|
|
-> Querformat
bitte nutzen
|
20. Jahrhundert
Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
1942 Kinderlandverschickung
Fortsetzung
Prager Hradschin 1942
Mein Ziel war der kleine Ort Plan an der Lausitz, etwa 100 km von
Prag entfernt. Unser Lager war eine schöne neue Schule, am Wasser
gelegen. Die Nachbarstadt war Tabor (Bata Schuhfabriken - auch heute
noch weltbekannt). Einmal wöchentlich ging es im Fußmarsch
dorthin, denn da war ein Badehaus mit Wannen und Brausen.
Die Kinder stammten aus Essen und hatten auch ihre drei Lehrerinnen
mitgebracht. Ich glaube, wir großen Mädchen waren zu
dritt und hatten die Aufgabe, die Nachmittage zu gestalten, Schulaufgabe
zu beaufsichtigen, das weiß ich nicht mehr genau. Vermutlich
gab es keine. Aber dann konnte man spazierengehen, später Pilze
sammeln und Blaubeeren pflücken. Es gab so viele davon, man
setzte sich auf ein freigepflücktes Plätzchen. Dann brauchte
man nur rechts und links hinzulangen und im Nu war das Körbchen
voll. Am Abend gab es dann so viel Blaubeerpfannkuchen, wie wir
verdrücken konnten. Das Essen war so reichlich und auch fett,
z.B. Kartoffelbrei mit Würstchen. Mit der Kelle wurde in den
Brei, der auf dem Teller war, eine Kuhle gedrückt und mit heißem
Fett und Zwiebeln gefüllt. Ich hatte, als ich nach einem Vierteljahr
zurückkam, siebzehn Pfund zugenommen.
Es gäbe noch manches zu erzählen, z.B von der Läuseplage.
Plötzlich breiteten sich diese aus. Unsere ärztliche Betreuung
bestand aus einer Medizinstudentin mit Physikum1 und einer DRK-Schwester.
Nachdem die tschechische Apotheke genug Cuprex geliefert hatte -
was aber immer noch nicht genug war - hatte die Medizinstudentin
Petroleum benutzt, den Kindern damit den Kopf eingerieben, was zu
Blasen und Verbrennungserscheinungen führte. Die armen Kinder
haben sehr gelitten. Später, als die Haut wieder abgeheilt
war, war die Läuseplage aber noch nicht beendet: die Nissen
sorgten für Nachschub und die schlimmsten Fälle wurden
kahlrasiert. Die ersten Läuse meines Lebens habe ich mir damals
eingefangen.
Dieser KLV-Einsatz ging von August bis November 1942. Danach begann
meine Schulzeit in Bochum.
1942 - Bochum
Im November 1942 fand mein Schulwechsel statt. Ich freute mich
sehr, daß ich nun - wie meine Schwester Ebbi einige Jahre
vorher - auch in Bochum sein konnte. Mein Vater hatte mit den Tanten
einiges ausgemacht, z.B. Zuschuß zur verpflegung u.a. . So
zog ich zum 1. November (glaube ich) nach Bochum. Die Tanten (es
handelte sich um Mutters Schwester Margarethe (Sethchen, Jg. 1890)
und deren Freundin Edith Heim. Sie lebten schon viele Jahre zusammen.
Nun hatten sie eine hübsche Wohnung in Bochum Grumme, An der
Kaiseraue 18. Tante Edith gehörte zur Familie, sie stammte
aus einem Pastorenhaus und hatte noch zwei Brüder gehabt und
war der strengere Teil und vertrat die Vaterstelle, denn sie war
konsequent, aber dabei unheimlich lustig. Sethchen war der ruhigere
Teil. Sie kochte gern, Edith aber auch.
Ich fuhr mit der Straßenbahn in die Stadt. Die Schule lag
in der Innenstadt, ein rotes Backsteingebäude. Das Elisabeth-Krankenhaus
war auf der anderen Straßenseite. Beide Gebäude spielten
dreißig Jahre später noch eine Rolle, als unsere Familie
in Bochum gegründet war. Frauke war in dem Krankenhaus und
Martin in einem Haus, das an der Stelle unserer damaligen Schule
stand. Dort fand seine musikalische Früherziehung statt.
Die Klassenlehrerin hieß Dr. Levantine Piette. Ebbi hatte
sie auch als Klassenlehrerin gehabt und so war schon mal eine Verbindung
vorhanden. Es war zunächst ein großer Klassenverband:
mindestens dreißig Mädchen. Wir hatten also Hauswirtschaftsunterricht
bei Fräulein Bongartz (genau wie Ebbi). Wenn wir nach dem Kochen
die Küche aufräumen und spülen mußten, thronte
sie auf ihrem Pult mitten unter uns. Von Zeit zu Zeit erscholl ihre
Stimme: Fräulein langenbach, nicht in der Luft spülen!"
Es gab neben der Küche auch eine Waschküche. Es hat mich
sehr gewundert, daß die Räumlichkeiten im zweiten Stock
lagen, denn bisher kannte ich Waschküchen nur im Keller. Es
war eine sehr nette Klasse.
Im Frühjahr 1943 begannen die ersten heftigen Luftangriffe
auf deutsche Städte. Ich fuhr am Wochenende oft nach Lünen
und mußte in Dortmund umsteigen. Man muß sich vorstellen,
daß völlige Verdunkelung herrschte. Keine Straßenlaterne
brannte, sämtliche Fenster in der Wohnung mußten abgedunkelt
sein. Die Angriffe folgten immer dichter aufeinander und waren meistens
in der Nacht. Am Tage flogen schon mal Aufklärungsflugzeuge
herum, wahrscheinlich, um Fotos zu machen. Dann hatte die Flak zu
tun. Wir - Sethchen, Edith und ich, waren einmal im Schrebergarten,
der nach künstlerischen Gesichtspunkten angelegt wurde. Eine
kleine Gartenlaube gab es auch drin mit einem Tisch, außerdem
standen da Spaten, Harke und eine Gießkanne. Plötzlich
tauchte am Himmel ein kleines Flugzeug auf und die Flak versuchte,
es abzuschießen. Dabei fielen dann auch Geschoßsplitter
auf die Erde. Blitzschnell krochen wir in die Laube und krochen
unter den Tisch, um uns vor den Flak-Splittern zu schützen.
Wir hatten Glück, denn so ein scharfkantiger Splitter hätte
den Tisch glatt durchschlagen.
In Bochum fielen auch Bomben. Eine Mitschülerin erzählte
am nächsten Morgen, wie sie versucht hatten, aus dem brennenden
Haus noch was zu retten,. indem sie Gegenstände durchs Fenster
warfen. In Panik wurden dann die ersten besten Sachen befördert.
Wie sie erzählte, befand sich auch eine schöne Bronzefigur
dabei. Man kann sich leicht vorstellen, daß sie zerbrochen
unten auf dem Straßenpflaster aufschlug, denn die Familie
wohnte am Wilhelmsplatz. Es fuhren auch keine Straßenbahnen,
wenn auch die Gleise rasend schnell repariert wurden. Mein Schulweg
wurde zu Fuß gemacht. Aber eines Morgens war da, wo unsere
Schule mal gestanden hatte, ein rauchender Trümmerhaufen. Anderen
Schulen im Stadtgebiet ging es auch so. So wurde beschlossen, daß
alle Schüler, je nach Schulart, evakuiert werden sollten.
|