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20. Jahrhundert
Nationalsozialismus
Zeitzeugenbericht: Brigitte Langenbach
August 1942 - Kinderlandverschickung
Fortsetzung
Am Ende des Schuljahrs wurde für alle älteren Schülerinnen
Kriegseinsatz verlangt. Weil ich ja Jungmädelführerin
war, wurde ich zur Kinderlandverschickung (KLV) abgeordnet (andere
Mitschülerinnen mußten in Kindergärten oder bei
kinderreichen Familien arbeiten). Die KLV wurde eingerichtet, weil
im Ruhrgebiet fast jede Nacht Fliegeralarm gegeben wurde. Man mußte
aufstehen und in den Luftschutzkeller gehen. Die Keller wurden so
hergerichtet, daß sie zumindest Schutz vor Splittern boten.
Es wurden Mäuerchen vor den fenstern errichtet und/oder Sandsäcke
aufgeschichtet. An unserem Luftschutzkeller (ein Raum wurde. ausgewählt)
wurde eine dicke Eisentür installiert. Wenn die Sirenen heulten,
ging man mit Kind und Kegel in den LS-Raum, mit einem Köfferchen,
in dem persönliche Papiere o.Ä. waren. Im Keller versammelte
sich die Hausgemeinschaft" Die Dachböden mußten
entrümpelt werden und Sand in Eimern und Feuerpatschen bereitstehen.
man glaubte, kleine Brände mit Sand zu ersticken und mit der
Feuerpatsche auszudrücken. Die Kinder hatte am meisten zu leiden,
auch die Erwachsenen, denn die mußten am nächsten Tag
ja stramm arbeiten. So kam es, daß zunächst Schulkinder
für einige Zeit in eine Gegend ohne Alarm gebracht wurden,
um sich mal wieder auszuschlafen und zu erholen.
So wurde ich im August 1942 aufgefordert, mich bereitzuhalten.
Ich wurde mit einem Transport - ich weiß nicht mehr, wieviele
wir waren - nach Prag geschickt, das natürlich auch zu Großdeutschland
gehörte. Wir Mädchen wurden für ein oder zwei Nächte
im YMCA-Haus1 untergebracht und bekamen bis zu unserer Abfahrt Prag
gezeigt. Wir waren im Hradschin, im Veitsdom, wo ich herrlichen
Kirchenschmuck gesehen habe. Das ist mir unvergeßlich geblieben
bis in die jüngste Zeit.
Prager Hradschin 1942
Mein Ziel war der kleine Ort Plan an der Lausitz, etwa 100 km von
Prag entfernt. Unser Lager war eine schöne neue Schule, am
Wasser gelegen. Die Nachbarstadt war Tabor (Bata Schuhfabriken -
auch heute noch weltbekannt). Einmal wöchentlich ging es im
Fußmarsch dorthin, denn da war ein Badehaus mit Wannen und
Brausen.
Die Kinder stammten aus Essen und hatten auch ihre drei Lehrerinnen
mitgebracht. Ich glaube, wir großen Mädchen waren zu
dritt und hatten die Aufgabe, die Nachmittage zu gestalten, Schulaufgabe
zu beaufsichtigen, das weiß ich nicht mehr genau. Vermutlich
gab es keine. Aber dann konnte man spazierengehen, später Pilze
sammeln und Blaubeeren pflücken. Es gab so viele davon, man
setzte sich auf ein freigepflücktes Plätzchen. Dann brauchte
man nur rechts und links hinzulangen und im Nu war das Körbchen
voll. Am Abend gab es dann so viel Blaubeerpfannkuchen, wie wir
verdrücken konnten. Das Essen war so reichlich und auch fett,
z.B. Kartoffelbrei mit Würstchen. Mit der Kelle wurde in den
Brei, der auf dem Teller war, eine Kuhle gedrückt und mit heißem
Fett und Zwiebeln gefüllt. Ich hatte, als ich nach einem Vierteljahr
zurückkam, siebzehn Pfund zugenommen.
Es gäbe noch manches zu erzählen, z.B von der Läuseplage.
Plötzlich breiteten sich diese aus. Unsere ärztliche Betreuung
bestand aus einer Medizinstudentin mit Physikum1 und einer DRK-Schwester.
Nachdem die tschechische Apotheke genug Cuprex geliefert hatte -
was aber immer noch nicht genug war - hatte die Medizinstudentin
Petroleum benutzt, den Kindern damit den Kopf eingerieben, was zu
Blasen und Verbrennungserscheinungen führte. Die armen Kinder
haben sehr gelitten. Später, als die Haut wieder abgeheilt
war, war die Läuseplage aber noch nicht beendet: die Nissen
sorgten für Nachschub und die schlimmsten Fälle wurden
kahlrasiert. Die ersten Läuse meines Lebens habe ich mir damals
eingefangen.
Dieser KLV-Einsatz ging von August bis November 1942. Danach begann
meine Schulzeit in Bochum.
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