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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
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- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Neuanfang an der Nordsee
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-
- (Reclam, S.
58) Hier schließt das erste
Heft der Handschrift. Hoffen wir, daß der Schreiber
ein fröhliches Tauffest gefeiert und inmitten seiner
Freundschaft an frischer Gegenwart sein Herz erquickt
habe.
-
- Meine Augen ruhten auf dem alten Bild
mir gegenüber; ich konnte nicht zweifeln, der
schöne ernste Mann war Herr Gerhardus. Wer aber war
jener tote Knabe, den ihm Meister Johannes hier so sanft
in seinen Arm gebettet hatte? - Sinnend nahm ich das
zweite und zugleich letzte Heft, dessen Schriftzüge
um ein weniges unsicherer erschienen. Es lautete wie
folgt:
-
- Geliek as Rook un Stoof
verswindt,
Also sind ock de Minschenkind.
-
- Der Stein, darauf diese Worte
eingehauen stehen, saß ob dem Thürsims eines
alten Hauses. Wenn ich daran vorbeiging, mußte ich
allzeit meine Augen dahin wenden, und auf meinen einsamen
Wanderungen ist dann selbiger Spruch oft lange mein
Begleiter blieben. Da sie im letzten Herbste das alte
Haus abbrachen, habe ich aus den Trümmern diesen
Stein erstanden, und ist er heute gleicherweise ob der
Thüre meines Hauses eingemauert worden, wo er nach
mir noch manchen, der vorübergeht, an die
Nichtigkeit des Irdischen erinnern möge. Mir aber
soll er eine Mahnung sein, ehbevor auch an meiner Uhr der
Weiser stille steht, mit der Aufzeichnung meines Lebens
(Reclam, S.
59) fortzufahren. Denn du, meiner
lieben Schwester Sohn, der du nun bald mein Erbe sein
wirst, mögest mit meinem kleinen Erdengute dann auch
mein Erdenleid dahinnehmen, so ich bei meiner Lebzeit
niemandem, auch, aller Liebe ohnerachtet, dir nicht habe
anvertrauen mögen.
- Die Stadt Husum lag um 1665 wirklich am Meer, heute ist sie etwa einen Kilometer davon entfernt. Foto: Martin Schlu, 2013
- Item: anno 1666 kam ich zum ersten
Mal in diese Stadt an der Nordsee; maßen von einer
reichen Branntweinbrenner-Witwen mir der Auftrag worden,
die Auferweckung Lazari zu malen, welches Bild sie zum
schuldigen und freundlichen Gedächtniß ihres
Seligen, der hiesigen Kirchen aber zum Zierath zu stiften
gedachte, allwo es denn auch noch heute über dem
Taufsteine mit den vier Aposteln zu schauen ist. Daneben
wünschte auch der Bürgermeister, Herr Titus
Axen, so früher in Hamburg Thumherr und mir von dort
bekannt war, sein Conterfey von mir gemalet, so daß
ich für eine lange Zeit allhier zu schaffen hatte. -
Mein Losament aber hatte ich bei meinem einzigen und
älteren Bruder, der seit lange schon das Secretariat
der Stadt bekleidete; das Haus, darin er als unbeweibter
Mann lebte, war hoch und räumlich, und war es
dasselbig Haus mit den zwo Linden an der Ecken von Markt
und Krämerstraße, worin ich, nachdem es durch
meines lieben Bruders Hintritt mir angestorben, anitzt
als alter Mann noch lebe und der Wiedervereinigung mit
den vorangegangenen Lieben in Demuth
entgegenharre.
-
- Meine Werkstätte hatte ich mir
in dem großen Pesel der Witwe eingerichtet; es war
dorten ein gutes Oberlicht zur Arbeit, und bekam alles
gemacht und gestellet, wie ich es verlangen mochte. Nur
daß die gute Frau selber gar zu gegenwärtig
war; denn allaugenblicklich kam sie draußen von
ihrem Schanktisch zu mir hergetrottet mit ihren
Blechgemäßen in der Hand; drängte mit
ihrer Wohlbeleibtheit mir auf den Malstock und roch an
meinem Bild herum; gar eines Vormittages, da ich soeben
den Kopf des Lazarus untermalet hatte, verlangte sie mit
viel überflüssigen
(Reclam, S. 60) Worten, der
auferweckte Mann solle das Antlitz ihres Seligen zur
Schau stellen, obschon ich diesen Seligen doch niemalen
zu Gesicht bekommen, von meinem Bruder auch vernommen
hatte, daß selbiger, wie es die Brenner pflegen,
das Zeichen seines Gewerbes als eine blaurothe Nasen im
Gesicht herumgetragen; da habe ich denn, wie man glauben
mag, dem unvernünftigen Weibe gar hart den Daumen
gegenhalten müssen. Als dann von der
Außendiele her wieder neue Kundschaft nach ihr
gerufen und mit den Gemäßen auf den Schank
geklopfet, und sie endlich von mir lassen müssen, da
sank mir die Hand mit dem Pinsel in den Schoß, und
ich mußte plötzlich des Tages gedenken, da ich
eines gar andern Seligen Antlitz mit dem Stifte
nachgebildet, und wer da in der kleinen Kapelle so still
bei mir gestanden sei. - Und also rückwärts
sinnend, setzete ich meinen Pinsel wieder an; als aber
selbiger eine gute Weile hin und wider gegangen,
mußte ich zu eigener Verwunderung gewahren,
daß ich die Züge des edlen Herrn Gerhardus in
des Lazari Angesicht hineingetragen hatte. Aus seinem
Leilach blickte des Todten Antlitz gleichwie in stummer
Klage gegen mich, und ich gedachte: So wird er dir
einstmals in der Ewigkeit entgegentreten!
-
- Ich konnte heut nicht weiter malen,
sondern ging fort und schlich auf meine Kammer ober der
Hausthür, allwo ich mich ans Fenster setzte und
durch den Ausschnitt der Lindenbäume auf den Markt
hinabsah. Es gab aber groß Gewühl dort, und
war bis drüben an die Rathswaage und weiter bis zur
Kirchen alles voll von Wagen und Menschen; denn es war
ein Donnerstag und noch zur Stunde, daß Gast mit
Gaste handeln durfte, also daß der Stadtknecht mit
dem Griper müßig auf unseres Nachbaren
Beischlag saß, maßen es vor der Hand keine
Brüchen zu erhaschen gab. Die Ostenfelder Weiber mit
ihren rothen Jacken, die Mädchen von den Inseln mit
ihren Kopftüchern und feinem Silberschmuck,
dazwischen die (Reclam, S.
61) hochgethürmeten
Getreidewagen und darauf die Bauern in ihren gelben
Lederhosen - dies alles mochte wohl ein Bild für
eines Malers Auge geben, zumal wenn selbiger, wie ich,
bei den Holländern in die Schule gegangen war; aber
die Schwere meines Gemüthes machte das bunte Bild
mir trübe. Doch war es keine Reu, wie ich vorhin an
mir erfahren hatte; ein sehnend Leid kam immer gewaltiger
über mich; es zerfleischete mich mit wilden Krallen
und sah mich gleichwohl mit holden Augen an. Drunten lag
der helle Mittag auf dem wimmelnden Markte; vor meinen
Augen aber dämmerte silberne Mondnacht, wie Schatten
stiegen ein paar Zackengiebel auf, ein Fenster klirrte,
und gleich wie aus Träumen schlugen leis und fern
die Nachtigallen. O du mein Gott und mein Erlöser,
der du die Barmherzigkeit bist, wo war sie in dieser
Stunde, wo hatte meine Seele sie zu suchen? -
-
-
- Da hörete ich draußen
unter dem Fenster von einer harten Stimme meinen Namen
nennen, und als ich hinausschaute, ersahe ich einen
großen hageren Mann in der üblichen Tracht
eines Predigers, obschon sein herrisch und finster
Antlitz mit dem schwarzen Haupthaar und dem tiefen
Einschnitt ob der Nase wohl eher einem Kriegsmann
angestanden wäre. Er wies soeben einem andern,
untersetzten Manne von bäuerischem Aussehen, aber
gleich ihm in schwarzwollenen Strümpfen und
Schnallenschuhen, mit seinem Handstocke nach unserer
Hausthür zu, indem er selbst zumal durch das
Marktgewühle von dannen schritt.
-
- Da ich dann gleich darauf die
Thürglocke schellen hörte, ging ich hinab und
lud den Fremden in das Wohngemach, wo er von dem Stuhle,
darauf ich ihn genöthigt, mich gar genau und
aufmerksam betrachtete.
-
- Also war selbiger der Küster aus
dem Dorfe norden der Stadt, und erfuhr ich bald,
daß man dort einen Maler brauche, da man des
Pastors Bildniß in die Kirche stiften
(Reclam, S.
62) wolle. Ich forschete ein
wenig, was für Verdienst um die Gemeine dieser sich
erworben hätte, daß sie solche Ehr ihm
anzuthun gedächten, da er doch seines Alters halben
noch nicht gar lang im Amte stehen könne; der
Küster aber meinete, es habe der Pastor freilich
wegen eines Stück Ackergrundes einmal einen
Proceß gegen die Gemeine angestrenget, sonst wisse
er eben nicht, was Sondres könne vorgefallen sein;
allein es hingen allbereits die drei Amtsvorweser in der
Kirchen, und da sie, wie er sagen müsse, vernommen
hätten, ich verstünde das Ding gar wohl zu
machen, so sollte der guten Gelegenheit wegen nun auch
der vierte Pastor mit hinein; dieser selber freilich
kümmere sich nicht eben viel darum.
Ich hörete dem allen zu; und da ich mit meinem
Lazarus am liebsten auf eine Zeit pausiren mochte, das
Bildniß des Herrn Titus Axen aber wegen
eingetretenen Siechthums desselbigen nicht beginnen
konnte, so hub ich an, dem Auftrage näher
nachzufragen.
Was mir an Preis für solche Arbeit nun geboten
wurde, war zwar gering, so daß ich erstlich dachte:
sie nehmen dich für einen Pfennigmaler, wie sie im
Kriegstrosse mitziehen, um die Soldaten für ihre
heimgebliebenen Dirnen abzumalen; aber es muthete mich
plötzlich an, auf eine Zeit allmorgendlich in der
goldnen Herbstessonne über die Heide nach dem Dorf
hinauszuwandern, das nur eine Wegstunde von unserer Stadt
belegen ist. Sagete also zu, nur mit dem Beding,
daß die Malerei draußen auf dem Dorfe vor
sich ginge, da hier in meines Bruders Hause
paßliche Gelegenheit nicht befindlich sei.
Deß schien der Küster gar vergnügt,
meinend, das sei alles hiebevor schon fürgesorget;
der Pastor habe sich solches gleichfalls ausbedungen;
item, es sei dazu die Schulstube in seiner Küsterei
erwählet; selbige sei das zweite Haus im Dorfe und
liege nahe am Pastorate, nur hintenaus durch die
Priesterkoppel davon geschieden, so daß also auch
der Pastor leicht hinübertreten könne. Die
Kinder, (Reclam, S.
63) die im Sommer doch nichts
lernten, würden dann nach Haus geschicket.
Also schüttelten wir uns die Hände, und da der
Küster auch die Maße des Bildes
fürsorglich mitgebracht, so konnte alles
Malgeräth, deß ich bedurfte, schon
Nachmittages mit der Priesterfuhr hinausbefördert
werden.
Als mein Bruder dann nach Hause kam - erst spät am
Nachmittage; denn ein Ehrsamer Rath hatte dermalen viel
Bedrängniß von einer Schinderleichen, so die
ehrlichen Leute nicht zu Grabe tragen wollten -, meinete
er, ich bekäme da einen Kopf zu malen, wie er nicht
oft auf einem Priesterkragen sitze, und möchte mich
mit Schwarz und Braunroth wohl versehen; erzählete
mir auch, es sei der Pastor als Feldcapellan mit den
Brandenburgern hier ins Land gekommen, als welcher er's
fast wilder denn die Offiziers getrieben haben solle; sei
übrigens itzt ein scharfer Streiter vor dem Herrn,
der seine Bauern gar meisterlich zu packen wisse. - Noch
merkete mein Bruder an, daß bei desselbigen
Amtseintritt in unserer Gegend adelige Fürsprach
eingewirket haben solle, wie es heiße, von
drüben aus dem Holsteinischen her; der Archidiaconus
habe bei der Klosterrechnung ein Wörtlein davon
fallen lassen. War jedoch Weiteres meinem Bruder darob
nicht kund geworden.
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