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Venedig 2024
von Martin Schlu (Text und Fotos) und Susanne Coburger-Schlu
(Fotos), Stand: 7. Oktober 2024
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- Übersicht Venedig - Basisartikel - Orientierung - Stadtteile
- Zur Biennale allgemein - Giardini - Arsenale
Biennale 2022 - 2019 - 2017 - 2015 - 2013
Biennale 2024 - San Giorgio - Giardini - Arsenale
Reihenfolge der Pavillons
- Spanien - Belgien - Niederlande - Biennale-Pavillon -
Ungarn, Israel und Amerika - Finnland, Norwegen und Schweden - Dänemark (Grönland) -
- Tschechien - Frankreich - Großbritannien - Kanada -
- Venezuela - Russland (Bolivien) - Japan - Korea - Deutschland - Finnland II - Schweiz
-
Anreise, 1. Tag Nachdem
wir die letzte Biennale 2022 coronabedingt nur in Ansätzen sehen
konnten, stand fest, daß meine Frau und ich wieder hin wollten. Durch
die guten Erfahrungen ohne Bahn, Flugzeug und Streik war es klar,
daß wir wieder über den Brenner fahren würden und so haben wir dieses
Mal ein paar Tage in Südtirol
vorgeschaltet und einen ersten Einblick in ein tolles Land bekommen.
Von Brixen aus sind es gut dreihundert Kilometer bis zur Garage am
Piazzale Roma und so ist die Anreise in knapp vier Stunden ganz
streßfrei geschafft. Das Auto steht in der Garage San Marco (GPS
45.437694,12.317244) und man
muss den Schlüssel steckenlassen, weil das Personal ständig die
geparkten Autos umparkt, um den Platz maximal zu nutzen. Das kam mir
erst suspekt vor, doch als ich weiteres Gepäck holen wollte und meinen
Parkschein vorlag sofort fand, wurde klar, wie streng die Autos bewacht
werden. Ich durfte erst zum Gepäck, als der Parkschein vorlag und
Fahrzeugschein oder Personalausweis zählten nicht. Als ich aber sah,
was an teuren und seltenen Autos dort geparkt war, war ich wieder
versöhnt und hatte von Stund' an keine Sorge mehr um Auto oder Gepäck.
Man zahlt im voraus ca. € 40,00 pro Tag, hat die Reservierung und die
Bewachung, doch es muß die gebuchte Autonummer sein. Kaputtgehen darf
das Fahrzeug also nicht.
- Die
Wohnung liegt wieder in Dorsoduro, ein paar Meter vom Campo San Barnaba
entfernt (Ca Gabry, Calle del scalete, Dorsoduro 3290). Das vertraute
Geläut des campanile
von San Carmini kenne ich seit über zwanzig Jahren und es ist wieder ein bißchen so,
wie nach Hause zu kommen. Der Kirchturm von San Barnaba steht seit mindestens hundert
Jahren ein bißchen schief - ähnlich wie St. Severin in Köln - aber er
bleibt wohl noch stehen.
Kirchturm von Sankt Barnaba
- Wir treffen den Vermieter Rudi auf dem Campo, er schnappt sich direkt eine schwere Tasche und geht vor in eine kleine Calle (Gasse), von der aus eine noch kleinere Calle
abgeht. Die Wohnungstür ist stabil und neu, doch der Knauf fehlt -
vielleicht ein Einbruchsversuch. Durch ein steiles Treppenhaus gelangen
wir in den zweiten Stock und sehen eine neu sanierte Wohnung mit toller
Einbauküche, einem tollen Bad und einer weiteren Etage als
Schlafbereich. Hier wäre noch Platz für ein Enkelkind - der Kuschelhund
liegt schon auf dem Bett. Vermutlich hat ihn aber ein anderes Kind
vergessen und deswegen heiße Tränen geweint.
- Rudi zeigt uns die
Wohnung und erwähnt, daß man das Leitungswasser nun trinken kann.
Offenbar hat Venedig in den letzten zwei Jahren für gescheite
Wasseraufbereitung gesorgt, denn noch 2022 mußte man immer Trinkwasser
aus Kanistern kaufen, wenn man Tee kochen wollte. Das Wasser war
wahnsinnig kalkhaltig, schmeckte sauer und war manchmal leicht braun.
Beim Kaffee hat man das zwar nicht so gemerkt, aber Tee kochen ging
damit nicht. Als wir später einen solchen kochen, stellen wir fest, daß
Rudi recht hatte und als wir Lebensmittel einkaufen, merken wir auch,
daß es nirgendwo mehr diese 5-Liter-Kanister gibt.
- Venedig ist
altersgerecht geworden. Man merkt es daran, daß an den meisten Brücken
mittlerweile Handläufe aus Edelstahl angebracht sind, daß viele
Bretterrampen durch rutschfeste Edelstahlrampen ausgetauscht wurden und
es gibt mehr Laternen als vor zwei Jahren. Klar, wir als
Boomer-Generation werden alt. In dreißig Jahren wird es vermutlich
fallende Wohnungspreise geben, wenn wir tot sind, aber was machen die
Kinder und Enkel bis dann?
- Gesehen in Dorsoduro (Rio di San Vino)
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- 2. Tag
- Der
canal grande ist bei der Biennale immer der erste Eindruck gewesen und
weil wir uns gestern die Fahrt mit der Linie 1 verkniffen haben, laufen
wir erst zum Piazzale Roma und kaufen die Wochentickets für den
gleichen Preis wie vor zwei Jahren. Dann gehen wir ganz nach hinten,
weil man vom Achterdeck ganz gut fotografieren kann und harren der
Kunstwerke, die erfahrungsgemäß alle paar hunder Meter an den Villen
oder in ihren Gärten stehen. Spätestens bei der accademia merken wir, daß es dieses Jahr anders läuft, denn im Garten des Palazzo dell'Accademia dell'Arte war sonst immer etwas
zu sehen, doch dieses Mal macht sich die Kunst rar. Ein einziges
Kunstwerk haben wir entdeckt, eine Art gläserne Perle, in der sich die
Sonne spiegelt.
- Oben.
Peace Crystals“ am Palazzo Corner della Ca' Granda (San Marco 3978,
gegenüber dem Guggenheim Museum) von Mariko Mori (geb. 1967)
- Unten: Skulptur auf einem Hausdach hinter der Accademia (Fahrtrichtung Lido)
- Wir steigen an San Zaccaria aus denn es ist unser 32. Hochzeitstag und da könnte man sich ja mal einen Florianbesuch auf der Piazza San Marco leisten. Die letzten Meter vor der Post laufen wir
an den teuren Läden von Prada, Gucci und anderen vorbei, denn
Briefmarken sind für Kinder und Enkelpostkarten wichtiger als
Handtaschen für € 3.000,00. Aus dem Briefmarkenkauf wird dieses Jahr
aber nichts, denn die Post (San Marco 5016) wird umgebaut und man soll
bitte nach Cannaregio laufen.
- Das Café Florian ist proppenvoll und so wird dies heute auch nichts. In den Dom können wir auch nicht, denn die Schlange vor San Marco geht bis zum palazzo duccale und die Schlange für die große Ausstellung über Marco Polo im palazzo beginnt dafür am campanile.
Es ist frustriernd. Schnell mal nach San Marco geht mittags einfach
nicht. Wir werden dies später mal am Spätnachmitag probieren. Also
laufen wir zurück zu San Zaccaria und fahren mit der Linie 1 zur Salute. Mittlerweile knurrt nämlich der Magen und wir wollen zur
Zattere, denn dort gibt es mehrere gute Restaurants. Unterwegs
überqueren wir den Rio di San Viso in Dorsoduro und kommen über einen
Platz mit Bäumen und Bänken - eine Seltenheit in Venedig (Campo San
Agnese). Von dort aus sind es wenig Meter bis zum Haltepunkt „Zattere"
(Linie 2, 51. und 5.2).
- An der „Terrazza dei nobili“ ist ein Tisch in der Sonne frei, direkt am Wasser. Dort setzen wir uns hin, lassen Seele und Beine baumeln und genießen „fritto misto“,
eine venezianische Spezialität. Man nimmt Fisch und Meeresfrüchte,
wirft sie in eine bestimmte Panade und frittiert sie. Mit Polenta
zusammen wird es serviert.
- Fritto misto, wie es an der Zattere zu kriegen ist.
- Fritto misto ist sehr lecker, hier halbwegs
bezahlbar, doch im Café Florian mit Dessert und Getränken wäre
es sicher dreistellig geworden. Daß zwischendurch ein Boot der
Alilaguna mit aufheulendem Motor dicht an der Terasse vorbeibrettert,
hat zur Folge, daß eine Welle über die Terasse schwappt, doch meine
Kamera wird gerettet und nach einer Stunde ist fast alles wieder
trocken. Trinkgeld muß man übrigens nicht geben, weil man für das
Gedeck (coperto) sowieso jeweils € 3,00 bezahlt.
- Danach sind wir so gestärkt, daß wir nach San Giorgio fahren, denn dort gab es bislang immer etwas zu sehen Linie 2
kommt mit einem funkelnagelneuen Boot ohne Dieselgestank, mehr Platz
für Gepäck und besseren Sitzen. Später sehen wir noch mehr neue Boote,
auch auf der Linie 1.
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-
San Giorgio
An San Giorgio ausgestiegen erwartet uns ein Plakat über die Ausstellung von Berlinde De Bruyckere. Diese flämische Künstlerin variiert zum Thema „City Of Refugees“ das „Memento mori“-Motiv
(Gedenke, daß du sterblich bist) auf eine ganz neue Art. Sie
zeigt
Bestandteile des Körpers im Zerfall und erreicht eine ganz neue
Realität, wie man sie vielleicht aus Madame Tusseauds Kabinetten
(London und Paris) kennt.
Beim näheren Hinsehen merkt man, dass die Figuren aus Wachs sind, was
die Darstellung des menschlichen Zerfalls umso eindrücklicher macht.
De Bruyckere stellt ihe Zerfallsfiguren den intakten
Skulpturen des Kirchenraums gegenüber. Sie
bildet aber nicht nur ab, sondern gibt Hinweise auf die Zukunft und so
ist diese Kirche dafür ein sehr gut gewählter Ort. im angrenzenden
Klosterraum findet man die Körperfiguren als Kruzifixzitate, als
sterbende Nonne und als sterbende Bäume. Beim Anschauen kam mir der alte Spruch in den Kopf:
„Fuimos quandoque, quod estis."
(Was wir sind, werdet ihr sein, was ihr seid, waren wir einst).
Rechts: Der Körper im Zerfall
Unten: Links der Zerfall, rechts das Intakte
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- Weitere Exponate liegen auf dem Altar (eine „Bibel“ aus Wachs und Tierfell) , wächserne Bestandteile eines Kruzifixus'
in den Klosterräumen und vor allem Decken aus dem gleichen Material.
Die Decke wird in einem Video theologisch erklärt, als Sinnbild für
Schutz und Wärme, als ersten Stoff, in den das Baby eingewickelt wird
und als letztes Hemd auf der Totenbahre. Insgesamt zeigt De Bruyckere durchdachte Kunst in einem durchdachten Zusammenhang eines angemessenen Raumes.
- Vin San Giorgio aus fahren wir wieder
zum Piazzale Roma, ich hole noch ein paar Dinge aus dem Auto, meine
Frau aus dem Supermarkt und dann zuckeln wir mit der Eins und vielen
Taschen zum Ca' Rezzonico, laufen die Calle de traghetto zum Campo San Barnaba, überqueren den Rio di San Barnaba und gehen die Calle de la Bothege entlang - einmal abbiegen und wir sind da. Das geht sogar ohne Stadtplan.
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Zwischentext - Biennale 2022 - Biennale 2019 - Biennale 2017 - Biennale 2015 - Biennale 2013
- Die Biennale findet traditionell an vielen Orten statt. Der wichtigste Ort ist das Ausstellungsgelände in den Gärten (gardini) zwischen Arsenale und Lido. Im Arsenale,
der alten Schiffswerft, sind die Hallen hoch genug für wirklich große
Kunst und Höhen bis zu zehn Metern. Ebenfalls wichtig sind die Kirche
San Giorgio und die angrenzenden Hallen des ehemaligen Klostergeländes.
Außerhalb dieser Schauorte findet man aber in ganz Venedig immer
einzelne Künstler, die in den Villen und Palästen ausstellen und das
Verhältnis zwischen den Ausstellungszentren und den einzenen Häusern
hält sich fast die Waage. Man ist also gut beraten, auf dem canal grande Ausschau zu halten, durch die Stadt zu bummeln und in die Häuser zu gehen, die das Motto der Biennale auf der Fahne haben. Lorenzo Quinn ist so jemand, den man nicht übersehen kann. 2017 zeigte er am canal grande überdimensionale Arme, die scheinbar ein Haus abstützten, 2019 zeigte er im Arsenale sechs Handpaare
(allerdings nur rechte Arme), die bis 2022 immer noch ausgestellt waren. 2022 war der Hingucker das Baby
auf dem mütterlichen Becken. Entwürfe dazu gab es in Glas und in Marmor,
doch zwischen der Accademia-Brücke und der Kirche Santa Maria della
Salute sah man die Baby-Skulptur in einer Art Maschendraht ausgeführt.
- Giardini - Zum Stadtteil Castello
Venedigs Giardini
(= Gärten) sind streng genommen kein eigener Stadtteil, doch sonst gibt es nur in St.
Elena noch mehr Grün. Wenn Vendig ein Fisch ist (das ist
die typische Darstellung), ist Castello die vordere Schwanzflosse und
St. Elena, der Nachbarstadtteil, die untere Spitze. Dort ist so viel
Grün, daß es sogar zu einem Fußballstadion reicht, in dem der
Zweitligist Venedig sich versucht zu behaupten.
- In den Giardini wurde 1895 vom italinischen
Königspaar die erste Biennale eröffnet und schon gab es den ersten
Skandal weil Giacomo Grossos großformatiges Aktbild „Il supremo convegno“
(etwa: Die höchste Konferenz), die Königin recht schockierte.
Seitdem hat es etliche Biennalen gegeben (etwa sechzig) und ein Skandal
war eigentlich immer dabei. - Zu den Pavillons
Arsenale - Zum Stadtteil
Venedig
Arsenale sind die ehemalige Schiffbauerwerften, in denen im 16.
Jahrundert pro Woche bis zu drei Galeeren gebaut wurden. Entsprechend
riesig ist das Hafenbecken und entsprechend viele Hallen gibt es, in
denen bei der Biennale Kunst gezeigt werden kann. Zu den Ausstellungshallen
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- 3. Tag: Giardini, 1. Tag
Das diesjährige Thema geht um
die Themen Fremdheit/Vertrautheit, Vorurteile und Integration und
erinnert mich an einen Slogan vor zwanzig Jahren. „Alle Menschen sind
Ausländer. Fast überall!“. Der Spruch ist längst Allgemeingut der
Babyboomer, aber gestimmt hat er immer und gültig ist er auch heute noch.
- Wir
ziehen kurz vor zehn los, denn
wir wollen gegen elf Uhr auf dem Gelände der Giardini sein, weil die
Tickets personalisiert werden und das dauert einfach ein bißchen. Die
Tageskarte liegt heuer (dieses Jahr) bei € 30,00, die Drei-Tageskarte
bei € 40,00 und so wird die gekauft. Eine Wochenkarte für je € 80,00
würden wir erst kaufen, wenn wir für Reportagen besser bezahlt
werden.
- Um
elf Uhr haben zehn Kassen geöffnet, überall geht es langsam, aber
stetig voran und nach zehn Minuten können wir rein. Im Laufe der
letzten Jahre haben sich gewisse Routinen entwickelt. Wir fangen meistens
am spanischen Pavillon an, arbeiten uns bis Japan vor und dann geht es
auf der anderen Seite weiter und nach der Schweiz ist Schluß mit dem Giardini-Teil.
- Spanien
hat den Schwerpunkt auf die Kolonisation ab dem 15. Jahrhundert gelegt
und zeigt Menschen aus Europa und Südamerika in Verbindung mit
Pflanzen. Die Aussage ist eigentlich ganz simpel: Die Vielfalt der
Menschen und die Vielfalt der Pflanzen sind vergleichbar und die
Einschätzung nur von einer Seite aus funktioniert nicht. Im „Migrant
Garden“ kann man das programmatisch sehen, weil bei der Ausstellung
Menschenbilder und echte Menschen aufeinandertreffen und man bei
unscharfem Sehen zwischen Bildern von Menschen und echten Menschen nur schwer unterscheiden
kann.
Migrant-Garden - Wer ist echt und wer ist Bild?
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- Der belgische Pavillon
zeigt auf den ersten Blick nur riesige Puppen und den Gegensatz
zu ein paar Paletten Zeitungspapier und - gegenüber - ein aktueller
Großkopierer mit einer Palette Kopierpapier. Der Zusammenhang ist nicht
sofort zu erschließen, aber man kann es herausbekommen. Die Zeitung
zeigt nämlich eine verfremdete Europakarte, bei der Belgien und Spanien
auf einer kulturellen Linie liegen und das liegt an den Puppen. Unter
dem Namen „Petticoat Government-Scenario“ werden große Karnevalspuppen
gezeigt, die an Karneval von Tänzern getragen und bewegtwerden.
Ich habe im Karneval in Barcelona schon mal sowas gesehen, aber
daß es eine karnvalistisch-kulturelle Verbindung zwischen
Katalonien und Flandern mit gleicher Kultur gibt, war mir auch
nicht so klar. Meine Frau hat später gegoogelt, daß die Puppen bereits
im Mittelalter in Spanien vorkamen und sich dann bis Südamerika
verbreitet haben.
- Im Hintergrund wird lautstark die entsprechende
Trommelmusik gespielt und nach zwanzig Minuten muß ich raus, obwohl das
Video dazu sehr interessant ist.
- Riesige Puppen werden in Belgien und in Barcelona eingesetzt.
- Oben: Puppe aus Belgien, unten Puppen in Barcelona im Karneval 2010
-
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- Der Pavillon der Niederlande
setzt sich mit der Kolonialgeschichte auseinander und dies recht
drastisch. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde Kapstadt als
niederländische Kolonie gegründet und erreichte später eine Ausdehnung
bis ins heutige Botswana. Die Sprache Afrikaans
ist bis heute zu verstehen, wenn man etwas Niederländisch kann und daß
die „Pfeffersäcke“, wie man die holländischen Kaufleute bezeichnete,
nicht uneigennützig handelten, ist klar.
- Der Ansatz der Ausstellung verarbeitet
diese Geschichstschuld meiner Meinung nach recht gut, weil hier
afrikanische Kunst gezeigt wird, ohne dass sie - wie früher so oft -
gegenüber der europäische Kunst herabgewürdigt wird. Am
deutlichsten wird dies bei der drastischen Darstellung, in der der
Europäer - in Missionarsstellung - den Afrikaner vergewaltigt. „Fick
Dich“ hätten meine Schüler gesagt.
Europas Herrschaft über Afrika aus der Sicht des Afrikaners
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Unten: Der Biennale-Pavillon
Im Biennale-Pavilon wird in unterschiedlichsten Darstellungen das eigentliche Thema der Ausstellung gezeigt: „Foreigners everywhere".
Hier geht es nicht unbedingt um Gegenüberstellung, sondern mehr um
Wahrnehmung verschiedener Menschen, Lebenswelten, Sexualität und
Bedürfnisse. Angefangen von Bildergalerien verschiedener
Schwarz-Weiß-Fotos über Säle mit bunten Bildern und goldenen Objekten
und Skulpturen der Transsexualität sind eigentlich nur wenige Künstler
im Bewußtsein hängengeblieben: Ione Saldanha installierte bunt bemalte Bambusstücke als farbenfrohe Collage, Kim Yun Shin stellt die Materialien Holz und Stein mit großem Können gegenüber, Giulia Andreani malt Fotos im Stil der 1920er Jahre und Louis Fratinos Thema ist die Homosexualität als Normalfall.
-
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- Ungarn
zeigt knatschbunte und sinnfreie Installationen, die Spaß machen, auch
wenn man ihre Bedeutung nicht weiß. Nur die Musik nervt ein bißchen
(Martón Nemes: „Techno Zen“). Ein schwarzer Eimer auf dem Boden wirkt
da ein wenig aus der Reihe gefallen, doch ich stelle fest, daß er die
Tropfen des undichten Daches auffängt. Das ist dann kein Spaß mehr,
sondern Ernst. Der Pavillon von Israel steht leer, aber auf einem von Soldaten bewachten Plakat
steht ein Hinweis, daß erst geöffnet wird, wenn ein Waffenstillstand
erreicht ist. Die Biennale war schon immer politisch.... Die USA zeigen dieses Mal mit Jeffrey Gibson
einen indianischen Künstler, der quietschbunte Bilder und Skulpturen
ausstellt - meisten aus Glasperlen gefertigt. Am besten hat mir die
indianische Ente mit Rastalöckchen gefallen und ich habe mir überlegt,
was Donald Trump wohl davon hält, daß ein Indianer die USA
repräsentiert, nachdem die Gründerväter bis 1900 ja ca. 20 Millionen
von ihnen umgebracht haben. Ist es Wiedergutmachung? Wird es bei Trumps
Wahl unterdrückt? Man wird es sehen ...
Jeffrey Gibsons Rasta-Ente
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- Finnland, Norwegen und Schweden
haben schon immer einen gemeinsamen Pavillon gehabt. Dieses Mal ist der
Pavillon mit Bambusgerüsten vollgestellt. An der einen Seite hängt eine
Monitorwand auf der Opernmusik von Lap-See Lam im Stil von Cathy Barberian
gespielt wird - ziemlich grauslich. Auf der Rückseite des Gerüstes sind
Umhänge und Gewänder der Samen ausgestellt. Die Samen sind ein
nordeuropäischer Volksstamm, der länderübegreifend mit seinen
Rentierherden durch die Tundra zieht und mit und von ihnen lebt. Im
Garten sehe ich drei Holzgestelle, die für mich erst so aussehen wie
der Solfár, den ich mal im isländische Reykyavik gesehen habe -
bei näherem Hinsehen sind es aber Gestelle für Hängematten.
- Oben: Umhänge der Samen vor einem Bambusgerüst
Unten
links: Isländscher Solfar
(Reykyavik, am
Hafen)
Unten rechts: Keine Kunst, sondern ein Hängemattenständer
- Übrigens hatte Finnland außerdem noch einen eigenen Pavillon - zu Finnland II
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Der dänische Pavillon hat dieses Mal Grönland zum Thema und zeigt Fotografien von Inuuteq Storch,
der als Inuit sein Leben lang die Familie und seinen Lebensraum fotografierte und dokumentiert hat. Spektakulär ist das alles nicht, aber
wichtig, weil die Dänen ihr Verhältnis zu den grönländischen Inuit
längst geklärt haben und integrationsmäßig bereits da angelangt sind,
wohin andere sich erst noch auf den Weg machen müssen. Logischerweise
steht auf dem Pavillon eben nicht „Dänemark“, sondern „Kalaallit Nunaat“ = Grönland in der Sprache der Inuit.
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- Auf dem Haus steht „Cecoslovacchia“, aber dieses Land gibt es ja seit 1992 nicht mehr und deswegen wird der Pavillon seitdem von Tschechienbespielt.
Das Thema war mir auch nicht ganz klar: Es gab im Zoo von
Prag mal eine Giraffe, die dort zwei Jahre lang überlebt hat und der
man hier offensichtlich ein Denkmal setze wollte. Deswegen zeigte man
Giraffenfleisch aus Plastik, eine gehäkelte Giraffenhaut, eine
Kanalisation, die den Blutkreislauf darstellen sollte und viel anderes
Zeug, das auch ich nicht verstanden habe. Am Ende gab es ein
nachgebautes
Inneres der Giraffe und die Einzige, die daran Spaß hatte, war ein
kleines Mädchen, die das nachgebaute Innere der Giraffe als
Kuschelhöhle nutzte und selbstvergessen darin spielte.
Das war das Positivste dieser Installation.
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Frankreich hatte
ein Thema, das ich nicht verstanden habe: Auf riesigen Bildschirmen
wurden Silikonpuppen gezeigt, die an der Stelle der Geschlechtsorgane
ein Gesicht mit großen Glubschaugen hatte und schwerelos in einer Art
Ozean herumtrieben. Vor den Monitoren standen schön bunte
Korallenstangen. Ab und zu schwamm ein griechischer Gott vorbei,
präsentierte sein Sixpack und machte den Babyboomern damit klar, daß
deren beste Tage vorbei sind.
Großbritannien
zeigte zuviele Video-Installationen, die ich nach Corona, weiß Gott,
nicht mehr sehen kann, denn dazu habe ich zuviel Video-Konferenzen über
mich ergehen lassen müssen. Im Dunkel der Halle sah ich aber ein
freundliches Licht - das war der Ausgang.
Im Pavillon von Kanada gab es große Räume, in denen bis auf wenige große Teile nichts zu sehen war. Die Künstlerin Kapwani Kiwanga
schrieb darüber, es seien Symbole für „power“, aber da hätte sie auch
einen Benzinkanister ausstellen können, denn der enthält ja auch
Energie. Der positive Eindruck kam, als meine Frau stürzte. Sofort
waren zwei nette Menschen da, die Eis zum Kühlen brachten. Danach
gingen wir sehr langsam nach Hause und waren froh, daß der Vaporetto
freie Sitzplätze hatte.
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4. Tag: Giardini, 2. Tag
-
-
Juvenal Ravelo
zeigte im Pavillon von Venezuela farbige Stangen, die den Eindruck
eines Irrgartens im Regenbogen erweckten. Es sah schön aus, aber es
wurde leider nichts erklärt. Ich finde es generell eine Unsitte, daß es
so wenig Erklärungen gibt und daß Vorwissen vorausgesetzt wird.
Manchmal ist es eine braune Karte mit dunkelgrauem Text (bei schlechtem
Licht natürlich hervorragend lesbar), manchmal gibt es einen QR-Code
(wobei das Netz der Biennale sowieso oft zusammenbricht) und manchmal
- wie hier - gibt es gar nichts. Es war aber schön bunt.
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Im russischen Pavillon
stellte wegen des Krieges nicht Rußland aus, sondern Bolivien. Das Thema des Landes war „Lookin' to the forward past we are treading forward".
Der
Schwerpunkt lag hier bei Textilkunst und Malerei (man hätte früher
herablassend von „naiver“ Malerei gesprochen). Es ging eben um die
Kunst eines indianischen Volkes und das paßte wiederum ganz gut zum
eigentlichen Biennale-Thema, dem Fremdsein.
- In Videos zeigte eine Frau in traditioneller Kleidung, wie man aus
Wolle einen Faden spinnt. Das wäre auch etwas für Kinder und
Jugendliche gewesen - die hätten mal gesehen wie das T-Shirt anfängt. Es gab außerdem Tongefäße zu sehen, gewebte Wandbilder und Tepiche. Die Gemälde waren auch ganz nett, aber eben keine große Kunst.
- Im Foyer des russischen Pavillons am
Ausgang hing aber eine Installation aus Federn und Stoff - unglaubllch
bunt und wirklich schön.
Bolivianische Kunst aus Federn und Baumwolltüchern
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Japan
zeigt absolut irre Installationen. Da wird aus Obst und Gemüse Strom
erzeugt, der LED-Lämpchen speist oder Miniaturpumpen, die Wasser von A
nach B pumpen. Es spritzt und klingelt und man kriegt große Kinderaugen
ob des sinnlosen und schönen Quatsches, der mit viel Liebe aufgebaut
wurde. Wer das Sams kennt, kennt auch die „Knackwurstbringanlage“.
Sowas Ähnliches wurde hier aufgebaut.
Meine Enkel hätten feuchte Augen gekriegt und wahrscheinlich mit dem Wasser herumgespritzt.
Strom aus Obst - So löst Japan die Energiekrise
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Korea ist
bisher immer für eine Überraschung gut gewesen - so auch diesmal. Im
Pavillon empfingen uns viele Texte auf Koranisch (kann ich leider auch
nicht), aber ein kurzer englischer Text machte klar, daß der Künstler Koo Jeong
ein Faible für Linien, Flächen und Forme hat. Auf einem Podest stand
eine bronzenes Männchen mit einem Kopf wie das angebliche Alien 1947
aus Amerika, in den Holzboden waren ineinander fließende Halbkreise
und Linien eingraviert und auf dem Boden lag ein in sich gedrehter
hözerner Ring, der auch von Maurits Cornelis Escher hätte sein können.
Ich war versucht die Fühlform mit der Hand zu streicheln, habe es aber
unter dem strengen Blick der Aufseherin gelassen. Gefallen hat es mir,
auch wenn ich den Zweck nicht verstanden habe.
M.C. Escher auf koreanisch
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Im Deutschland-Pavillon war dieses Jahr das Thema „Treshold“
(= Übergang) zu sehen. Kurz gefaßt ging es darum, daß die Welt so
unbewohnbar wird, daß man Kolonien im Weltraum gründet, die sich autark
ernähren und dafür sorgen daß die Menschheit nicht ausstirbt. Das klang
für mich so ähnlich wie „Am deutschen Wesen soll die Menschheit
genesen", was Emmanuel Geibel 1861 schrieb. Wie wir heute wissen, hat
das bisher nicht so ganz geklappt.
- In der großen Eingangshalle sah man die großen
Visionen künftiger Weltraumkolonien, doch im Hinterzimmer sah und
spürte man den Staub der Werkstätten, die das alles bauen müssen.
Logischerweise war der Haupteingang des deutschen Pavillons mit einem
meterhohen Erdwall versperrt, so daß die Baustelle Deutschland deutlich
wurde. Ob das eine gute Idee ist, die jetzige Welt im Dreck zu lassen
und dann in klinisch saubere Raumschiffe umzusteigen, mag zurecht
bezweifelt werden und würde von Greta Thunberg wohl aufs Schärfste
abgelehnt. Die esoterischen Tänze der Auserwählten einer „besseren“ Zukunft erschienen mir eher als Mischung von weißgekleideten
Waldorf-Eurhythmien und einem alten James Bond-Plot (Moonraker), in dem
es um das gleiche Thema ging. Es hätte was draus werden können, aber so
wurde es einfach verkackt.
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- Esoterische Tänze der Auserwählten einer „besseren“ Zukunft
- nach oben
Finnland hatte noch einen eigenen Pavillon, in dem unter dem Thema „The pleasure we choose“
Möglichkeiten gezeigt wurden, wie man die langen finnischen Winternäche
mit Handarbeiten weniger langweilig machen könnte. Sowas Ähnliches
haben wir vor Jahren schon mal gehabt, als unter dem Schlagwort „urban knitting“
Millionen Frauen weltweit Kleidchen für die frierenden Bäume häkelten
und man kaum eine Straße fand, in der die Bäume nicht Kleidchen,
Mützchen oder Schals tragen mußten. Es sah ganz nett aus, aber mehr als
eine Vorlage zum Häkel-Zeitvertreib konnte ich darin nicht sehen.
Gehäkelt, gestickt und schön drapiert - aber warum?
- nach oben
Die Schweiz ist
immer der letzte Pavillon und man ist schon etwas angemüdet, weil man
zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Stunden Kunst erarbeitet hat. Dieses
Jahr war es aber wirklch etwas Besonderes, denn wir waren fast eine
halbe Stunde drin und es wurde nie langweilig. Unter dem Titel „Super superiort civilisation“ gab es zahlreiche tolle Videos und Hologramme des schweizerisch-brasilianischen Künstlers Guerreiro do Divino Amor.
Es ist schnell erzählt: Irgendwo in Rom beginnt die Karriere der Muttergöttin Helvetia,
die sich trotz der Männer hocharbeitet und später mit ihrer Tochter die Welt beherrscht.
Rom und die Schweiz werden sich immer ähnlicher, klauen sich
gegenseitig die schrillen und bunten Mythologien und die heutige Welt
erscheint als logische Konsequenz gegenseitiger Beeinflussung - verbunden durch dem „Saft der Ewigkeit“ (succo dell' eternitá), wie es in der großformatigen Beilage ausführlich und viersprachig erklärt wurde.
- Ein würdiger Abschluss nach zwei Tagen Biennale in den Giardini!
- nach oben
- zum Arsenale
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