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Kulturgeschichte - 20. Jahrhundert


   
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20. Jahrhundert  

B. Langenbach Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
1942 Skilager im Krieg  
Fortsetzung

Als wir älter waren, durften wir in der Untersekunda (zehnte Klasse auch in ein Skilager fahren. In dieser Klasse hatten wir eine junge Lehrerin. Sie trug den Namen Ludovika (Lulu) Seebacher und hat nach dem Kriege den verwitweten Musiklehrer („es zittern die morschen Knochen...") Kickhäfer geheiratet. Es muß Anfang 1942 gewesen sein, es war Krieg, man konnte nichts an Ausrüstungsgegenständen kaufen und so mußte man sich behelfen. Von Tante Edith (Heim) in Bochum bekam ich ein Paar Skier geliehen. Die waren über zwei Meter lang, aus Holz und die Bindung bestand aus Lederriemen, die man um die Schuhe schnallte. Hosen waren für Mädchen ziemlich ungewöhnlich. Ich konnte auch nirgendwo eine leihen. Da kam mein Vater auf die Idee, er wolle mal die (alte) Schneiderin Anna Kohushölter in Cappenberg fragen, ob sie so ein Ding nähen könnte. Er hatte nämlich noch einen alten Gehrock, das war ein kurzer Mantel aus ganz feinem schwarzen Tuch, der Kragen war mit Samt abgesetzt. Diesen wollte er mir dafür geben, denn er war schon lange rausgewachsen. Fräulein Kohushölter sprach plattdeutsch mit Hochdeutsch vermischt. Sie sagte : „Eine Schki-Hose habe ich noch nie gemacht, aber wir wollen mal sehen." Uns so bekam ich eine. Manche Mitschülerinnen hatten von ihren Brüdern eine ausgeliehen und irgendwie kamen wir alle zurecht. Mein Anorak war meine zur BDM gehörende Kletterweste. Die ging nur bis zur Taille. Aber es ging alles mit viel Spaß. So fuhren wir denn für drei Tage nach Willingen im Waldeck und wurden in einer netten Pension untergebracht. Die Klassenstärke war unter zwanzig. Das Wetter war schön, und so ging es gleich zur Sache. Erster Tag bergauf grätschen, bergab gleiten, zweiter Tag ein „Spaziergang" auf Skiern, etliche Kilometer, so daß uns abends die Beine wie verkehrt eingehängt erschienen. Am letzten Tag noch mal mit fürchterlichem Muskelkater eine kleine Tour und dann fuhren wir wieder nach Lünen. Das ist meine einzige Erinnerung an Skilauf.

Der nächste Winter war so kalt, daß unsere deutschen Soldaten in Rußland vor Kälte fast umkamen. da wurde für sie zur Winterspende aufgerufen und die Skier gingen mit nach Rußland neben Wolldecken, Mützen, handschuhen und Socken. Der Winter war auch bei uns sehr kalt. Ich kann mich erinnern, als ich abends vom BDM-Sport nach Hause kam, daß der Schnee so trocken war, daß er unter den Füßen knirschte, sogar die Räder von einem Pferdewagen knirschten im Schnee über die Straßen.

Die Zeit verging sehr schnell und bald waren wir auf dem Heimweg. Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe, in Berlin gleich zwei Verwandtenbesuche zu machen: einmal besuchte ich Mutters Vetter Georg (Orje) Müller, der eine feine Herrenschneiderei mit elegantem Laden betrieb, dann noch vaters Kusine Tante Hetata (Hedwig Höhner). Die war vom Stamme Thiemann und lebte in einer wunderschönen Wohnung in der Warschauer Straße 88 mit ihrer Tochter Hertha. Das war sehr schön und es gab zuhause viel zu erzählen. Leider sind alle beide in den Trümmern ihres Hauses ums Leben gekommen. Jahrzehnte später, im Jahre 1995, war ich mit Tochter Eva in Berlin um den von Christo verpackten Reichstag zu besehen. Bei der Gelegenheit fuhren wir in die Warschauer Straße. Sie hörte irgendwo auf und endete in einer Brache. So werden wir wahrscheinlich nichts mehr von Tante Hetata und Hertha finden.

Tanten

Tante Hetata (Hedwig Höhner) mit ihrer Tochter in Berlin