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20.
Jahrhundert
Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
1940
- Lebensmittelkarten und Wirtschaftsamt
Fortsetzung
Es wird im Jahre
1940 gewesen sein. Der Krieg ging weiter.
Sondermeldungen im Radio - angekündigt mit
Franz Liszts Fanfare (aus Les
Préludes") - berichteten über immer
neue Siege und Erfolge unserer siegreichen
Wehrmach. Zu Hause an der Küchentür war
mit Heftzwecken eine Landkarte befestigt, an der
wir die Siege mit Stecknadeln markierten. Wir
mußten aber überall Material sparen.
Alle Dinge des täglichen Lebens waren
rationiert worden. Für Lebensmittel gab es
Karten. Schuhe und Mäntel etc. benötigten
einen Bezugsschein. Unsere Mutter war auch
wegrationalisiert worden. Sie arbeitete als
Kriegshilfsdienstangestellte beim Bezugsscheinamt
der Stadt Lünen bis Kriegsende. Mutter war
während des Krieges beim Wirtschaftsamt
dienstverpflichtet, wo Bezugsscheine für
Mäntel, Schuhe, Bettwäsche usw.
ausgestellt wurden. Aus dieser Zeit stammt auch
folgender Witz:
Antrag
an das Wirtschaftsamt: Mein Mann ist Musiker.
Er braucht dringend eine neue Hose. In der
alten kann er nicht mehr blasen
Heil
Hitler
Frau
Müller"
Lebensmittelkarten
wurden jeden Monat (oder alle vier Wochen)
ausgegeben. In der Mitte eines solchen Bogens war
ein Feld zur Eintragung von Namen und Adresse des
Inhabers. Ringsherum waren kleine Abschnitte mit
entsprechenden Aufdrucken für die Lebenmittel
angeordnet. Weil alle Lebensmittel rationiert
waren, wurden sie zum Einbkaufen vom Wirtschaftsamt
aufgerufen, z.B. pro Person 125 Gramm Fleisch. Dann
mußte der Händler mit der Schere den
Abschnitt 1a abschneiden und ihn gut verwahren.
Abends saß dann die ganze Kaufmannsfamilie
beisammen um die vielen Abschnitte - getrennt nach
Sorten - auf einem DIN A4-Bogen zu kleben. Die
beklebten Bögen wurden beim Wirtschaftsamt
eingereicht, und je nach aufgeklebter Zahl wurde
danach die Ration bemessen, die der Händler
dann beziehen konnte. Es gab natürlich immer
lange Schlangen in den Geschäften. Beim
Metzger war es besonders schlimm. Wer später
kam, bekam nichts mehr - es war bereits für
diesen Tag alles verkauft.
An einem Tag war
beim Metzger wieder mal Fleisch aufgerufen worden.
Übrigens gab es für Innereien die
doppelte Menge der aufgedruckten Abschnitte. So
haben wir Kinder uns eines Morgens aufgestellt. Das
war aber schon nach dem Krieg. Ebbi stand von sechs
bis acht, dann löste ich sie ab bis zehn Uhr
(ich hatte mir in der Warteschlange ein Haarnetz
gehäkelt!), den Schluß machte unser
Bruder. Die Leute hatten ihn belächelt, denn
seine Fleischration für die Familie bestand
aus einem Stück Kuheuter. Eine Zitze vom Euter
hatte sich durchs E inkaufsnetz geschoben und
guckte so nackt heraus. Das hatte Heiterkeit
verursacht.
Dieses Euter konnte
unsere Mutter aber sehr gut zubereiten. Erst wurde
das Fleisch eine Weile gewässert, damit die
Milchreste rausgingen. Dann wurde es stundenlang
gekocht. Beim Abkühlen setzte sich an der
Oberfläche der Brühe gelbliches Fett ab.
Später wurde das Fleisch, das jetzt fest war,
in Scheiben geschnitten, paniert und gebraten. Wir
aßen es zu Kartoffelsalat. Es schmeckte sehr
gut.
Lebensmittelkarten
wurden bis 1948 ausgegeben, aber nach der
Währungsreform im Juni 1948 konnte man alles
wieder kaufen.
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