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Venedig im Herbst (2015) Text und Fotos: © Martin
Schlu, letzter Stand: 3. April 2018
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- Venedig für Anfänger (2009) - Venedig im Winter 2011 - Venedig im Sommer 2013 -
- Anreise - Erste Einkäufe - Überblick - Stadtteile - Orientierung - Adressensuche - Verkehr - Tagestour -
Murano, San Michéle und mehr - Biennale giardini - Biennale arsenale -
-
- Venedigs Altstadt vom Campanile di San Giorgio aus
Dienstag
- Anreise und Übergabe nach oben
Weil
das letzte Wochenende das Ferienwochenende in NRW war, kosteten
die Tickets an diesem Termin ein Vermögen und so fliegen wir drei Tage
später für ein Drittel des Preises vom Samstag. Ab Köln/Bonn gingen nur
Flüge ab 20:00 Uhr, doch weil wir für die Fewo ja noch einkaufen
müssen, kam Düsseldorf ins Spiel. Zum Flugpreis kommen also nochmal €
40.- für den Zug, außerdem eine Stunde Fahrt. Zwischenzeitlich hatten
wir überlegt, eine Kreuzfahrt zu machen. Mittlerweile bieten nämlich
viele Kreuzfahrtreiseveranstalter Reisen an, die das Mittelmeer und
somit auch Italien im Angebot beinhalten, so daß
wir auch auf diesem Wege Venedig hätten erkunden können. Über
cruise24.de hatten wir tatsächlich schon ein tolles Angebot für eine Mittelmeer Kreuzfahrt rausgesucht,
doch wir haben uns dann doch umentschieden und die klassische
Venedig-Reise vorgezogen. Während einer Kreuzfahrt kann man sich zwar
wunderbar entspannen und sieht viele interessante Orte, doch wir
wollten unabhängig sein und Venedig auf eigene Faust entdecken.
Vielleicht kommen wir ein anderes Mal auf einen Urlaub auf einem
Kreuzfahrtschiff zurück. Diese Mal wollten wir fliegen.
- Der Flug soll
gegen halb drei gehen, so daß genug Zeit ist, zum Flughafen zu kommen.
Der ist zwar mittlerweile besser erreichbar als noch vor drei bis vier
Jahren, aber die Ausschilderung ist immer noch zu schlecht und wir
laufen einmal in die falsche Richtung. Viel zu spät geht das Boarding
los und ein jüngerer Mann läuft demonstrativ durch die Sperre, pöbelt
den Sicherheitsoffizier an und nun dauert alles noch mal länger, denn
der Sicherheitsmensch ruft sofort die Polizei, die macht eine Anzeige,
vernimmt Zeugen und als wir eine halbe Stunde später endlich im
Zubringerbus sitzen und die Wartehalle leer ist, sehe ich noch, daß
außer dem Mann auch noch eine Frau und ein Kind deprimiert im Gate
sitzen, die mit dieser Maschine jedenfalls nicht nach Venedig fliegen.
Da gibt es wohl später einen Ehekrach.
Der Pilot verspricht, daß er die Verspätung wieder rausfliegen wird
(was er auch schafft) und meine andere Sitznachbarin liest ihrem
kleinen Jungen nach einiger Zeit aus „Herr der Diebe“ vor, einem in
Venedig spielenden Kinderkrimi, der für das Kind sicher ein guter
Einstieg in diese Stadt ist, auch wenn man das beschriebene Venedig
erst findet, wenn man sich ein bißchen auskennt. Nach der Landung eine
gute Dreiviertel Stunde später stellt sich heraus, daß der Flughafen
„Marco Polo“ wieder etwas mehr ausgebaut ist, das Gepäck kommt
zeitgleich mit mir am Band an und so können wir direkt zu Busstation
gehen, denn um vier ein Taxi für ca., 40.- zu nehmen ist Quatsch. Der
Bus ist genau so schnell und kostet ein Fünftel. Zwar ist der Preis in
den letzten zwei Jahren auf € 8.- pro Strecke gestiegen, aber es
rechnet sich immer noch. Im Bus komme ich mit einem Schulleiter aus
Viersen ins Gespräch, der auch schon seit Jahren hierhin fährt und wir
geben uns gegenseitig Tips. Am Piezzale Roma angekommen verabschieden
wir uns - er wird die Linie 1 zum Lido nehmen. - Verkehr
Der Campo Santa Margerita ist der zentrale Platz in Dorsoduro.
Durch
Massen von Studenten (das Semester hat gerade angefangen) laufen wir
nach Dorsoduro und sind zehn Minuten später an der Wohnung am Campo
Santa Margerita. Dort spielen kleine Kinder mit Straßenkreide, größere
mit dem Skate- oder Longboard und weil Mimi mit den Schlüsseln erst in
ein paar Minuten da sein wird, haben wir Zeit auf einer Bank zu sitzen
und den Leuten zuzugucken. In den letzten zwei Jahren haben sich hier
zwei Immobilienfritzen angesiedelt, darunter Engl & Völkers, was
ein Beleg dafür ist, daß Dorsoduro in Mode kommt. Die Übergabe klappt
schnell und unproblematisch und als ich nach W-Lan frage, entgegnet
Mimi, wenn ich nächste Jahr besser Italienisch könne, gäbe es auch
W-Lan. Tutto bene!
Aus dem Billa an San Basilio ist ein Conad-Supermarkt geworden, weil
sich Billa aus Italien zurückgezogen hat. Am Sortiment hat sich nicht
viel verändert, außer daß es nur Milchprodukte gibt, in denen Kuhmilch
enthalten ist. Da müssen wir morgen mal zum coop am piezzale, der hat
eine bessere Auswahl, aber für die ersten Einkäufe reicht es. Die
Kassen sind immer noch furchtbar eng und die deutsche Baupolizei hätte
den Laden schon längst geschlossen, aber hier ist alles anders - auch
die Bezeichnungen der Lebensmittel. EU hin oder her - hier ist man
einfach nicht so genau. Allergiker sind gestraft und müssen ihre Erfahrungen machen.
- Einkaufen:
coop Adriattica Santa Croce, Piezzale Roma, gegenüber der Linie 1
Conad City, Lido, P. Elisabetta 1 (Straße zwischen Vaporetti und Strand)
Conad City, Dorsoduro 1491/1492 (an der Zattere gegenüber Molina Stucky, Haltestelle „San Basilio“)
Punto Simply, Dorsoduro 3017 (zwischen Campo S. Margerita und ponte pugni)
Gemüseboot Dorsoduro, am ponte pugni (die beste Auswahl an Obst und Gemüse in Venedig)
Einkaufstraße in Cannaregio (Haltestelle z.B. Guglie) -
Weitere Läden findet
man in der Altstadt San Marcos (teuer!) , San Polos (etwas billiger)
und San Croces (normal), doch es ist mehr zufällig, daß man das findet,
was man sucht. nach oben
Mittwoch
- Überblick bis zum Lido, San Giorgio, San Marco und zurück
Relativ
früh morgens sind wir unterwegs und kriegen mit, wie riesige Möwen
Müllsäcke aufreißen und den Inhalt verspeisen. Vor zehn Jahren gab es
in den Innenstädten nur Tauben, aber die Möwen haben hier die Macht
übernommen und finden ideale Bedingungen - jede Menge Müllsäcke, denn
das Müllboot ist eher eine Sammelstelle für die Beutel, weil man hier
mit Mülltonnen überhaupt nichts anfängt. Wie sollte man sie auch
leeren? Die ersten voll
bepackten Boote beliefern die Läden und Restaurants und es herrscht
reger Verkehr auf dem Canal Grande und den zuführenden Kanälen. Aus
Tradition wollen wir den Tag mit der Linie 1 zum Lido beginnen und
laufen erst einmal wieder zum piezzale, denn dort kriegt man auf jeden
Fall die Mehrtagestickets . Das Sieben-Tage-Ticket liegt dieses Jahr
bei € 60.-, das ist eine moderate Erhöhung gegenüber vor zwei Jahren.
Am piezzale hat sich Großes getan. Die Bushaltestellen liegen nicht
mehr so lebensgefährlich dicht an dicht und abfahrbereit steht eine
funkelnagelneue Straßenbahn nach Mestre und zu weiteren Vororten. Man
hat offensichtlich wegen der Pendlerströme der in Mestre wohnenden und
in Venedig arbeitenden Venezianer in den Nahverkehr investiert und so
entsteht kein Stau, auch wenn es vor Menschen und Fahrzeugen wuselt und
wimmelt.
Weil die Linie 1 gerade abfährt, als die Tickets gedruckt sind, gehen
wir noch zu Post. Dort bekommen wir eine Lehrstück an italienischer
Effizienz, denn auch wenn man nur fünfzehn Briefmarken für einen Euro
kaufen will, muß man ein Nümmerchen ziehen (aufgelistet nach Bank,
Porto, Telefon und Finanzberatung) und als meine Frau dran ist und ihr
Sprüchlein aufsagt: „Fünfzehnmal € 1.- für Postkartenporto“ holt die
Verkäuferin 15 x 90 Cent, tippt den Posten in den Computer ein, holt
danach 15 x 10 Cent, tippt auch diesen Betrag in den Computer ein und
ist ganz verwundert, daß der Endbetrag glatte 15 Euro ist. Wie gut, daß
der Computer nicht ein Update machen mußte, denn dann hätte diese
komplizierte Rechnung sicher noch länger gedauert.
Da wir am piezzale einsteigen, ist der vaporetto ganz leer und wir
gehen sofort ganz nach hinten durch, denn dort kann man am besten
fotografieren, auch wenn wir die meisten Motive alle schon auf der
Festplatte haben. Vom piezzale aus kann man den ganzen canal grande
abfahren und bekommt mit, was sich in den letzten zwei Jahren verändert
hat. Der Umbau der ferrovia ( = eiserner Weg, vulgo: Bahnhof) ist
abgeschlossen, nun gibt es daneben sehr exklusive Geschäfte und
Restaurants und auch mehr Bootsplätze für die Hotelboote, die die Gäste
direkt ab Bahnhof abholen. Daß die Fußgänger in der Mehrzahl halb
gebückt und mit geneigtem Kopf auf ihr Handy starrend unterwegs sind,
wird vermutlich die Unfallziffern in die Höhe treiben, denn die Wege an
den Kanälen sind nie gesichert.
Bild: Die junge Frau treibt am Kanal ein gefährliches Spiel, wenn sie am Kanal auf ihr Handy guckt
Viele Stationen machen mir klar, was ich alles noch nicht gesehen habe,
z. B. Richard Wagners Sterbehaus und das Wohnhaus Benedetto Marcellos
(Nähe „San Marcuola“). Hinter dem Spielkasino beginnt Cannaregio, ein
Stadtteil, der von Touristen nicht so heimgesucht wird wie San Marco
oder San Polo. Das ist was für später.
Die üblichen palazzi (Ca Pesaro, Palazzo Fontana, Palazzo Michiel, Ca d'Oro, Ca Resonizzo, Palazzo Grassi
und wie sie alle heißen....) haben entweder eigene Dauer- oder
Wechselausstellungen oder sie arbeiten mit der Biennale zusammen.
Die großen Kunstwerke der Biennale stehen dieses Jahr aber nicht
entlang der Touristenrouten, sondern sind gut versteckt. Wir werden
die Biennale später besuchen, wenn das Wetter schöner ist. Jetzt ist es etwas
diesig und bewölkt und so sieht es aus, als ob die Inseln auf dem Meer
schwimmen. Ein traghetto (die Fußgängerfähre, die von zwei gondolieri
gesteuert wird) quert den Kanal und sorgt für einen kleinen
Verkehrsstau, denn nun müssen alle langsamer fahren oder Platz machen.
Um die Rialtobrücke ist sowieso immer Chaos, etwa so wie am Kölner
Kreuz morgens um halb acht - nur auf dem Wasser. Manchmal geht auch gar
nichts mehr, wenn sich die Boote ausmanövriert haben. Die Brücke ist
übrigens eingerüstet und wird restauriert und damit klar ist, wer da
Geld zugeschossen hat, ist sie zur Hälfte von einer Diesel-Reklame
verhüllt, wie es vor zwei Jahren beim palazzo ducale und beim ponte
dei sospieri, der Seufzerbrücke, mit einem Geox-Plakat war. Die gondole
sind nach wie vor mit japanischen und chinesischen Paaren besetzt, doch
neu ist, daß alle Selfie-Sticks hochrecken und so sieht es von weitem
aus wie eine Gondel mit Antennen. Dafür fahren etliche Gondolieri
einhändig und checken mit der anderen Hand ihre Mails oder neue
Aufträge - es würde mich nicht wundern, wenn es eine Gondola-App
gäbe. Zwischen der „Accademia“ und „San Zaccharia“ wird der Vaporetto voll
und die ersten Tagestouristen kommen an und machen Gebrauch von ihrem
Selfie-Stick, daß man um Brille, Augen und Ohren fürchten muß. Mir ist
aber nichts passiert, auch wenn es manchmal eng wurde.
Nach einer guten Stunde sind wir am Lido angekommen, steigen aus und
gehe die sechshundert Meter zum Meer. Schön ist es da, ganz
spiegelglatt liegt das Mittelmeer und weil es so diesig ist, sieht man
nicht, wo das Meer aufhört und der Himmel anfängt. Es ist nichts los
und man kann hier perfekt seine Seele baumeln lassen. Nur eine Decke
hätte man einpacken müssen, denn der Sand ist feucht. Ein paar einsame
Schwimmer sind im Wasser, aber die Spaziergänger haben die Mehrheit.
Das ehemalige Grand Hotel steht schon seit Jahren leer, weil sich
bislang noch nicht genug Investoren fanden um daraus Eigentumswohnungen
zu basteln. Wer würde da auch wohnen wollen? Für alles und jedes muß
man die Autofähre nehmen oder mit dem Vaporetto zum Piezzale fahren und
die Zeiten, als man einer Adresse am Lido angeben konnte, sind auch
schon lange vorbei. Vielleicht findet sich ja mal ein russischer oder
arabischer Oligarch, dem das Personal dann alles heranschafft. Die
haben aber meistens ihre eigene Yacht und legen (zum Beispiel) dann an der Biennale
an. Zurück geht es mit der Linie 2. Die fährt nur wenige Stationen an
und so sind wir in einer Viertelstunde in Dursoduro und nach zehn
Minuten wieder zu Hause.
Bild: Der Lido-Strand in der Nachsaison
Am Nachmittag ziehe wir wieder los, diesmal über den Ponte di pugni am
Gemüseboot vorbei, über den Campo di Barnaba durch den sotoportego
(Durchgang), die Accademia-Brücke hoch und weiter über den Campo San
Stefano. Früher war die Accademia voll von Liebesschlössern, dann hat
man offensichtlich die Brücke von den tonnenschweren Gewichten befreit
und nun sieht man meisten wieder Holz. Nur ein paar Unverbesserliche
haben irgendwo eine Öse gefunden, an der sie Schloß befestigen konnten.
Ob die Stadtverwaltung aber die Tonnen von Altmetall geborgen hat, die
im Laufe der letzten Jahre an Schlüsseln unter der Accademia
zusammengekommen sind, wage ich zu bezweifeln. In Köln hängen so viele
tausend Schlösser an der Hohenzollernbrücke, daß man schon nicht mehr
durch die Gitter sehen kann und demnächst der Bahnverkehr eingeschränkt
werden muß, weil die Brücke zu schwer geworden ist....
Am Campo San Maurizio steht eine alte Kirche, die Chiesa San Maurizio,
in der das „Museo della musica“ untergebracht ist, eine
Dauerausstellung, in der man Streichinstrumente des Barock besichtigen
kann. Wer schon mal ein Amati-Cello oder eine Guarneri-Geige sehen
will, kann dies hier tun, aber weil die Instrumente seit etlichen
Jahren unter Glas liegen und nicht mehr gespielt werden, sind sie
natürlich nichts mehr wert, sondern nur noch ein altes Stück Holz.
Streicher wissen so etwas aber. Fotografieren kann man nicht,
weil es zu dunkel ist, zu hören gibt es immer den gleichen
Vivaldi-Titel (Largo des Konzerts für Blockflöte und B.C.) und so ist
man in fünf Minuten durch. Alle paar Jahr tu ich mir das an und meiner
Frau auch.
Weiter geht es über den Campo San Moise, an dem immer Stau der gondole
ist, weil die hier ihre Tour beenden, die Fahrgäste aussteigen müssen
und dies dauert immer länger als gedacht. Heute lagen die Boot in fünf
Reihen zu viert nebeneinander und alle warteten gottergeben darauf, daß
es weiterging. Wenn die gondolieri ihre Gondel leer haben, können sie
Pinkelpause machen und haben etwas Luft, bis sie an San Marco oder woanders wieder
von vorne anfangen.
Bild: Gondolieri am Campo S. Moise, der Endhaltestelle der Gondelfahrt
Auch die „Interpreti Veneziani“ gibt es noch und sie spielen seit Jahren
jeden Abend ihr gemischtes Klassik-Programm in der „Chiesa San Vidal“.
Kurz vor San Marco stehen immer barock befrackte Herren und Damen und
wollen einem die Karten für diese Konzerte verkaufen. Wenn man auf
gemischten Barock steht, gibt es vermutlich kaum eine bessere
Möglichkeit den klassischen Mainstram kennenzulernen, aber für mich ist
das nichts. Die beste Musik in Venedig gibt es meiner Meinung nach
sowieso am Piezzale San Marco. Da ist das Café Florian und einige
andere Cafés. Die haben vom späten Vormittag bis zum Abend absolut
professionelle Musiker, die in allen Stilen zu Hause sind, sehr perfekt
spielen und Kaffee trinken kann man dabei auch.
Weil wir schon mal da sind und die Schlange an San Marco nicht länger
als zwanzig Meter ist (das ist selten), gehen wir hinein und stellen
fest, daß man bei nicht so grellem Tageslicht viele Dinge sieht, die
nicht so schön sind. Fast alle Wände sind seit Jahren nicht mehr
gereinigt, auf den Goldflächen liegt der Staub und die Kirche macht
einen leicht verkommenen Endruck. Ich kenne sie seit über dreißig
Jahren, habe mal eine Examensarbeit über den im 16. Jht. hier
arbeitenden Giovanni Gabrieli geschrieben, aber so heruntergekommen
habe ich die Basilika lange nicht mehr gesehen. Wenn die
Verantwortlichen das rigorose Fotografierverbot in eine Lizenz
umwandeln würden, so daß man zwei bis drei Euro zahlen würde,
hätte man vermutlich das Geld für eine Grundreinigung zusammen. Heute
hätte ich mir diese Lizenz allerdings nicht gekauft. Nach Kirchenmusik
muß man hier übrigens nicht suchen - den rheinischen Standard findet
man hier nirgendwo, obwohl San Marco schon lange nicht mehr die
Privatkapelle des Dogen ist, sondern eine Bischofskirche, doch dazu
später mehr.
Mittlerweile hat sich das Wetter gebessert, das Diesige ist vorbei und
am Horizont entstehen in der klaren Luft Gewitterwolken. Wir gehen an
S. Zaccharia zur Haltestelle der Linie 2, setzen nach San Giorgio über
und wollen auf den Turm, denn der hat sonst immer € 3.- gekostet, war
mehr als die Hälfte billiger als der Campanile neben San Marco und die
Aussicht von dort auf das alte Venedig ist bei schönem Wetter auch
atemberaubend. Als wir in die Kirche eintreten, sehen wir das erste
richtige Biennale-Objekt, ein riesengroßer Kopf aus Edelstahlgitter.
Die Skulptur ist schwierig zu fotografieren, aber nach ein paar
Anläufen klappt es. Übrigens hängt von der Decke eine ähnliche
Skulptur, etwa ein Motiv im Sinne „Arm Gottes“, aber das konnte man nur
anschauen und nicht knipsen. Das gibt meine Kamera einfach nicht her. zu San Giorgio 2017
Bild: Der Kopf in San Giorgio
Oben auf dem Turm sind Licht und Sicht einfach gut. Man kann die bunten
Häuser von Burano erkennen, den Kirchturm von Torcello, das
Arsenale-Gelände ist wie zum Greifen nahe und auf der anderen Seite
kann man bis Mestre sehen und gucken, welche Schiffe im Kreuzfahrthafen
liegen. Nach einer knappen halben Stunde sind Licht und Stimmung futsch
und wir machen uns auf den Heimweg. Auf dem Weg durch den Chorraum
fällt mir ein Notenpult mit einem Chorbuch auf - da alles
handgeschrieben ist, schrieb man um 1600 vier Stimmen auf eine
Doppelseite von etwa einem Quadratmeter Größe. So konnten die kleinen
Jungs die untere Hälfte absingen und die größeren Jungs standen hinter
den kleineren und lasen die oberen Zeilen. Gewußt wie.
Am Ausgang steht noch der heilige San Giorgio und wartet auf seine
Restaurierung, für die auch immer gesammelt wird. Am Heiligenschein ist
das Gold abgegangen und ich höre im Geiste meine dreijährige Enkelin
fragen: „Opa, warum hat der Mann ein Lenkrad auf dem Kopf?“
Bild : Der heilige Georg mit Lenkrad
Auf dem Heimweg nehmen wir am Conad-Supermarkt bei San Basilio noch ein paar Lebensmittel mit. Feierabend, Füße hoch, fertig! - zu San Giorgio 2017 - nach oben
Donnerstag- Murano, San Michele, Cannaregio und San Polo
Gestern Abend hatten wir uns überlegt, daß wir das schöne Licht für den
Friedhof nutzen wollen, die venezianische Toteninsel „San Michele“ oder
einfach „cimitero“ genannt. Also laufen wir zum Piezzale, nehmen die
Linie 4 und sind nach kurzer Zeit in Murano am Faro (Leuchtturm). 95%
aller Touristen steigen hier aus und fluten danach die Läden, die
anderen bleiben sitzen und fahren weiter bis hinter die Station
„Museo“, denn dann muß man nur ca. 500 m an den Nepp-Läden
vorbeigelaufen und das reicht wieder für zwei Jahre. Ich hab eigentlich
nix mit Glas am Hut und hab mich schon früher immer mit meiner Mutter
gezofft, weil die eine Strunzgalerei mit Nippes hatte, der
wahrscheinlich unersetzlich und subjektiv ungeheuer wertvoll und
kostbar war, dennoch immer weder abgestaubt werden mußte, was immer
Kollateralschäden, Tränen und Streit auslöste. Das Ganze rechnet man
sich mit mal ca. 500 Läden hoch und spätestens dann ergeht es einem wie
weiland Sokrates, der vergnügt über den Athener Markt gegangen sein und
gesagt haben soll: „Was gibt es nicht alles für schöne Dinge, die ich
nicht brauche!“. Das ist Murano.
-
Bild: Kunst und Nippes in der Gegenüberstellung. Preislich liegen dreistellige Euro-Beträge zwischen den Welten. - nach oben
Natürlich gibt es hier auch richtig gute Sachen, große und wertvolle
Kunst aus den Glasbläserateliers, aber wenn man nicht eine sehr große
und kindersicherere Wohnung hat, die Enkel noch in weiter Ferne sind und
man nicht auf jeden Hunderter gucken muß, geht man am besten erst gar
nicht rein, denn man geht nur frustriert wieder raus. Wenn man nicht
mindestens € 50.- anlegt, kriegt man sowieso nur chinesische
Billigware, was einige Händler dazu verleitet hat, ein Siegel zu
produzieren, das die Herkunft aus Murano bescheinigt. Fälschen kann man
so ein Siegel aber auch und nur wenige Händler hängen es aus. Auch das
spricht Bände.
Ganz witzig, wenngleich auch nicht politisch korrekt, sind die
gläsernen Figuren der Ärzte und Juden. Die Ärzte (vorwiegend weißes
Glas) halten Kneifzangen, überdimensionale Spritzen, Sägen oder
abgeschnittene Gliedmaßen hoch, die Juden (vorwiegend schwarzes Glas)
kommen mit Schläfenlocken, Vollbärten, einer Thora und einem
Gebetsschal wie die Figuren bei Anatevka. Man kann diese Figuren
sammeln (ab ca. € 90.-) oder gleich für ca. € 300.- als
schachbrettgroße Version kaufen und damit Schach spielen - weiß gegen
schwarz (gesehen im jüdischen Ghetto....). Über die afro-amerikanischen Jazzmusiker lasse ich mich
aber lieber nicht aus, sonst heißt es wieder, der Schlu ist ein
Rassist. Egal, was man hier an Figuren kauft, abstauben muß man es
irgendwann und dann geht es vermutlich kaputt. Wie früher bei der
Strunzgalerie.
Nach wenigen Minuten Wartezeit kommt ein Boot der Linie 4 und setzt uns
die eine Station zum „cimitero“ über. Die venezianische Toteninsel ist
irgendwo ein magischer Ort, ein Jahrhunderte alter Friedhof, der
Geschichten ohne Ende erzählt. Auf den Grabsteinen findet man
Lokalgeschichte wie das Dampferunglück auf dem Lido um 1913, das
etliche Opfer gefordert hat, Soldatengräber aus dem Ersten Weltkrieg,
Grabstätten von deutschen, estnischen und russischen Botschaftern, die
in Venedig Dienst taten und natürlich gibt es hier auch jede Menge
Prominenz in religiöser, militärgeschichtlicher oder kultureller
Hinsicht. Immer wenn ich hier bin, besuche ich die Gräber von
Strawinsky und Sergej Dhiagilew (Stichwort „Le Sacre“, „Ballett russe“)
und irgendjemand hat immer Blumen oder Ballerinas auf Diaghilews Grab
oder kleine Steine und Blumen auf die Gräber von Igor und Vera
Strawinsky gelegt. Die Kindergräber sind immer sehr anrührend (kleine
Stofftiere oder Plastik-Dinos auf den Grabsteinen) und man kann hier
locker einen Tag sein, zur Ruhe kommen und den Blick auf das
Wesentliche schärfen. Nur ums sechs muß man wieder gehen und ab sieben
kommt man nicht mehr weg, weil der Friedhof nach dem Schließen auch
nicht mehr angefahren wird. Das Einzige, was den Frieden stört, sind
kampferprobte, blutrünstige Mücken, die hier ideale Bedingungen
vorfinden und am Ende des Besuchs zähle ich allein auf dem linken Arm
ein Dutzend Stiche.
Auf dem Rückweg bemitleiden wir eine französische Mama mit drei kleinen
Jungen, von denen der kleinste einen Wutanfall hat und sich irgendwann beruhigt.
Dann flippt der mittlere aus, weil er bei einem Spielzeugfahrrad das
Vorderrad im Vaporetto verloren hat und während die Mama sich um zwei
Brüllkinder kümmert und den Wellengang - mit dem Kleinsten auf dem Arm
- versucht auszubalancieren, sucht der älteste Sohn (höchsten sieben
Jahre) vergeblich das Teil, bis alle vier vollkommen fertig an der
Guglie aussteigen. Nein, Venedig ist nichts für Alleinstehende mit
kleinen Kindern - ein Sandstrand im Urlaub ist einfacher.
Am Nachmittag bummeln wir Richtung Cannaregio und Rialtobrücke. Vom
Campo San Barnaba gehen wir links am Gemüseboot vorbei, wieder links ab
Richtung Foscara-Universität und finden dort eine
Biennale-Installation, Kunststoffblümchen, die mit einer Solarzelle und
einem kleinen Motor verbunden, solange hin und her schwanken, wie es
LIcht gibt (Fiori Solari Danzanti). Alexandre Dang hat etliche davon auf grün angestrichene
Europaletten gesetzt und in der Tat entsteht eine Eindruck einer
Blumenwiese. Später finden wir solche Blumen in Souvenirläden. An der
Scuola San Rocco legen wir eine kurze Stippvisite ein und wollen einen
Tintoretto begucken, doch der ist ausgelagert und nicht zu sehen
(Venedig ist voll von Tintoretto, jede Kirche hat mindestens einen,
doch San Rocco hat einen besonders großen). Quasi nebenbei stellen wir
fest, daß neben San Rocco die Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari
liegt, die wir mal wegen Monteverdis Grab gesucht und nur schwer
gefunden haben. Venedig ist schon ganz schön unübersichtlich...
Von der Kirche geht die Calle Tintoretto ab und schon ist man im
Sestier San Croce. Immer wieder gibt es die gelben Hinweisschilder „per
Rialto“, „per Accademia“, „per S. Marco“, „per Piezzale R.ma“, so daß
man sich eigentlich nicht verlaufen kann. Es gibt aber immer wieder
Leute, die es schaffen. An der Ferrovia laufen wir über die Brücke und
kommen nach Cannaregio, ein Viertel, in dem normale Läden und
Touristengeschäfte sich die Waage halten. Hier kriegt man auch Stoffe,
hier sind Schuhgeschäfte, Schneidereien, Supermärkte, Fachgeschäft und
- na, ja, auch Mac Donalds. Nur einen Lidl haben wir nicht in Venedig
gefunden, doch in Mestre sind wir an einem vorbeigefahren.
Zwischendurch ist auf der linken Seite Stromausfall. Alle Händler
springen vor die Tür und bewachen die Läden, weil ja auch die
Sicherheitstüren jetzt nicht funktionieren. Drei Minuten später geht
das Licht wieder an, alle freuen sich und klatschen Beifall.
Stromausfälle sind in Italien halbwegs normal. Wenn man weiß, daß viele
Menschen einfach so an den Stromleitungen basteln und Schutzschalter
hier eher nicht eingesetzt werden, sondern die einfachen
Schmelzsicherungen (manchmal mit Alufolie abgeklebt), erklärt das
vieles. VDE-Elektriker würden hier einen Herzschlag kriegen.
Zwischendurch blitzt das Ca' Pessaro über den Kanal und da wissen wir
wieder, wo wir sind. Allmählich wird es belebter, die Gegend um die
Rialtobrücke wird wieder touristischer und wir kommen wieder nach San
Marco. Am Campo San Bartolomeo steht das Goldoni-Denkmal und da liegt
in einer Seitengasse seit über fünfzig Jahren die „Rosticceria“,
ursprünglich ein Schnellimbiß für die Einheimischen, die dort für wenig
Geld essen konnten: „Fritturo misto con polenta“ (frittierter Fisch und Meeresfrüchte mit einer Art Grießpudding
am Stück) gibt es dort immer noch, allerdings nun für € 13,50.- , doch
man wird satt davon.
- (Rosticceria, S. Bartolomeo s.r.l, S. Marco 5424).
Von San Marco geht es nach San Polo und am Campo San Polo kommen wir
wieder an der Scuola San Rocco heraus. An der Foscara vorbei, rechts
abgebogen zum Campo San Barnaba und im Abendlicht backen die Engelchen
Plätzchen und der Himmel über dem ponte di pugni ist rot. Feierabend!
Sonnenuntergang über dem ponte di pugni, links an der Brücke das Gemüseboot. - nach oben
Freitag - Biennale I - Giardini und die Pavillons der Nationen
Wir sind ja eigentlich wegen der Biennale in Venedig, einer der größten
Kunstausstellungen der Welt, die alle zwei Jahre stattfindet und beim
letzten Mal, 2013, war es so gut, daß wir auf jeden Fall noch
einmal hinwollten. Daher steigen wir am Ca' Rezzonico in die Linie 1
und tuckern bis zu den giardini, den Gärten, wo die Kasse ist und in
denen die Pavillons der Nationen stehen. Für das Zwei-Tages-Ticket
zahlt man € 30.-, braucht den Personalausweis und kann damit jederzeit
rein oder raus. Wenn man im Internet vorbestellt hat, muß man sich
nicht mit dem gemeinen Pöbel in eine elend lange Warteschlange stellen
(wie wir), doch manchmal haben die Kassiererinnen ein Einsehen und
öffnen die priorita prenotati für das gemeine Volk (wie für uns heute).
Die Biennale hat immer ein Thema und dieses Jahr ist es „All The
World's Futures“ - also sollen die Länder Visionen für die Zukunft
entwerfen. Um halb elf sind wir auf dem Gelände und klappern die
Pavillons ab. Als erstes fällt eine Reihe von Denkmälern ins Auge,
denen immer etwas fehlt: mal das Gesicht, mal der Oberkörper, dafür
stehen woanders nur die Stiefel auf dem Podest. „Coronation Park 2015“
heißt diese englisch/indische Produktion und es ist mit Abstand das
Intelligenteste auf der diesjährigen Biennale, denn der Rest ist
grottenschlecht.
Die Schweiz schickt Pamela Rosenkreuz ins Rennen, die ein Faible für
die Farben grün und rot hat. Grüne LEDs strahlen Zuschauer und einen
Baum an und in einer Art Schwimmbecken suppt rotes Wasser, das mit
Neonröhren angestrahlt wird. Venezuela macht auf die Rolle der Frauen
aufmerksam. In verschiedenen Videos stillen drei Mütter mit
Sturmmasken unter dem Beifall der Zuschauer ihre Kinder, in andere
Beiträgen referieren maskierte Frauen über die Zubereitung von
Lebensmitteln, fuchteln mit Küchenbesteck herum und schreien Parolen
(Untertitel: „Das ist Volkskultur“). Rußland stellt eine überdimensionale
Gasmaske aus und spielt Videos ab, die an die AgitProp-Streifen der
Sechziger Jahre erinnern, außerdem haben die Künstler einen Raum
mit rot und grünen Symbolen ausgeschmückt, bei denen mir die Augen weh
tun. Ob der Feuerlöscher in der Ecke auch Kunst war, habe ich mich
nicht getraut zu fragen.
Japan hat etwas Intelligenteres zu bieten. Unter der Überschrift
„The Key In The Hand“ hat Chiharu Shiota Tausende von Schlüsseln auf
rote Nylonfäden gezogen und damit einen Schlüsselhimmel gebaut. Da war
ich schon beeindruckt, auch wenn ich nicht wußte, was es für Schlüssel
sein sollten. Auffällig viele Tresor-Rohlinge waren zu sehen,
vielleicht ist die Lösung ja gut weggeschlossen.
- Deutschland zeigt im deutschen Pavillion etwas Undefinierbares, was
irgendwie mit der Deutschen Bank zu tun haben soll, aber man sieht nur
Zeitungen aus allen möglichen Ländern auf einem völlig vedreckten
Dachgarten, dessen schönstes Element der Ausblick auf San Giorgio ist.
Zwar übernimmt die Sparkassen-Stiftung finanzielle Verantwortung dafür,
doch in der Jugendkultur wäre das Geld vermutlich besser angelegt.
Vielleicht weiß es die entsprechende Webseite
(www.deutscher-pavillon.org2015). Frankreich läßt ausgewachsene Kiefern
draußen und drinnen umherfahren (so ähnlich wie ein selbstfahrender
Saugroboter), doch der künstlerische Sinn bleibt unklar, auch wenn es
ganz nett anzuschauen ist. Ein Kind im Kinderwagen war allerdings hin
und weg, daß der Baum spazierengeht.
Großbritannien/England zeigt künstlerische Pornographie: quietschgelbe Figuren aus
erigiertem Penis mit überdimensionalen Hoden und hölzerne untere Körperhälften,
in deren sämtlichen Öffnungen Zigaretten stecken - was das soll, habe
ich trotz angestrengten Nachdenkens nicht herausgefunden. Norwegen,
Finnland und Schweden (Nordischer Pavillon) zeigen überdimensionale
Fenster mit zersplitterten Scheiben, deren Sinn sich mir auch nicht
erschließt und im Geiste höre ich unseren Hausmeister sagen: „Das Zeug
muß weg. Viel zu große Verletzungsgefahr." Ratlos stehe ich auch vor
den Lautsprechern, die den Besucher mit etwas beschallen, was Musik
sein könnte, aber eher Geräusche sind. Die Schlüsselfrage ist also
wieder: Ist das Kunst oder kann das weg?
- Amerika zeigt vier Elemente (Feuer, Wasser, Erde Luft) mit denen weiß
gekleidete Kinder herumspielen. Das sieht zwar nett aus, wirkt aber
irgendwo aufgesetzt, denn daß Kinder eine bessere Welt schaffen können,
ist eine Binsenweisheit - das Problem der bessere Welt sind immer die
Eltern, die die Kinder anders erziehen. Der Pavillon von Israel
ist mit Autoreifen verkleidet, deren Kabelbinder lang genug überstehen,
daß es irgendwie provisorisch wirkt. Im Inneren sieht es schlimmer aus
als in unserem Keller vor dem Sperrmülltermin: ein altes Fahrrad steht
hinter Gitterzäunen, alte Monitore und Kühlschränke wechseln sich ab,
dazwischen Kunststoffkisten, Bettgestelle und die Alu-Leiter, für die
keine Verwendung ist - wahrscheinlich muß Israel deswegen die Palästinensergebiete
bebauen, die wissen ja sonst nicht, wohin mit ihrem Krempel. Ob diese
Aussage so gewollt ist, lasse ich einfach mal offen, zuzutrauen ist es
dem Land aber allemal.
Brasilien zeigt einen Raum mit gemauerten und glatt verputzten und
lackierten Hohlblockwänden, in die große Löcher geschlagen wurden (da
hört man in der Vergangenheit der Ruf nach Freiheit), Ägypten zeigt
eine Installation mit Kunstrasen und Samsung-Pads und nennt sie „Peace“
- da hilft es auch nichts, daß man eine App herunterladen kann, in der
dann Schmetterklinge und Käferchen auf einem Blümchenrasen animiert
herumkrabbeln. Das Ganze wirkt seltsam unpolitisch, als ob es den
arabischen Frühliung nie gegeben hätte. Serbien hatte eine vernünftige
Idee, denn dort zeigte man die Installation „United Dead Nations“ von
Iwan Grubanow: An der Wand wurden die untergegangenen Staaten der
letzten dreihundert Jahre aufgelistet (z.B. Jugoslawien 1918-2008,
Österreich-Ungarn 1867-1918, die DDR 1948-1990 und noch ein halbes
Dutzend untergegangene Staaten mehr) und davor lagen die nicht mehr
gebrauchten Fahnen sozusagen als Müllhaufen der Geschichte. Das war das
zweite Kunstwerk, das mir gefallen hat.
Österreich war dagegen der negative Höhepunkt: Drei leere Räume, in
denen - laut Erklärung - Architektur gezeigt wurde. Es war aber nichts
zu sehen, außer weißen Wänden. Da haben wir gemacht daß wir wegkommen.
Achtzehn Themen gesehen und nur drei Sachen bleiben hängen: die
unfertigen Denkmäler, Japan und Serbien.
Am Nachmittag wird es nicht besser: Von drei bis fünf ackern wir uns
durch die restlichen Pavillons und stellen Ähnliches wie am Vormittag
fest: Spanien schaut in die Vergangenheit und zeigt Bunuéls
„andalusischen Hund“ ohne zu erwähnen, daß dieser Film schon die 1960er
Jahre geprägt hat, außerdem eine Hommage an Salvador Dali - auch nicht
gerade ein Beitrag für die Zukunft. Außerdem gezeigt wird ein
schwarz-weißer Kiosk mit schwarz-weißen Zeitschriften - nur der Kaugummi
ist grün - und ein zehnjähriger Junge stellt sich an und ruft dauernd
„Prego! Prego!“, bis ich ihm erkläre, daß er hier nichts kaufen kann,
denn das sei Kunst. Zehn Meter weiter steht der Kiosk für die
Erwachsenen, der hat farbige Magazine. Das ist offenbar der Unterschied
zwischen Kindern und Erwachsenen! Ansonsten gibt es Video und
Audio-Installationen, ein neonbeleuchtetes Gerüst mit falschen
Haarteilen aus dem Friseurladen und für nix eine Erklärung. „Wat soll
dä Quatsch?“, ruft der Rheinländer in mir, „wolle mer nit, bruche
mer nit, fott damett !“
- Belgien hat ein Dinosaurierskelett so zusammengebaut, daß es als eine
Art Überlebenshütte für die Zeit nach der Ausstellung dienen kann und
stellt Käfersammlungen bildlich den Luftbildern aus den Slums in
Kinshasa gegenüber. Wenn nicht der Zukunft, stellen sie sich so
wenigstens ihrer kolonialen Vergangenheit, denn der belgische König
Leopold hat ja Kolonien gesammelt, wie die Forscher Käfer und daß
Belgisch-Kongo unabhängig wurde, ist auch erst gut fünfzig Jahre her.
Also zumindest ein Punkt für Ehrlichkeit. Holland/ Die
Niederlande haben es dieses Jahr mit Grünzeug - das wächst wohl auch in
der Zukunft. Die Postmoderne braucht dann sicher irgendwann die
gezeigte Sichelsammlung (absolut analog und immun gegen den
elektromagnetischen Schock), Rosenblätter werden sie auch in Zukunft
verkaufen und statt unter fließendem
Wasser werden wir uns nackig am Fluß waschen, wie der gezeigte alte Mann. Seufzzz! (Hermann de Vries: „To be all ways to be“).
Am schlimmsten ist die Ausstellung in der großen Halle (Blues, Blood
& Bruise): Alles Mögliche ist zusammengetragen und nichts gehört
zusammen. Eine Wand aus alten Koffern steht einfach so im Raum, im
Videoraum nebenan brüllt und kotzt ein Darsteller aus einem gefakten
Hororfilm unablässig Filmblut, am Teich draußen stehen mißglückte
Keramikfiguren, die mein Kunstlehrer noch nicht mal als Versuch hätte
durchgehen lassen, daneben hängen in Streifen geschnittene Zeitungen
über der Wäscheleine. In der Halle liegt ein entwurzelter Baum, dem man
zwei Spiegel in die Äste geklemmt hat, in einem weiteren Nebenraum sieht es aus
wie in der Druckerei bei einer Betriebsstörung, andere Räume sind
gespickt mit irgendwelchen Bildchen in Holzrähmchen ohne Erklärung und
im Auditorrium läuft eine Mischung aus Agit-Prop der Siebziger Jahre,
Maschinenmusik und infantilen Künstlern, die Werktätige vor
Phantasiemaschinen mimen.
- Ich habe die Zukunft gesehen und mir wurde
schlecht.
Die Ungarn zeigen in ihrem Pavillon ein Stück Himmel (echt, ohne Dach)
und im Keller laufen Schaumgummibälle durch Röhren und laden meine
Haare elektrisch auf, als ich drunter stehe. Finnland zeigt Dunkelheit
durch eine Videoinstallation mit extrem lauter Baßklarinette und für
Swatch (ich habe nicht gewußt, daß das ein Land ist) erscheint die
Zukunft als eine Sammlung von schlecht beleuchtetem LED-Feuerwerk. Ein
kleines Kind verläuft sich in die graue Traglufthalle, schreit „Mama!“
und geht rückwärts wieder raus.
- Sehr vernünftig!
Das Beste an der diesjährigen Ausstellung in den giardini ist der Stirling-Pavillon.
Das ist eine Bibliothek, wo man in Ruhe nachlesen kann, was man hätte
gucken können.
Fazit: Es kann nur besser werden! Morgen schauen wir uns den Teil im Arsenale an. - nach oben
Samstag
- Biennale II- Arsenale und die Stände der Nationen
Die Biennale ist immer dreigeteilt: Die Pavillons in den Gärten (giardini), die Ausstellungshallen der ehemaligen Schiffswerften (arsenale) und viele Paläste und andere private Gebäude, die Räume bereitstellen (citta).
Wenn man weiß, daß Venedig im 15./16. Jht. in Spitzenzeiten drei
Galeeren pro Woche fertigstellen konnte und heute noch Schiffe der
Marine und Finanzpolizei ihre Liegeplätze dort haben (incl. der
Nautischen Schule), kann man sich vorstellen, wieviel Platz in den
Hallen des arsenale ist.
Gegen elf sind wir da und folgen dem Strom der Kunstinteressierten.
Durch einen Vorraum in pinkem Licht mit im Boden steckenden Schwerten
(Merke: das Thema ist „All The World's Futures“) gerät man in die erste
Haupthalle. Dort stehen vier ca. sieben Meter hohe Businen (Vorform der
Posaune, die eine gerade Röhre zwischen Mundstück und Schallstück
bildete) und gegenüber ein mindestens genau so hoher Turm aus großen
Trommeln, im Volksmund „Pauke“ genannt (auch wenn dies Wort einfach
falsch ist). Es geht sozusagen mit Pauken und Trompeten los. Leider
wird das Versprechen nicht gehalten.
Es geht weiter mit einer Art Tischfußball, bei dem an Stangen Masken
gedreht werden, im nächsten Raum hängen mit schwarzem Schmier
überzogene Kettensägen von der Decke (Monica Bonvicini), der nächste
Raum zeigt eine Wand voll leerer Bücher, die nach Datum sortier an der
Wand festgeklebt sind. Katharina Grosse zeigt eine bunt bemalte und
bunt angestahlte Baustelle mit bunten Tüchern („Untitled Trumpet 2015“),
die sich fast als Höhepunkt der Biennale entpuppen wird, weil der Rest so schlecht ist.
- Der
nächste Raum kombiniert ein Foto einer venezianische Kaimauer mit einer
Figur aus Caspar David Friedrichs Rügen-Bild, umrahmt von Pappkartons
mit Monatsnamen, die irgendwelche Fehldrucke anthalten und der darauf
folgende Raum enthält Tücher mit irgendwelchen Schmierereien, die man
zur Genüge von Schultischen kennt:
- Es geht
weiter mit Videoinstallationen und - irgendwie ohne Zusammenhang -
grauen Würstchen in der Form zwischen Federmäppchen und Gummipenis,
- in der
Ecke steht eine Werkbank, bei der man nicht weiß ob dort Kunst
produziert ist oder ob sie selbst bereits Kunst ist und am Ende des
Ganges sind zwei Klaviere kuschelig zusammengerückt - eins liegt auf
dem Boden, das andere bespielt es mit irgendwelchen Klavierstücken (wer
nicht weiß, warum das weiße Klavier von alleine spielt: Yamaha
verkauft es unter dem Namen „Disclavier“, es wird mit MIDI-Daten
angesteuert und ersetzt in vielen Hotels den Pianisten, weil man den
nicht mehr bezahlen muß). Ist das Klaviersex?
Im nächsten Raum liegen (echte? falsche?) 5er und 10er Euro-Scheine auf einem Haufen,
umrahmt von eingeschweißten Katalogen, die man aber nicht lesen muß. In
der Ecke steht ein Steinway, ein altes Sonor-Set der 1960er Jahre mit
einem eingepackten Kontrabaß. Es kommt aber kein Jazztrio um die Ecke
und spielt Musik, sondern das ist die Kunst. Ein russischer Beitrag
zeigt Videos der Moskauer Metroeingänge, in denen viel auf russisch
gebrüllt wird, ein deutscher Beitrag zeigt Ausgaben der „Filmkritik“
der 1970er Jahre und stellt langweilige Protokolle von irgendwelchen
Filminitiativen aus dem Berlin dieser Jahre aus, die mich nicht
interessiert haben, obwohl ich jedes Wort lesen konnte. Überhaupt gibt
es viel zuviele Videos. Dreißig Monitore mit unterschiedlichen
Beiträgen in einem Raum sind einfach zuviel. Wer soll das angucken und
warum?
Der Schwachsinn geht weiter: Riesige Holzstempel mit Botschaften, bei
denen es auch Kartoffeldruck getan hätte; ferngesteuerte Beamer, die
abgefilmte Monitore eben nicht wiedergeben, sondern nur ein Testbild;
Architekturmodelle, die einfach so in der Gegend herumstehen; ein
halbes Dutzend sehr ähnliche Bilder von George Baselitz, die sich nur nur durch abstruse Titel unterscheiden - ein Bild von ihm hätte
auch gereicht. Das Thema der Biennale findet sich wieder im Beitrag von
Chris Marker: „Passengers“. Das sind wir alle, das wird unsere Zukunft
sein und deshalb zeigt er auch massenweise Portraits von Leuten in der
U-Bahn und wem das nicht reicht, der kann noch ein paar tausend andere
Menschen per Video sehen.
In der koreanischen Abteilung sah man Kunst zum Anfassen. Eine weiß
gekleidete junge Frau malte live und in Echtzeit ein paar weiße Striche
auf braunes Papier, doch sonst pasierte nichts. Da sind wir gegangen.
Wir haben noch ein bißchen mehr Schwachsinn gesehen, aber der lohnt die
Beschreibung nicht. Eine positive Ausnahme war der Stand von
Mozambique. Dort wurde gezeigt, was das Land für Kultur hat und das war
etwas Handfestes. Ach ja, die Iren haben das Stilleben wieder entdeckt:
weiße Tischplatte, Obst und Gemüse drauf - fertig. Was das soll, wußten
wir auch nicht, aber es sah wenigstens schön aus. Das war der letzte
Eindruck vom Arsenale und da wollten wir nicht noch mal hin.
- Am Nachmittag hatten wir die Faxen dicke und wollten zwischen der Salute und der Zattere ein bißchen bummeln. In der Salute
war es erfreulich leer, wir fanden sogar einen Platz zum Sitzen und
konnten von ferne dem Mädchenchor bei Einsingen zuhören. Beim
Herausgehen stellten wir fest, daß Pfarrfest war, der Chor trat gerade auf und klang ganz
vernünftig (wir hatten gedacht, daß die Probe in einem Nebenraum der
Kirche war). An der Zattere war alles entspannend und alle paar Meter
gab es einen palazzo,
der mit
einer Ausstellung zur Biennale lockte, aber wir wollten eigentlich
nichts mehr sehen. Ein Plakat fiel aber ins Auge, bei dem ein Schwein
einen Menschen
schlachtete und dann sind wir doch hineingegangen.
- Der Raum
war ca. 50 m tief und mindestens dreißig Meter davon nahm eine
Projektionsfläche ein, die von einem Dutzend Beamer so aufgeteilt war, daß
eine ultrabreite Leinwand entstand, auf die ein Film projeziert wurde.
Es war wie bei einem guten Theaterstück: man wußte gar nicht mehr, wohin man gucken
sollte, weil so viel passierte. Letztendlich ging es darum, daß zuviel
Müll produziert wurde („All The World's Futures“), der zu
Ungerechtigkeit führte, weswegen die Armen die Macht übernahmen,
weswegen die Frauen nun die Männer unterdrückten, weswegen die
Haustiere zu Wesen mutierten, die eine Mischung aus drei Tieren sind
(sehr eindrucksvoll der doppelköpfige Seehund mit Flügeln und
Tintenfischschwanz, der als Haustier geknuddelt wurde) und letzlich
wird die Menschheit aussterben, weil sie sich mit unbekannten Viren
infiziert hat, für die es kein Heilmittel gibt. Nur die mutierten
Haustiere überleben.
Dieser Film war mit Abstand der beste Beitrag der ganzen Biennale! - nach oben
- Sonntag
Biennale III, Cannaregio und Vastello
- Dieser Tag soll kunstfrei sein und so gehen wir zunächst zur Accademia,
weil wir uns treiben lassen wollen. Wenn man die Brücke am Ca'
Francetti hinuntergeht und dem Weg folgt, landet man am Campo S.
Stefano, meiner Leib- und Magenkirche, weil dort das Grab von Giovanni Gabrieli
liegt, mit dem ich mich mal sehr beschäftigt habe. Weiter entlang kommt
man zu der deutschen evangelische Kirche, die eine absolute Rarität
ist, weil sie die älteste und kleinste evangelische Gemeinde außerhalb
Deutschlands ist und bereits Luther hat mit der „Ecclesia evangelistico tedeschi“ korrspondiert. Bis heute haben sie nach eigenen Angaben etwa achtzig Mitglieder.
- Von der Kirche geht es nun ins andere Extrem: „Highway to Hell“ heißt die Ausstellung der Biennale in Palazzo Michiel (gegenüber Rialto/Mercatore,
also gegenüber den Markthallen) und da gehen wir jetzt doch hinein. Es
fängt ganz harmlos an mit schönen Blümchenbildern, aber irgendwo ist
immer ein bemalter Totenschädel zu sehen (für Kunstgeschichtler:
„Memento mori!“). Der Höhepunkt ist dann im letzten Raum, in dem
tausende zerfledderte chinesische Barbie-Puppen-Kopien zu sehen sind,
hier ein Berg aus Beinchen, da die Köpfchen, als ob sich ein
Markenschützer an den chinesischen Importen ausgetobt hätte. Gut, alles
ist endlich, aber Barbie offensichtlich nicht?
- Dafür
tröstet uns ein paar Meter weiter der Papst. Früher gab es
batteriebetriebene Winke-Katzen, seit Alexandre Dong gibt es
Winke-Blümchen (solarbetrieben) und in Cannaregio gibt es den solarbetriebenen Winke-Papst.
Winkend steht die Franziskus-Figur im Schaufenster und segnet durch
eine Drehung der rechten Hand die Umstehenden. Ich hätte sie fast
gekauft und einem netten Menschen geschenkt, den ich sehr schätze, aber
da ich weiß, daß der ein gläubiger Katholik ist, hätte er das
vielleicht in den falschen Hals bekommen. Also bleib der Papst in
Venedig. Übrigens ist der Bischof von Venedig als Archediakonus
ranggleich mit dem Patriarchen der Römisch-Orthodoxen Kirche und steht
in der Reihenfolge sogar über den normalen Kardinälen und es wurden
auch immer wieder Venezianer Papst. Aber der jetzige Papst kommt
definitiv nicht aus dieser Stadt.
- Ist man
in Cannaregio, ist man auch ganz schnell im jüdischen Ghetto.
In den
letzten zwei Jahren ist es hier weniger an typischen Geschäften
geworden, Gut, die Synagoge steht immer noch da, das koschere
Restaurant gibt es auch noch, außerdem einige Läden, in denen man
Geschenke für die
Bar-Mizwar einkaufen kann. Aber man muß schon sehr genau
hinschauen, wenn man erkennen will, daß man in dem ältesten jüdischen
Ghetto Europas ist. Man sieht es auf jeden Fall vor der Gedenkwand,
denn dort steht ein Wachpavillon, in dem immer zwei Polizisten Dienst
tun. Auch möglich, daß einfach zuviele Besucher herumwuseln. Ein
bißchen Selbstironie habe ich aber gefunden: ein Schachspiel der
Chassidim (weiß) gegen die Orhodoxen (schwarz), das in einem Laden
verkauft wurde, der eher ein Buchladen ist. Nur eine Dame gab's nicht.
(Wie spielt man Schach ohne Dame?) - Ghetto 2018
- Weil das Pflastertreten müde macht, steigen wir an der Guglie in die Linie 4.2 und fahren eine Murano-Runde
(sehr praktisch, denn das Boot fährt im Kreis und man kommt später wieder da
vorbei, wo man eingestiegen ist). An der Dogana
wird wieder ein
Superkreuzer auf die Lagune geschleppt und weil Bilderbuchwetter ist,
stehen oben an Deck ein paar Tausend Menschen und gucken auf San Marco.
Der Vaporetto fährt schneller als dieser Kreuzfahrer und so bleiben wir trotz Zwischenstops
eine Zeitlang hinter dem Schiff. Als der Vaporetto um die Ecke zum
Fondamento Nóve abbiegt, ist der Ozeanriese von den Schleppen in
tiefere Gewässer gezogen worden. Nun gibt der Kapitän den Vollgasbefehl
und jetzt sieht man kilometerweit die Qualmwolke aus dem Schornstein.
Man kann schon verstehen, daß die Venezianer gegen die großen Schiffe
Sturm laufen und vorgestern hat es hier auch eine Demo gegen die
Großschiffe gegeben (camminata rosa venezia). In vielen Geschäften hängen Plakate gegen die großen Schiffe (grandi navi),
aber solange die Hafengebühren Millionen in die Stadtkasse spülen,
nimmt man wohl lieber Gebäudeschäden durch Wellenschlag in Kauf. In
zwei Jahren sollen die Genehmigungen für die Riesenschiffe erst
auslaufen.
-
- Was auch
immer passiert, wir fahren in die Dämmerung, schauen, wie die Stadt
sich rotgolden färbt und als wir hinter dem Arsenale herfahren, zeigt
der Himmel ein wahres Feuerwerk. San Marcos Skyline im Dunkel ist der
Schluß dieses Tages.
-
- Letzte Abendstimmung am Arsenale (Bacini) vom Boot aus.
Unten: die Skyline von San Marco.
- Montag
- keine Biennale, Torcello, Burano und San Marco
- In
Torcello waren wir das letzte Mal vor sechs Jahren. Damals war der
Kirchturm eingerüstet, wurde restauriert und die gesamte Kirche war
nicht zugänglich,
weil in Inneren auch noch gesichert und gegraben wurde. Das ist
mittlerweile vorbei, doch weil Torcello die Keimzelle des
venezianischen Aufstiegs ist, lohnt ein Besuch auf jeden Fall. Von der
Urkirche aus dem 7. Jahrhundert ist nichts mehr (oder noch nicht?) zu
sehen, die frühesten Gebäudeteile sind aus dem 11. Jahrhundert, aber
das ist schon mal älter als der Kölner Dom oder das Bonner Münster. Am
schnellsten kommt man mit der Linie 12 hin, die man entweder ab
Fondamento Nóve oder ab Murano vormittags im Halbstundentakt nehmen
kann. Die Fahrtzeit kann man mit knapp neunzig Minuten veranschlagen
und man sollte früh (ab spätestens zehn Uhr) starten, denn ab
eins wird die Insel voll. Bei Burano bleibt man sitzen und die nächste
Station ist Torcello. Man steigt aus, geht einen neuen gepflasterten
Weg und kommt nach zehn Minuten an das Gelände der Urkiche.
- Man
kann erahnen, daß Torcello früher das kirchliche Zentrum war, bis die
Stadt Venedig sich konstituiert hatte. Die Kirche „Santa Maria Assunta“ hat
viel von San Marco: fast gleiche Mosaiken im Chorraum, ebenfalls
goldene Mosaiken über dem Altarraum aber das Kommerzielle, das
Prunkhafte, das zur Schau stellen, das fehlt. Aufgrund des strengen
Fotografierverbotes gibt es keine Bilder des Innenraums, doch wer nach
Torcello kommt, sollte die € 5. Eintritt in die Kirche ausgeben - es
lohnt sich.
- Das Ensemble von
Kirchturm, Basilika und Nebengebäude sieht man auch von Venedig aus
(allerdings nur vom Campanile San Marco oder San Girogio.
-
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Hier der eingerüstete Turm von 2009
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Hier der restaurierte Turm von 2015 |
- Wenn man schon mal da ist, kann man auch in Burano
aussteigen und eine Runde drehen, bis man wieder wegkommt. So schön
Burano ist, sollte man sich ganz einfach fragen, wie die Kinder in die
Schule kommen, womit man das Geld verdient, wie man Handwerker und
Einkäufe organisiert und ob man wirklich sein restliches Leben vom
Tourismus leben will. Wenn man nur eine einzige Frage nicht beantworten
kann, sollte man froh sein, daß jede Stunde ein Schiff nach Venedig
geht und sich klar mache, daß Burano so aussieht, weil die Touristen es
so erwarten. Wer streicht schon sein Haus freiwillig grün an?
- Weil die Linie 12 auf der Rückfahrt in Murano
hält., steigen wir aus um in einen schnelleren Vaporetto zu kommen,
denn dann wären wir eine Stunde früher zu Hause als sonst. Auf dem Weg
kommen wir an einer Werkstatt vorbei, die wirklich selber produziert
und am Hafen steht ein Lastenboot, das die Waren aus dieser Werkstatt
zur Post bringt. Wirklich, nicht alles was in Murano verkauft wird,
kommt aus China.
- Irgendwie tröstlich!
-
- Am Nachmittag ist der
Himmel wolkenlos, wir bummeln wieder durch San Marco (ohne beklaut zu
werden) und weil die Schlange der Campanile relativ kurz ist, werden
noch einmal acht Euro pro Person investiert und wir haben einen
phänomenalen Blick auf die Altstadt. Ein würdiger Abschluß einer
Venedig-Woche!
- Dienstag
- Der
letzte Tag lohnt keinen Bericht. In der Nacht hat strömender Regen
eingesetzt, der den ganzen Tag über nicht aufhörte und nachdem wir
gottergeben zwei Stunden in beschlagenen Vaporetti verbracht haben,
zieht es uns am Mittag zum Flughafen Marco Polo. Alleine auf dem Weg
vom Ausstieg der Linie 6 zur Kofferaufbewahrung und danach zur
Bushaltestelle sind unsere Jacken durchweicht, die Hosen klatschnaß und
es wird kalt. Auf der Busfahrt zum Flughafen ändert sich der
Aggregatzustand zwar von naß zu feucht und man kann sich in der Halle
zwar aufwärmen, aber mehr auch nicht. Trotz des Ausbaus hat dieser
Flughafen immer noch viel zuwenig Sitze, die Warteschlangen stören die
herumlaufenden Passagiere, der Service ist lausig, weil quälend langsam.
- Aber weil es ist
warm ist, sind bis zum Boarding die Klamotten auch
wieder trocken. Daß es in Deutschland zehn Grad kälter ist, sei nur am Rande erwähnt.
- Wir kommen wieder!
- ______________________
Stadtteile
- Im Süden liegt die langgezogene Insel Isola dell Giudecca und auf der anderen Seite dieses canal de giudeccha
liegt der zweitsüdlichste Stadtteil Dorsoduro. Im Norden liegen
Cannaregio , im Nordwesten San Croce, San Polo im nördlichen Zentrum, San Marco im südlichen Zentrum, Castello und Arsenale liegen im Osten. Außerdem gibt es noch den Lido, der die
Lagune vom Meer trennt.
- Adressen setzen sich zusammen aus der Angabe
des Stadtteils und einer höchstens fünfstelligen Hausnummer. Unsere
Ferienwohnung lag in Dorsoduro 2925 aber es ist durchaus nicht so, daß
ein Kanal bei der Nummer 1 beginnt und logisch dreißig Nummern weiter
endet. Da der Teufel auch hier im Detail steckt, funktionieren die
Hausnummern nicht, wenn man nicht weiß, wo man suchen soll. - nach oben
Orientierung
Venedig ist theoretisch ganz einfach, in Wirklichkeit aber etwas
kompliziert. Man muß auf jeden Fall wissen, ob man auf die eine oder
die andere Seite des canal grande
muß. Entlang dieses Kanals gibt es alle zwei bis fünfhundert Meter eine
Haltestelle der Linie 1 (leider manchmal auf der verkehrten Seite). Zum
Seitenwechsel gibt es daher vier Brücken: an der piezzale roma steht die vierte und modernste von allen (sie wurde erst vor ein paar Jahren gebaut), an der ferrovia ist die zweite Brücke aus dem 17. Jht., die Rialto-Brücke ist die älteste von allen und die letzte, kurz vor San Marco, ist die accademia. Wem das nicht reicht, der muß einen „traghetto“ nehmen, eine Personenfähre, die es alle paar Stationen gibt (z.B, zwischen Ca' Rezzonico und San Samule, Preise um die fünf Euro - je nach Jahreszeit. - nach oben
Adressensuche
Besser ist folgende Systematik: Venedig hat als oberste Orientierung
den canal grande. Die Seitenkanäle haben meisten den Namen „Rio“, dann
ist es eine direkte Verbindung, oder die Bezeichnung „Calle“, dann
fließt dieser Unterkanal in irgendeinen „Rio“. Entlang dieser Kanäle
gibt es fortlaufende Bezeichnungen der Häuser. Venedig hat außerdem ein
paar hundert Kirchen, die irgend einem Heiligen gewidmet sind (z. B.
dem San Giorgio mit dem Lenkrad...). Eine Kirche wie San Paolo Apostolo
< daraus wurde „San Polo“ >, liegt an einem Platz, der „Campo San
Polo“ heißt, von dem aus die Zuflüsse zum canal grande, entsprechend
„Rio San Polo“, „Parrocchia San Polo“ oder „Calle San Polo“ heißen. Die Brücke über einen „Rio“ oder „Parrocchia“ oder eine „Calle“ heißt in der Nähe der Kirche
logischerweise „Ponte Rio/Parrocchia/Calle San Polo“. Leider kann man sich damit nur
ungefähr orientieren, denn es gibt wieder mehr Brücken als Kirchen,
wenn auch nicht so viele Brücken wie in Hamburg. Man muß also gucken, wo die Kirchen sind und hat eine ungefähre
Vorstellung, wo man suchen muß und wenn man einen kleineren Kanal findet, kann man sich ungefähr ausrechnen, wo der hinführt.
- Kompliziert ist es bei Adressen ohne
Heiligen, zum Beispiel führt der „Rio di Toletta“ von Dorsoduro zur
Accademia, aber da muß man erst mal drauf kommen. Es gibt auch Adresse wie „Fondamente...“
, die nur anzeiugen, daß es hier mal eine Stadterweiterung gab. Im
Zweifelsfalle läuft man solange, bis man ein kleines gelbes Pfeilschild
findet, auf dem steht „per S. Marco“ oder „per Accademia“ oder „per Piezzale R.ma“ oder so. Darauf kann man sich immer verlassen und am Ende gibt es eine Haltestelle der Linie 1.
- Merke: Am Anfang nie
ohne Stadtplan und schon gar nicht ohne Mehrtagesticket des Vaporettos,
denn da kann man, wenn man sich verlaufen hat, bei jeder Station
einsteigen und kommt im Zweifelsfalle wieder beim Piezzale R.ma raus.
Von da sollte man wissen, wie man nach Hause kommt. - nach oben
Verkehrsmittel
- Die Einzelfahrt mit dem Wasserbus (vaporetto) des venezianischen Verkehrsverbudnes ACTV kostet zur Zeit (Oktober 2015) €
8.-., was nur Tagestouristen machen, die sich nicht auskennen. Ich habe gesehen, wie Leute an der ferrovia angekommen sind und, anstatt die ca. 150 m zum piezzale zu laufen, sie geduldig Schlange angestanden haben um mit der Linie 1 eine Station zur piezzale
zu fahren. Also vorher informieren, wo man ankommt und wohin man muß.
Wer es schafft, nach hinten zu kommen, kann am besten fotografieren,
aber eine für eine romantische Unterhaltung ist es dort zu laut, weil
man direkt über Motor und Getriebe sitzt. Meine Meß-App behauptete, es
wären ca. 90dB, also ziemlich laut.
- Das
Gescheiteste ist mindestens das Tagesticket oder ein Mehrtagesticket.
Wir haben diesen Herbst für das Wochenticket € 60.- bezahlt, das hat man nach
zwei Fahrten pro Tag längst wieder heraus und die Rückfahrt zum
Flughafen ist auch noch drin. Das Ticket hält man bei
Fahrtantritt an die Lesegeräte, dann piept es und man ist
freigeschaltet. Diese Tickets gibt es an den offuíziellen Verkaussstellen des ACTV (Piezzale R.ma, Accadmia, Ferrovia) and an vieklen tabacchi-/Tabak-Läden, die eine Verkaufslizenz haben)
- Man beginnt mit dem venezianischen Liniensystem am besten am piezzale roma mit der Linie 1, die etwa alle zehn Minuten Richtung Lido
fährt und fast überall hält. Die Busse am Lido kann man auch benutzen. Wenn
man sich auskennt, kann man die Linie
2 nehmen, die nicht überall hält, aber dafür schneller von A nach B
kommt. Außerhalb Venedigs bieten sich die Linien 3, 4 und 5 an
(Kreislinie Venedig-Murano), von der die 4.1 oder 5.1. in die eine, die
4.2 oder 5.2 in die andere Richtung
fährt. Will man zur Toteninsel San Michele,
muß man die Linie 3 nehmen, weil nur die da hält.
Wenn man weiter weg will, z.B. nach Burano oder Torcello, steigt man an F.mente Nóve oder Murano
in die Linie 12. Das Boot ist größer, fährt schneller und hat sogar ein
Klo! Faustregel: je kleiner die Linienzahl, desto langsamer.
- Von
Venedig aufs Festland fahren alle Busse, die neue Straßenbahn und auch
die Züge. Wer also mal einen Tag Mailand/Milano oder Florenz/Firenze machen will, kann das
ab der ferrovia anfangen.
- Nicht im
Tarif der ACTV sind die Boote der „alilaguna“. Die fahren
schnellere Strecken und sind im Gegensatz zu den Wassertaxis noch bezahlbar. Wir
haben sie mal benutzen müssen, als bei der ACTV gestreikt
wurde und kein anderes Boot fuhr. Damals haben wir für die Fahrt
zum Flughaven p.P. 45.- bezahlt. Taxis sind am teuersten und am
schnellsten und nur was für Notfälle. - nach oben - Download: Artikel als pdf-Datei (24 S. / 4 MB)
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