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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Aufzeichnung des Malers
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-
- (Reclam,
S. 11) So war ich denn wieder
daheim in unserm Holstenlande; am Sonntage
Cantate war es
Anno 1661! - Mein Malgeräth und sonstiges
Gepäcke hatte ich in der Stadt zurückgelassen
und wanderte nun fröhlich fürbaß, die
Straße durch den maiengrünen Buchenwald, der
von der See ins Land hinaufsteigt. Vor mir her flogen ab
und zu ein paar Waldvöglein und letzeten ihren Durst
an dem Wasser, so in den tiefen Radgeleisen stund; denn
ein linder Regen war gefallen über Nacht und noch
gar früh am Vormittage, so daß die Sonne den
Waldesschatten noch nicht überstiegen
hatte.
- Buchenwald im Frühling. Foto © Martin Schlu 2011
- Der helle Drosselschlag, der von den
Lichtungen zu mir scholl, fand seinen Widerhall in meinem
Herzen. Durch die Bestellungen, so mein theurer Meister
van der Helst im letzten Jahre meines Amsterdamer
Aufenthalts mir zugewendet, war ich aller Sorge quitt
geworden; einen guten Zehrpfennig und einen Wechsel auf
Hamburg trug ich noch itzt in meiner Taschen; dazu war
ich stattlich angethan: mein Haar fiel auf mein
Mäntelchen mit feinem
(Reclam, S. 12)
Grauwerk, und der Lütticher
Degen fehlte nicht an meiner Hüfte.
-
- Meine Gedanken aber eilten mir
voraus; immer sah ich Herrn Gerhardus, meinen edlen
großgünstigen Protector, wie er von der
Schwelle seines Zimmers mir die Hände würd'
entgegenstrecken, mit seinem milden Gruße: „So
segne Gott deinen Eingang, mein Johannes!"
-
- Er hatte einst mit meinem lieben,
ach, gar zu früh in die ewige Herrlichkeit
genommenen Vater zu Jena die Rechte studiret und war auch
nachmals den Künsten und Wissenschaften mit
Fleiße obgelegen, so daß er dem Hochseligen
Herzog Friederich bei seinem edlen, wiewohl wegen der
Kriegsläufte vergeblichen Bestreben um Errichtung
einer Landesuniversität ein einsichtiger und
eifriger Berather gewesen. Obschon ein adeliger Mann, war
er meinem lieben Vater doch stets in Treuen zugethan
blieben, hatte auch nach dessen seligem Hintritt sich
meiner verwaiseten Jugend mehr, als zu verhoffen,
angenommen und nicht allein meine sparsamen Mittel
aufgebessert, sondern auch durch seine fürnehme
Bekanntschaft unter dem Holländischen Adel es dahin
gebracht, daß mein theuerer Meister van der Helst
mich zu seinem Schüler angenommen.
-
- Meinte ich doch zu wissen, daß
der verehrte Mann unversehrt auf seinem Herrenhofe sitze,
wofür dem Allmächtigen nicht genug zu danken;
denn, derweilen ich in der Fremde mich der Kunst
beflissen, war daheim die Kriegsgreuel über das Land
gekommen; so zwar, daß die Truppen, die gegen den
kriegswüthigen Schweden dem Könige zum Beistand
hergezogen, fast ärger als die Feinde selbst
gehauset, ja selbst der Diener Gottes mehrere in
jämmerlichen Tod gebracht. Durch den
plötzlichen Hintritt des Schwedischen Carolus war
nun zwar Friede; aber die grausamen Stapfen des Krieges
lagen überall; manch Bauern- oder Käthnerhaus,
wo man mich als Knaben mit einem Trunke süßer
Milch bewirthet, hatte ich auf
meiner (Reclam, S.
13) Morgenwanderung niedergesenget
am Wege liegen sehen und manches Feld in ödem
Unkraut, darauf sonst um diese Zeit der Roggen seine
grünen Spitzen trieb.
-
- Aber solches beschwerete mich heut
nicht allzu sehr; ich hatte nur Verlangen, wie ich dem
edlen Herrn durch meine Kunst beweisen möchte,
daß er Gab und Gunst an keinen Unwürdigen
verschwendet habe; dachte auch nicht an Strolche und
verlaufen Gesindel, das vom Kriege her noch in den
Wäldern Umtrieb halten sollte. Wohl aber
tückete mich ein anderes, und das war der Gedanke an
den Junker Wulf. Er war mir nimmer hold gewesen, hatte
wohl gar, was sein edler Vater an mir gethan, als einen
Diebstahl an ihm selber angesehen; und manches Mal, wenn
ich, wie öfters nach meines lieben Vaters Tode, im
Sommer die Vacanz auf dem Gute zubrachte, hatte er mir
die schönen Tage vergället und versalzen. Ob er
anitzt in seines Vaters Hause sei, war mir nicht kund
geworden, hatte nur vernommen, daß er noch vor dem
Friedensschlusse bei Spiel und Becher mit den
Schwedischen Offiziers Verkehr gehalten, was mit rechter
Holstentreue nicht zu reimen ist.
- Indem ich dieß bei mir erwog,
war ich aus dem Buchenwalde in den Richtsteig durch das
Tannenhölzchen geschritten, das schon dem Hofe nahe
liegt. Wie liebliche Erinnerung umhauchte mich der
Würzeduft des Harzes; aber bald trat ich aus dem
Schatten in den vollen Sonnenschein hinaus; da lagen zu
beiden Seiten die mit Haselbüschen eingehegten
Wiesen, und nicht lange, so wanderte ich zwischen den zwo
Reihen gewaltiger Eichbäume, die zum Herrensitz
hinaufführen.
-
- Ich weiß nicht, was für
ein bang Gefühl mich plötzlich überkam,
ohn alle Ursach, wie ich derzeit dachte; denn es war
eitel Sonnenschein umher, und vom Himmel herab klang ein
gar herzlich und ermunternd Lerchensingen. Und siehe,
dort auf der Koppel, wo der Hofmann seinen Immenhof hat,
stand ja auch noch der alte (Reclam, S. 14)
Holzbirnenbaum und flüsterte mit seinen jungen
Blättern in der blauen Luft.
-
- „Grüß dich Gott!"
sagte ich leis, gedachte dabei aber weniger des Baumes,
als vielmehr des holden Gottesgeschöpfes, in dem,
wie es sich nachmals fügen mußte, all
Glück und Leid und auch all nagende Buße
meines Lebens beschlossen sein sollte, für jetzt und
alle Zeit. Das war des edlen Herrn Gerhardus
Töchterlein, des Junkers Wulfen einzig
Geschwister.
-
- Item, es war bald nach meines lieben
Vaters Tode, als ich zum ersten Mal die ganze Vacanz hier
verbrachte; sie war derzeit ein neunjährig Dirnlein,
die ihre braunen Zöpfe lustig fliegen ließ;
ich zählte um ein paar Jahre weiter. So trat ich
eines Morgens aus dem Thorhaus; der alte Hofmann
Dieterich, der ober der Einfahrt wohnt und neben dem als
einem getreuen Mann mir mein Schlafkämmerlein
eingeräumt war, hatte mir einen Eschenbogen
zugerichtet, mir auch die Bolzen von tüchtigem Blei
dazu gegossen, und ich wollte nun auf die Raubvögel,
deren genug bei dem Herrenhaus umherschrien; da kam sie
vom Hofe auf mich zugesprungen.
- „Weißt du,
Johannes", sagte sie; „ich zeig dir ein Vogelnest;
dort in dem hohlen Birnbaum; aber das sind
Rotschwänzchen, die darfst du ja nicht
schießen!"
- Damit war sie schon wieder
vorausgesprungen; doch eh sie noch dem Baum auf zwanzig
Schritte nah gekommen, sah ich sie jählings stille
stehn. „Der Buhz, der Buhz!" schrie sie und
schüttelte wie entsetzt ihre beiden Händlein in
der Luft.
-
- Es war aber ein großer
Waldkauz, der ober dem Loche des hohlen Baumes saß
und hinabschauete, ob er ein ausfliegend Vögelein
erhaschen möge. „Der Buhz, der Buhz!" schrie
die Kleine wieder. „Schieß, Johannes,
schieß!" - Der Kauz aber, den die Freßgier
taub gemacht, saß noch immer und stierete in die
Höhlung. Da spannte ich meinen Eschenbogen und
schoß, daß das Raubthier zappelnd auf
(Reclam, S.
15) dem Boden lag; aus dem Baume
aber schwang sich ein zwitschernd Vöglein in die
Luft.
-
- (Reclam, S.
15) Seit der Zeit waren
Katharina und ich zwei gute Gesellen mit einander; in
Wald und Garten, wo das Mägdlein war, da war auch
ich. Darob aber mußte mir gar bald ein Feind
erstehen; das war der Kurt von der Risch, dessen Vater
eine Stunde davon auf seinem reichen Hofe saß. In
Begleitung seines gelahrten Hofmeisters, mit dem Herr
Gerhardus gern der Unterhaltung pflag, kam er oftmals auf
Besuch; und da er jünger war als Junker Wulf, so war
er wohl auf mich und Katharinen angewiesen; insonders
aber schien das braune Herrentöchterlein ihm zu
gefallen. Doch war das schier umsonst; sie lachte nur
über seine krumme Vogelnase, die ihm, wie bei fast
allen des Geschlechtes, unter buschigem Haupthaar
zwischen zwei merklich runden Augen saß. Ja, wenn
sie seiner nur von fern gewahrte, so reckte sie wohl ihr
Köpfchen vor und rief. „Johannes, der Buhz, der
Buhz!" Dann versteckten wir uns hinter den Scheunen oder
rannten wohl auch spornstreichs in den Wald hinein, der
sich in einem Bogen um die Felder und danach wieder dicht
an die Mauern des Gartens hinanzieht.
- Darob, als der von der Risch
deß inne wurde, kam es oftmals zwischen uns zum
Haarraufen, wobei jedoch, da er mehr hitzig denn stark
war, der Vortheil meist in meinen Händen
blieb.
-
- Als ich, um von Herrn Gerhardus
Urlaub zu nehmen, vor meiner Ausfahrt in die Fremde zum
letzten Mal, jedoch nur kurze Tage, hier verweilte, war
Katharina schon fast wie eine Jungfrau; ihr braunes Haar
lag itzt in einem goldnen Netz gefangen; in ihren Augen,
wenn sie die Wimpern hob, war oft ein spielend Leuchten,
das mich schier beklommen machte. Auch war ein alt
gebrechlich Fräulein ihr zur Obhut beigegeben, so
man im Hause nur „Bas' Ursel" nannte; sie ließ
das Kind nicht aus den Augen und ging überall mit
einer langen Tricotage neben ihr.
- (Reclam, S.
16) Als ich so eines
Octobernachmittags im Schatten der Gartenhecken mit
beiden auf und ab wandelte, kam ein lang aufgeschossener
Gesell, mit spitzenbesetztem Lederwams und Federhut ganz
alamode gekleidet, den Gang zu uns herauf; und siehe da,
es war der Junker Kurt, mein alter Widersacher. Ich
merkte allsogleich, daß er noch immer bei seiner
schönen Nachbarin zu Hofe ging; auch daß
insonders dem alten Fräulein solches zu gefallen
schien. Das war ein „Herr Baron" auf alle Frag' und
Antwort; dabei lachte sie höchst obligeant mit einer
widrig feinen Stimme und hob die Nase unmäßig
in die Luft; mich aber, wenn ich ja ein Wort dazwischen
gab, nannte sie stetig „Er" oder kurzweg auch
„Johannes", worauf der Junker dann seine runden
Augen einkniff und im Gegentheile that, als sähe er
auf mich herab, obschon ich ihn um halben Kopfes
Länge überragte.
- Ich blickte auf Katharinen; die aber
kümmerte sich nicht um mich, sondern ging sittig
neben dem Junker, ihm manierlich Red und Antwort gebend;
den kleinen rothen Mund aber verzog mitunter ein
spöttisch stolzes Lächeln, so daß ich
dachte: ðGetröste dich, Johannes; der Herrensohn
schnellt itzo deine Waage in die Luft!Ð Trotzig blieb
ich zurück und ließ die andern dreie vor mir
gehen. Als aber diese in das Haus getreten waren und ich
davor noch an Herrn Gerhardus' Blumenbeeten stand,
darüber brütend, wie ich, gleich wie vormals,
mit dem von der Risch ein tüchtig Haarraufen
beginnen möchte, kam plötzlich Katharina wieder
zurückgelaufen, riß neben mir eine Aster von
den Beeten und flüsterte mir zu: „Johannes,
weißt du was? Der Buhz sieht einem jungen Adler
gleich; Bas' Ursel hat's gesagt!" Und fort war sie
wieder, eh ich mich's versah. Mir aber war auf einmal all
Trotz und Zorn wie weggeblasen. Was kümmerte mich
itzund der Herr Baron! Ich lachte hell und fröhlich
in den güldnen Tag hinaus; denn bei den
übermüthigen Worten war wieder jenes
süße Augenspiel gewesen. Aber diesmal hatte es
mir gerad ins Herz geleuchtet.
-
- (Reclam, S.
17) Bald danach ließ
mich Herr Gerhardus auf sein Zimmer rufen; er zeigte mir
auf einer Karte noch einmal, wie ich die weite Reise nach
Amsterdam zu machen habe, übergab mir Briefe an
seine Freunde dort und sprach dann lange mit mir, als
meines lieben seligen Vaters Freund. Denn noch selbigen
Abends hatte ich zur Stadt zu gehen, von wo ein
Bürger mich auf seinem Wagen mit nach Hamburg nehmen
wollte.
- Als nun der Tag hinabging, nahm ich
Abschied. Unten im Zimmer saß Katharina an einem
Stickrahmen; ich mußte der Griechischen Helena
gedenken, wie ich sie jüngst in einem Kupferwerk
gesehen; so schön erschien mir der junge Nacken, den
das Mädchen eben über ihre Arbeit neigte. Aber
sie war nicht allein; ihr gegenüber saß Bas'
Ursel und las laut aus einem französischen
Geschichtenbuche. Da ich näher trat, hob sie die
Nase nach mir zu. „Nun, Johannes", sagte sie,
„Er will mir wohl Ade sagen? So kann Er auch dem
Fräulein gleich Seine Reverenze machen!" - Da war
schon Katharina von ihrer Arbeit aufgestanden; aber indem
sie mir die Hand reichte, traten die Junker Wulf und Kurt
mit großem Geräusch ins Zimmer; und sie sagte
nur: „Leb wohl, Johannes!" Und so ging ich
fort.
-
- Im Thorhaus drückte ich dem
alten Dieterich die Hand, der Stab und Ranzen schon
für mich bereit hielt; dann wanderte ich zwischen
den Eichbäumen auf die Waldstraße zu. Aber mir
war dabei, als könne ich nicht recht fort, als
hätt ich einen Abschied noch zu Gute, und stand oft
still und schaute hinter mich. Ich war auch nicht den
Richtweg durch die Tannen, sondern, wie von selber, den
viel weiteren auf der großen Fahrstraße
hingewandert. Aber schon kam vor mir das Abendroth
überm Wald herauf, und ich mußte eilen, wenn
mich die Nacht nicht überfallen sollte. „Ade,
Katharina, ade!" sagte ich leise und setzte rüstig
meinen Wanderstab in Gang.
- Da, an der Stelle, wo der
Fußsteig in die Straße mündet - in
stürmender Freude stund das Herz mir still -,
(Reclam, S.
18) plötzlich aus dem
Tannendunkel war sie selber da; mit glühenden Wangen
kam sie hergelaufen, sie sprang über den trocknen
Weggraben, daß die Fluth des seidenbraunen Haars
dem güldnen Netz entstürzete; und so fing ich
sie in meinen Armen auf. Mit glänzenden Augen, noch
mit dem Odem ringend, schaute sie mich an. „Ich -
ich bin ihnen fortgelaufen!" stammelte sie endlich; und
dann, ein Päckchen in meine Hand drückend,
fügte sie leis hinzu: „Von mir, Johannes! Und
du sollst es nicht verachten!" Auf einmal aber wurde ihr
Gesichtchen trübe; der kleine schwellende Mund
wollte noch was reden, aber da brach ein
Thränenquell aus ihren Augen, und wehmüthig ihr
Köpfchen schüttelnd, riß sie sich hastig
los. Ich sah ihr Kleid im finstern Tannensteig
verschwinden; dann in der Ferne hörte ich noch die
Zweige rauschen, und dann stand ich allein. Es war so
still, die Blätter konnte man fallen hören. Als
ich das Päckchen aus einander faltete, da war's ihr
güldner Pathenpfennig, so sie mir oft gezeigt hatte;
ein Zettlein lag dabei, das las ich nun beim Schein des
Abendrothes. „Damit du nicht in Noth gerathest",
stund darauf geschrieben. - Da streckt ich meine Arme in
die leere Luft: „Ade, Katharina ade, ade!" - wohl
hundertmal rief ich es in den stillen Wald hinein; - und
erst mit sinkender Nacht erreichte ich die
Stadt.
-
- Seitdem waren fast fünf
Jahre dahingegangen. - Wie würd ich heute alles
wiederfinden?
-
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