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Inhaltsangabe
Vorrede
und Übergang
Aufzeichnung
des Malers,
Rückkehr
nach fünf Jahren
1661
Aufbahrung
und Begräbnis
Katharina
wird gemalt
Reise
nach Hamburg
Heimliches
Treffen
Ablehnung
des Heiratsantrages
Rückkehr
auf das Gut,
Neuanfang
an der Nordsee
Bekanntschaft
mit dem Prediger
Arbeit
am Bild
Wiederfinden
Katharinas
Erkennen
der Zusammenhänge
Malen
des ertrunkenen Kindes,
Der
Maler Jürgen Owens
Historische
Details
Anmerkungen
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- Theodor
Storm
Aquis submersus (Novelle, 1876) - Rückkehr auf das Gut
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-
- (Reclam, S.
53) Es war manche Woche danach,
daß ich in dem schon bleicheren Sonnenschein auf
einem Bänkchen vor dem letzten Haus des Dorfes
saß, mit matten Blicken nach dem Wald
hinüberschauend, an dessen jenseitigem Rande das
Herrenhaus belegen war. Meine thörichten Augen
suchten stets aufs Neue den Punkt, wo, wie ich mir
vorstellete, Katharinens Kämmerlein von drüben
auf die schon herbstlich gelben Wipfel schaue; denn von
ihr selber hatte ich keine Kunde.
-
- Man hatte mich mit meiner Wunde in
dies Haus gebracht, das von des Junkers Waldhüter
bewohnt wurde; und außer diesem Mann und seinem
Weibe und einem mir unbekannten Chirurgus war
während meines langen Lagers niemand zu mir
gekommen. - Von wannen ich den Schuß in meine Brust
erhalten, darüber hat mich niemand befragt, und ich
habe niemandem Kunde gegeben; des Herzogs Gerichte gegen
Herrn Gerhardus' Sohn und Katharinens Bruder anzurufen,
konnte nimmer mir zu Sinnen kommen. Er mochte sich dessen
auch wohl getrösten; noch glaubhafter jedoch,
daß er allen diesen Dingen trotzete.
- Zwar keine Golddukaten, sondern Silbertaler, aber auch etwa von 1660
- Nur einmal war mein guter Dieterich
da gewesen; er hatte mir in des Junkers Auftrage zwei
Rollen Ungarischer Dukaten überbracht als Lohn
für Katharinens Bild, und ich hatte das Gold
genommen, in Gedanken, es sei ein Theil von deren Erbe,
von dem sie als mein Weib wohl später nicht zu viel
empfahen (bekommen) würde. Zu einem traulichen Gespräch
mit Dieterich, nach dem mich sehr verlangete, hatte es
mir nicht gerathen wollen, maßen das gelbe
Fuchsgesicht meines Wirthes allaugenblicks in meine
Kammer schaute; doch wurde so viel mir kund, daß
der Junker nicht nach Kiel gereiset und Katharina seither
von niemandem weder in Hof noch Garten war gesehen
worden; kaum konnte ich noch den Alten bitten, daß
er dem Fräulein, wenn sich's treffen möchte,
meine Grüße sage, und daß ich bald nach
Holland zu reisen, aber bälder noch
(Reclam, S.
54) zurückzukommen
dächte, was alles in Treuen auszurichten er mir dann
gelobete
-
- Überfiel mich aber danach die
allergrößeste Ungeduld, so daß ich,
gegen den Willen des Chirurgus und bevor im Walde
drüben noch die letzten Blätter von den
Bäumen fielen, meine Reise ins Werk setzete; langete
auch schon nach kurzer Frist wohlbehalten in der
holländischen Hauptstadt an, allwo ich von meinen
Freunden gar liebreich empfangen wurde, und mochte es
auch ferner vor ein glücklich Zeichen wohl erkennen,
daß zwo Bilder, so ich dort zurückgelassen,
durch die hilfsbereite Vermittelung meines theueren
Meisters van der Helst beide zu ansehnlichen Preisen
verkaufet waren. Ja, es war dessen noch nicht genug: ein
mir schon früher wohl gewogener Kaufherr ließ
mir sagen, er habe nur auf mich gewartet, daß ich
für sein nach dem Haag verheirathetes
Töchterlein sein Bildniß malen möge; und
wurde mir auch sofort ein reicher Lohn dafür
versprochen. Da dachte ich, wenn ich solches noch
vollendete, daß dann genug des helfenden Metalles
in meinen Händen wäre, um auch ohne andere
Mittel Katharinen in ein wohl bestellet Heimwesen
einzufahren.
-
- Machte mich also, da mein
freundlicher Gönner desselbigen Sinnes war, mit
allem Eifer an die Arbeit, so daß ich bald den Tag
meiner Abreise gar fröhlich nah und näher
rücken sahe, unachtend, mit was vor üblen
Anständen ich drüben noch zu kämpfen
hätte.
-
- Aber des Menschen Augen sehen das
Dunkel nicht, das vor ihm ist. - Als nun das Bild
vollendet war und reichlich Lob und Gold um dessen willen
mir zu Theil geworden, da konnte ich nicht fort. Ich
hatte in der Arbeit meiner Schwäche nicht geachtet,
die schlecht geheilte Wunde warf mich wiederum danieder.
Eben wurden zum Weihnachtsfeste auf allen
Straßenplätzen die Waffelbuden aufgeschlagen,
da begann mein Siechthum und hielt mich länger als
das erste Mal gefesselt. Zwar der besten Arzteskunst und
(Reclam, S. 55)
liebreicher Freundespflege war
kein Mangel, aber in Ängsten sahe ich Tag um Tag
vergehen, und keine Kunde konnte von ihr, keine zu ihr
kommen.
-
- Endlich nach harter Winterzeit, da
der Zuidersee wieder seine grünen Wellen schlug,
geleiteten die Freunde mich zum Hafen; aber statt des
frohen Muthes nahm ich itzt schwere Herzensorge mit an
Bord. Doch ging die Reise rasch und gut von
Statten.
- Postkutsche etwa um 1700 - Maler unbekannt, Privatbesitz
-
- Von Hamburg aus fuhr ich mit der
königlichen Post; dann, wie vor nun fast einem Jahre
hiebevor, wanderte ich zu Fuße durch den Wald, an
dem noch kaum die ersten Spitzen grüneten. Zwar
probten schon die Finken und die Ammern ihren Lenzgesang;
doch was kümmerten sie mich heute! - Ich ging aber
nicht nach Herrn Gerhardus' Herrengut; sondern, so stark
mein Herz auch klopfete, ich bog seitwärts ab und
schritt am Waldesrand entlang dem Dorfe zu. Da stund ich
bald in Hans Ottsens Krug und ihm gar selber
gegenüber.
-
- Der Alte sah mich seltsam an, meinete
aber dann, ich lasse ja recht munter. „Nur",
fügte er bei, „mit den
Schießbüchsen müsset Ihr nicht wieder
spielen; die machen ärgere Flecken als so ein
Malerpinsel."
Ich ließ ihn gern bei solcher Meinung, so, wie ich
wohl merkete, hier allgemein verbreitet war, und that
vors erste eine Frage nach dem alten
Dieterich.
-
- Da mußte ich vernehmen,
daß er noch vor dem ersten Winterschnee, wie es so
starken Leuten wohl passiret, eines plötzlichen,
wenn auch gelinden Todes verfahren sei. „Der
freuet sich", sagte Hans Ottsen, „daß er zu
seinem alten Herrn da droben kommen; und ist für ihn
auch besser so."
-
- „Amen!" sagte ich; „mein
herzlieber alter Dieterich!"
-
- Indeß aber mein Herz nur, und
immer banger, nach einer Kundschaft von Katharinen
seufzete, nahm meine furchtsam Zunge einen Umweg, und ich
sprach beklommen: „Was machet denn Euer Nachbar,
der von der Risch?"
-
- (Reclam, S.
56) „Oho", lachte der Alte;
„der hat ein Weib genommen, und eine, die ihn schon zu Richte
setzen wird."
-
- Nur im ersten Augenblick erschrak
ich, denn ich sagte mir sogleich, daß er nicht so
von Katharinen reden würde; und da er dann den Namen
nannte, so war's ein ältlich, aber reiches
Fräulein aus der Nachbarschaft; forschete also
muthig weiter, wie's drüben in Herrn Gerhardus' Haus
bestellet sei, und wie das Fräulein und der Junker
mit einander hauseten.
-
- Da warf der Alte mir wieder seine
seltsamen Blicke zu. „Ihr meinet wohl", sagte er, „daß
alte Thürm' und Mauern nicht auch plaudern
könnten!
-
- „Was soll's der Rede?" rief
ich; aber sie fiel mir centnerschwer aufs Herz.
- „Nun, Herr Johannes", und der
Alte sahe mir gar zuversichtlich in die Augen, „wo
das Fräulein hinkommen, das werdet doch Ihr am
besten wissen! Ihr seid derzeit im Herbst ja nicht zum
letzten hier gewesen; nur wundert's mich, daß Ihr
noch einmal wiederkommen; denn Junker Wulf wird, denk
ich, nicht eben gute Mien zum bösen Spiel gemachet
haben."
-
- Ich sah den alten Menschen an, als
sei ich selber hintersinnig worden; dann aber kam mir
plötzlich ein Gedanke. „Unglücksmann!"
schrie ich, „Ihr glaubet doch nicht etwan, das
Fräulein Katharina sei mein Eheweib
geworden?
-
- „Nun, lasset mich nur los!"
entgegnete der Alte - denn ich schüttelte ihn an
beiden Schultern. - „Was geht's mich an! Es geht
die Rede so! Auf alle Fäll'; seit Neujahr ist das
Fräulein im Schloß nicht mehr gesehen
worden."
-
- Ich schwur ihm zu, derzeit sei ich in
Holland krank gelegen; ich wisse nichts von
alledem.
-
- Ob er's geglaubet, weiß ich
nicht zu sagen; allein er gab mir kund, es sollte
dermalen ein unbekannter Geistlicher zur Nachtzeit und in
großer Heimlichkeit auf den Herrenhof gekommen
sein; zwar habe Bas' Ursel das Gesinde
(Reclam, S.
57) schon zeitig in ihre Kammern
getrieben; aber der Mägde eine, so durch die
Thürspalt gelauschet, wolle auch mich über den
Flur nach der Treppe haben gehen sehen; dann später
hätten sie deutlich einen Wagen aus dem Thorhaus
fahren hören, und seien seit jener Nacht nur noch
Bas' Ursel und der Junker in dem Schloß
gewesen.
-
- - - Was ich von nun an alles und
immer doch vergebens unternommen, um Katharinen oder auch
nur eine Spur von ihr zu finden, das soll nicht hier
verzeichnet werden. Im Dorf war nur das thörichte
Geschwätz, davon Hans Ottsen mich die Probe
schmecken lassen; darum machete ich mich auf nach dem
Stifte zu Herrn Gerhardus' Schwester; aber die Dame
wollte mich nicht vor sich lassen; wurde im übrigen
mir auch berichtet, daß keinerlei junges
Frauenzimmer bei ihr gesehen worden. Da reisete ich
wieder zurück und demüthigte mich also,
daß ich nach dem Hause des von der Risch ging und
als ein Bittender vor meinen alten Widersacher hintrat.
Der sagte höhnisch, es möge wohl der Buhz das
Vöglein sich geholet haben; er habe dem nicht
nachgeschaut; auch halte er keinen Aufschlag mehr mit
denen von Herrn Gerhardus' Hofe.
-
- Der Junker Wulf gar, der davon
vernommen haben mochte, ließ nach Hans Ottsens
Kruge sagen, so ich mich unterstünde, auch zu ihm zu
dringen, er würde mich noch einmal mit den Hunden
hetzen lassen. - Da bin ich in den Wald gegangen und hab
gleich einem Strauchdieb am Weg auf ihn gelauert; die
Eisen sind von der Scheide bloß geworden; wir haben
gefochten, bis ich die Hand ihm wund gehauen und sein
Degen in die Büsche flog. Aber er sahe mich nur mit
seinen bösen Augen an; gesprochen hat er nicht. -
Zuletzt bin ich zu längerem Verbleiben nach Hamburg
kommen, von wo aus ich ohne Anstand und mit
größerer Umsicht meine Nachforschungen zu
betreiben dachte.
-
- Es ist alles doch umsonst
gewesen.
- _____________________
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- (Reclam, S.
58) Aber ich will vors erste nun
die Feder ruhen lassen. Denn vor mir liegt dein Brief,
mein lieber Josias; ich soll dein Töchterlein,
meiner Schwester sel. Enkelin, aus der Taufe heben. - Ich
werde auf meiner Reise dem Walde vorbeifahren, so hinter
Herrn Gerhardus' Hof belegen ist. Aber das alles
gehört ja der Vergangenheit.
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