nacht, da die Gicht
dem alten Weibe keine Ruh gelassen, drei Leichlaken
über des Pastors Hausdach habe fliegen sehen: es
gehe aber solch Gesichte allzeit richtig aus, und Hoffart
komme vor dem Falle; denn sei die Frau Pastorin bei aller
ihrer Vornehmheit doch nur eine blasse und
schwächliche Kreatur.
Ich mochte solch Geschwätz nicht fürder
hören; ging daher aus dem Hause und auf dem Wege
herum, da wo das Pastorat mit seiner Fronte gegen die
Dorfstraße liegt; wandte auch unter bangem Sehnen
meine Augen nach den weißen Fenstern, konnte aber
hinter den blinden Scheiben nichts gewahren als ein paar
Blumenscherben, wie sie überall zu sehen sind. - Ich
hätte nun wohl umkehren
(Reclam, S.
73) mögen; aber ich ging
dennoch weiter. Als ich auf den Kirchhof kam, trug von
der Stadtseite der Wind ein wimmernd Glockenläuten
an mein Ohr; ich aber wandte mich und blickte hinab nach
Westen, wo wiederum das Meer wie lichtes Silber am
Himmelssaume hinfloß, und war doch ein tobend
Unheil dort gewesen, worin in einer Nacht des
Höchsten Hand viel tausend Menschenleben hingeworfen
hatte. Was krümmete denn ich mich so gleich einem
Wurme? - Wir sehen nicht, wie seine Wege führen!
Ich weiß nicht mehr, wohin mich damals meine
Füße noch getragen haben; ich weiß nur,
daß ich in einem Kreis gegangen bin; denn da die
Sonne fast zur Mittagshöhe war, langete ich wieder
bei der Küsterei an. Ich ging aber nicht in das
Schulzimmer an meine Staffelei, sondern durch das
Hinterpförtlein wieder zum Hause hinaus. - -
Das ärmliche Gärtlein ist mir unvergessen,
obschon seit jenem Tage meine Augen es nicht mehr
gesehen. - Gleich dem des Predigerhauses von der anderen
Seite, trat es als ein breiter Streifen in die
Priesterkoppel; inmitten zwischen beiden aber war eine
Gruppe dichter Weidenbüsche, welche zur Einfassung
einer Wassergrube dienen mochten; denn ich hatte einmal
eine Magd mit vollem Eimer wie aus einer Tiefe daraus
hervorsteigen sehen.
Als ich ohne viel Gedanken, nur mein Gemüthe
erfüllet von nicht zu zwingender Unrast, an des
Küsters abgeheimseten Bohnenbeeten hinging,
hörete ich von der Koppel draußen eine
Frauenstimme von gar holdem Klang, und wie sie liebreich
einem Kinde zusprach.
Unwillens schritt ich solchem Schalle nach; so mochte
einst der griechische Heidengott mit seinem Stabe die
Todten nach sich gezogen haben. Schon war ich am
jenseitigen Rande des Holundergebüsches, das hier
ohne Verzäunung in die Koppel ausläuft, da sahe
ich den kleinen Johannes mit einem Ärmchen voll
Moos, wie es hier in dem kümmerlichen Grase
wächst, gegenüber hinter die Weiden gehen; er
mochte sich dort damit nach Kinderart (Reclam, S. 74) ein
Gärtchen angeleget haben. Und wieder kam die holde
Stimme an mein Ohr: „Nun heb nur an; nun hast du
einen ganzen Haufen! Ja, ja; ich such derweil noch mehr;
dort am Holunder wächst genug!"
Und dann trat sie selber hinter den Weiden hervor; ich
hatte ja längst schon nicht gezweifelt. - Mit den
Augen auf dem Boden suchend, schritt sie zu mir her, so
daß ich ungestöret sie betrachten durfte; und
mir war, als gliche sie nun gar seltsam dem Kinde wieder,
das sie einst gewesen war, für das ich den „Buhz"
einst von dem Baum herabgeschossen hatte; aber dieses
Kinderantlitz von heute war bleich und weder Glück
noch Muth darin zu lesen.
So war sie mählich näher kommen, ohne meiner zu
gewahren; dann kniete sie nieder an einem Streifen Moos,
der unter den Büschen hinlief; doch ihre Hände
pflückten nicht davon; sie ließ das Haupt auf
ihre Brust sinken, und es war, als wolle sie nur
ungesehen vor dem Kinde in ihrem Leide ausruhen.
Da rief ich leise: „Katharina!"
Sie blickte auf, ich aber ergriff ihre Hand und zog sie
gleich einer Willenlosen zu mir unter den Schatten der
Büsche. Doch als ich sie endlich also nun gefunden
hatte und keines Wortes mächtig vor ihr stund, da
sahen ihre Augen weg von mir, und mit fast einer fremden
Stimme sagte sie: „Es ist nun einmal so, Johannes!
Ich wußte wohl, du seiest der fremde Maler; ich
dachte nur nicht, daß du heute kommen
würdest."
Ich hörete das, und dann sprach ich es aus: „Katharina,
- - so bist du des Predigers Eheweib?"
Sie nickte nicht; sie sah mich starr und schmerzlich an. „Er
hat das Amt dafür bekommen", sagte sie, „und
dein Kind den ehrlichen Namen."
- „Mein Kind, Katharina?"
„Und fühltest du das nicht? Er hat ja doch auf deinem
Schoß gesessen; einmal doch, er selbst hat es mir
erzählet."
(Reclam, S.
75) - - Möge keines Menschen
Brust ein solches Weh zerfleischen! - „Und du, du
und mein Kind, ihr solltet mir verloren sein!"
Sie sah mich an, sie weinte nicht, sie war nur
gänzlich todtenbleich.
„Ich will das nicht!" schrie ich; „ich will ..." Und
eine wilde Gedankenjagd rasete mir durchs Hirn.
Aber ihre kleine Hand hatte gleich einem kühlen
Blatte sich auf meine Stirn gelegt, und ihre braunen
Augensterne auf dem blassen Antlitz sahen mich flehend
an. „Du, Johannes", sagte sie, „du wirst es
nicht sein, der mich noch elender machen will."
- „Und kannst denn du so leben, Katharina?"
„Leben? - Es ist ja doch ein Glück dabei; er liebt das
Kind; - was ist denn mehr noch zu verlangen?"
- „Und von uns, von dem, was einst gewesen ist,
weiß er davon?"
„Nein, nein!" rief sie heftig. „Er nahm die
Sünderin zum Weibe: mehr nicht. O Gott, ist's denn
nicht genug, daß jeder neue Tag ihm
angehört!"
In diesem Augenblicke tönete ein zarter Gesang zu
uns herüber. - „Das Kind", sagte sie. „Ich
muß zu dem Kinde; es könnte ihm ein Leids
geschehen!
Aber meine Sinne zieleten nur auf das Weib, das sie
begehrten. „Bleib doch", sagte ich, „es
spielet ja fröhlich dort mit seinem Moose."
Sie war an den Rand des Gebüsches getreten und
horchete hinaus. Die goldene Herbstsonne schien so warm
hernieder, nur leichter Hauch kam von der See herauf Da
hörten wir von jenseits durch die Weiden das
Stimmlein unseres Kindes singen:
Zwei Englein, die mich decken,
Zwei Englein, die mich strecken,
Und zweie, so mich weisen
In das himmlische Paradeisen.
(Reclam, S.
76) Katharina war
zurückgetreten, und ihre Augen sahen groß und
geisterhaft mich an. „Und nun leb wohl, Johannes",
sprach sie leise; „auf Nimmerwiedersehen hier auf
Erden!"
Ich wollte sie an mich reißen; ich streckte beide
Arme nach ihr aus; doch sie wehrete mich ab und sagte
sanft: „Ich bin des anderen Mannes Weib;
vergiß das nicht."
Mich aber hatte auf diese Worte ein fast wilder Zorn
ergriffen. „Und wessen, Katharina", sprach ich
hart, „bist du gewesen, ehe bevor du sein
geworden?"
Ein weher Klaglaut brach aus ihrer Brust; sie schlug die
Hände vor ihr Angesicht und rief. „Weh mir! O
wehe, mein entweihter armer Leib!"
Da wurd ich meiner schier unmächtig; ich riß
sie jäh an meine Brust, ich hielt sie wie mit
Eisenklammern und hatte sie endlich, endlich wieder! Und
ihre Augen sanken in die meinen, und ihre rothen Lippen
duldeten die meinen; wir umschlangen uns
inbrünstiglich; ich hätte sie tödten
mögen, wenn wir also mit einander hätten
sterben können. Und als dann meine Blicke voll
Seligkeit auf ihrem Antlitz weideten, da sprach sie, fast
erstickt von meinen Küssen: „Es ist ein
langes, banges Leben! O Jesu Christ, vergib mir diese
Stunde!"
- - Es kam eine Antwort; aber es war die harte Stimme
jenes Mannes, aus dessen Munde ich itzt zum ersten Male
ihren Namen hörte. Der Ruf kam von drüben aus
dem Predigergarten, und noch einmal und härter rief
es: „Katharina!"
Da war das Glück vorbei; mit einem Blicke der
Verzweiflung sahe sie mich an; dann stille wie ein
Schatten war sie fort.
- zurück
- weiter
- Seitenanfang
|