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Venedig 2024
      von Martin Schlu (Text und Fotos) und Susanne Coburger-Schlu (Fotos),   Stand: 13. Oktober 2024

Übersicht Venedig - Basisartikel - Orientierung - Stadtteile

Biennale im Arsenale 2024 Biennale 2024  -  San Giorgio  -  Giardini
Biennale 2022 - 2019 - 2017 - 2015 - 2013
 
5. Tag
Neuseeland - LibanonBrasilien  -  Flüchtlingsrouten  -  Mexiko  -  CaféNoch mal Libanon  -  Philippinen  -   Hafenbecken des Arsenale  -  Italien 

Der zweite Schwerpunkt der Biennale liegt in den ehemaligen Schiffswerften im Stadtteil Castello. Praktischerweise halten die Boote an der Station „Arsenale“ und von da sind es noch fünf bis zehn Minuten zu Fuß. Die Hallen sind kilometerlang,mindestens zehn Meter hoch und so ist genug Platz für die ganz große Kunst. Angesichts der Bilder- und Skulpturenflut ist sie aber schwierig zu entdecken.
Die erste Halle von vielen in den Arsenale
Die erste Halle von vielen in den Arsenale

Das Problem der Hallen ist, daß man soviel sieht, daß auch schon mal wichtige Dinge übersehen werden.  Zwei Tage nach dem Besuch merkten wir, daß ein Bild von Frieda Kahlo für Mexiko ausgestellt war, aber wir haben es nicht wahrgenommen.... Kurz gesagt: Was bleibt hängen?

Neuseeland
Bei der späteren Sichtung Hunderter Fotos von Exponaten bleibt der Reifenwagen von Brett Graham (Auckland / Neuseeland) wichtig: Ein schwarzer Wagen mit Kutschenrädern erscheint schwer beladen mit aufgeschlitzten Autoreifen, doch beim Näherkommen (und Anfassen) stellt sich heraus, daß dies alles schwarzes Holz ist. Die Deichsel endet in zwei greifenden Händen, die sich festhalten wollen und die Assoziation „zieh mich... schlepp mich ab“  stellt sich eIn. Sicherlich große Kunst für einen großen Raum.

Hab mein Wagen vollgeladen, voll mit alten Reifen...
Hab mein Wagen vollgeladen, voll mit alten Reifen...

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Libanon
Das nächste Objekt der Erinnerung ist das in römischen Stil geschaffene Mosaik von Omar Mismar, wenn auch das dargestellte Sujet den einen oder anderen Römer nicht kaltgelassen hätte. Ich habe aus meinem Lateinunterricht immer noch Ovids „Liebeskunst“ (ars amandi) im Ohr und meinen Lateinlehrer im Kopf, der uns von der römischen „Knabenliebe“ erzählte. Ein paar Jahre später forderte ein Berliner Grünenverband, die kindliche Sexualität zu fördern und Günter Amendt schrieb bereoits 1970 in seiner in Hunderttausenden Exemplaren verkaufter „Sexfront“, Kinder müssten früh an Sexualität herangeführt werden (da war ich zwölf). Heute ist das natürlich ein Aufreger erster Güte, der soweit geht, daß es erste Amtsgerichte gibt, die die „Sexfront“ als Kinderpornografie brandmarken und wer sein Buch nicht weggeschmissen hat, macht sich nun strafbar, weil er Kinderpornos besitzt. Was für ein Glück, daß die Römer Homosexualität nicht in Bausch und Bogen verdammten wenn sie „viril“ (= männlch) war. Lesben konnten allerdings vom Ehemann umgebracht werden und als die Kirche im 3. Jahrhundert mächtig wurde, schien die Todesstrafe die beste Möglichkeit, mit schwulen oder lesbischen Menschen fertigzuwerden.

Weil Omar Mismar im Libanon lebt und arbeitet, darf man dieses Mosaik als mutige Kunst bewerten - seit 2017 ist Homosexualität im Libanon zwar nicht mehr strafbar aber  Schwule bekommen im ganzen arabischen Raum Probleme und ich weiß noch gut um die Ängste meiner schwulen - damals sechzehnjährigen - Schüler, die befürchteten, von der Familie ausgestoßen zu werden.

Übrigens wurde in Deutschland die Strafbarkeit der Homosexualität schon (!) 1994 abgeschafft.

Homosexualität im römischen Stil
Homosexualität im römischen Stil

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Brasilien

Paula Dalton kehrt für Brasilien die Herrschaftsverhältnisse um: Sie zeigt Schwarze in der Südstaaten-Garderobe des 19. Jahrhunderts. Nun ist dies ein doppelter Kunstgriff, denn in den USA hat sich seit den Sezessinskriegen bei den Republikanern immer noch nicht viel verändert (Donald Trump: „Die Einwanderer essen unsere Haustiere auf) und Brasilien hat in der letzten Regierung unter Bolsonaro nicht nur die Regenwälder zerstört, sondern auch die Heimat der Urbevölkerung (und das sind nun mal dunkelhäutige Indios). Ob die neuen Regierungen in beiden Ländern dies wieder gutmachen können, muß sich erst noch zeigen. Die anderen Objekte Brasiliens fand ich nicht so doll, aber Paula Daltons Bilder waren gut:

Umkehrung der Herrschaft 1
Umkehrung der Herrschaft 2
Paula Dalton: Full-Body Portrait
Paula Dalton: Full-Body Portrait



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Flüchtlingsrouten / Foreigners Everywhere!
Hier zeigte sich das diesjährige Thema pur und war keinem Land mehr zuzuordnen, bestenfalls den Kontinenten Afrika und Asien. In einem großen Raum waren etliche Monitore aufgebaut und auf jedem war eine Landkarte zu sehen, zu der eine Stimme aus dem Off erklärte, wo man losgefahren, umgestiegen, gestrandet, gerettet, angekommen und weitergeschickt wurde. Daß dieses Problem nicht von Europa allein gelöst werden kann, ist klar, aber solange es Krisenregionen mit Hunger, Arbeitslosigkeit, Krieg und Tyrannei gibt, werden Flüchtlinge auch in Zukunft  kommen und bei uns um Hilfe bitten und solange wir Italien und Griechenland noch länger damit alleine lassen, sitzt Europa auf einem Pulverfaß.


Route einer Flucht
Route einer Flucht


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Bárbara Sánchez-Kane stellte mit „Prêt-à-Patria“ für Mexiko drei Soldaten aus Fiberglas übereinander, die etwa so hoch waren wie der Zaun zwischen ihrem Land und der USA. In der Beschreibung steht, es ginge um „Vorstellungen von Männlichkeit durch Mode, Performance, Skulptur und Malerei“ und es handele sich um Uniformvorschläge von 2021. Die Anordnung der Soldaten spricht aber eine andere Sprache.

Längs durch deren Körper - vom Schritt durch den Mund - verläuft eine goldene / vergoldete Stange, die sie alle aneinander kettet und ihre Köpfe zum den Blick nach oben zwingt. Da geht es nicht um die 
Militäruniform für die kommenden Soldaten, sondern um handfeste Kritik an diesem Militär und an diesem Staat.

 
Das Wort „prêt-à-porter“ meint die Konfektionskleidung und das spanischsprachige „patria“ meint das Heimatland. Die Soldatengruppe ehrt zwar die Flagge, zeigt aber unter den nach hinten offenen Beinen Spitzenunterwäsche und hebt damit die Geschlechtertrennung auf.

Sánchez-Kane selbst schreibt, es gehe um Männlichkeitswahn. Diese Installation zeigt die Gegenüberstellung von männlich und weiblich an Objekten des Militärs und stellt damit die traditionelle Denkweise in Frage.







Beim weiteren Laufen durch die Halle kommt man an Wandteppichen vorbei (deren Erklärungen man nicht lesen kann) und am Ende steht eine Puppe, deren LED-Dress ständig das Wort „Pulse“ in wechselnden Farben blinkt. Da waren die Toten Hosen vor zwanzig Jahren schon qeiter, als sie eine Platte in die Läden brachten, auf der nur die Wörter standen „Kauf mich!“ Die hat sich in der Tat ganz ordentlich verkauft!

Kauf mich!


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Eine ganz spezielle Kunst wird in der Cafeteria ausgeübt. Man steht erst Schlange um zu bezahlen und muss sich irgendetwas überlegen, weil man ja nicht sieht, was man will. Nach zwanzig Minuten zahle ich über zehn Euro und bekomme ein altes Baguett mit vergammeltem Salatblatt und als grünen Tee einen Teebeutel mit undefinierbaren Inhalt. Auch das ist Kunst, große Verkaufskunst.

Große Verkaufskunst
Große Verkaufskunst...



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Weiter geht es noch einmal mit dem Libanon. In einem großen Raum stehen zerbochene Boote (Flüchtlingsboote?) und auf einem Monitor werden Schiffsbewegungen so gezeigt, daß die - für jedes Schiff stehende - Punkte die Linien der drei Kolumbusschiffe „Santa Maria“, „Nina“ und „Pinta“ zeigen. Es sieht interessant aus, aber mir fehlt der Bezug zum Libanon, denn Kolumbus und Konsorten waren nun einmal Italiener und Portugiesen und die arabische Halbinsel befuhren damals nur Händler um Gewürze zu kaufen.

In der anderen Raumhälfte hängen bemalte oder bedruckte Stoffbilder von der Decke, die offenbar Mythologien illustrieren, aber mir sagen sie nichts. Vielleicht bin ich doch ein unwissender Banause. Es war schön anzugucken, aber es hat mich nicht abgeholt. Mit den schwulen Römern konnte ich mehr anfangen.

Libanesische Mythologien auf Stoffbahnen
Libanesische Mythologien auf Stoffbahnen


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Der letzte Raum ist den Philippinen gewidmet. Unter dem Thema „Waiting just behind the curtain of this age“ sieht man ein Video eines dichten Waldes, unterlegt mit Blechbläserklängen. Die dazugehörgen Instrumente sieht man auch. Sie snd aber nicht spielbar, weil sie in einer Art Zementberg gefangen gehalten werden, der sie am Spielen hindert. Es ist etwa so, als ob man sich eine alte Tuba aufhängt, mit Erde befüllt und Blumen hineinpflanzt, aber als Posaunist schüttelt mich so etwas immer und ich denke, man hätte die Instrumente bestimmt noch reparieren können. Der Zusammenhang blieb mir unklar.

Ich frage demnächst mal meine Schwiegertochter, die kommt aus diesem Land und kann es vielleicht erklären.

Philippisches Tenorhorn auf einem Felsen - aber warum?
Philippisches Tenorhorn auf einem Felsen - aber warum?


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Basina di Arsenale
Wie groß der Außenbezirk des Arsenale ist, sieht man nur, wenn man nach San Giorgio übersetzt und vom Turm des „Campanile“ aus etwa fünfzig Meter Höhe rechts vom Palazzo Duccale über den Staddteil Castello blickt. ;am sieht dann ungefähr ein Drittel des Hafenbeckens und ich habe dort schon große Frachtschiffe gesehen, weil dieses Hafenbecken natürlich gut geeignet für Reparaturen ist . Der große Kran, der jahrelang vor sich hin rostete und fast zerfallen war, ist mittglerweile restauriert. In den nördlichen Hallen (links im Bild) sind Unternehmen angesiedelt, die Werft  auf der Westseite pflegt die Schiffe der Guardia di Finanza (ital. Zollpolizei) und der südliche und östliche Teil ist der Biennale vorbehalten. Das Becken selbst ist einen guten Kilometer lang.

Hafenbecken des Arsenale von San Giorgio aus
Hafenbecken des Arsenale von San Giorgio aus (Foto von 2015)


Hallen der Nordseite (unten)

Hallen der Nordseite (unten)

Lauren Halsey hat sechs moderne Säulen in alte Stil als Landmarke gesetzt. Sie sehen auf den ersten Blick wie die griechichen oder römischen Vorbilder aus, doch auf den zweiten Blick sieht man moderne Gesichter, tolle Acessoires, Comics, gemeißelte Graffiti und damit zeugt sie, wie bequem unsere Sehgewohnheiten sind. MAnchmal muß man einfach noch enmal hinsehen.

Erfahrungsgemäß sind in den überdachten Liegeplätzen immer noch Aktionen und Ausstellungen und wenn es heiß ist, sitzt man dort kühl am Wasser und kann sich vom Fußmarsch duch die Hallen erholen. Wir machen nach drei Tagen Biennale hier Schluß. Es gibt in den östlichen Gärten natürlich auch noch etwas zu sehen (z.B. China), doch nach ca. vierzehn Stunden Kunst machen wir einen Schnitt. Im Vorbeigehen sehen wir noch einen  kurzen Blick auf Anthony Quinns Hände - die haben seit der Biennale 2019 ihren Platz hier dauerhaft gefunden, doch man kommt nur dahin, wenn man das Boot nimmt, um die Insel fährt und bei „Bacini - Arsenale Nord aussteigt.




Mit qulamenden Füßen und gewissen Rückenschmerzen besuchen wir die Halle von Italien. Man braucht einen gewissen Quatschsensor, weil hier Aufwand und Ergebnis in einem gewissen Widerspruch stehn. Die Hall ist voll mit Gerüsten - etwa doppelt so viel, wie in besten Zeiten am Kölner Dom oder etwa halb so viel in Notre Dame. Dieses Gerüst bildet einen Irrgarten, durch den man gehen soll. Man kommt dann zu einem runden Bottich, in dem etwas blubbert, aber anders, als bei einem Geysir, eben nicht ausbricht. Es sieht nur so aus. Während man weiterguckt, hört man eine archaisches Orgelmusik aus sieben Tönen und wenn man sich umschaut, sieht man sieben Orgelpfeifen, deren Windzufuhr durch die Gerüststangen erfolgt und die mit einer Art überdmensionaler Spieluhr angetrieben werden. Das geht natürlich auch alles einfacher, aber die Japaner haben es ja schon vorgemacht. Das Kompliziertere macht manchmal mehr Spaß.

Die Luft wird durch ds Gerüst geleitet
Die Luft wird durch das Gerüst geleitet.
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Der Blubb
Gleicht macht es blubb... Klicke auf das Bild und Du siehst das Video...
Das Letzte, wir noch anschauen sind die Botschaften aus Neonröhren zwischen dem Wasser und dem Dach. Das Motto der diesjährigen Biennale wird noch einmal in allen Sprachen benannt und das ist ein guter Abschluß. Bei der nächsten Biennale nehmen wir die Wochenkarte, machen jeden Tag vier Stunden und das reicht dann auch. Alles kann man sowieso nicht sehen.

Das Motto der Biennale 2024 noch einmal als Leuchtschrift.
Das Motto der Biennale 2024 noch einmal als Leuchtschrift. 


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6. Tag