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Venedig 2024
von Martin Schlu (Text und Fotos) und Susanne Coburger-Schlu
(Fotos), Stand: 26. Oktober 2024
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- Übersicht Venedig - Basisartikel - Orientierung - Stadtteile
Biennale im Arsenale 2024 Biennale 2024 - San Giorgio - Giardini
Biennale 2022 - 2019 - 2017 - 2015 - 2013
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- 5. Tag
- Neuseeland - Libanon - Brasilien - Flüchtlingsrouten - Mexiko - Café - Noch mal Libanon - Philippinen - Hafenbecken des Arsenale - Italien
Der zweite
Schwerpunkt der Biennale liegt in den ehemaligen Schiffswerften im
Stadtteil Castello. Praktischerweise halten die Boote an der Station
„Arsenale“ und von da sind es noch fünf bis zehn Minuten zu Fuß. Die
Hallen sind kilometerlang,mindestens zehn Meter hoch und so ist genug
Platz für die ganz große Kunst. Angesichts der Bilder- und
Skulpturenflut ist sie aber schwierig zu entdecken.
- Die erste Halle von vielen in den Arsenale
Das Problem der
Hallen ist, daß man soviel sieht, daß auch schon mal wichtige Dinge
übersehen werden. Zwei Tage nach dem Besuch merkten wir, daß ein
Bild von Frieda Kahlo für Mexiko ausgestellt war, aber wir haben es
nicht wahrgenommen.... Kurz gesagt: Was bleibt hängen?
- Neuseeland
- Bei der späteren Sichtung Hunderter Fotos von Exponaten bleibt der Reifenwagen von Brett Graham
(Auckland / Neuseeland) wichtig: Ein schwarzer Wagen mit Kutschenrädern
erscheint schwer beladen mit aufgeschlitzten Autoreifen, doch beim
Näherkommen (und Anfassen) stellt sich heraus, daß dies alles schwarzes
Holz ist. Die Deichsel endet in zwei greifenden Händen, die sich
festhalten wollen und die Assoziation „zieh mich... schlepp mich ab“ stellt sich eIn. Sicherlich große Kunst für einen großen Raum.
Hab mein Wagen vollgeladen, voll mit alten Reifen...
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Libanon
Das nächste Objekt der Erinnerung ist das in römischen Stil geschaffene Mosaik von Omar Mismar,
wenn auch das dargestellte Sujet den einen oder anderen Römer nicht
kaltgelassen hätte. Ich habe aus meinem Lateinunterricht immer noch
Ovids „Liebeskunst“ (ars amandi)
im Ohr und meinen Lateinlehrer im Kopf, der uns von der römischen
„Knabenliebe“ erzählte. Ein paar Jahre später forderte ein Berliner
Grünenverband, die kindliche Sexualität zu fördern und Günter Amendt schrieb bereoits 1970 in seiner in Hunderttausenden Exemplaren verkaufter „Sexfront“,
Kinder müssten früh an Sexualität herangeführt werden (da war ich
zwölf). Heute ist das natürlich ein Aufreger erster Güte, der soweit
geht, daß es erste Amtsgerichte gibt, die die „Sexfront“ als
Kinderpornografie brandmarken und wer sein Buch nicht weggeschmissen
hat, macht sich nun strafbar, weil er Kinderpornos besitzt. Was für ein
Glück, daß die Römer Homosexualität nicht in Bausch und Bogen
verdammten wenn sie „viril“
(= männlich) war. Lesben konnten allerdings vom Ehemann umgebracht
werden und als die Kirche im 3. Jahrhundert mächtig wurde, schien die
Todesstrafe die beste Möglichkeit, mit schwulen oder lesbischen
Menschen fertigzuwerden.
- Weil Omar Mismar im
Libanon lebt und arbeitet, darf man dieses Mosaik als mutige Kunst
bewerten - seit 2017 ist Homosexualität im Libanon zwar nicht mehr
strafbar aber Schwule bekommen im ganzen arabischen Raum Probleme
und ich weiß noch gut um die Ängste meiner schwulen - damals
etwa sechzehnjährigen - Schüler, die befürchteten, von ihrer Familie
ausgestoßen zu werden.
- Übrigens wurde in Deutschland die Strafbarkeit der Homosexualität schon (!) 1994 abgeschafft.
Homosexualität im römischen Stil
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Brasilien
Paula Dalton kehrt für Brasilien
die Herrschaftsverhältnisse um: Sie zeigt Schwarze in der
Südstaaten-Garderobe des 19. Jahrhunderts. Nun ist dies ein doppelter
Kunstgriff, denn in den USA hat sich seit den Sezessinskriegen bei den
Republikanern immer noch nicht viel verändert (Donald Trump: „Die
Einwanderer essen unsere Haustiere auf) und Brasilien hat in der
letzten Regierung unter Bolsonaro nicht nur die Regenwälder zerstört,
sondern auch die Heimat der Urbevölkerung (und das sind nun mal
dunkelhäutige Indios). Ob die neuen Regierungen in beiden Ländern dies
wieder gutmachen können, muß sich erst noch zeigen. Die anderen Objekte Brasiliens fand ich nicht so doll, aber Paula Daltons Bilder waren gut:
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Paula Dalton: Full-Body Portrait
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Paula Dalton: Full-Body Portrait
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- Flüchtlingsrouten / Foreigners Everywhere!
Hier zeigte sich das diesjährige Thema pur und war keinem Land mehr
zuzuordnen, bestenfalls den Kontinenten Afrika und Asien. In einem
großen Raum waren etliche Monitore aufgebaut und auf jedem war eine
Landkarte zu sehen, zu der eine Stimme aus dem Off erklärte, wo man
losgefahren, umgestiegen, gestrandet, gerettet, angekommen und
weitergeschickt wurde. Daß dieses Problem nicht von Europa allein
gelöst werden kann, ist klar, aber solange es Krisenregionen mit
Hunger, Arbeitslosigkeit, Krieg und Tyrannei gibt, werden Flüchtlinge
auch in Zukunft kommen und bei uns um Hilfe bitten und solange
wir Italien und Griechenland noch länger damit alleine lassen, sitzt
Europa auf einem Pulverfaß.
Route einer Flucht
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Bárbara Sánchez-Kane stellte mit „Prêt-à-Patria“ für Mexiko drei Soldaten aus
Fiberglas übereinander, die etwa so hoch waren wie der Zaun zwischen
ihrem Land und der USA. In der Beschreibung steht, es ginge um „Vorstellungen von Männlichkeit durch Mode, Performance, Skulptur und Malerei“ und es handele sich um Uniformvorschläge von 2021. Die Anordnung der Soldaten spricht aber eine andere Sprache.
Längs durch deren Körper - vom Schritt durch den Mund - verläuft eine
goldene / vergoldete Stange, die sie alle aneinander kettet und ihre
Köpfe zum den Blick nach oben zwingt. Da geht es nicht um die Militäruniform für die kommenden Soldaten, sondern um handfeste Kritik an diesem Militär und an diesem Staat.
Das Wort „prêt-à-porter“ meint die Konfektionskleidung und das spanischsprachige „patria“
meint das Heimatland. Die Soldatengruppe ehrt zwar die Flagge, zeigt
aber unter den nach hinten offenen Beinen Spitzenunterwäsche und hebt
damit die Geschlechtertrennung auf.
Sánchez-Kane selbst schreibt, es gehe um Männlichkeitswahn. Diese Installation zeigt die Gegenüberstellung von männlich und weiblich an Objekten des Militärs und stellt damit die traditionelle Denkweise in Frage.
Beim weiteren Laufen durch die Halle kommt man an Wandteppichen vorbei
(deren Erklärungen man nicht lesen kann) und am Ende steht eine Puppe,
deren LED-Dress ständig das Wort „Pulse“ in wechselnden Farben blinkt.
Da waren die Toten Hosen vor zwanzig Jahren schon qeiter, als sie eine
Platte in die Läden brachten, auf der nur die Wörter standen „Kauf
mich!“ Die hat sich in der Tat ganz ordentlich verkauft!
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Eine
ganz spezielle Kunst wird in der Cafeteria ausgeübt. Man steht erst
Schlange um zu bezahlen und muss sich irgendetwas überlegen, weil man
ja nicht sieht, was man will. Nach zwanzig Minuten zahle ich über
zehn Euro und bekomme ein altes Baguett mit vergammeltem
Salatblatt und als grünen Tee einen Teebeutel mit undefinierbaren
Inhalt. Auch das ist Kunst, große Verkaufskunst.
Große Verkaufskunst...
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- Weiter geht es noch einmal mit dem Libanon.
In einem großen Raum stehen zerbochene Boote (Flüchtlingsboote?) und
auf einem Monitor werden Schiffsbewegungen so gezeigt, daß die - für
jedes Schiff stehende - Punkte die Linien der drei Kolumbusschiffe
„Santa Maria“, „Nina“ und „Pinta“ zeigen. Es sieht interessant aus,
aber mir fehlt der Bezug zum Libanon, denn Kolumbus und Konsorten waren
nun einmal Italiener und Portugiesen und die arabische Halbinsel
befuhren damals nur Händler um Gewürze zu kaufen.
- In der anderen Raumhälfte hängen
bemalte oder bedruckte Stoffbilder von der Decke, die offenbar
Mythologien illustrieren, aber mir sagen sie nichts. Vielleicht bin ich
doch ein unwissender Banause. Es war schön anzugucken, aber es hat mich
nicht abgeholt. Mit den schwulen Römern konnte ich mehr anfangen.
Libanesische Mythologien auf Stoffbahnen
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Der letzte Raum ist den Philippinen gewidmet. Unter dem Thema „Waiting just behind the curtain of this age“ sieht
man ein Video eines dichten Waldes, unterlegt mit Blechbläserklängen.
Die dazugehörgen Instrumente sieht man auch. Sie sind aber nicht
spielbar, weil sie in einer Art Zementberg gefangen gehalten werden,
der sie am Spielen hindert. Es ist etwa so, als ob man sich eine alte
Tuba aufhängt, mit Erde befüllt und Blumen hineinpflanzt, aber als
Posaunist schüttelt mich so etwas immer und ich denke, man hätte die
Instrumente bestimmt noch reparieren können. Der Zusammenhang blieb mir
unklar.
Meine Schwiegertochter kommt aus diesem Land und konnte es mir erklären: Der Mt.
Banahaw ist ein heiliger Berg, auf den sich die Ureinwohner flüchteten,
als der spanische König Philipp II (der den Philippinen den Namen
gab) sie verfolgen ließ. Er diente ebenso als Zuflucht bei der Revolte
gegen die Spanier 1872. Seitdem ist der Berg eine Pilgerstätte. Die Instrumente stecken in dem Stein, um die Geräusche des Berges aus der Vergangenheit einzufangen und zu bewahren (zum Artikel der „Vogue“ darüber).
Philippinisches Tenorhorn auf einem Felsen
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- Basina di Arsenale
Wie groß der Außenbezirk des Arsenale ist, sieht man nur, wenn man nach San Giorgio übersetzt und vom Turm des „Campanile“ aus etwa fünfzig Meter Höhe rechts vom Palazzo Duccale
über den Staddteil Castello blickt. ;am sieht dann ungefähr ein Drittel
des Hafenbeckens und ich habe dort schon große Frachtschiffe gesehen,
weil dieses Hafenbecken natürlich gut geeignet für Reparaturen ist .
Der große Kran, der jahrelang vor sich hin rostete und fast zerfallen
war, ist mittglerweile restauriert. In den nördlichen Hallen (links im
Bild) sind Unternehmen angesiedelt, die Werft auf der Westseite
pflegt die Schiffe der Guardia di Finanza
(ital. Zollpolizei) und der südliche und östliche Teil ist der Biennale
vorbehalten. Das Becken selbst ist einen guten Kilometer lang.
Hafenbecken des Arsenale von San Giorgio aus (Foto von 2015)
Hallen der Nordseite (unten)
Lauren Halsey
hat sechs moderne Säulen in alte Stil als Landmarke gesetzt. Sie sehen
auf den ersten Blick wie die griechichen oder römischen Vorbilder aus,
doch auf den zweiten Blick sieht man moderne Gesichter, tolle
Acessoires, Comics, gemeißelte Graffiti und damit zeugt sie, wie bequem
unsere Sehgewohnheiten sind. MAnchmal muß man einfach noch enmal
hinsehen.
Erfahrungsgemäß sind in den überdachten Liegeplätzen immer noch
Aktionen und Ausstellungen und wenn es heiß ist, sitzt man dort kühl am
Wasser und kann sich vom Fußmarsch duch die Hallen erholen. Wir machen
nach drei Tagen Biennale hier Schluß. Es gibt in den östlichen Gärten
natürlich auch noch etwas zu sehen (z.B. China), doch nach ca. vierzehn
Stunden Kunst machen wir einen Schnitt. Im Vorbeigehen sehen wir noch
einen kurzen Blick auf Anthony Quinns Hände
- die haben seit der Biennale 2019 ihren Platz hier dauerhaft gefunden,
doch man kommt nur dahin, wenn man das Boot nimmt, um die Insel fährt
und bei „Bacini - Arsenale Nord aussteigt.
- Mit qulamenden Füßen und gewissen Rückenschmerzen besuchen wir die Halle von Italien.
Man braucht einen gewissen Quatschsensor, weil hier Aufwand und
Ergebnis in einem gewissen Widerspruch stehn. Die Hall ist voll mit
Gerüsten - etwa doppelt so viel, wie in besten Zeiten am Kölner Dom
oder etwa halb so viel in Notre Dame. Dieses Gerüst bildet einen
Irrgarten, durch den man gehen soll. Man kommt dann zu einem runden
Bottich, in dem etwas blubbert, aber anders, als bei einem Geysir, eben
nicht ausbricht. Es sieht nur so aus. Während man weiterguckt, hört man
eine archaisches Orgelmusik aus sieben Tönen und wenn man sich
umschaut, sieht man sieben Orgelpfeifen, deren Windzufuhr durch die
Gerüststangen erfolgt und die mit einer Art überdmensionaler Spieluhr
angetrieben werden. Das geht natürlich auch alles einfacher, aber die
Japaner haben es ja schon vorgemacht. Das Kompliziertere macht manchmal
mehr Spaß.
Die Luft wird durch das Gerüst geleitet.
Klicke auf das Bild und Du siehst das Video...
Gleicht macht es blubb... Klicke auf das Bild und Du siehst das Video...
- Das Letzte, wir noch anschauen sind die Botschaften
aus Neonröhren zwischen dem Wasser und dem Dach. Das Motto der
diesjährigen Biennale wird noch einmal in allen Sprachen benannt und
das ist ein guter Abschluß. Bei der nächsten Biennale nehmen wir die Wochenkarte, machen jeden
Tag vier Stunden und das reicht dann auch. Alles kann man sowieso nicht
sehen.
Das Motto der Biennale 2024 noch einmal als Leuchtschrift.
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- 6. Tag
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