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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
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- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Bekanntschaft mit dem Prediger
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-
- (Reclam, S.
63) So sahe mich denn die
Morgensonne des nächsten Tages rüstig über
die Heide schreiten, und war mir nur leid, daß
letztere allbereits ihr rothes Kleid und ihren
Würzeduft verbrauchet und also diese Landschaft
ihren ganzen Sommerschmuck verloren hatte; denn von
grünen Bäumen war weithin nichts zu ersehen;
nur der spitze Kirchthurm des Dorfes, dem ich zustrebte -
wie ich bereits erkennen mochte, ganz von Granitquadern
auferbauet -, stieg immer höher vor mir in den
dunkelblauen Octoberhimmel. Zwischen den schwarzen
Strohdächern, die an seinem Fuße lagen,
krüppelte nur niedrig Busch- und Baumwerk; denn der
Nordwestwind, so hier frisch von der See heraufkommt,
will freien Weg zu fahren haben.
Als ich das Dorf erreichet und auch alsbald mich nach der
Küsterei gefunden hatte, stürzete mir sofort
mit lustigem Geschrei die ganze Schul entgegen; der
Küster aber hieß an seiner Hausthür mich
willkommen. „Merket Ihr wohl, wie gern sie von der
Fibel laufen!" sagte er. „Der eine Bengel hatte
Euch schon durchs Fenster kommen sehen."
In dem Prediger, der gleich danach ins Haus trat,
erkannte ich denselbigen Mann, den ich schon tags zuvor
gesehen hatte. Aber auf seine finstere Erscheinung war
heute gleichsam ein Licht gesetzet; das war ein
schöner blasser Knabe, den er an der Hand mit sich
führete; das Kind mochte etwan vier Jahre
zählen und sahe fast winzig aus gegen des Mannes
hohe knochige Gestalt.
Da ich die Bildnisse der früheren Prediger zu sehen
wünschte, so gingen wir mitsammen in die Kirche,
welche also hoch belegen ist, daß man nach den
anderen Seiten über Marschen und Heide, nach Westen
aber auf den nicht gar fernen Meeresstrand
hinunterschauen kann. Es mußte eben Fluth sein;
denn die Watten waren überströmet, und das Meer
stund wie ein lichtes Silber. Da ich anmerkete, wie
oberhalb desselben die Spitze des Festlandes und von der
andern Seite diejenige der Insel sich gegen einander
strecketen, wies der Küster auf die
Wasserfläche, so dazwischen liegt. „Dort",
sagte er, „hat einst meiner Eltern Haus gestanden;
aber anno 34 bei der großen Fluth trieb es gleich
hundert anderen in den grimmen Wassern; auf der einen
Hälfte des Daches ward ich an diesen Strand
geworfen, auf der anderen fuhren Vater und Bruder in die
Ewigkeit hinaus."
Ich dachte: So stehet die Kirche wohl am rechten Ort;
auch ohne den Pastor wird hier vernehmentlich Gottes Wort
geprediget.
Der Knabe, welchen letzterer auf den Arm genommen hatte,
hielt dessen Nacken mit beiden Ärmchen
fest (Reclam, S.
64) umschlungen und drückte
die zarte Wange an das schwarze bärtige Gesicht des
Mannes, als finde er so den Schutz vor der ihn
schreckenden Unendlichkeit, die dort vor unseren Augen
ausgebreitet lag.
Als wir in das Schiff der Kirche eingetreten waren,
betrachtete ich mir die alten Bildnisse und sahe auch
einen Kopf darunter, der wohl eines guten Pinsels werth
gewesen wäre; jedennoch war es alles eben
Pfennigmalerei, und sollte demnach der Schüler van
der Helsts hier in gar sondere Gesellschaft kommen.
Da ich solches eben in meiner Eitelkeit bedachte, sprach
die harte Stimme des Pastors neben mir: „Es ist
nicht meines Sinnes, daß der Schein des Staubes
dauere, wenn der Odem Gottes ihn verlassen; aber ich habe
der Gemeine Wunsch nicht widerstreben mögen; nur,
Meister, machet es kurz; ich habe besseren Gebrauch
für meine Zeit."
-
- Nachdem ich dem finsteren Manne, an
dessen Antlitz ich gleichwohl für meine Kunst
Gefallen fand, meine beste Bemühung zugesaget,
fragete ich einem geschnitzten Bilde der Maria nach, so
von meinem Bruder mir war gerühmet
worden.
-
- Ein fast verachtend Lächeln ging
über des Predigers Angesicht. „Da kommet ihr
zu spät", sagte er, „es ging in Trümmer,
da ich's aus der Kirche schaffen ließ."
-
- Ich sah ihn fast erschrocken an. „Und
wolltet Ihr des Heilands Mutter nicht in Euerer Kirche
dulden?"
„Die Züge von des Heilands Mutter", entgegnete er, „sind
nicht überliefert worden."
-
- - „Aber wollet Ihr's der Kunst
mißgönnen, sie in frommem Sinn zu suchen?"
Er blickte eine Welle finster auf mich herab; denn,
obschon ich zu den Kleinen nicht zu zählen, so
überragte er mich doch um eines halben Kopfes
Höhe; - dann sprach er heftig: „Hat nicht der
König die holländischen Papisten dort auf die
zerrissene Insel herberufen; nur um durch das
Menschenwerk der Deiche des Höchsten Strafgericht zu
(Reclam, S.
66) trotzen? Haben nicht noch
letzlich die Kirchenvorsteher drüben in der Stadt
sich zwei der Heiligen in ihr Gestühlte schnitzen
lassen? Betet und wachet! Denn auch hier geht Satan noch
von Haus zu Haus! Diese Marienbilder sind nichts als
Säugammen der Sinnenlust und des Papismus; die Kunst
hat allzeit mit der Welt gebuhlt!"
- Ein dunkles Feuer glühte in
seinen Augen, aber seine Hand lag liebkosend auf dem Kopf
des blassen Knaben, der sich an seine Knie
schmiegte.
-
- Ich vergaß darob, des Pastors
Worte zu erwidern; mahnete aber danach, daß wir in
die Küsterei zurückgingen, wo ich alsdann meine
edle Kunst an ihrem Widersacher selber zu erproben
anhub.
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