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Verschiedenes - Editorial


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Editorial - Briefe an die Leser
Gesammelter Senf zu aktuellen Themen
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Der wilde Westen und der wilde Sheriff
 
21. September 2001
 
Liebe Leser,
 
Die letzte Woche wußte ich nicht, was schrecklicher war: die Bilder aus New York, die Bilder aus Ost-Jerusalem oder die Statements von Dschordsch Dabbelju Bush. Wir haben selten soviel falsches Pathos gehört, soviel Ungeist und soviel Wild-West-Mentalität und man könnte über diesen Präsidenten herzlich lachen, wäre die Situation nicht so entsetzlich ernst. Noch ist überhaupt nicht klar, wie die ganze Geschichte ausgehen wird, aber das, was gesagt wurde, reicht schon aus sich klarzumachen, daß die Welt bereits verändert ist und es keine sicheren Länder mehr gibt (von Skandinavien oder Neuseeland mal abgesehen), bei allen kommenden Katastrophen ist erst einmal unklar, ob es ein Anschlag oder Unfall war, (z.B. Toulouse heute) und Sicherheit in irgendeiner Form wird es nicht mehr geben, weil durchgeknallte Kriminelle offenbar mit einem Teppichmesser mehr anrichten können, als man sich bisher vorstellen konnte.
 
Hoffentlich ist der amerikanische Präsident zu bremsen, sei es durch Colin Powell oder andere gemäßigte Politiker. Hoffentlich begreift Bush, daß der internationale Terrorismus eine selbstgezüchtete Pflanze ist, entstanden aus dem amerikanischen Überlegenheitsgefühl, den Spätfolgen des Kolonialismus, der gezielten Ignoranz gescheher Versäumnisse des vorletzten und letzten Jahrhunderts. Es geht auch um die Freiheit - aber nicht nur. Es geht unter anderem auch darum, daß Amerika eben nicht das Maß aller Dinge ist, daß, "was gut ist für Amerika".. eben nicht "gut " ist "für die ganze Welt". Die Sprache der Nachrichtenagenturen war erschreckend entlarvend: "palästinensisch aussehende Verdächtige" (Tagesthemen, ARD am 13.9.), "entlud sich die Wut... an islamischen Ladenbesitzern" (heute-jornal, ZDF einen Tag später). Da bekam ich Angst. Meine Mutter lernte in der Schule, wie Juden aussehen und wir sprechen von "palästinensisch aussehenden Verdächtigen". Sind wir alle Rassisten? Haben wir seit Hitler nichts gelernt? Sind wir blind für die Warnzeichen, die überall stehen?
 
Sollten die Terrorkommandos wirklich aus dem Umfeld bin Ladens kommen, darf man nicht vergessen, daß die USA sie zu Zeiten des Afghanistan-Krieges (gegen die damalige UdSSR) unterstützt haben und damit die Schlange genährt haben, die sie heute zertreten wollen. Genauso gut wäre der irakische Geheimdienst dazu fähig gewesen, vielleicht auch der iranische, ebenfalls nicht auszuschließen ist, daß irgendwelche Leute gezielt das WTC in die Luft gejagt haben um eine Weltwirtschaftskrise auszulösen.
 
Die meiner Meinung nach größte Gefahr geht momentan vom Präsidenten aus. Wenn Bush nicht von besonnenen Leuten gestoppt wird, kann er uns alle in einen weltweiten Guerillakrieg hineinziehen. Die Taliban haben nichts zu verlieren (Kabul ist, wie wir gesehen haben, ja immer noch zerstört), radikale Fundamentalisten jeglicher Coleur haben gelernt, daß die Geheim- und Sicherheitsdienste ihr Geld nicht wert sind und Symbole, die als Anschlagsziele taugen, gibt es genug. Biowaffen? Atomunfälle? Desinformation? Es wird alles möglich sein. Wir werden entweder unsere Freiheiten extrem beschnitten bekommen oder/und mit dem Risiko eines allzeit möglichen Anschlags leben müssen.
 
Stattdessen gibt sich der Präsident als Sheriff á la "High Noon ("Dead or alive"), statt einer sachlichen Analyse kriegen wir Bilder von amerikanischen Flaggen, Hymnen singenden Menschen, Fahnengelöbnissen und einem Aktionismus wie zu Zeiten von "Top Gun". Mr. Bush, stop it! Dieser Krieg ist so nicht zu gewinnen, nur zu verlieren. Beenden Sie die Ursachen: Benachteiligung der Schwarzen, die Waffenlieferungen an Israel, reparieren Sie die Spätfolgen der Kolonien und unterlassen Sie die Unterstützung von unsicheren, aber "strategisch wichtigen" Staaten, bloß, weil die den gleichen politischen Gegner haben.
 
Lernen Sie denken! (Think !!! )
 
Martin Schlu