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Ostern in Venedig 2018 Text und Fotos: © Martin
Schlu, April 2018 letzte Revision: 5. Oktber 2022
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- Venedig für Anfänger - Biennale 2022 - Biennale 2019 - Biennale 2017 - Biennale 2015 - Sommer 2013 - Winter 2011
- Zwischenstation München - Ferienwohnung - Guggenheim-Museum - Aqua alta - Mercato/Fischmarkt - Ostersonntag in Venedig - San Michele - Jüdisches Viertel - San Marco und Rialto
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Ostern in Venedig sind etwa 300.000 Menschen dort - ein großer Teil davon im Bereich San Marco.
Im Hintergrund sind unter den Wolken die Dolomiten zu sehen
Vor
ein paar Monaten ging die Meldung durch die Presse, daß die Deutsche
Bahn ihre Schlafwagen eingestellt hat, allerdings gab es den Hinweis,
daß die österreichische Bahn (ÖBB) täglich eine Nachtverbindung nach
Venedig anbietet und da meine Frau und ich sowieso an Ostern wieder in
der Serenissima bleiben wollten, wurde kurz entschlossen gebucht. Der
Nachtzug geht kurz nach halb zwölf ab München, also wäre auch noch ein
guter halber Tag in der bayrischen Hauptstadt möglich, wenn man um halb acht in Bonn
startet.
- Gesagt getan.
Dienstag
- Ende
März stehen wir also um halb acht am Bonner Bahnhof, besteigen den
Zug und unsere Plätze sind in der Ersten Klasse. War im Angebot, sagt
meine Frau, die wollten für die Erste Klasse Sonderpreis weniger als
zweite Klasse Linie. Kein Wunder, daß kein Mensch mehr bei der
Preispolitik durchblickt.
Es läßt sich aber gut an. Das Internet funzt, Kaffee wird
vorbeigebracht, zwischendurch gibt es Gummibärchen für lau, nur nach
fünf Stunden Sitzen tut auch bei Ledersitzen mal der Popo weh und nach
sechs Stunden steigen wir am Münchner Hbf aus, lassen Koffer und Laptop
im Schließfach und machen uns in die Innenstadt auf - bzw. da sind wir
ja schon, denn anders als der Flughafen im 70 km entfernten Erdinger
Moos, liegt der Münchener Bahnhof direkt am Stachus, der nicht nur seit
der Olympiade 1972 der Mittelpunkt der Stadt schlechthin ist. Damals
hat man den Verkehr oberirdisch zementiert und für die Fußgänger eine
der größten unterirdischen Fußgängerzonen geschaffen, die es damals in
der Bundesrepublik gab - bestenfalls Stuttgart kann da mithalten.
Einer der Seitengänge des unterirdischen Stachus - noch nicht mal der größte
Exkurs: Kaiser Ludwig von Bayern: Überspringen - zurück Ich war den 1970er Jahren häufig in München, denn ich hatte damals
einen Gitarrenlehrer in Schwabing und mein bester Freund lebte in der
Aubinger Rassogasse und studierte dort Kunst. So will ich ein paar
Sachen wiedersehen: Frauenkirche, Theatinerkirche, Marienplatz etc.,
alles was fußläufig in ein paar Stunden möglich ist. Also geht es durch
den Stachus, durch das Neuhäuser Tor in die Kaufingerstraße an der
Michaelskirche vorbei und links am Fischereimuseum zur Frauenkirche.
Dort ist ein Turm eingerüstet und ein hoher Bauzaun kündet von der
Restaurierung. Von innen ist nicht viel zu berichten: Die Kirche ist
eher spartanisch eingerichtet, bis auf das Grabmal des Bayrischen
Kaisers Ludwig von Bayern (1282 / 1286 - 1347) aus dem Haus
Wittelsbach, dem Gründervater des Wittelsbachergeschlechtes und einem
der wirklichen wichtigen Figuren der bayrischen Geschichte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_IV._(HRR)
- Ludwig von Bayern war 1314 vom Kölner
Erzbischof im Bonner Münster gekrönt worden, am gleichen Tag wie sein
Gegenkönig Friedrich von Österreich, der in Frankfurt vom Mainzer
Erzbischof erhoben wurde. Der Papst hatte zwei deutsche Könige und zwei
zerstrittene Erzbischöfe nicht verhindern können, denn Clemens V. war
seit einem halben Jahr tot und erst 1316 gab es einen neuen Papst
(Sedisvakanz). Zwischendurch war auch der französische König, Philipp
der Schöne, gestorben und daß seit 1309 der Papst in Avignon saß,
verkomplizierte die deutsche und die französische Reichspolitik noch
einmal. Man hätte das Problem zwar militärisch lösen können und den
Ausgang der Schlacht als Gottesurteil gesehen, doch dies geschah nicht.
1316 wurde Johannes XII. Papst in Avignon (in Rom gab es ein paar Jahre
lang keinen) und Ludwig von Bayern versuchte ihn auf seine Seite zu
ziehen. Die Positionen wurden jedoch immer kontroverser (Armutsstreit)
bis Ludwig seinen Konkurrenten entmachten konnte. Er ließ Papst
Johannes’ XXII. im April 1328 absetzen und sich selbst von römischen
Adeligen am 12. Mai 1328 in Rom zum Kaiser krönen - ein Affront gegen
jeden Papst, ob in Avignon oder in Rom. Nun war Ludwig ab 1328 Kaiser
des Heilgen Römische Reiches Deutscher Nation und regierte eben nicht
von Wien aus sondern von München.
- Nach der Kaiserkrönung erhob Ludwig
IV. Nikolaus V. zum Gegenpapst in Rom, in der Hoffnung den Papst
in Avignon Johannes XII. zu schwächen. Dies ging gründlich daneben,
denn Nikolaus unterwarf sich Johannes und der wiederum exkommunizierte
Ludwig. Den Rest seines Lebens seiner Herrschaft war der bayrischen
Kaiser mit dem Papst zerstritten und wäre vielleicht Protestant
geworden, wenn es Martin Luther damals schon gegeben hätte. Das Grabmal
des Bayrischen Kaisers ist also einer Person gewidmet, die
Weltgeschichte geschrieben hat, doch es ist eine schöne Attrappe, weil
die Knochen längst in der Krypta liegen und wie man unschwer erkennen
kann, stammt das jetzige Grabmal nicht aus dem Mittelalter, sondern aus
dem Barock.
- Außerdem ist die Frauenkirche der
erzbischöfliche Dom von München und Freising und so hängt dort
auch ein Portrait des letzten deutschen Papstes Benedikt XVI, der bevor
er Papst wurde, eben der Erzbischof in dieser Kirche war (er hat auch
in Bonn gelehrt und in der Nähe meiner Schule ist an der Wohnung, in
der er in Bonn wohnte, eine große Gedenktafel angebracht). Also auch
hier ein großer Bayer, der seinen Weg in Bonn begann.... Liste der Päpste
- Nun ist München - wie Venedig - natürlich Touristenstadt
und verkauft man in Venedig üblicherweise die Masken, Gondeln und Kirchtürme
in allen Größen, Farben und Preisen, so bieten die Händler hier
Bierseidel an, FC-Bayern-Devotionalien, scheußliche Puppen und häßliche
Teller. T-Shirts, Buttons, Magnettafeln etc. gibt es sowieso für jede
Stadt. Rheinländer brauchen nur an Königswinter oder Rüdesheim zu
denken, dann wissen sie, was ich meine. Ganz unfaßbar erscheint mir die
Szenerie, als einem chinesischen Tourist eine schwäbische Kuckucksuhr
als „Made in Bavaria“ angedreht wird. Ich vermute, sie fliegt mit dem
neuen Besitzer wieder an ihren Ursprungsort.
- Der Marienplatz
ist nicht wieder zu erkennen. Ich kannte ihn als Standort eines Marktes
(nein, der Viktualienmarkt ist woanders), aber der gesamte Platz ist
eine Baustelle. Vermutlich wird unter ihm die Passage ausgebaut. Da
gehen wir am Rathaus weiter, über die Weinstraße und sehen kurz darauf
die gelben Türme der Theatinerkirche.
Vor vierzig Jahren wußte ich nicht viel über Baugeschichte - heute ist
es mehr und so ist das Typische dieser Kirche eben der Umstand, daß es
vom Stil her eigentlich eine italienische Kirche ist. Auch die Läden in
der Theatinerstraße haben italienisches Preisniveau - etwa von Venedig,
Florenz, Mailand, die teuren Lagen. Im Inneren findet gerade eine Probe
statt: Stabat Mater und Psalm 112 von Vivaldi. Es klingt sehr
professionell, vielleicht Musikstudenten, vielleicht schon Freiberufler
- alle sehr jung und sehr gut. Geleitet wird von Robert Mehlhart, dem Chordirektor dieser Kirche.
- Am Odeonsplatz ist die Feldherrnhalle
immer noch so häßlich wie vor vierzig Jahren, als ich sie das letzte
Mal sah. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg hätte man sie abreißen
können, nachdem Hitler sie ja sein Leben lang als nationales Denkmal
für sich reklamierte, denn sie war das Ziel des Aufmarsches und
späterem Putsch vom 8./9. November 1923. Ich vermute, in fünf Jahren
wird das Ding Kultort der Neonazis werden. Man hätte mit dem Abriß also
noch Zeit genug.
- Nach ein paar
Stunden Pflastertreten ist es Zeit, daß wir essen gehen und als wir aus
dem Restaurant herauskommen ist es dunkel und auf der Theatinerstraße
noch mehr los als vorher. Die Trachtengeschäfte springen einem richtig
in die Augen (für eine echte Tracht rechnet man ab ca. 1000.-, wenn sie
was hermachen soll) und unter einer Arkade macht sich ein kleines
Orchester spielfertig. Sie haben einen Flügel hergeschafft und spielen
sehr professionell Bach, Vivaldi und Mozart. Später finde ich im
Internet heraus, daß sie freiberuflich arbeiten und daß man sie
natürlich buchen kann. Nur ihre Webseite müßte mal überarbeitet werden.
http://scherzo-musik.de/home/index.php?lang=de
- Die letzten zwei Stunden vor Zugabfahrt
verbringen wir im Warteraum des Bahnhofs, erleben schräge und
betrunkene Personen, die sich dort auch aufwärmen wollen und eine halbe
Stunde vor Abfahrt gehen wir zum Zug. Ich
hatte gedacht, Schlafwagen bedeutet großes Bett, kleines Bad (so
ähnlich wie in den James Bond-Filmen der 1960er Jahre), aber dem ist
nicht so. Auf etwa drei Quadratmetern
hat man drei Betten übereinander, einen Stecktisch, ein Waschbeckchen
mit Wasserhähnchen und Türchen (sie sind wirklich sehr klein)
untergebracht und das Klöchen ist im Gang.
Wenn ich mich auf meine Liege lege (etwa in 1,90 m Höhe) stoße ich an
Kopf und Füßen an, aber dafür falle ich auch nicht herunter. Vom
Service kriegen wir jeder ein Tütchen mit Pantöffelchen (fürs Klo), eine
Fläschchen Wasser und ein klitzekleines Handtüchlein. Hier fällt eben alles
kleiner aus.
- Schlafwagen der ÖBB - klein und effektiv. Die Schuhe sind Gr 37 (zum Vergleich)...
- Nun können wir es uns in unseren drei Quadratmetern gemütlich
machen, solange einer immer steht und der andere auf dem Bett
liegt. Eine abnehmbare Hühnerleiter ermöglicht den Aufstieg
auf das obere Bett, aber die Trittstufen sind so klein, daß es
ein bißchen in den Füßen weh tut, wenn man auf sieben Quadratzentimeter
sein Gewicht abstützt. Irgendwann ist alles verstaut, der Zug fährt los
und eine Zeitlang sitzen wir auf dem Bett trinken ein Weinchen und sind
ganz zufrieden. Mehr als Schlafen kann man in dieser fahrenden
Zelle sowieso nicht. - zurück
- Mittwoch
- Das
gleichmäßige Rumpeln von Klimaanlage und fahrenden Rädern entspannt
unglaublich und irgendwann bin ich eingeschlafen. Ab und zu wurde ich
wach, weil es still war und der Zug stoppte - er war in München mit
Ziel Venedig und Budapest gestartet und bei Villach wird er in zwei
Züge getrennt. Da muß man im richtigen Wagen sein. Aber wo soll man
nachts auch hingehen? Weitere Stopps scheinen einfach nur den Zweck zu
haben, Zeit totzuschlagen, denn eigentlich braucht man für die Strecke
nicht acht Stunden.
- Gegen sieben werden wir von der
Schaffnerin geweckt, bekommen Frühstück und haben noch anderthalb
Stunden Zeit zu gucken. Es geht durch die Weingebiete von Friaul und
Venetien und als wir an dem Bahndamm sind, der Mestre mit der Altstadt
verbindet, hat der Vermieter sich schon gemeldet uns zur Salute
bestellt.
- Als wir um halb neun mit unseren Siebensachen ausgestiegen
sind, wird erstmal ein Wochenticket für die vaporetti besorgt (pro Person € 60.-, wie im Vorjahr), wir nehmen die Linie eins und sind gegen neun an der Salute. Der Vermieter hatte gesagt, sein Schwager Andrea würde sich um uns kümmern, denn er sei im ospedale
und leider unabkömmlich. Wir warten leicht genervt bis gegen zehn, als
Andrea auftaucht und uns erklärt, er käme gerade vom Schwager im
Krankenhaus (das erklärt die Zeit), nein nicht lebensgefährlich, aber
man müsse es bobachten. Er führt uns zur Wohnung, die etwa dreihundert
Meter von der Haltestelle entfernt ist und erklärt, der Schwager sei
Glasbläser in Murano, die Wohnung habe dem Großvater gehört und er sei
dort aufgewachsen. Außerdem gibt er uns eine Osterkerze und das venezianische Traditionsgebäck, das colomba pasquale,
ein in Taubenform gebackener süßer Hefekuchen mit reichlich Zucker und
Mandeln. Wir haben fast die ganze Woche dran gegessen - mille gracie!
- Man sieht sofort, daß es eine echte venezianische
Wohnung ist: Das Treppenhaus ist abenteuerlich steil, das Bad
hat man eine halbe Treppe höher gelegt, so daß man vier Stufen zum Klo
aufsteigt (wie beim Besteigen eines Thrones) und die Dusche ist nochmal
einen halben Meter höher gesetzt. Die Wände sind bemalt
und geschliffen, der Fußboden besteht aus abgeschliffenen Kieseln und
selbstverständlich ist das meiste aus Glas: Überall hängen Kronleuchter
(aus Glas), Wandlampen (meistens aus Glas), Lichtobjekte aus Glas, an den Wänden hängen Zeichnungen und
Entwürfe für Glasobjekte - u.a. für die Wandlampen im Café Florian am
Markusplatz - und die Küchenschränke haben Türen aus Rauchglas.
Authentischer geht es irgendwie nicht.
Lampenentwurf für ein berühmtes venezianisches Café
Als alle Formalitäten geregelt sind, zieht es uns in die citta. Wir nehmen traditionell die Eins, fahren den canal grande ab und schauen, was sich verändert hat. Lorenzo Quinns Hände hat man nach der Biennale im letzten Jahr stehen gelassen, ebenso das halbe Gesicht von Igor Mitoraj. Die rege Bautätigkeit fällt auf: Die Accademia-Brücke ist komplett verkleidet, etliche palazzi werden saniert und restauriert und es gibt gefühlt mehr Baustellen in den calle und parocchia
als sonst. Für heute lassen wir uns einfach treiben, kommen an,
erkennen viele Sache wieder und haben nach drei Stunden wieder das
Gefühl, daß wir keinen Stadtplan mehr brauchen. - zurück
- Gründonnerstag
- Das Museum Peggy Guggenheim
liegt in der Nähe (Dorsoduro 901/903) etwa zehn Minuten Fußweg über die
Zattere und hat als Sonderausstellung den Künstler, der den
weltberühmten Reiter auf der Terrasse am canal grande
geschaffen hat, Marino Marini. Jedes Mal, wenn ich da war, fand sich
irgendein besorgter Vater oder eine besorgte Mutter, die versuchten,
ihr Kind von dem Reiter wegzuziehen und wenn man bedenkt, daß das
Objekt seit 1948 dort steht, kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen:
- Der Elternschreck von Marino Marini
- Das Guggenheim-Museum ist natürlich ein
Muß, wenn man das zweite Mal hier ist (beim ersten Mal bekommt man nur
mit, daß es am canal grande liegt, weiß aber dann noch nicht, wie gut
und wie gut erreichbar es ist). Peggy Guggenheim
entstammt einer der reichsten amerikanischen Industrie- und
Bankiersfamilie, bekam bei Volljährigkeit ihr Erbe ausbezahlt und
widmete sich fortan der Kunst. Mit den meisten zeitgenössischen
Künstlern war sie befreundet, kaufte deren Werke, als die Künstler noch
unbekannt waren, bekam auch vieles geschenkt und öffnete nach dem
Zweiten Weltkrieg ihren privaten Palazzo als Museum, der nach ihrem Tod
mitsamt Inhalt an die Stadt Venedig vererbt wurde. Ab 2012 ist auch die
Sammlung des mit ihr befreundeten Ehepaars Hannelore B. and Rudolph B.
Schulhof dazugekommen und man kann gar nicht alles zeigen, was da ist.
Dafür darf man fotografieren (ohne Blitz) und es gibt ein Video der Ausstellungsvorbereitung.
- Kunstgeschichtlich ist das
Guggenheim-Museum längst ein Weltmuseum und man findet dort fast jeden
Vertreter der Moderne: Max Ernst, Hans Arp, Georgio de Chirico, René
Magritte, Salvador Dali, viele andere und natürlich Pablo Picasso. Den
findet man sowieso überall, weil er sein Leben lang zwei bis drei Werke
pro Tag produzierte. In Deutschland ist bestenfalls das Kölner Museum
Ludwig mit dem Guggenheim-Museum vergleichbar. Dafür haben die mehr
Altes. Im Garten ist Peggy Guggenheim begraben, an ihrer Seite liegen
rund ein Dutzend „... beloved babies“
- ihre Hunde. Übrigens kann man auch Kinder gut für moderne Kunst
begeistern. Ein amerikanisches Ehepaar kaufte der Tochter eine
Kaleidoskop-Linse und die hüpfte von Kunstwerk zu Kunstwerk und
beguckte alles durch diese Linse. Genial!
- Kind und Kunst können gut miteinander
- Auf dem Rückweg kaufen wir das, was noch
fehlt (wir bekommen nicht alles - z.B. kann man hier kein Küchenmesser
kaufen), tragen die Einkäufe aufs Boot und tuckern zur Salute. Für
heute reicht es. - zurück
- Karfreitag
- Nach
der protestantischen Tradition ist der heutige Tag der höchste Feiertag
überhaupt und die Töchter, die gerade in Rostock sind, haben gestern
schon für den Feiertag eingekauft und melden morgens zehn Zentimeter
Schnee. Da ist es hier morgens schon besser und es scheint ein sonniger
Tag zu werden, auch wenn es noch etwas diesig ist. Für alle Fälle haben
wir gestern auch schon eingekauft, aber da Italien ein katholisches
Land ist, denken wir, daß der eine oder andere Laden vielleicht doch
aufhat, falls wir etwas vergessen haben. Wir wollen zu San Marco und
hoffen, daß die großen Touristenmasse erst später dorthin strömen.
- Da
unsere Wohnung dieses Mal hinter der Salute liegt (Santa Maria della
Salute - die größte Kirche nach San Marco) haben wir es nicht weit zum
Vaporetto, setzen eine Station über und sind gegen zehn vor Ort. Kein
Feiertag, nirgends. Die teuren Läden haben nur nicht auf, weil es noch
vor zehn war, aber nun werden die letzten Scheiben gewienert, schwarz
bekleidete oder beanzugte Verkäufer stehen erwartungsvoll hinter den
Tresen von Gucchi, Chanel, Prada etc. und erwarten die betuchte
Kundschaft der chinesischen, russischen und arabischen Reichen. Als
wir unter den Arkaden des Museo Correr am Markusplatz ankommen, ist der
piezzale merkwürdig leer. Beim Näherkommen wird auch klar warum: aqua alta
hat eingesetzt und aus den Gullis sprudelt das Lagunenwasser. Der
Sonnenstand stimmt und so ergeben sich viele schöne Motive, bei denen
das Objekt als Original und als Spiegelung zu sehen ist. Nach
spätestens sechs Stunden ist der Zauber aber wieder vorbei, weil dann
Ebbe eingesetzt hat und alles wieder schnell abfließt.
- Aqua alta (Hochwasser) am Markusplatz - immer wieder schön.
- Nur
ein paar Hartgesottene bleiben bei den Tischen des Café Florian und den
Tischen der anderen Cafés sitzen, während die Musiker die ersten Nummer
spielen. Als ich mit einem Klarinettisten ins Gespräch komme, sagt er
mir, daß von Ostern bis September pro Tag elf Stunden gespielt wird und
zeigt mir eine dicke Mappe mit Hunderten italienischen Schlagern und
Jazzstandards. Im Winter lebt er von Unterricht, den Sommer verbringt
er auf dem Markusplatz abwechselnd spielend und pausierend - jeweils
eine halbe Stunde lang.
- Vor
San Marco stehen die Hochwasserstege und das Schlangenende ist irgendwo
in San Polo, so daß wir den Besuch für heute verschieben. Man muß nicht
zwei Stunden warten um dann in fünf Minuten durch die Kirche geschleust
zu werden und wir haben gegenüber den Tagestouristen einen großen
Vorteil: wir können abwarten - die Anderen müssen heute alles
durchhecheln, weil sie ja am Abend wieder weg sind. Wir beschließen in
Richtung mercato zu gehen,
denn es ist noch früh genug, daß der Fischmarkt auf hat. Der Weg führt
über die Rialtobrücke (Taschen zu und mit der Hand festhalten, dann
passiert auch nichts) und auch da ist um halb elf schon der Bär los.
Wie wird bloß am Ostersonntag? Zum Glück kann man hinter der Brücke den
Hauptweg verlassen und kommt über ein paar Gäßchen (calle)
auch dorthin, wohin man will. Auch dort ist der Hauptweg überspült,
aber die Gondolieri haben längst reagiert, provisorische Stege
aufgebaut und als eine Gondel dort anlegt, hüpfen die Mädchen heraus
und ein kleiner Junge plantscht ganz versonnen mit seinen Schuhen im
Wasser herum.
Aqua alta auch am mercato - die gondolieri haben das Problem aber schon gelöst.
- Markthallen und Fischmarkt
- Auf
dem Marktplatz wird wieder die Unzulänglichkeit der meisten
Ferienwohnungen klar: eine vernünftige Pfanne gibt es nie, oft fehlen
Auflaufformen, obwohl meistens ein Backofen vorhanden ist, aber
dafür gibt es hier eine Fischauswahl, die man wenn, nur in den
Großstädten hat. Wir haben zwar immer mit dem Gedanken gespielt,
fehlende Teile mitzunehmen, aber dann kommt man schnell an die
Gepäckgrenze und es erzeugt anderen Streß. Also sehen wir uns an Aalen,
Muränen, Tintenfischen, Thun- und Schwertfischen satt, denn wir werden
sie nicht zubereiten können. Bemerkenswert ist die Symbiose zwischen
Fischverkäufern und Möwen - die eine produzieren die Fischabfälle, die
anderen warten darauf, daß wieder etwas auf den Mülltisch geworfen
wird. Daß dann ab und zu mal ein Fischfilet gemopst wird, scheint
einkalkuliert zu sein. Die Tätermöwe machte den Abflug und kam erstmal
nicht zurück und die anderen freuten sich ob des lauten Geschreis. In
Deutschland ist so etwas unvorstellbar - ich habe an der Nordsee
Warnungen gesehen, nach denen für das Möwenfüttern € 500.-
Strafe angedroht war.
oben: Die Begehrlichkeiten für Menschen und Möwen
unten: Geduldig wartet die Möwe auf den nächsten Fischkopf
- Nach dem Marktbesuch sitzen wir auf dem Campo San Polo
und ruhen uns im Café aus. Es ist warm, die Mehrzahl der anderen
Touristen ist woanders und man kann gut entspannen. Nach einer halben
Stunde kommen ein halbes Dutzend amerikanische Jugendliche, die Kellner
rücken eilfertig die Tische zusammen und es wird wohl teuer für die
Kids werden. Da gehen wir.
- Auf dem Rückweg nach Dorsoduro wird an der Zattere ein Ruderboot ins Wasser gelassen und ein paar Meter weiter an der Gondelwerkstatt Squero San Trovaso
(Dorsoduro 1097, Ecke Fondamenta Nani/Calle di Squero) steht eine
Gruppe Touristen und fotografiert. Vor zehn Jahren wußte kein Schwein,
daß es überhaupt eine Werkstatt für die gondole gab, jetzt steht das Ding in den Reiseführern. Es gibt aber noch drei andere, ua. an der accademia und einen Fachbetrieb für die Ruderhalterung (Forcula). Das kann man rauskriegen.
- Am Abend ziehen wir noch mal zum Einkaufen los und
fahren mit der vollen Tasche mit dem Boot wieder zurück. Auch mit dem
Besorgen von nötigen Dingen kann man viel Zeit rumkriegen, denn die
paar Supermärkte, die es hier gibt, erfordern gutes Schuhwerk und das
Vaporetto-Ticket für den Rücktransport. Hier sind deswegen spezielle Hinweise zum Einkaufen. - zurück
- Karsamstag
Schon frühmorgens schüttet es, ab und zu versucht sich ein Gewitter zu
etablieren und der ganze Vormittag ist eigentlich so, daß man besser
liest, schreibt oder hört. Am frühen Nachmittag klart es aber auf, die
Sonne kommt heraus und wir machen uns auf Richtung Piezzale. Daß man
bei Regentagen möglichst nicht in die Museen rennt, weil dies alle
anderen auch tun, hat den Vorteil, daß die Straßen, Gassen und Boote
dann auch etwas leerer sind. Nach einer gewissen Zeit kommen wir wieder
an der Salute an und weil es wieder angefangen hat zu regnen, bleiben wir kurz
im Wartehäuschen um die Kapuze hochzuschieben.
Da bricht ein Hagelsturm los, wie ich ihn in Venedig noch nie erlebt
habe und zuhause höchst selten. Zentimetergroße Eiskugeln donnern auf
das Dach und in Sekunden verdunkelt sich der Himmel. Tapfere Gondolieri
bringen sich und die Passagiere unter der Accademia-Brücke in
Sicherheit, andere sind zu weit entfernt und suchen Schutz unter dünnen
Planen oder Schirmen. Weil die Salute schon geschlossen hat, drängen
sich die Menschen an die Mauern und suchen Schutz und dann - nach fünf
Minuten - ist alles vorbei.
oben: Wegducken und Schirm auf - mehr geht in dieser Situation nicht.
unten: Mutter Kirche bot keinen Schutz, da hilft nur Gottvertrauen auf das Ende des Unwetters,
- zurück
-
Ostersonntag
Erwachende Glocken. – In allen Kanälen
Flackt erst ein Schimmer, noch zitternd und matt,
Und aus dem träumenden Dunkel schälen
Sich schleichend die Linien der ewigen Stadt.
Sanft füllt sich der Himmel mit Farben und Klängen,
Fernsilbern sind die Lagunen erhellt.-
Die Glöckner läuten mit brennenden Strängen,
Als rissen sie selbst den Tag in die Welt.
(Stefan Zweig)
- Schon früh am Morgen läuten vereinzelt die Glocken,
aber ein richtiges Ostergeläut der Glockentürme von San Marco, San
Giorgio und Santa Maria della Salute will nicht zustandekommen. Dabei
ist die Salute keine hundert Meter entfernt und wir hören jeden
Halbstunden- und Stundenschlag (Ton as). Das Wetter hat sich nach dem
Hagelsturm gestern geklärt und so machen wir uns auf den Weg zum
Friedhof (cimitero) auf San Michéle - wo sonst kann man Ostern
gedanklich besser begehen als dort?
- Leider ist Venedig seit gestern nochmals ein Stück
voller geworden. Das merken wir daran, daß alle Boote pickepackevoll
sind und weil die Linie 4.2 nach San Michele vom Piezzale Roma
ablegt, müssen wir uns in Geduld üben, bis die Zuckellinie 1 endlich da
ist. Aufgedrehte Kinder schreien herum, italienische und russische
Telefonate werden so laut geführt, daß alle mithören müssen und als wir
am piezzale roma an der Anlegestelle stehen (es ist auch die nach
Murano), wollen etwa 150 Meter Menschenschlange in ein Boot, was
maximal 100 Menschen faßt. Eine überschlägige Hochrechnung ergibt, daß
wir etwa in ein bis anderthalb Stunden loskönnten und wenn wir zurück zur
Ferrovia laufen, kriegen wir vielleicht die 4.2 in Gegenrichtung, die
einen anderen Weg nimmt , aber auch am cimitero hält. Auf dem Weg über
die neue Brücke sehen wir die Dolomiten mit Schnee bedeckt - eine
Seltenheit hier, denn meistens ist es so diesig, daß man die ca. 75 km
entfernten Berge nicht seht. Also wird der Friedhof verschoben und wir
fahren stattdessen auf den Glockenturm (campanile) von San Giorgio und
machen Alpenbilder.
-
Auch an der Ferrovia sind
Menschenmassen. Die Züge spucken ständig Tausende von Menschen aus, die
mit ihrem bißchen Gepäck klar machen, daß sie Tagestouristen sind und
nur an Ostersonntag hier sein wollen. Irgendwann kommt eine Linie 2,
wir springen hinein und haben uns überlegt, bis San Giorgio zu fahren,
denn die Zwei hält ja an dieser Klosterinsel. Leider fährt sie dann
nicht durch bis nach San Giorgio und so werden wir zwei Stationen
vorher an der schlimmsten
Haltestelle in San Marco hinausgeworfen und müssen uns durch Tausende
Besucher wühlen, bis wir an San Zaccaria anlangen, wo die Zwei nach San
Giorgio abgeht.
- Alle wollen in die Boote oder auf den Markusplatz
- Wat soll dä Quatsch? fragt der Rheinländer in
meinem Ohr, bekommt aber keine Antwort. Man muß wissen daß an San
Zaccaria alle Boote der venezianischen Linien abgehen, außerdem private
Linien wie alilaguna oder die
Schnellfähren nach Burano, Torcello und so weiter. Logischerweise
passen die aber nicht alle an ein Fährterminal und so sind etwa ein
Dutzend Anlegestellen auf einen Kilometer verteilt. Entsprechend ist
das Gesicht ein wenig muffelig, weil wir uns das hätten ersparen
können, wenn wir direkt zur Zattere gelaufen und übergesetzt hätten.
Macht Spaß!
- Dafür kommt schnell die andere
Linie 2 und die ist nicht überfüllt, weil die Tagestouristen nichts von
San Giorgio wissen und viele blättern in den Stadtplänen, ob sie
wirklich in dem Boot nach San Marco sitzen (sitzen sie nicht!). Außer
uns steigen nach drei Minuten Fahrtzeit auch nur wenige Menschen aus
und alle gehen zielstrebig durch die Kirche, denn dahinter ist der
Fahrstuhl nach oben. Man hat keine Wartezeit, zahlt die Hälfte des
campanile von San Marco und hat morgens die bessere Sicht, weil die
Sonne bis zum Nachmittag eben San Marco ausleuchtet, die Fotofreunde
auf dem dortigen campanile aber für die wichtigen Fotos Gegenlicht
haben - ätsch!.
- Die Aussicht ist überragend. Man kann den Flugverkehr
an Marco Polo sehen, die Dolomiten zeigen in der Sonne ihre
Schneegipfel und wir können auch unsere Fewo hinter der Salute
ausmachen. Im Hafen liegen vier (!) riesige Kreuzfahrtschiffe, die
alleine für ca. 20.000 Tagestouristen stehen und wenn man heute für
jeden Einwohner nur sieben Touristen rechnet, sind etwa 400.000
Menschen in der Stadt. Fast fühle ich mich an die großen
Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre erinnert, bei denen 300.000
Demonstranten in Bonn waren und die Halbmillionenzahl deutlich
überschritten wurde.
- Schneegipfel der Dolomiten sind von Venedig aus selten zu sehen, der Flugbetrieb öfter
- Ein
paar fällige Fotos von markanten Gebäuden werden gemacht, die es in
dieser Lichtsituation bisher noch nicht gab und ganz zufrieden fahren
wir wieder herunter und beschließen an der Zattere essen zu gehen -
direkt neben der Haltestelle gibt es ein sehr gutes und preiswertes
Restaurant, wo wir schon früher oft gegessen habe. Die Sonne scheint
warm, man kann die Jacke ausziehen und als wir unser fritto misto
(frittierte Sardinen und Meeresfrüchte) essen, ist der Massenfrust
vorbei. Fritto misto ist eigentlich das hiesige Traditionsgericht, das
es schon in den frühen 1960er Jahren gab, aber die meisten touristici bestehen halt auf Pizza, Lasagne und Pommes (selbst schuld).
- Weil wir schon mal in der Nähe sind, gehen wir die dreihundert
Meter durch die Gassen zur Accademia dell' arte, dem wichtigsten Musum
für venezianische Kunst. Seit Monaten wird dort für eine Ausstellung
getrommelt, die eigentlich morgen zu Ende gehen sollte, aber als wir da
sind, stellt sich heraus, daß es eine Verlängerung bis in den Juli
gibt.
- Sex sells - letztendlich ist es ein Ausschnitt aus einer Darstellung des jungen Paris
- Wir gehen hinein und haben wieder den Metzgerei-Effekt: viel Schinken,
wenig Filet. „Schinken“ sind eher dokumentarischen Bilder über die
Entwendung der vier Pferde auf San Marco durch Napoleon bzw. deren
Rückgabe durch den österreichischen Kaiser, der genauso wie Napoleons
Bruder mal Herrscher von Venedig war. Schinken sind aber auch die
unsäglichen barockiserenden Darstellungen antiker Stoffe des 19.
Jahrhunderts, die sich Begüterte in ihre Wohnstuben hängten und von
denen einem ganz schlecht wird, weil sie so überladen sind mit Putten,
Busen, Gewändern, abgeklärten Blicken und Symbolen. Das „Filet“ dagegen
waren vier Himmel/Hölle-Gemälde von Hieronymus Bosch, die nach
modernsten Methoden in Venedig restauriert wurden und nun zu sehen
sind. Wer Bosch kennt, weiß, was ungefähr drauf war.
- Zuhause,
gegenüber von San Giorgio, kriegen wir noch mit, wie zwei große
Kreuzfahrtschiffe auslaufen und wir sind froh, daß wir von der
Aussichtsplattform wieder runter sind, weil die genau auf Höhe der
Schornsteine liegt. Allen Venedig-Fans sei hiermit gesagt: Bitte nicht
an Ostern kommen und dann schon gar nicht mit einem Kreuzfahrtschiff.
Kein
Mensch hat etwas davon außer der Reederei und die Bevölkerung ist
sowieso gegen diese großen Schiffe, denn die Abgassituation auf dem
Giudecca-Kanal entspricht in etwa der Feinstaubsitiuation am BerlIner
Breitscheidplatz. (Hintergrundbericht). Aber in ein paar Jahren sollen die
großen Pötte außerhalb anlegen, die Besucher steigen dann auf kleinere Schff
um und das ist auch wieder halbwegs verträglich.
- Links der Schornstein der MSC Musica - ziemlich genau auf der Höhe der Aussichtsplattform San Giorgios.
- Und zum Ausgleich setzt um sieben Uhr abends volles Geläut aller Kirchen ein. Geht doch! - zurück
- Ostermontag
- Heute wollen wir einen neuen Versuch machen, auf die Friedhofsinsel San Michele zu kommen.
- Napoleon
hatte bei seiner Besetzung Venedigs 1804 verfügt, daß Tote nicht mehr
neben den Kirchen bestattet werden durften, weil es
überdurchschnittlich viele Kirchen gab und die Einwohnerzahl Venedigs
so groß war, daß man verhindern mußte, daß das Grundwasser verseucht
wurde. Auf der Insel San Michele stand ein ehemaliges Kloster der
Kamaldulenser, von dem noch der Kreuzgang, die ab 1469 erbaute
Renaissancekirche San Michele in Isola und die um 1530 errichtete
sechseckige Cappella Emiliani erhalten sind. Diese Insel war weit genug
entfernt um Verseuchungen zu verhindern und nah genug, daß man die
meisten Toten dort bestatten konnte und so fanden 1827 die ersten Beerdigungen dort statt. 1837 beschloß die Stadt diese
Insel zum Zentralfriedhof umzuwandeln und ließ solange Land
aufschütten, bis die Insel San Michele die heutige Größe von ca. 450 x
400 Metern hatte. Später wurde weiteres Land aufgeschüttet, die
Friedhofsmauer gebaut, die einen Friedhof erst zu diesem Ort macht (einfrieden) und seit 1998 ist die letzte Erweiterung im Bau, die weitere sechs Hektar umfaßt und von David Chipperfield geplant wurde.
- Man besucht die Insel mit der Linie 4.1 oder 4.2 ab
Piezzale Roma oder der Station Palanca (gegenüber Zattere) und rechnet
eine gute halbe Stunde Fahrtzeit oder man fährt ab Fondamente Nove, das
der Insel gegenüberliegt. Die Engelsgruppe zwischen dieser Station
und San Michele weist symbolisch den Weg in die Ewigkeit und es steigen
am Haltepunkt cimitero auch nur wenige Leute aus - die meisten wollen
eine Station weiter nach Murano.
- Die Engel kennen den Weg
- Ist man aber erst einmal da, erschließt sich ein ganz
eigener Zauber (außer im Hochsommer, wenn die Mücken Jagd auf jedes
lebende Wesen machen). Entlang der Wege stehen hohe Zypressen, es gibt
Gräberfelder für Nonnen, Mönche, Kinder, Soldaten und verschiedene
Nationen. Teilweise sind die Grabsteine noch aus der Erstbelegung des neunzehnten Jahrhunderts und sie erzählen regelrechte
Geschichten, weil es vor hundertfünfzig Jahren üblich war, den Beruf
und die Todesart mit anzugeben. Man liest über Schiffsunglücke,
vermißte Seeleute oder Krankheiten und die etwas wohlhabenden Familien
ließen oft einen steinernen Kopf oder zumindest ein Relief herstellen.
Bei den neueren Gräbern sind häufig Fotos dabei. Irgendwann kommt
man an den früheren Haupteingang, von dem aus man wieder einen Blick
auf das lebendige Venedig werfen kann. Auch wenn die Toten heute nicht
mehr in Gondeln gebracht und über diesen Haupteingang getragen werden, bleibt die Stimmung erhalten.
Der alte Haupteingang mit Bick auf Venedig
- Die Wege sind so angelegt, daß man sich gut
orientieren kann und bei der Friedhofsverwaltung am Eingang links kann
man einen Zettel bekommen, auf dem die berühmtesten Gräber verzeichnet
sind. Da ich musikaffin bin, zieht es mich immer zu Igor Strawinsky und
zu seinem Choreographen Sergej Diaghilew. Beide zusammen arbeiteten ab
1911 in Paris zusammen und schufen so berühmte Werke wie den Feuervogel (L'Oiseau de feu, 1912) oder den Sacre
(Le sacre du printemps, 1913). Immer wenn ich da bin, liegen wieder
neue Ballettschuhe auf Diaghilews Grab, oft sind Blumen auf den Gräbern
von Igor und Vera Strawnsky und meistens nehme ich mir einen Stein mit
und lege ihn aufs Grab (Juden kennen diese Symbolik). Luigis Nonos Grab
hatte ich lange nicht gefunden, weil es eigentlich ein großer
Felsbrocken ist. Erst wenn man unmittelbar davor steht, sieht man die
Namenstafel. Für Suchende: Diaghilew und Strawinsky liegen auf dem
griechischen Teil (Recinto XIV). Wenn man die Kapelle sieht, liegt Diaghilew
links davon, die beiden Strawinskys rechts davon (Nr. 36 und 37).
Luigis Nono liegt links vom Feld der Ordensschwestern, etwa auf halbem
Weg. Wenn man den großen Felsbrocken entdeckt hat, muß man dicht davor
stehen, sonst sieht man die Inschrift nicht.
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oben links: Sergeij Diaghilew
oben rechts: Igor und Vera Strawinsky
unten links: Luigi Nono
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Übrigens
sind die Grabplätze natürlich begrenzt und wenn man kein Venezianer
ist, bleibt man außen vor, es sei denn man ist sehr berühmt und stirbt
in Venedig. Luigi Nono war gebürtiger Venezianer und starb auch hier. Diaghilw lebte lange in Venedig und starb auch hier. Von
Strawinsky weiß man, daß er sich gewünscht hatte, hier begraben zu
werden, obwohl er in New York starb, doch diesen Wunsch hat man ihm
erfüllt. Dafür starb Richard Wagner in Venedig und ist in Bayreuth begraben und die Wagner-Fans müssen deswegen dorthin.
(P.S: Sie können dafür
aber in Venedig sein Sterbezimmer besuchen, das im heutigen Casino
Venezia liegt: Ca' Cendramin Calergi, Voranmeldung dafür unter
arwv@liebero.it, mobil: +39 338 416 4174)
- Für Interessenten
- Normale Venezianer bekommen eine zehnjährige Liegezeit, danach werden ihre Knochen in ein Ossarium
(Knochenhaus) übergeführt und weil das Problem mit den Knochen schon
immer bestand, benutzt man seit 1583, ca. einen Kilometer nordöstlich von
Torcello entfernt, eine unbewohnte, durch eine Mauer geschützte Insel,
Sant’Ariano, in der diese restlichen Knochen seit Jahrhunderten unter
freiem Himmel
lagern. Ab und zu wird buchstäblich nachgelegt. Ein Blick auf Google
Earth zeigt ein dicht bewachsenes,
undurchdringlich erscheinendes Viereck - den Rest muß man sich denken.
Ob die trasporto funebre
genannten Bestattungsboote heute immer noch benutzt werden, kann ich
nicht sagen. Böse Zungen behaupten, sie würden von der Stadtentsorgung
betrieben. Richtig wohlhabende Venezianer lassen sich aber immer noch
ihre Mausoleen auf San Michele bauen und wenn man wissen will, was
heute angesagt ist und man ein paar Milionen für sein Begräbnis
ausgeben kann, findet man Anregungen im neueren Teil, kurz vor
Chipperfields Neubauten.
Das moderne Mausoleum zeichnet sich durch einladende Glastüren aus und
verfügt über Sicherheitssysteme wie ein aktueller Supermarkt. - zurück
- Dienstag
- Wir waren längere Zeit nicht mehr im jüdischen Ghetto Venedigs (2015) und wollen uns mal wieder umschauen. Die Normalbesucher steigen mit den Linien 4.1, 4.2, 5.1 oder 5.2 an der Guglie aus (nicht Giglio, da hält die Linie 1), suchen und finden den Durchgang der sie direkt ins Viertel führt.
Dort angekommen, hat sich seit 2015 etwas verändert. Das jüdische
Museum ist modernisiert und ausgebaut, wenn auch noch nicht ganz
fertig, aber man kann es wieder besuchen. Am Eingang wird man
durchleuchtet wie am Flughafen und wenn man hebräisch kann, findet man
genug Originallektüre. Wenn man italienisch oder gut englisch kann, hat
man auch etwas davon, aber die Erklärungen sind in italienisch genauer
als in englisch. Hier ist noch etwas für Franzosen und Deutsche zu tun.
- Was kann man sehen? Es gibt einen umfassenden
historischen Überblick über die Entstehung des Ghettos mit Quelltexten und Zeichnungen. Nachdem ab ca.
1350 die meisten Juden in Deutschland, Spanien, Frankreich und
Osteuropa nicht mehr gern gesehen waren, weil man ihnen die Schuld an
der Pest 1348/49 gab, bot ihnen die venezianische Regierung Asyl. Man brauchte die Juden als Bankiers, denn man war finanziell
knapper geworden und erhoffte sich von den jüdischen Bankiers frisches
Geld für den Wirtschaftskreislauf, weil die Juden Bankgeschäfte betreiben durften, was den Christen verboten war. Viele Juden waren gut ausgebildet,
sprachen mehrere Dialekte und es gab überdurchschnittich viele Ärzte,
Anwälte und Gelehrte unter ihnen. Um unter Christen und Juden verbotene
Auseinandersetzungen zu vermeiden, legte man aber 1397 fest, daß Juden
einen gelben Hut, später einem schwarzen Hut (Judenhut) tragen
mußten, um für die christliche Bevölkerung als Jude erkennbar zu sein
(etwa: mit denen darf man sich nicht anlegen, die werden geschützt).
- Das jüdische Museum in Venedig (eingerüstet) - rechts die Sicherheitsschleuse
- Am 29. März 1516 legte der Senat Venedigs im Gebiet der Eisengießer (ital. geto) einen größeren Stadtbezirk fest, das Ghetto nove,
der durch eine feste Mauer vom Rest der Stadt getrennt war und nachts
abgeschlossen wurde. Die etwa 700 jüdischen Familien im Ghetto zahlten
höhere Steuern als die anderen Einwohner und sie wurden wieder
geschützt, waren relativ unbehelligt gegenüber ihren Herkunftsländern
und Venedig hatte sich auch nie an Pogromen beteiligt. So gesehen ging
es den venezinische Juden recht gut.
- Jüdische Touristen (meistens aus Amerika) im jüdischen Ghetto.
- Die jüdische Bevölkerung im Ghetto wuchs bis 1611 auf
etwa 5.000 Köpfe an und weil die Wohnraumverhältnisse für die normalen
Häuser zu eng wurden, entstanden erste höhere Häuser, die man noch
heute sehen kann. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang ab ca. 1650 wuchs
die Anzahl an Restriktionen bis zum offenen Antisemismus und der Anteil
der jüdischen Familien sank wieder. Napoleon hob diese Restriktionen zwar ab
1804 auf und ließ auch die das Ghetto abriegelnden Stadttore verbrennen, doch bis die Juden den
Christen gleichgestellt waren, dauerte es noch einmal fünfzig Jahre.
- Unter Hitler wurden die verbliebenen 286 Juden größtenteils nach
Auschwitz deportiert. Einige wenige überlebten und kehrten zurück. Die
jüdische Gemeinde in Venedig soll nach wikipedia ca. 500 Personen stark
sein und der Polizeischutz ist nicht zu übersehen. Dennoch ist das Viertel
lebendig. Es gibt jüdische Buchhandlungen, Läden für jüdische
Religionsartikel und das koschere Restaurant Gam-Gam ist recht gut
(Cannaregio, 1122), selbst in den Tagen nach Pessach, wo bestimmte
Speiseneinschränkungen galten, wurde sehr gut gekocht. Beim Essen kamen
wir mit jüdischen Familien ins Gespräche (beide aus Brooklyn, New York)
und sie besuchten das Ghetto, weil sie es als historische Wurzel
ihrer Familie empfanden.
- Den Tag beschließen wir mit einem Bummel durch Cannaregio,
vielleicht dem lebendigsten Stadtteil Venedigs, denn hier ist die
„Einkaufsmeile“, wo es fast alles gibt, was man sich in einer Stadt
vorstellt.
- Mittwoch
- Am letzten Tag können wir unser Gepäck noch in der
Wohnung lassen, weil die Maschine erst um halb zehn ab Marco Polo
abgeht. Wir sollen die Wohnung aber bis zu Mittag geräumt haben, damit
geputzt werde kann. Weil das Wochenticket nach dem Frühstück nicht mehr
gilt, wird also alles zu Fuß erledigt. Nach zwanzig Minuten sind wir an
San Marco und es ist fast leer - zehn Minuten müssen wir warten, bis
wir an der Reihe sind. Eigentlich herrscht in San Marco seit 2008 ja
absolutes Fotografierverbot, aber um uns herum ist eine Gruppe
Chinesen, die sich gegenseitig fotografieren, Bilder und Videos von
allem und jedem machen und die Aufpasser gucken demonstrativ weg, weil
sie wohl kein chinesisch können. Da nehme auch ich nach ein paar
Minuten meine Kamera raus und mache die Bilder, die ich schon seit zehn
Jahren mal aufnehmen wollte. Ich habe mal eine Examensarbeit über die
Kirchenmusik an San Marco geschrieben und damals untersucht, wie man
als Komponist schreiben muß, damit bei einer Bahnhofshallenakustik
überhaupt noch etwas musikalisch zu hören ist, denn die Kirche hat
faktisch nur glatte Flächen, entweder aus Stein, aus Mosaiken oder
blattvergoldete Wände und Decken. Mehr zur Kirche.
- Alles glatt, jede Menge Reflexionen und kein bißchen Konzerthallendämpfung.
- Da hallt alles und jedes und man hört jeden Ton, jeden
Fehler und jeden Pups. Weil es überall Emporen und kleine Gänge in
fünfzehn Meter Höhe gibt, hat damals der Hauptkomponist Giovanni Gabrieli
Musik geschrieben, die im ganzen Raum gespielt wurde, weil jeder
Musiker räumlich woanders stand - im Prinzip eine ausgebuffte
Sterophonie, von der der am meisten hatte, der im Zentrum dieser Musik
stand. Das war der Staatschef von Venedig, der Doge, für den aus diesem
Grund neben dem Altar ein vergoldeter Thron stand. Über dem Dogen stand
nur noch der Papst und San Marco war die Staatskirche zum Strunzen. Die
Musik zeigte den Reichtum und die Macht Venedigs und darum hatte man
ein Dutzend Blechbläser und eine Dutzend andere Musiker fest
angestellt. Wer mehr darüber lesen will, muß sich ein bißchen Zeit nehmen, kann aber auch ein Video schauen.
- Nur standen die Musiker damals nicht
- wie hier die Blechbläser der Hamburger Phiharmonie - auf dem
Boden, sondern auf den vielen Galerien und Emporen, aber heute geht das
wegen des Denkmalschutzes wohl nicht mehr. Ein anderes Video aus der Abteikirche von Muri zeigt Aufführungen mit alten Instrumenten auf vier Emporen, eine dritte Einspielung der Universität Cambridge zeigt, wie die Musik mit dem Hall spielt.
- Etwas Vergleichbares aus San Marco gibt es aber heute
nicht mehr, weil San Marco eine reine Touristenkirche geworden ist und
sich geistlich dort nicht mehr viel tut. An manchen Stadtfesten
findet schon mal ein Hochamt statt (Beispiel),
doch selbst dieses Osterfest (2018) gab es dort keine Messe. Aber heute
(5.4.2018) fand in einer Seitenkapelle eine kleine Messe statt , die
die Touristen aber nicht gestört hat. Immerhin war dies die erste
Messe, die ich in zwölf Jahren Venedigbesuche in San Marco erlebt habe.
- Nach dem Aufenthalt in San Marco bummeln wir nach
Rialto, denn außerhalb des Touristengewusels gibt es dort die
Möglichkeit gut und billig zu essen. In der Rosticceria Gislon (Calle de la Bissa, 5424/a, am Goldoni-Denkmal rechts rein) zahlt man für eine Portion fritto misto sieben
Euro, sowenig wie nirgendwo sonst und da treffen sich Mittags die
Arbeiter und Angestellten der Läden, essen und plauschen, und wenn eine
alte nonna (Omi) kommt,
machen alle brav Platz und stehen auf, damit sie sitzen kann. Hier gibt
es wirklich noch ein Stück des alten Italiens und meine Frau kennt den
Laden seit sie acht war.
- Im Übrigen wird immer vor den Taschendieben in
Rialto gewarnt. Mir ist noch nie etwas geklaut worden, nicht in
Venedig, nicht auf der Rambla in Barcelona und schon gar nicht auf
deutschen Weihnachtsmärkten. Man muß sein Geld in zwei
Reißverschlußtaschen auf der Innenseite tragen, die Hand draufhalten
und außerdem hat man etwas Kleingeld in der Hosentasche, denn dann muß
man in manchen Situationen nicht sein Portemonnaie zücken. Wenn geklaut
wird, dann beim Bezahlen.
- Zum Schluß des Tages investieren wir noch mal
in ein Tagesticket und juckeln mit der Eins zum Lido und zurück. Es
reicht jetzt auch. Der Aeroporto 5 bringt uns für acht Euro nach Marco Polo und am späten Abend sind wir zuhause.
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