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Johann
Sebastian Bach 1685 -
1750 Die Matthäusspassion 1727 - Der Eingangschor „Kommt...“
erstellt von © Martin Schlu - Stand:
September 2002 (letzte Revision am 31.12.2013)
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- Allgemeines
Picanders
Vorlage und Bachs Umsetzung
Dramaturgie
der Anlage
Eingangschor
"Kommt ihr Töchter...
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in Stichworten
Literatur
zur
Matthäuspassion
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zur Thomanerschule
-
Die Textvorlage stammt von Picander
(Neumann 1 235
,321) und
wurde 1729 noch einmal als Einzeldruck
herausgegeben. Sie ist betitelt
mit:
"Texte
zur Paßions Music, nach dem Evangelisten
Matthäe, am Charfreytage bey der Vesper in
der Kirche zu St.
Thomä".
(Neumann 1
a.a.O.) und
überschrieben:
"Vor
der Predigt. Die Tochter Zion und die
Gläubigen".
Picander stellt Zion und die Gläubigen als
dialogisierende Parteien vor, ein Hinweis, der
bei Bach fehlt. Offenbar war die allegorische
Figur Zions so bekannt, daß man darauf
verzichten konnte, sie zu
benennen.("Zion" ist
die Bezeichnung für den Tempelberg in
Jerusalem, später ein Synonym für die
Christengemeinde. "Töchter" Zions sind also
die Glieder dieser Gemeinde, die "mithelfen"
sollen, zu klagen (vgl. Klageriten)
). Ebenfalls
bekannt gewesen sein dürfte die
Symbolsprache im theologischen Sinne, vor allem
das Begriffsfeld "Lamm - Opfer - Geduld -
schlachten", so daß ein Textdichter bzw.
ein Komponist auf das Vorwissen der
Gläubigen zählen konnte. Alfred
Heuß gibt einen Hinweis auf die Tradition
der Leipziger Karfreitagsprozessionen, an deren
Haltepunkte Szenen der Passion gespielt worden.
Er sieht eine Parallele zum Eingangschor als
Trauerzug bzw. Gang zur Richtstätte, wo
alles seinen Gang nehmen wird. Belege dafür
sind seiner Meinung im Text: "Sehet ihn aus
Lieb und Huld Holz zum Kreuze selber tragen"
(Heuß
41). Die
Aufteilung der Chöre entspricht Picanders
Text: Chor I als Erzähler symbolisiert
Zion, die das Geschehen berichtet, Chor II sind
ihre Töchter, die Gläubigen, die
ständig Frageeinwürfe bringen. Zum
Doppelorchester also ein Doppelchor und - nach
Möglichkeit - eine Doppelorgel
(Schrammek
119). Das
Orchester dürfte eher klein gewesen sein:
Streicher doppelt maximal dreifach, Oboen und
Flöten je als Satz, Continuo mit
Violoncello evtl. Fagott (Dürr
1988 128).
Die Chorbesetzung ist ausgesprochen
kammermusikalisch: Bach rechnet in seinem Brief
an den Rat der Stadt Leipzig
(DOK 22.
60-64) mit
maximal drei Sängern pro Stimme, dies
ergibt eine Besetzung zwischen 16 und 24
Sängern, von denen einige vielleicht noch
die solistischen Partien übernommen haben.
Geck geht von 12 Sängern pro Chor aus,
nennt aber auch den Ansatz Joshua Rifkins, der
eine Einzelbesetzung der Gesangsstimme annimmt
(Geck
101).
- Ripieno-Chor (7)
DOK 22. 60-64 (8)a.a.0
In der Fassung der Reinschrift
(Fak. Poel fol 7,7v
ff) findet
sich im Eingangschor kein Hinweis auf "Sopran
in ripieno", sondern die fragliche Stelle
erscheint mit roter Tinte als untextierter c.f.
der rechten Hand des Continuos
(Geck erklärt
dies mit einer späteren Reinschrift der
nunmehr fertigen Partitur, Geck
114). Die
gleiche Situation ist bei der Nr. 29, die
üblicherweise ebenfalls mit Sopran in
ripieno besetzt wird. Harnoncourt
(Harnoncourt 1987,
102) weist
darauf hin, daß es ein Notenblatt gibt,
das für spätere Aufführungen
geschrieben wurde, dieses Blatt trägt die
Bezeichnung "Sopran in ripieno" und ist mit dem
textierten Cantus beschrieben. Es
läßt sich über die Verwendung
des Ripieno-Chores spekulieren: einerseits als
dramaturgischer Höhepunkt, der ohne
großen Aufwand die Sänger, die nur
zum Choralsingen zu gebrauchen waren, noch
einbeziehen konnte und so eine pädagogische
Seite Bachs zeichnet. Möglich wäre es:
auf der Ostempore stand bis 1740 noch das
Schwalbennest mit der zweiten Orgel, auf der nur
Platz für wenige Sänger war
(die aber auch nur
einstimmig singen
mußten).
Da es einen handschriftlichen Eintrag
"Sesquialtera" über diese Registrierung
gibt,die kleine Orgel 1727 renoviert wurde
(für die
Uraufführung?)
und der Küster (wenn
auch erst 1736)
notierte "mit beyden orgeln"; ließe
sich eine Aufführung denken, in der der
Ripieno-Chor als dramaturgischer
Höhepunkt mitwirkte und ein leises
Orgelregister ihn stützte
(Schrammek
120, 119 (2) a.a.O.).
Seitenanfang
Da der erste Teil der Passion vor der Predigt zu
singen war, konnten die Ripieno-Sänger
rechtzeitig vor dem Pfarrer aus dem
Schwalbennest steigen, sie konnten so
unauffällig verschwinden und wurden nach
der Predigt nicht mehr gebraucht -
möglicherweise kleinere Kinder, denen man
einen so langen Gottesdienst nicht zumuten
mochte. Akustische Schwierigkeiten
(Laufzeitunterschiede
etc.)
dürften in dieser Kirche nicht aufgetreten
sein, da die Chorsänger den Choral
vermutlich auswendig konnten und sich darauf
konzentrierten, von der ca 30m entfernten
Westempore das Tempo zu übernehmen. Die
Intonationsstütze durch die Orgel im
Schwalbennest wird verhindert haben, daß
der dritte Chor intonatorisch absackte. Ein
weiterer Hinweis für die Benutzung des
Schwalbennests mag der Eintrag des Küsters
sein. Ihn wird nur das interessiert haben, was
ihn betraf; wenn die Schwalbennestempore benutzt
wurde, hatte er sie vermutlich zu säubern
und für Licht zu sorgen. Daß ihn das
auf der Westempore eingesetzte Positiv
(als Continuo für
Chor II)
interessierte, mag bezweifelt werden.
Abweichungen ergeben sich bei den Turba-Nummern
36b und 45a, die nicht doppelchörig sondern
achtstimmig sind. Daß der
"Barrabam"-Ausruf lediglich einmal erklingt,
dagegen sehr homophon, könnte man als
Gestaltungsmittel für seltene
Einmütigkeit der Turba erklären, der
verminderte Akkord wäre
sinngemäß für eine falsche
Entscheidung zu verstehen. "Er ist des Todes
schuldig..." kann verschiedene genannte Personen
bezeichnen, die untereinander nicht einig sein
müssen: Schriftgelehrte, Älteste, Rat,
zwei falsche Zeugen. Diese Personenkonstellation
könnte ein Beleg sein, warum eine
Doppelchörigkeit hier nicht mehr
ausreichte. (Math.
26,57-61)
Insgesamt ergeben sich: 2 achtstimmige
Chorstücke, 8 doppelchörige Nummern,
vier Stücke, die mit Chor II und
Einzelstimmen aus Chor I beteiligt sind, sieben
vierstimmige freie Chorkompositionen und 13
Choräle, wovon zusätzlich die Nummern
19 und 63 etwas aus dem Rahmen fallen, weil es
sich nicht um normale Choräle
handelt.
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