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Venedig für Anfänger
Venedig im Sommer
Venedig im Winter
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Venedig im Sommer (2013) Text und Fotos: © Martin
Schlu, August 2013, letzte Revision: 10. Oktober 2022
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- Venedig im Winter 2011 - Venedig für Anfänger -
- Biennale 2022 - Biennale 2019 - Biennale 2017 - Venedig zur Biennale 2015
- Anreise - Allgemeines - Cannaregio - Castelo - Jüdisches Viertel - Lido - San Michele - San Polo - Verkehr -
- Biennale Übersicht - Biennale 1 - Biennale 2 - Biennale 3 - Biennale 4 - Biennale für umsonst - noch mehr umsonst
Skylineausschnitt
etwa ab Höhe Giardini: Links die Salute, in der Mitte die Einfahrt zum
Canal Grande, rechts Palazzo Ducale, der Campanile und die Kuppelspitzen von San Marco.
Vorabend
- Anreise - Seitenanfang
Die Flugdauer nach Venedig beträgt von Köln/Bonn eine gute Stunde.
Die Maschine geht abends um sieben, so daß wir bei Sonnenuntergang über den
Alpen sind und der Rest Sommerschnee erzeugt mit dem roten Licht der
Sonne tolle Muster, dazu geht der Vollmond auf (wir sitzen links) -
eines der Bilder, die man nur genießen, aber nicht fotografieren kann.
Jetzt weiß ich endlich, was Michael Ende im „Jim Knopf“ mit dem
‘rot-weiß-gestreiften Gebirge' gemeint hat. Im Anflug auf Venedig zeigt
sich die Signorina mit allen Lichtern, der Hafen ist gut beleuchtet und
als wir gelandet sind und unser Gepäck haben, ist es halbwegs dunkel und noch nicht neun
Uhr.
- Der Taxifahrer braucht nur fünzehn Minuten bis zum
Piezzale Roma (Festpreis € 40.-), denn weil Hochsaison ist, möchte er viele Fahrten machen
und so brettert er wie ein Weltmeister - die Polizei ist weit. Vom Piezzale
Roma kommen uns Scharen beleuchtetet Menschen entgegen, die
Weiblichkeit meist weiß gekleidet und mit leuchtendem Busen. Der Grund
dafür ist die Ausleuchtung durch die Smartphones, denn - anders als beim
letzten Besuch vor zwei Jahren sind die Datenpreise bei diesen Dingern drastisch gefallen und so
laufen alle mit gebeugtem Kopf und ausgeleuchtetem Oberkörper durch die
Gassen und versuchen die Adressen oder Restaurants zu finden. Das ist immer noch nicht
so leicht, weil die Häuser mit den Stadtteilnamen durchnumeriert sind und wenn wir nicht
wüßten, wo unsere Wohnung ist (Dorsoduro 2925), würden wir sie mit der
Software nicht finden, weil die Ortung in den engen Gäßchen von Venedigs nur zu 50% funktioiniert.
- Zehn Minuten laufen
wir bis zur Wohnung, ab dem Campo Santa Margherita durch Massen von
feiernden Jugendlichen und Studenten, denn es ist Sommer und es sind
Semesterferien. Mimi von Oikos Venice hatte ich schon vom Taxi
angerufen, sie ist schon da, gibt uns die Schlüssel und als wir unser
Gepäck abgestellt haben, ziehen wir los auf der Suche nach Eßbarem.
Beim Dönerladen im Univiertel (Dorsodeuro 3490/B) gibt es gut
verträgliche Kebap, zwei Flaschen Wein und Wasser als Grundausstattung.
Da sitzt auch die Polizei: zwei carabinieri essen Pizza.
Campo Santa Margerita gegen 21:00 Uhr: hier steppt der Bär.
- Als
wir wenig später vor und auf
dem Balkon sitzen - er ist ca. einen Quadratmeter groß - ist es zehn
und wir sind auch geistig im Urlaub angekommen. Obwohl auf dem Campo
die Hölle los ist, ist es auf der Rückseite des Hauses still - es gibt
einen Durchgang (sotoportego) und das Hinterhaus ist etliche Meter vom
Lärm entfernt. Nur ab und zu kommt ein Boot vorbei, sonst
ist es sehr still. Es hat immer geheißen, daß die Kanäle im Sommer stinken - ich kann es nicht bestätigen.
Die stille Rückeite des Hauses, der „Rio di S. Margherita“
- Morgen werden wir uns
treiben lassen und dann wissen, was wir eine Woche lang tun wollen.
Seitenanfang
Donnerstag
- Allgemeines
Der Supermarkt am Campo (Punto) macht erst um halb neun auf, so daß ich
ein paar Minuten warten muß und Zeit habe zu beobachten, wie die Möwen
einen Müllsack schlachten. Unter lautem Geschrei haben vier Möwen in
guter Katzengröße jeder einen Zipfel des Sacks, ziehen daran, bis er
reißt und machen sich über den Inhalt her. Nun kommen die fliegenden
Kollegen und nehmen mit, was irgendewie eßbar ist und fünf Minuten später ist
eine große Sauerei entstanden (am Nachmittag war alles piccobello, ob
durch die Möwen oder die Stadtreinigung, bleibt offen).
Der Punto ist
nach dem Umbau größer und besser sortiert, allerdings
auch teurer. Für ein vernünftiges Frühstück reicht es aber allemal und
danach ist klar, daß wir erstmal den Canal Grande abfahren (Linie 1),
denn es ist Biennale, die traditionelle künstlerische Weltausstellung
und weil für knapp 190 ausstellende Nationen der Platz knapp ist, gab
es in der Vergangenheit immer Exponate um den canal
und anderswo. Wenn
man sowieso viel Linie 1 fahren will, kann man nach wie vor am Piezzale
Roma die Einkäufe aufs Boot tragen, doch wenn man sich besser auskennt,
besorgt man sich den Einkaufskarren, den alle Venezianer haben, parkt
das Ding am Supermarkteingang (den klaut keiner) und fährt damit seine
Einkäufe nach Hause. Die beste Einkaufsmöglichkeit ist nach wie vor der
Billa an der Zattere - alles andere ist teurer. Daß der Billa manchmal
mit der Warenbeschaffung kaum nachkommt , weil viele Skipper so
praktisch an der Zaterre anlegen können, steht auf einem anderen Blatt. - Seitenanfang
- Verkehr
- Man
geht in Venedig zu Fuß (mit vernünftigen Schuhen, denn das Pflaster ist
chronisch uneben) oder nimmt das Boot. An der Accademia und am Piezzale
Roma bekommt man die Karten für den vaporetto (Wasserbus) der ACTV. Das
Wochenticket liegt nun bei € 50.- (2017: € 60.-) und die Zugänge zu den Stegen sind
teilweise mit Mechanismen versehen wie in der tube in London,
Karte dranhalten, dann geht die Tür auf. Die
Linien haben sich etwas verändert, aus der 41 ist die 4.1 geworden, aus
der 51 und 52 ebenso die 5.1 und 5.2 und
die Strukturen erscheinen auf den Fahrplänen nun klarer. Es ist ganz
einfach: je kleiner die Liniennummer, desto eher ein Bummelboot (ein
„Milchkannenexpreß“, der wirklich überall hält) und da braucht man bei
der Linie Eins für die Strecke
vom Piezzale Roma bis zum Lido halt eine Stunde. Wenn man kein Venedig-Anfänger mehr ist, findet man den Weg durch die Gassen schneller, als man mit der Linie 1 je wäre.
- Es ist
Hochsaison und daher sind alle Wasserbusse knallvoll. Sie fahren auch
etwas langsamer, lassen sich mehr Zeit und hupen sogar (sehr laut), denn Mitte August
gab es an der Rialtobrücke beim Anlegemanöver der Linie 1 einen Unfall,
als der vaporetto beim Anlegen eine gondola
erwischte, die umkippte und ein über Bord gegangener Mann zwischen
Anlegesteg und Schiff erdrückt wurde. Alle Verantwortlichen haben einen Riesenschreck
bekommen, und die Skipper passen nun wirklich sehr gut auf, aber ob das tägliche Chaos mal von der Polizei kontrolliert
werden wird, steht in den Sternen - es ist überhaupt ein Wunder, daß bis zu diesem Unfall nie etwas Ernstes passiert ist.
- Ganz normaler Irrsinn zwischen San Marco und der Rialtobrücke: zwei gondole wollen raus, der eine vaporetto
legt gerade an, der andere (mit mir drauf) wartet, daß der erste fertig
wird, dazwischen Transportboot (trasporti), Wassertaxis und ab und zu
noch ein Kajak mittendrin. -
- Seitenanfang
- Es ist etwa dreimal soviel Verkehr
wie auf dem Rhein, aber der Canal Grande ist maximal zweihundert Meter
breit. Da ist das Risiko vorprogrammiert und manche Freizeitskipper fahren
hier auch wie James Bond (die Folge mit Gerd Fröbe als amerikanischem
Touristen). Auf einem Abschnitt von ca. 300 Metern sind üblicherweise zwei vaporetti, zehn trasporti und drei bis vier gondole,
außerdem noch Wassertaxis und heute durfte ich einen Einsatz der
Ambulanz erleben, die dann mit Vollgas und Musik den Canal entlangbretterte. Das Foto zeigt also eine für Rialto ganz alltägliche Situation.
- Die vaporetti sind
sehr voll. Die Hochsaison ist zwar gerade vorbei, aber wenn man
Sightseeing mit der Linie 1 haben will, muß man zur Zeit mindestens
eine halbe Stunde stehen, bis einer der begehrten Sitzplätze vorn oder
hinten frei wird. Alle schwitzen und stinken vor sich hin, quengelnde
Kleinkinder erhöhen den Lärmpegel zusätzlich - für eine beschauliche
Kanalfahrt ist der Winter definitiv besser. Eine Touristengruppe hat
sich als Gondolieri verkleidet und
macht in dieser Kluft die Stadt unsicher, angetrieben von der
energischen Reiseleiterin:
- Biennale 1. Versuch - 2. Versuch - 3. Versuch
- Bereits
an der Haltestelle San Marco bekommt man einen Vorgeschmack auf die
Biennale. Man kann an dieser Stelle hervorragend auf die Insel
San Giorgio mit der gleichnamigen Kirche sehen und dieser Kirche sitzt
eine ebenso hohes Superweib aus Stoff. Nur der
Kirchtum ist noch ein bißchen höher. Allerdings ist San Giorgio auch einer der Orte, an denen man Kunstwerke überhaupt sehen kann, ohne Eintritt zu
bezahlen. Ein anderer Kunstort ist unmittelbar an der Accademia-Brücke beim Ca' Franchetto (ein überdimensionaler, schwarzer Kopf) und dann
gibt es noch ein drittes auf der anderen Canal-Seite, das aussieht wie
ein pinkes Baugerüst. Im Laufe der nächsten Tage wird man sehen, daß
man überall in der Stadt Kunst umsonst sehen kann, aber man muß
aufmerksam hinschauen. weiter - noch weiter - Seitenanfang
- Jüdisches Viertel
- Bei der Biennale (Haltestelle „giardini“)
gibt es am Eintrittsschalter bereits lange Schlangen und da es schon
elf ist, beschließen wir, lieber am nächsten Morgen um zehn da zu sein,
damit wir uns nicht im Touristenhoch gegen eins um die Kunstwerke
schlagen müssen. Nachdem wir wissen, wie groß die Biennale ist, laufen
wir durch Cannaregio in Richtung jüdisches Viertel (ghetto vecchio), das es seit ca. 500 Jahren gibt. Dort ist Informationszentrale für die jüdische Gemeinschaft (cannaregio 1222), es gibt koschere Restaurants, Spezialgeschäfte für das jüdische Leben und
natürlich ist es auch ein jüdisches Wohnviertel. Vier carabinieri stehen
Wache, falls etwas passieren sollte, aber außer den Bewohnern
verirren sich vergleichsweise wenig Touristen hierhin - die
Tagestouristen schaffen sowieso nur Rialto, San Marco und die
obligatorische Gondelfahrt. Speisekarten sind auf italienisch, englisch
und hebräisch. Wer unter Laktoseintoleranz leidet, sollte überlegen, ob
koscheres Essen nicht die Lösung ist, denn wenn man sich ein
Fleischgericht bestellt, darf logischerweise keine Milch (Laktose)
enthalten sein - auch nicht in den Gewürzen, wo es sonst immer drin ist.
- Das Ghetto lebt, die Häuser sind alt, aber die jüdische Gemeinde scheint hier sehr lebendig zu sein:
- In Cannaregio sitzen wir am Mittag im Schatten und machen Pause bei aqua minerale frizzante
und einem Milchkaffee. (cannaregio 3272). „Wasser“ ist in Italien immer normales
Leitungswasser, will man aber Mineralwasser mit Kohlensäure haben, muß man
sich ein „frizzante“ bestellen. Es ist still, es ist ruhig, ab
und zu sieht man eine Venezianerin, die einen Kinderwagen über die
Bücke wuchtet und manchmal kommen Touristen vorbei. Nebenan sitzen alte
Männer, trinken Espresso und reden vermutlich über Politik - einer von
ihnen haut bei energischen Redebeiträgen (die für mich absolut
unverständlich sind) immer mit der Zeitung auf den Tisch. Zwischendurch
hält ein Sanitätsboot in zweiter Reihe, zwei Mediziner klettern heraus
und kommen nach ein paar Minuten mit einer alten Dame auf einem Rollstuhl
wieder. Der Rolli wird mit der Omi über das erste Boot in das Ambulanzboot
verfrachtet und dann fahren sie los. - Seitenanfang
- Den
Abend
beschließen wir in der Pizzeria „Oke“ an der Zattere (Dorsoduro 14/4),
die eine preiswerte Speisekarte hat und zu der wir seit Jahren hingehen. Da wir
gegen sieben ankommen, ist noch reichlich Platz. Eine Stunde später ist
es auch hier knallvoll, viele Menschen müssen warten und der
Sonnenuntergang taucht den Hafen und die Zattere in ein wunderschönes
Licht. Selbst die Möwen hören einen Augenblick auf zu kreischen und gierig auf die Teller zu starren.
- Sonnenuntergang an der Zattere, im Hintergrund der Industriehafen.
- Den
Abend verbringen wir vor und auf dem Balkon (wegen des einen
Quadratmeters Größe). Wenn es dunkel ist, geht das pralle Leben erst
richtig los: Fernsehton in italienisch, spanisch und französisch,
Töpfeklappern, zerbrechendes Geschirr, Gerufe und Geschimpfe, Schreie
der Lust und lustiges Geschrei bei großen ragazzi und kleinen bambini und immer weder Boote, die vorbeikommen. Mittlerweile hören wir den Unterschied zwischen Wassertaxi und Privatboot. - Seitenanfang
- Freitag
- Biennale 2. Versuch - 3. Versuch
Wir
wollten ja heute auf die Biennale, doch auch beim zweiten Versuch
klappt es nicht. Auf dem Weg zur Linie eins sind wir rein automatisch zur
Accademia gelaufen und da haben wir uns wieder zu lange aufgehalten.
Vor drei Jahren haben wir in Sizilien das erste Mal die Sitte
kennengelernt, daß Liebespaare ein Schloß kaufen, ihren Namen
draufschreiben, das Ding irgendwo anketten und den Schlüssel ins Meer
schmeißen. Dann schwappte dieser Trend an die Kölner Hohenzollernbrücke
und zwar so stark, daß die Statik gefährdet wäre, wenn nicht einmal im
Monat Mitarbeiter mit Bolzenschneider ein paar Tonnen entsorgen (und
sie nicht in den Rhein schmeißen). Nun sind Sizilien und Köln auch hier
angekommen und die fliegenden Händler verkaufen nicht mehr nur falsche
Prada- und Guccitaschen und Berge von Zeug, was kein Mensch braucht,
sondern sie haben jetzt auch Schlösser im Angebot und das
Brückengeländer sieht entsprechend aus und man kann es zum Festhalten nicht mehr benutzen. Ich fürchte, daß die Reinigungskräfte
bald auch den Bolzenschneider brauchen und warte nur darauf, daß sich
bei Niedrigwasser ein vaporetto
auf dem Schlüsselberg festfährt, denn Strömung, die alles verteilen
würde, gibt es hier nicht. Ausbaggern wäre ja noch eine Alternative...
- Die
Brücke hält das Gewicht schon, solange man die Öffnungen nicht mit
Sicherheitsgitter verkleidet. Dann würde es sehr schwer. - Seitenanfang
- Die fliegenden Händler sind auch nicht mehr rudelweise am Ende der accademia,
sondern verteilen sich bis nach San Marco. Dreist sind natürlich jene,
die direkt vor den Prada und Gucci-Läden ihre gefälschten
Taschen andrehen, aber auch sie finden Käufer. Der Dom
San Marco wird von außen renoviert und ist teilweise unter Gerüsten
verborgen. Wer also das obligatorische San Marco-Bild machen
will, hat dieses Jahr schlechte Karten und müßte eins aus den Vorjahren
nehmen, z. B. dieses Bild..
- Verglichen
mit Karneval
ist es um San Marco nun erheblich voller - es hat auch damit zu tun,
daß alleine heute drei große Kreuzfahrtschiffe vor Ort sind und „groß“
bedeutet hier etwa die Höhe des Campanile von San Giorgio, also Schiffe
mit fünfzehn Decks, 60 Meter Höhe und jeweils ca. 4.000 Passagieren,
die dann
zwischen elf und siebzehn Uhr die Altstadt fluten. Längst gibt es eine
Initiative gegen diese Riesen, aber solange die
Kreuzfahrtgesellschaften der Stadt Millionen an Hafengebühren in die
Kassen spülen (aber nicht in die venezianische, sondern in eine Kasse
nach Istanbul, weil der Hafen dorthin verkauft wurde), nimmt man lieber
Beschädigungen durch Wellenschlag in
Kauf und daß man die Schiffe mittlerweile riechen kann (das Schweröl
für die Maschinen ist Grund für eine unglaubliche Luftverschmutzung)
war
früher auch nicht so. Hinzu kommen noch zahllose Hotelschiffe für die
Biennale-Gäste, große und kleine Privatyachten - auch der Hafen ist
knallvoll.
- Dorsoduro
am Giudecca-Kanal - hier sieht man, wie groß diese Schiffe wirklich
sind, wie sie stinken, sieht man auch. - Seitenanfang
- Lido
- Weil der Vormittag
nun schon halb herum ist und wir nichts besseres vorhaben, machen wir
uns auf den Weg zum Lido. Der Lido war in den 1950er Jahren das
Badeparadies. Reiche Italiener - nicht nur aus Venedig - hatten da eine
Zweitwohnung um einen gewissen Status zu dokumentieren, die gepachteten
Badeplätze kosteten Unsummen und wurden gewöhnlich auf die Nachkommen
übertragen. Heute ist der Ruf des Lido besser als die Realität, denn
wer Dänemarks oder Hollands Küsten kennt, wo man wirklich auch mal
einen größeren Strandabschnitt für sich alleine haben kann, wird mit
dem italienischen System seine Probleme bekommen. Die Parzellen sind
streng abgesteckt, alles kostet extra und wehe, man bringt seine
eigenen Sonnenschirm mit und macht das Geschäft der Schirm- und
Liegenverleiher kaputt. Abgesehen davon ist man ab San Marco eine halbe
Stunde mit dem Boot unterwegs und läuft dann noch mal eine halbe Stunde
zum Strand. Das wäre etwa so, als würde man von Bonn aus nach Köln
schwimmen gehen. Der Kenner fährt zun Badeurlaub dann lieber an die
französische Atlantikküste (wenn man richtig schwimmen will) oder nach
Nordjütland (wenn man keine Strandnachbarn haben möchte).
- Der Lido ist sehr deutsch geworden: alles hat seine Ordnung und jedes Detail kostet extra. Nur das Badewasser gibt es umsonst. - Seitenanfang
- Biennale für umsonst
- Übrigens braucht man
für das Zwei-Tage-Ticket der Biennale den Ausweis und da wir die Persos
aus guten Grund nicht mitnehmen, war es wieder nichts mit dem
Besuch (meiner Frau ist ihr Portemonnaie an der accademia
einmal geklaut worden und sie hätte um ein Haar nicht zurückfliegen
können - Danke noch einmal an die deutsche Botschaft). Morgen werden
wir bestimmt um zehn Uhr an der Kasse sein und die Ausweise dabei
haben. Es gibt aber noch eine Möglichkeit, ein bißchen Biennale zu
gucken und zwar auf San Giorgio. Dort ist das pinke Riesenweib aus
Stoff zwar Blickfänger, aber längst nicht einziges Ausstellungsstück.
Der Künstler Marc Quinn hatte die elf Meter große Stoffstatue „Alison Lapper Pregnant“ bei den
Parolympics in London ausgestellt (sie hat keine Arme) und hat auf dem Gelände des alten
Klosters etliche Exponate stehen: überdimensionale Muscheln aus
Messing, biologisch verfremdete Menschen wie den Mann mit
Schwangerbauch und das Pärchen mit vertauschten Genitalien, aber im
Klostergarten steht außerdem eine Sammlung aus marmornen Embryonen in
verschiedenen Stadien - eine Fundgrube für den Bio-Kollegen und
handwerklich einfach toll gearbeitet. Wer mit Biennale nur ein bißchen am Hut hat,
sollte sich alleine deshalb schon auf den Weg nach San Giorgio machen.
Man kann Marc Quinn nicht übersehen - doch seit dem Abend des 25. August ist das Podest leer und die Riesenfrau weg.
- Alles da: das Riesenweib, der Name des Küstlers und die Haltestelle, bei der man aussteigen muß, wenn man Quinn gucken will. - Seitenanfang
- Natürlich gehen wir
auch noch einmal in die Kirche und begucken das Chorgestühl und die
Inneneinrichtung, nur die Bilder kann man nicht so gut erkennen. Wer
ein bißchen über Venedigs Kirchen gelesen hat, weiß, daß in jeder Kirche mindestens
ein Tintoretto oder ein Tiepolo hängt - so auch hier. Für mich sehen die aber alle
gleich aus und ob das schwarze Flair, das fast 90% der Bilder haben,
der Ruß von den Millionen Kerzen sind, die hier gebrannt haben, oder ob
man einfach düster gemalt hat, soll man die Restauratoren fragen. Auf dem Weg nach Hause stolpern wir an der Zaterre über den kroatischen Beitrag in einer Kirche (Fondamenta delle Zattere ai Gesuati 919, Kata Mijatovic), der sich um Träume und Wünsche dreht. Interessanter ist aber der inoffizielle Beitrag von Zhong Biao's Visions, in dem östliche und westliche Moderne in Bildern, Fotos und Intallationen gegenübergestellt werden und der wirklich plakativ und systemkritisch wirkt.
- Gegen
sechs sitzen wir ganz billig auf einer Steinbank an der Zattere und
warten, bis es kühler geworden sind. Schiff Nummer zwei und drei werden
aus dem Hafen geschleppt und man hat auf einmal das Gefühl, daß es
ruhiger wird. Es wird nicht lang vorhalten, denn die Dorfjugend fährt hier eben
nicht mit dem Mofa die Straße rauf und runter, sondern mt Papas Boot
durch die Kanäle - Hip-Hop vollaufgedreht inbegriffen. Nix ist mit „musiche veneziane“. Wer das nicht hören mag, muß Fernseh gucken.
- Biennale - Übersicht
- Amerika - Aserbeidschan - Belgien - Chile - China - Deutschland - Finnland - Großbritannien - Indonesien - Island - Italien - Kroatien - Libanon - Palazzo Enciclopedia - Skandinavien - Ungarn - Marc Quinn - Rußland - Schweiz - Südafrika - Ukraine - Vereinigte Arabischen Emirate - Zhong Biao - Seitenanfang
- Samstag
- Biennale 3. Versuch und erster Tag
- Diesmal
hat es geklappt. Wir waren kurz vor zehn da, hatten die Ausweise dabei,
bekamen die Karten und haben uns vorgenommen einen Überblick zumindest
über die Exponate in den „giardini“
zu gewinnen. Wir haben nicht alles gesehen, haben uns den Luxus
geleistet, in bestimmte Pavillion gar nicht hineinzugehen und waren
trotzdem gegen eins mit dem größten Teil durch. Was bleibt hängen?
- Der belgische
Pavillon
enttäuscht. Im abgedunkeltem Raum liegt ein Baumstamm, wie er
schon mal im Rhein angetrieben wird, drapiert mit ein bißchen Müll.
„Fott damit“ sagt der Rheinländer in uns und geht wieder hinaus.
Interessanter ist da der nächste Pavillon: eine Landschaft mit ca. 200
Faller-Häuschen so wie bei meiner Eisenbahn früher (selbst mit
deutscher Beschriftung wie „Hauptbahnhof“). Im Nebenraum sieht man
Kopffragmente aus Holz in
Baumscheiben eingepreßt und Objekte, die in eine Art Werkbank
eingespannt sind, doch das ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Das
nächste Haus bietet merkwürdige Messingobjekte mit Riesenpenis und drei
Beinen an, in einem Nebenraum sieht man ein Video, wie zwei Frauen
zweistimmig sehr schön singen, obwohl sie recht unbequem in eine Art
Kniebank eingepreßt sind. Schön sind nur die Figuren von Peter Fischli
und
David Weiss, obwohl ich sowas immer vom Kunstunterricht unserer
Oberstufe sehe, aber die beiden machen es witzig und stellen Dinge dar,
die man sonst nicht sieht. Das hat mir gut gefallen. - Übersicht
- Der deutsche Beitrag im französische Pavillon hat mit Deutschland eigentlich nichts zu tun und ein
deutscher Künstler ist
nicht vertreten. Zentraler Künstler ist der Chinese Ai Weiwei, aber
unter welchem Land er ausstellt, ist mir ziemlich wurscht - Hauptsache
er
ist dabei. Ai Weiwei zeigt seine 886 Dreibeinhocker ineinander
verschränkt, gesteckt und geleimt, Hocker, die er gesammelt hat und die
es heute so nicht mehr gibt, weil alle Chinesen auf Plastik umgestiegen
sind. Man fragt sich unwillkürlich,
welche arme Sau das Ding wieder demontieren muß, ohne daß es kaputt
geht. Von Joseph Beuys ist man aus der Vergangenheit diesbezüglich ja
einiges gewöhnt. Hoffentlich kriegt man nach der Biennale das Ding wieder zusammen. - Übersicht
Nicht alle der 866 Hocker sind zu sehen, ein paar paßten nicht mehr drauf: Foto: Martin Schlu © 2013 - Seitenanfang
- Bilder
aus Soweto (Santu
Mofokeng) und eine Sequenz aus Indien (Dayanita Singh) erklären Arpartheid und Gewalt in
Südafrika und Indien und eine Minderheitenverfolgung mit viel
Betroffenheitspathos. Warum
aber auf dem linken Großbildmonitor eine Wahlkampfrede der NPD und auf
dem rechten Monitor eine Lesung mit salafistischen Moralvorstellungen
stattfindet (Romuald Karmakar) und gegen Alkohol gewettert wird, habe auch ich nicht
verstanden. Daß wir ein Einwanderungsland sind, ist ja klar, aber
betrifft das auch die NPD? - Übersicht
- Der englische
Pavillon
zeigt eine Fotostrecke des Jahres 1973, als David Bowie auf
Tournee war, und eine Videosequenz des Adler- und Eulenflugs (Jeremy
Deller). Japan zeigt Videosequenzen, wie fünf oder mehr Japaner zusammen
etwas tun: Haare schneiden, Klavier spielen, ein Gedicht scheiben oder
Kunst produzieren - jedenfalls tun sie es immer zusammen und
man ist froh, daß man zuhause mal alleine etwas tun kann, weil hier
einfach mehr Platz ist als in Japan (Koki Tanaka). - Übersicht
- Im
Finnland-Pavillion
sieht man den Künstler Antti Laitinen erst Birken zersägen und sie
dann mit Nägeln wieder zusammentackern. Vor dem Pavillon stehen diese
neu zusammengesetzten Birken, aber um die Blätter dranzukleben, hat die
Zeit wohl nicht mehr gereicht. Dafür sieht man in einer Installation
den Künstler in Badehose, wie er Sandsäcke ins Meer schleift, sie
aufeinender türmt und dann ganz zufrieden mit einer Topfbirke auf
seiner künstlichen Insel sitzt. Macht irgendwie Spaß und paßt zum
Sommer. In einer anderen Videosequenz sieht man ihn Tannennadeln sieben,
Stein und Laub sortieren und die sortierten Materialien aus dem Wald
findet man sortenrein in quadratischen Rahmen an die Wand gehängt.
Außerdem hat Laitinen wohl etliche Wochen lang immer Eisblöcke aus dem zugefrorenen Weiher
gesägt, gestapelt und zusammenfrieren lassen. Auf jeden Fall ist es
klimaneutrale Kunst und sie fände bei den Grünen bestimmt Anklang. - Übersicht
- Nicht so doll ist der ungarische Pavillon. Dort wird eine
Sammlung von abgeschossenen und nicht explodierten Granaten gezeigt (Zsolt Asztalos),
die „Shit Bar“ wirkt wie eine Halluzination von zuviel Dope, aber man
kann dort wirklich etwas essen. Der amerikanische Pavillon zeigt
einen unglaublichen Haufen Müll, sehr schön dekoriert und nett
anzusehen, doch ich habe noch meine Mutter im Ohr, die mir bei so einem
Haufen Zeugs nachdrücklich gesagt hätte, ich möge mein Zimmer
aufräumen. Ganz nett ist auch der nordische Pavillon (Jesper Just
/Dänemark), wo man nicht unterscheiden kann, ob die Bäume echt oder
synthetisch sind, doch wofür das gut sein soll, wird nicht erklärt. - Übersicht
- Das ist übrigens ein
Hauptkritikpunkt: Ich finde, man sollte immer in der Landessprache, in
Italienisch und in Englisch erklären, worum es hier geht. Lediglich im
deutschen Pavillon funktioniert das ganz leidlich.
- Im russischen
Pavillon schreibt man die Geldwirtschft ganz groß (Vadim Zakharov). Beim Eintreten sieht
man einen Manager im schwarzen Anzug auf einem Gebäudebalken in fünf
Meter Höhe, der Erdnüsse ißt und die Schalen unter sich wirft, daß sie
einen Berg bilden. Nebenan wird auch ein Berg gebildet, aber aus
Geldstücken, die sporadisch aus der Decke purzeln und einen begehbaren
Münzberg gebildet hat.
- ..
- Nur der Weiblichkeit ist es vergönnt, einen
Schirm zu nehmen und sich mit Geld berieseln zu lassen - wie mir meine
Frau versichert, hat es unter dem Schirm ordentlich geknallt, als sie
ihre Gelddusche bekommen hat. Dagobert Duck läßt grüßen. Übrigens soll
man eine Handvoll Geld (es ist Phantasiegeld) mitnehmen, darf es
aber nicht behalten, sondern soll es in einen Eimer kippen, damit der
Geldkreislauf erhalten bleibt. Das ist wahre Kapitalismuskritik! - Übersicht
- Im Pavillon der
Schweiz zeigt der Künstler Valentin Carron achtzig Meter Flachstahl mit
zwei Schlangenköpfen und geplätteten Blechblasinstrumenten, doch der Sinn
hat sich mir hier auch nicht ganz erschlossen. Wir sind danach gegangen,
weil wir in drei Stunden mehr gesehen haben, als wir verarbeiten konnten
und nun brauchten wir erst einmal eine Kunstpause. Wie gut, daß wir eine
Wohnung zum Ausspannen haben. - Übersicht
- Kunst für umsonst
- Am Nachmittag wollen
wir keine Kunst mehr sehen - jedenfalls nicht mehr so viel. Die Salute
ist fußläufig zu erreichen und diese Kirche war immer sehr schön still,
halbwegs leer und man konnte dort gut einfach seinen Gedanken
nachhängen. Also gehen wir los, nehmen aber nicht den direkten Weg.
Schwups, stolpern wir wieder über Kunst, diesmal landen wir in einer
Ausstellung im palazzo contarini (Dorsoduro 874 an der accademia). Die Ausstellungen kann man knicken, aber das Highlight ist der palazzo, denn normalerweise kommt man da gar nicht rein. Der palazzo contarini ist
relativ gut erhalten, fast unverbaut und man sieht im Inneren solche
Dinge wie (noch nichts restaurierte) bemalte Ledertapeten, die
originalen Fußböden, man kommt in die Säle und in die Kammern und viele
Räume haben noch originale Möbel und Bilder. Das
ist das Wichtige! Die Installationen sind ein bißchen gewollt modern:
eine Performance, wo eine Dame aus einem englischen Buch vorliest, eine
Intallation aus Stapeln von bedrucktem Papier, Ventilatoren und dem
Papiermüll auf dem Boden, durch den die Besucher laufen sollen und als
es noch nicht chaotisch genug ist, hilft die Aufsicht nach und schmeißt
ein bißchen Papier auf den Boden. Das Ganz hat den Charme einer
Druckerei vor der Reinigung nach Feierabend.
- Als wir endlich an
der Salute ankommen, sind wir ein bißchen enttäuscht. Zwei Drittel der
Kirche sind wegen Renovierung abgesperrt, das restliche Drittel darf
man betreten, aber man darf sich nicht setzen, weil auch alle Bänke
abgesperrt sind. Weil die Salute aber zum venezianischen
Pflichtprogramm gehört, drängeln sich ein paar hundert Leute in der
Kirche und wissen nicht, wo sie mal ein paar Minuten sitzen sollen.
Selbst die Treppen davor sind belegt. da machen wir, daß wir wieder
wegkommen. Die praktisch Veranlagten ziehen sich die Schuhe aus und plantschen im Wasser.
- Im Übrigen ist der
Nachmittag schon wieder rum, Zeit zum Nachausegehen und am Abend fegt
auch noch ein Gewitter mit Platzregen über Venedig. Da sieht man die
Mädels mit ihren durchsichtigen (weil jetzt nassen) Baumwollkleidchen
schnell ins Trockene flüchten und teilweise regnet es wirklich in die
Zimmer hinein. - - Seitenanfang
- Sonntag
- Biennale 2. Tag
- Arsenale
Im
Vordergrund die Haltestelle „Arsenale“, in der Bildmitte erkennt man
die Hafenbecken und die Werkstatthallen mit dem alten Kran.
- Das Arsenale
ist die ehemalige Schiffswerft, in der die Venezianer in ihren besten
Zeiten drei Galeeren pro Woche fertigstellten. Dementsprechend groß
sind die Gebäude und als nach der letzten nautischen Großtat, der
siegreichen Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken (7. Oktober 1571),
der Bedarf an Galeeren nicht mehr so groß war, wurden die Hallen
anderen Zwecken zugeführt. Seit etwa hundert Jahren sind sie
Ausstellungsgelände für die Biennale und dafür sind sie ganz
hervorragend geegnet, denn dreihundert laufende Meter Lagerhallen mit
elichen Nebengebäuden kann man für Ausstellungen wirklich gut nutzen.
Nebenbei ist das Arsenale heute Reparaturwerft, Sitz der Handelsmarine
und noch ein paar anderen Organisationen, die wenigstens ein bißchen
Bezug zur vergangenen Seemacht Venedig haben. Also gut:
- Zentraler
Aufhänger der Arsenale-Ausstellungen ist der Turm „Il Palazzo
Enciclopedia“, der auch irgendwie das Motto der Biennale ist. Diese „Palazzo
Enciclopedia“ wurde in den 1950er Jahren geplant, sollte etwa 700 Meter
hochwerden, wurde aber natürlich nie gebaut. Er sollte - und da sind
wir wieder ziemlich modern - eine Art analoges Wikipedia sein, also das
damalige Weltwissen sammeln. Das kennt man von der Bibliothek
Alexandria (abgebrannt), von dieversen mittelalterlichen
Klosterbibliotheken (fast alle abgebrannt) oder aus der Situation, daß
man etwas googlen will und kein Netz hat (dann ist man auch irgendwie abgebrannt). Jedenfalls kann man das
Modell des Wissenschaftsturms im Eingangsbereich des Arsenale sehen und
alleine dieses Modell ist gut fünf Meter hoch. - Übersicht
- Nach diesem Ding kommen ein paar Köpfe, furchtbar viele Zeichnungen, bei denen nur die Arbeiten von Patrick Van Caeckenbergh
in der Erinnerung hängenblieben: Bilder, bei denen man erst denkt, daß
man sie auch knipsen kann (Winterbäume im Gegenlicht usw.), bis man
merkt, daß sie nicht fotografiert, sondern gemalt sind. Diese Art
Fotorealismus beeindruckt dann doch, weil da ein hohes technisches
Können hintersteckt. In der Erinnernung bleibt auch Jakub Julian Ziótkowski,
der in seinen Bilder einen Stil zwischen Hieronymus Bosch und Otto Dix
schafft - Apokalypse modernisiert, sozusagen. Ganz andere Wege geht der
Fotograf Eugen von Bruenchenhein
(1910-1983), der von 1949-1961 Frauen so fotographierte, wie man das
später bei Bert Sterns Monroe-Fotos kennengelernt hat: alles
angedeutet, nichts gezeigt und trotzdem für die prüden 50er Jahre
außergewöhnlich - aber da muß man sich in die Denkweise dieser Zeit
hineinversetzen können. Was ich ziemlich daneben fand, war Robert Crumbs
Comic-Bibel (2009). Ich kenne Crumb seit den 1970er Jahren („Fritz, The
Cat“), weiß daß er ein begnadetet Karikaturist ist, aber man kann
einfach nicht gefühlte 110 Meter Einzelblätter an die Wand hängen - da
wäre ein Video gnädiger gewesen. - Übersicht
- Schnell
weitergegangen bin ich bei bemalten Transparenten mit Unmengen von
Texten in allen möglichen Schriftgrößen. Ich finde es so furchtbar, daß
man bei moderner Kunst erst ellenlange Texte lesen muß um zu verstehen,
was die Kümstler meinen - gute Bilder oder Skulpturen sprechen im
Idealfall für sich. Eine dieser guten Ideen stammt von dem Polen Pawel Althamer:
er nimmt einen Rundstahl als Skelett umwickelt ihn mit grauen
Plastikstreifen und schafft es damit Personen darzustellen. Da er das
mit vielen Objekten gemacht hat, entstand eine größere Figurengruppe
aller möglichen Personen, die er "Venetiens 2013" genannt hat. Das fand
ich überzeugend, eine Art modernisierte "Bürger von Calais" (Rodin, 19.
Jh.) - Übersicht
- Die "Venetiens - insgesamt gut vierzig Figuren in allen Größen und sozialen Schichten-
Sehr gut war auch der Beitrag des Libanon (Akram Zaatari),
ein Videobeitrag mit Installation („Letter To A Refusing Pilot“).
Dieser Film in der Länge einer guten halben Stunde beschreibt die
Kindheit und Schulzeit des Protagonisten, insbesondere die Schule, in
die der Held geht und mit der er sehr verbunden ist. In der
Auseinandersetzung von 1982 beschließt der nunmehr zum Kampfpilot
ausgebildete Protagonist,
den Auftrag zur Bombardierung einer Schule nicht auszuführen und läßt
die Bomben im Meer detonieren. Sehr gut, sehr berührend und sehr
aktuell. - Übersicht
- Der Beitrag von Chile (Alfredo Jaar) zeigt ein Modell der Biennale-Pavillons in den giardini,
das von den steigenden Flut buchstäblich überspült wird, so daß nur
noch eine glatte Fläche zu sehen ist. Damit wird die Gefahr des
venezianischen Untergangs durch den gestiegenen Meeresspiegel auf
einmal sehr faßbar, auch wenn es pro Jahr eher Bruchteile von
Millimetern sind und nicht - wie hier - zwanzig bis dreißig Meter im
Vergleich. - Übersicht
Der Beitrag der Vereinigten Arabische Emirate
(Mohammed Kazem) beschreibt in einer 360° Projektion den nächtlichen
Aufethalt auf dem Meer. Dies tut er so gut, daß man sogar seekrank
werden könnte, denn die projezierten Wellen und GPS-Daten sind immer in Bewegung und
nach einiger Zeit stellt sich ein Körpergefühl ein, daß man
unwillkürlich versucht, wie auf dem Schiff auszugleichen. Daß das
Ergebnis nur recht aufwendig zu erzeugen ist, ist egal - die Wirkung ist
jedenfalls sehr gut und unterstreicht die Tradition der arabischen
Seefahrer. - Übersicht
- Die indonesischen
Künstler (Albert Yonathan Setyawan, Eko Nugroho, Entang Wiharso, Rahayu
Supanggah, Sri Astari, Titarubi) haben moderne und traditionelle
Kunstformen kombiniert. Traditionelle Stabpuppen sind auf einer Bühne
installiert, vor denen ein Meer von Tongefäßen steht, dahinter sind
Schülerpulte mit aufgeschlagenen Büchern installiert, die sich nicht
aufblättern können und als Kontrast dazu wurde eine lebengroße
Figurengruppe aus Bronze um einen Tisch gruppiert, deren Präsidentin
offenbar gerade jemand zum Tode verurteilt. Alle Figuren tragen die
Kopfbedeckungen, die man von Präsident Suharto kennt. Ich habe es nicht
ganz verstanden. - Übersicht
- Im Hinausgehen nehmen wir noch Südafrika
war, hier zeigen mehrere Künstler lediglich gefühlte fünfhundert
Portraits von irgendwelchen Menschen (Contemporary South African Art
and the Archive), der Italienische Pavillon zeigt umgedrehte
Tische und Podest mit Menschen, die sich mal hinter der italienischen
Flagge verstecken und mal nicht und was das sollte, hat mit mir wohl
auch kaum jemand verstanden. - Übersicht
Ganz furchtbar ist China.
Mehrere Künstler zeichnen für ein schlimmes Video verantwortlich, das
ein bißchen so aussieht, als hätten Kulturrevolutionäre in den frühen Siebziger Jahren ein
Computerspiel programmiert. Zu martialischer Musik werden Bilder des
Eiffelturms, des Big-Ben, des Brandenburger Tors gezeigt, die auf dem
Video zerbrechen. Langnasige Europäer bauen Türme, an denen zu noch
schlimmerer Musik furchtbar schlecht animierte Skelette hochkrabbeln
und sie irgendwie zum Einsturz bringen. Fleißige chinesische Werktätige
mit Schaufeln und Hämmern bauen unermüdlich auf und weil mir von Pathos
immer ganz schlecht wird, habe ich den Schluß des Films nicht
mitbekommen, weil ich dringend rausmußte. Es hätte mich aber nicht
gewundert, wenn die Arbeitenden am Filmende noch die Mao-Bibel
geschwenkt hätten. Auf dem Freigelände ging es weiter: zwei leere
Fässer mit der Auschrift „Sea“ waren dafür gedacht, daß die Besucher
ihre Trinkflaschen mit Meerwasser füllten und daließen. Da an dem Tag
auch Tausende Besucher da waren, hatte sich ein Tisch von etwa zwanzig
Meter Länge mit Flaschen gefüllt. Da habe ich mir gedacht, wenn Italien
- wie bei uns - das Flaschenpfand eingeführt hätte, wäre der
Rückgabewert vermutlich höher als der Wert des Kunstwerkes. Die 1000
Kunststoffziegel mit der Übersetzung von chinesischen Redewendungen ins
Englische waren dagegen noch richtig große Kunst.
- Island
- Danach
haben wir erst einmal genug gesehen, sind durch die Haupthallen und
Außenbezirke durch und brauchen ein bißchen Pause. Auf dem
Arsenalgelände kann man lange und weit laufen, es gibt auch genug
Sitzgelegenheiten und nach einiger Zeit sind wir auf den überdachten
Anlegestegen, wo die Schiffe auch bei schlechtem Wetter fertig gemacht
werden können. Dort liegt ein Schiff, in einer Form, die ich in
Reykjavik schon einmal gesehen habe. Auf einmal kommen sechs
Blechbläser, steigen ein, ein Seemann übernimmt das Steuer und dann
fährt das Schiff mit den spielenden Musikern einige Platzrunden. Diese
Idee und die toll gespielte Musik (ich nehme an, daß es Profis waren)
ist das Beste der Arsenale-Ausstellung gewesen.
Tolle
Musik in schöner Atmosphäre - für Kenner: Sextett mit zwei Trompeten,
zwei Hörnern, Posaune und Tuba. Gespielt wurde hochromantisch.
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- Montag
- San Polo
- Wir
laufen diesmal von Dorsoduro nach Rialto, weil wir noch ein
Mitbringesel auftreiben müssen. Unterwegs kommen wir an der Universität (Universitá Ca' Foscari Venezia) vorbei, eigentlich am Hauptgebäude,
denn Dorsoduro ist auch Studentenviertel und dort sind ganz viele
Abteilungen untergebracht. Am Hauptgebäude krabbelt ein bunter
Kunstwurm über die Mauer und als wir genau hinsehen, entpuppt sich der
Wurm als Vielzahl roter Plastiknetze, in denen jeweils Hunderte von
Plastikdeckeln von diversen Plastikflaschen stecken. Organisiert ist
dieser Wurm als Kunstaktion „The Garvage Patch State“
(Maria Cristina
Finucci) und die Künstlerin protestiert damit gegen Müllinseln im Meer,
die jetzt schon insgesamt 16 Mio qkm bedecken. Cartoons zeigen Urlauber
an Müllstränden
und diese Aktion geht über einfache Betrachtungskunst einfach heraus.
Der Wurm besteht aus Zigtausenden Plastikdecken in Netzen verpackt
- Nebenan kann man ein Baggerboot
bei der Arbeit beobachten - es ist wie mit Umzügen: man braucht für
alles ein Boot - hier eben für einen Hausabriß. An der Kirche “Scuola grande di san Rocco“
werden die roten Teppiche verlegt und die Baldachins aufgebaut, denn in
zwei Tage beginnen die Filmfestspiele. Als wir an der Kirche „Santa Maria Gloriosa del frari“
vorbeikommen, entschließen wir uns kurz hineinzugehen und Claudio
Monteverdi die Reverenz zu erweisen. Sein Grab liegt in der linken
Seitenkapelle und mittlerweile gibt es auch wieder Konzerte mit
seiner Musik. Das war lange Zeit anders. Die Kirche hat übrigens einen
sehr schönen Kreuzgang, aber es ist hier wie mit fast allen der
ursprünglich ca. tausend venezianischen Kirchen - das Geld ist knapp
und der
Verfall deutlich. Wir lassen die Kirche hinter uns und gehen über
den Markt (rialto mercatore),
wo man als Tourist zwar auch einkaufen kann, aber es ist eigentlich der Hauptmarkt
Venedigs. Dahinter liegt der Fischmarkt, aber ab elf Uhr braucht
man im Sommer da nicht mehr hinzukommen, weil der Fisch weggepackt
werden muß. Im Winter geht es bis ca. 15:00 Uhr, aber im Sommer ist
Mittags Schluß.
- An
der Rialtobrücke liegt auch der Campo San Bartolomeo mit dem
Goldoni-Denkmal. Dort gibt es immer noch den Disney-Shop für
hoffnungsvolle Kinder und genervte Eltern, aber es gibt
auch eine gute Trattoria. Vor dem Goldoni-Denkmal muß man rechts abbiegen, dann läuft
man darauf zu (Trattoria „Aquila Negra“, San Polo 5424A).
Die Preise sind immer noch günstig und es ist nicht so voll, weil die
Touristen die Trattoria normalerweise nicht finden. Als das Mitbringsel
organisiert ist, hat sich der Himmel geklärt und wir beschließen nach
San Giorgio zu gehen. Die meisten Touristen fahren ja auf den Campanile di San Marco,
aber der von San Giorgio ist genauso hoch, liegt schöner und kostet nur
die Hälfte (€ 6.- pP). Oben angekommen zeigt sich Venedig von seiner
schönsten Seite:
Der Stadtteil Castelo - im Hintergrund die Glasbläserinsel Murano. - Seitenanfang
Das
Wetter hält sich nach wie vor, obwohl das Handy kommenden Regen
anzeigt, und so beschließen wir auf die Toteninsel San Michéle zu
fahren und die Gräber von Diaghilew und Strawinsky zu besuchen. Man muß
ein bißchen umsteigen bis man die 4.2. in der richtigen Richtung
erwischt und sie fährt am Krankenhaus (ospedale)
vorbei, biegt dann in den Nordkanal ein und man tuckert allmählich in
die Richtung. Auf halber Wegesstrecke kommt man immer an zwei Engeln
vorbei, von denen man sich einen als Tod vorstellen kann, denn er weist
unmißverständlich auf die Insel und scheint zu sagen „memento mori“
(für Nicht-Lateiner: „Denk an Deine Sterblichkeit!“). Außer uns
wollen nicht viele dort aussteigen, die meisten bleiben sitzen, weil sie
weiter nach Murano wollen.
- Diaghilew
und Strawinsky sind Insidern als Protagonisten des „Ballet russes“ in
Erinnerung, die vor hundert Jahren mit dem
Ballett „Les sacres du printemps“ einen wahnsinnigen Theaterskandal
entfachten und
der eine schrieb die Tanzschritte, der andere die Musik. Diaghilew (der
Choreograph) bekommt bis heute Blumen und Ballettschuhe auf sein Grab
gelegt, dieses Mal liegt ein Ballettschuh mit russischer Schrift da:
- Die Übersetzung
lautet: „Von den Schülern und Schülerinnen des Lyzeums namens S. P.
Djagilew der Stadt Jekaterinenburg (Russland) 10.August 2013“ (mit
herzlichem Dank an Gerburg Pientka für die Übersetzung)
- zurück
- Als
um halb sechs ein Sirenenton ertönt, daß der Friedhof gleich
geschlossen wird (Totenruhe ade), laufen wir zum Bootsanleger und
beschließen nach Murano zu fahren. Die Tagestouristen sind sowieso weg
und durch die Gassen zu laufen, ohne sich totzutrampeln, hat auch etwas.
- Seitenanfang
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