zurück
Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
|
- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Arbeit am Bild
- zurück
- weiter
- Seitenanfang
-
- (Reclam,
S. 66) Also wanderte ich fast
einen Morgen um den andern über die Heide nach dem
Dorfe, wo ich allzeit den Pastor schon meiner harrend
antraf Geredet wurde wenig zwischen uns; aber das Bild
nahm desto rascheren Fortgang. Gemeiniglich saß der
Küster neben uns und schnitzete allerlei
Geräthe gar säuberlich aus Eichenholz,
dergleichen als eine Hauskunst hier überall
betrieben wird; auch habe ich das Kästlein, woran er
derzeit arbeitete, von ihm erstanden und darin vor Jahren
die ersten Blätter dieser Niederschrift hinterleget,
alswie denn auch mit Gottes Willen diese letzten darin
sollen beschlossen sein. -
In des Predigers Wohnung wurde ich nicht geladen und
betrat selbige auch nicht; der Knabe aber war allzeit mit
ihm in der Küsterei; er stand an seinen Knien, oder
er spielte mit Kieselsteinchen in der Ecke des Zimmers.
Da ich selbigen einmal fragte, wie er heiße,
antwortete er: „Johannes!" - „Johannes?"
entgegnete ich, „so heiße ich ja auch!" - Er
sah mich groß an, sagte aber weiter nichts.
Weshalb rühreten diese Augen so an meine Seele? -
Einmal gar überraschete mich ein finsterer Blick des
Pastors, da ich den Pinsel müßig auf der
Leinewand ruhen ließ. Es war etwas in dieses Kindes
Antlitz, das nicht aus seinem kurzen Leben kommen konnte;
aber es war kein froher Zug. So, dachte ich, sieht ein
Kind, das unter einem kummerschweren Herzen ausgewachsen.
Ich hätte oft die Arme nach ihm breiten mögen;
aber ich scheuete mich vor dem harten Manne, der es
gleich einem Kleinod zu behüten schien. Wohl dachte
ich oft: „Welch eine Frau mag dieses Knaben Mutter
sein?“ -
Des Küsters alte Magd hatte ich einmal nach des
Predigers Frau befraget; aber sie hatte mir kurzen
Bescheid gegeben: „Die kennt man nicht; in die
Bauernhäuser kommt sie kaum, wenn Kindelbier und
Hochzeit ist." - Der Pastor selbst sprach nicht von ihr.
Aus dem Garten der Küsterei, welcher in eine dichte
Gruppe von Fliederbüschen ausläuft, sahe ich
sie einmal langsam über die Priesterkoppel nach
ihrem Hause gehen; aber sie hatte mir den Rücken
zugewendet, so daß ich nur ihre schlanke,
jugendliche Gestalt gewahren konnte, und außerdem
ein paar gekräuselte Löckchen, in der Art, wie
sie sonst nur von den Vornehmeren getragen werden und die
der Wind von ihren Schläfen wehte. Das Bild ihres
finsteren Ehgesponsen trat mir vor die Seele, und mir
schien, es passe dieses Paar nicht wohl zusammen.
- - An den Tagen, wo ich nicht da draußen war,
hatte ich auch die Arbeit an meinem Lazarus wieder
aufgenommen, so daß nach einiger Zeit diese Bilder
mit einander nahezu vollendet waren.
So saß ich eines Abends nach vollbrachtem Tagewerke
mit meinem Bruder unten in unserem Wohngemache. Auf dem
Tisch am Ofen war die Kerze fast herabgebrannt, und die
holländische Schlaguhr hatte schon auf Eilf gewarnt;
wir aber saßen am Fenster und hatten der Gegenwart
vergessen; denn wir gedachten der kurzen Zeit, die wir
mitsammen in unserer Eltern Haus verlebet hatten; auch
unseres einzigen lieben Schwesterleins gedachten wir, das
im ersten Kindbette verstorben und nun seit lange schon
mit Vater und Mutter einer fröhlichen Auferstehung
entgegenharrete. - Wir hatten die Läden nicht
vorgeschlagen; denn es that uns wohl, durch das Dunkel,
so draußen auf den Erdenwohnungen der Stadt lag, in
das Sternenlicht des ewigen Himmels hinauszublicken.
Am Ende verstummten wir beide in uns selber, und wie auf
einem dunkeln Strome trieben meine Gedanken zu ihr, bei
der sie allzeit Rast und Unrast fanden. - - Da, gleich
einem Stern aus unsichtbaren Höhen, fiel es mir
jählings in die Brust: Die Augen des schönen
blassen Knaben, es waren ja ihre Augen! Wo hatte ich
meine Sinne denn gehabt! - - Aber dann, wenn sie es war,
wenn ich sie selber schon gesehen? - Welch schreckbare
Gedanken stürmten auf mich ein!
Indem legte sich die eine Hand meines Bruders mir auf die
Schulter, mit der andern wies er auf den dunkeln Markt
hinaus, von wannen aber itzt ein heller Schein zu uns
herüberschwankte. „Sieh nur!" sagte er. „Wie
gut, daß wir das Pflaster mit Sand und Heide
ausgestopfet haben! Die kommen von des
Glockengießers Hochzeit; aber an ihren
Stockleuchten sieht man, daß sie gleichwohl hin und
wider stolpern."
Mein Bruder hatte recht. Die tanzenden Leuchten zeugeten
deutlich von der Trefflichkeit des Hochzeitschmauses; sie
kamen uns so nahe, daß die zwei gemalten Scheiben,
so letzlich von meinem Bruder als eines Glasers
Meisterstück erstanden waren, in ihren satten Farben
wie in Feuer glühten. Als aber dann die Gesellschaft
an unserem Hause laut redend in die
Krämerstraße einbog, hörete ich einen
unter ihnen sagen: „Ei freilich; das hat der
Teufel uns verpurret! Hatte mich leblang darauf
gespitzet, einmal eine richtige Hex so in der Flammen
singen zu hören!"
Die Leuchten und die lustigen Leute gingen weiter, und
draußen die Stadt lag wieder still und dunkel.
„O weh!" sprach mein Bruder; „den trübet, was mich
tröstet."
(Reclam, S.
69) Da fiel es mir erst wieder
bei, daß am nächsten Morgen die Stadt ein
grausam Spectacul vor sich habe. Zwar war die junge
Person, so wegen einbekannten Bündnisses mit dem
Satan zu Aschen sollte verbrannt werden, am heutigen
Morgen vom Frone todt in ihrem Kerker aufgefunden worden;
aber dem todten Leibe mußte gleichwohl sein
peinlich Recht geschehen.
Das war nun vielen Leuten gleich einer kalt gestellten
Suppen. Hatte doch auch die Buchführer-Witwe
Liebernickel, so unter dem Thurm der Kirche den
grünen Bücherschranken hat, mir am Mittage, da
ich wegen der Zeitung bei ihr eingetreten, aufs heftigste
geklaget, daß nun das Lied, so sie im voraus
darüber habe anfertigen und drucken lassen, nur kaum
noch passen werde wie die Faust aufs Auge. Ich aber, und
mit mir mein viellieber Bruder, hatte so meine eigenen
Gedanken von dem Hexenwesen und freuete mich, daß
unser Herrgott - denn der war es doch wohl gewesen - das
arme junge Mensch so gnädiglich in seinen
Schoß genommen hatte.
Mein Bruder, welcher weichen Herzens war, begann
gleichwohl der Pflichten seines Amts sich zu beklagen;
denn er hatte drüben von der Rathhaustreppe das
Urthel zu verlesen, sobald der Racker den todten Leichnam
davor aufgefahren, und hernach auch der Justification
selber zu assistiren. „Es schneidet mir schon
itzund in das Herz", sagte er, „das greuelhafte
Gejohle, wenn sie mit dem Karren die Straße
herabkommen; denn die Schulen werden ihre Buben und die
Zunftmeister ihre Lehrburschen loslassen. - An deiner
Statt", fügete er bei, „der du ein freier
Vogel bist, würde ich aufs Dorf hinausmachen und an
dem Conterfey des schwarzen Pastors weiter malen!"
Nun war zwar festgesetzet worden, daß ich am
nächstfolgenden Tage erst wieder hinauskäme;
aber mein Bruder redete mir zu, unwissend, wie er die
Ungeduld in meinem (Reclam, S.
70) Herzen schürete; und so
geschah es, daß alles sich erfüllen
mußte, was ich getreulich in diesen Blättern
niederschreiben werde.
Am andern Morgen, als drüben vor meinem
Kammerfenster nur kaum der Kirchthurmhahn in rothem
Frühlicht blinkte, war ich schon von meinem Lager
aufgesprungen; und bald schritt ich über den Markt,
allwo die Bäcker, vieler Käufer harrend, ihre
Brotschragen schon geöffnet hatten; auch sahe ich,
wie an dem Rathhause der Wachtmeister und die
Fußknechte in Bewegung waren, und hatte Einer
bereits einen schwarzen Teppich über das
Geländer der großen Treppe aufgehangen; ich
aber ging durch den Schwibbogen, so unter dem Rathause
ist, eilends zur Stadt hinaus.
- zurück
- weiter
- Seitenanfang
|