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Editorial
Kant und die Taliban oder ein Nachruf auf
Astrid Lindgren
28.2.2002
Liebe Leser,
Astrid Lindgren ist tot. Sie ist, bildlich
gesprochen, die geistige Oma meiner Kinder, war in
vielen Dinge eine moralische Instanz und daß
sie nie für den Friedensnobelpreis nominiert
wurde, gibt leider aufschlußreiche Hinweise
auf die Vergabekriterien der Nobel-Komission. Wenn
der größte Teil der Kinder, die mit der
Welt von Vimmerby bis Småland oder der
Lebenseinstellung zwischen Kattult und
Saltkråkan in Berührung gekommen sind,
auch nur ein Fünkchen dieser Inhalte
beherzigten, wäre es wahrscheinlich
unmöglich, daß sich Leute wie Ariel
Scharon oder George Bush politisch halten
könnten. Immerhin ist kein Geringerer als Olof
Palme vor langer Zeit (1972) zurückgetreten,
weil Astrid Lindgren sich kritisch über die
schwedische Steuergesetzgebung geäußert
hatte. Ach wäre Olof Palme doch auf dem
amerikanischen Präsidentenstuhl, hätte
Frau Lindgren als Außenminister und das ganze
Busharonschröder-Gesocks scherte sich dahin,
wo es hingehörte: Zum Donnerdrummel.
Seit Weihnachten 2001 entblödet sich Ariel
Scharon nicht, Jassir Arafat eins ums andere Mal
vorzuführen und zu demütigen. Ich war des
öfteren versucht, aus Symapthie wieder meinen
Palästinenser-Feudel aus den 70er Jahren
hervorzukramen um Arafat zumindest symbolisch zu
unterstützen; sei es das Einreiseverbot
für Arafat an Heiligabend, sei es die
Sprengung des Flughafens, sei es die Sprengung des
Rundfunks. Es reicht nicht nur, es ist absolut
unerträglich Faschismus unter der Maske der
Versöhnung in Israel zu wissen und nichts
sagen zu dürfen. Zum Glück hat sich die
EU gestern deutlicher geäußert. Ob sie
Scharon stoppen kann, dürfte allerdings
bezweifelt werden und ob Scharon schon einmal etwas
vom Kategorischen Imperativ gehört hat, wage
ich auch zu bezweifeln. Graugnome sind keine
Erfindung von Astrid Lindgren, sondern
Realität.
Wir müssen uns klar machen, daß vor
einigen Monaten die USA in den Krieg zogen um einen
"Kriminellen" (O-Ton Bush) zu fangen. Sie haben den
Krieg gewonnen, eine Regierung eingesetzt, den
Täter aber nicht gefangen. Auf einmal ist der
Krieg kein Krieg mehr, die Kriegsgefangenen sind
keine Kriegsgefangenen (Prisoner Of War) mehr,
sondern Kriminelle - und für die gilt die
Genfer Konvention nicht. Auf einmal wird in der USA
von General-Bundesanwälten über die
Legalisierung der Folter nachgedacht,
Menschenrechte gelten nicht (die Taliban sind ja
"Kriminelle") und Freiheit ist das, was George Bush
und Ariel Scharon dafür halten. Es ist einfach
unglaublich. Ältere Leute können sich
noch daran erinnern, daß die GIs ihnen
früher als Kinder Schokolade zugesteckt haben.
Man stelle sich nur vor, man könnte ein
Care-Paket nach Kuba schicken, wo die Taliban
zusammengepfercht sind. Man würde
wahrscheinlich sofort verhaftet.
Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden
schrieb Immanuel Kant vor langer Zeit. Davon ist
bei Bush und Scharon nicht der leiseste Hauch zu
spüren. Im Dritten Jahrtausend geht der
multinationale Faschismus definitiv von den USA und
Israel aus und Astrid Lindgren kann ihre Stimme
nicht mehr erheben. Sie wäre heute
nötiger denn je.
Trotzdonnerwetter ja!
Martin Schlu
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