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Trutz,
Blanke Hans
Eine
Halligfahrt
(Ausschnitt)
Rungholt
und die Flutkatastrophen
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Werke
Literatur
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Theodor Storm
1817 - 1888
Eine Halligfahrt
(Ausschnitt)
erstellt von Martin
Schlu, April 2004
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- ... Nach einer Stunde hatten wir die
nachbarliche große Insel hinter uns und trieben nun
auf der breiten Meeresflut. Eine Möwe schwebte
über dem Wasser dich an uns vorüber; ich sah,
wie ihre gelben Augen in die Tiefe bohrten. „Rungholt!“ rief der Schiffer, der eben das
Segel umgelegt hatte.
-
- Die Geheimrätin, die - ich
weiß nicht durch welche Künste - ihren
Champignonbeutel wieder in der Hand trug, blickte nach
allen Seiten um sich. „Ich sehe nur den uferlosen
Ozean!“ sagte sie, indem sie ihr Augenglas einschlug
und wieder in den Gürtel steckte. Der Schiffer, der
mit beiden Armen über Bord lehnte, wandte sein
wetterbraunes Gesicht der Dame zu; aber nachdem er sie
wie in mitleidiger Verachtung einige Sekunden gemustert
hatte, starrte er wieder schweigend ins Meer hinaus. „Sie müssen dorthin blicken«, sagte ich,
»wo nach Senekas Ausspruch alle Erdendinge am
sichersten verwahrt sind!“ „Und wo wäre
das, mein Lieber?“
- „In der
Vergangenheit - in diesem sicheren Lande liegt auch
Rungholt.
Einst zu König Abels Zeiten, und auch später
noch, stand es oben im Sonnenlichte mit seinen
stattlichen Giebelhäusern, seinen Türmen und
Mühlen. Auf allen Meeren schwammen die Schiffe von
Rungholt und trugen die Schätze aller Weltteile in
die Heimat; wenn die Glocken zur Messe läuteten,
füllten sich Markt und Straßen mit blonden
Frauen und Mädchen, die in seidenen Gewändern
in die Kirche rauschten; zur Zeit der
Äquinoktialstürme stiegen die Männer, wenn
sie von ihren Gelagen heimkehrten, vorerst noch einmal
auf ihre hohen Deiche, hielten die Hände in den
Taschen und riefen hohnlachend auf die anbrüllende
See hinab: Trotz
nu, blanke
Hans! Aber das
rotwangige Heidentum, das hier noch in uns allen
spukt -“
- „Ich bitte doch,
mich freundlich auszunehmen!“ schob die
Geheimrätin mit etwas strammem Lächeln
dazwischen.
- Ich verbeugte mich
zustimmend. „Es bäumte sich noch einmal auf
gegen den blassen aufgedrungenen Christengott; die
Männer von Rungholt - so wenigstens haben es die
geistlichen Chronisten aufgeschrieben - beriefen eines
Tages einen Priester und hießen ihn einer kranken
Sau das Abendmahl geben. Da ergrimmte der Herr und
ließ wie zu Noä Zeiten seine Wasser steigen;
und über die Deiche und Mühlen und Türme
schwollen sie; und Rungholt mit seinen blonden Frauen und
seinen trotzigen Männern“ - und ich wies mit
dem Finger rückwärts, wo noch vom Kiel unsers
Schiffes das Wasser in der Sonne strudelte -, „dort steht es unten, unsichtbar und verschollen auf
dem Boden des Meeres. Nur zuzeiten bei hellem Wetter,
wenn in der einsamen Mittagsstunde die Wimpel schlaff am
Mast herunterhängen und die Schiffer in der Koje
schnarchen, dann - wie die Leute sagen - „dühnt
es auf“. - Wer dann mit wachen Augen über Bord
ins Wasser schaut, kann gewahren, wie Türme mit
goldnen Gockelhähnen aus der grünen
Dämmerung aufsteigen; vielleicht mag er sogar die
Dächer der alten Häuser erkennen, und wie
zwischen dem Seetang, der sie überstrickt hat,
seltsam schwerfälliges Getier umherkriecht, oder
zwischen den zackigen Giebeln in die Enge der Gasse
hinabschauen, wo Muschelwerk und Bernstein die Tore der
Häuser verbaut hat und der nie rastende Flut- und
Ebbestrom mit den Schätzen versunkener Schiffe
spielt. - Aber auch die Schiffer unter Deck erwachen und
richten sich auf, denn unter sich aus der Tiefe
hören sie es läuten; das sind die Glocken von
Rungholt.“
- Susanne war indes herangetreten und
hatte mit großen Augen zugehört; aber sie
bedurfte für diese Seegeschichte eines
sachkundigeren Gewährsmannes.
- „Läuten sie wirklich,
Schiffer?“ fragte sie. „Haben Sie es selbst
gehört?“
- Das klang so allerliebst, daß
auch die Backen der alten Teerjacke sich zu einem
Lächeln verzogen; und er spie weit ins Meer hinaus,
bevor er antwortete: „Ick hevt min Dag nich
hört.“
- Und weiter fuhren wir über
Rungholt. Aber trotz der kühlen Antwort des
Schiffers blickte Susanne noch ein paarmal verstohlen
über Bord ins Wasser; begann doch auch jetzt die
Mittagseinsamkeit sich brütend auf das Meer zu
legen. Und als sie sich von mir ertappt sah,
errötete sie nur leicht und lächelte; denn
meine Augen mochten es den ihren schon verraten haben,
wie gern auch ich an Wunder glaubte. ...
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