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Biographie
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1826
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1827
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1828
Rahmenhandlung
1. Teil
Die
Sage vom
Hirschgulden
Rahmenhandlung
2.Teil
Das
kalte Herz
Rahmenhandlung
3. Teil
Saids
Schicksale
Rahmehandlung
4. Teil
Die
Höhle von
Steenfoll
Rahmenhandlung
5. Teil
Das
kalte Herz II
Rahmenhandlung
letzter Teil
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Wilhelm
Hauff
Die Höhlen von Steenfoll
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- Eine schottländische
Sage
- Auf einer Felseninsel Schottlands
lebten vor vielen Jahren zwei Fischer in glücklicher
Eintracht. Sie waren beide unverheiratet, hatten auch
sonst keine Angehörigen, und ihre gemeinsame Arbeit,
obgleich verschieden angewendet, nährte sie beide.
Im Alter kamen sie einander ziemlich nahe, aber von
Person und an Gemütsart glichen sie einander nicht
mehr als ein Adler und ein Seekalb.
- Kaspar Strumpf war ein kurzer, dicker
Mensch mit einem breiten fetten Vollmondgesicht und
gutmütig lachenden Augen, denen Gram und Sorge fremd
zu sein schienen. Er war nicht nur fett, sondern auch
schläfrig und faul, und ihm fielen daher die
Arbeiten des Hauses, Kochen und Backen, das Stricken der
Netze zum eigenen Fischfang und zum Verkaufe, auch ein
großer Teil der Bestellung ihres kleinen Feldes
anheim. Ganz das Gegenteil war sein Gefährte; lang
und hager, mit kühner Habichtnase und scharfen
Augen, war er als der tätigste und glücklichste
Fischer, der unternehmendste Kletterer nach Vögeln
und Daunen, der fleißigste Feldarbeiter auf den
Inseln und dabei als der geldgierigste Händler auf
dem Markte zu Kirchwall bekannt; aber da seine Waren gut
und sein Wandel frei von Betrug war, so handelte jeder
gern mit ihm, und Wilm Falke (so nannten ihn seine
Landsleute) und Kaspar Strumpf, mit welchem erster trotz
seiner Habsucht gerne seinen schwer errungenen Gewinn
teilte, hatten nicht nur eine gute Nahrung, sondern waren
auch auf gutem Wege, einen gewissen Grad von
Wohlhabenheit zu erlangen. Aber Wohlhabenheit allein war
es nicht, was Falkes habsüchtigem Gemüte
zusagte; er wollte reich, sehr reich werden, und da er
bald einsehen lernte, daß auf dem gewöhnlichen
Wege des Fleißes das Reichwerden nicht sehr schnell
vor sich ging, so verfiel er zuletzt auf den Gedanken, er
müßte seinen Reichtum durch irgendeinen
außerordentlichen Glückszufall erlangen, und
da nun dieser Gedanke einmal von seinem heftig wallenden
Geiste Besitz genommen, fand er für nichts anderes
Raum darin, und er fing an, mit Kaspar Strumpf davon als
von einer gewissen Sachen zu reden. Dieser, dem alles,
was Falke sagte, für Evangelium galt, erzählte
es seinen Nachbarn, und bald verbreitete sich das
Gerücht, Wilm Falke hätte sich entweder
wirklich dem Bösen für Gold verschrieben oder
hätte doch ein Anerbieten dazu von dem Fürsten
der Unterwelt bekommen.
- Anfangs zwar verlachte Falke diese
Gerüchte, aber allmählich gefiel er sich in dem
Gedanken, daß irgendein Geist ihm einmal einen
Schatz verraten könne, und er widersprach nicht
länger, wenn ihn seine Landsleute damit aufzogen. Er
trieb zwar noch immer sein Geschäft fort, aber mit
weniger Eifer, und verlor oft einen großen Teil der
Zeit, die er sonst mit Fischfang oder andern
nützlichen Arbeiten zuzubringen pflegte, in
zwecklosem Suchen irgendeines Abenteurers, wodurch er
plötzlich reich werden sollte. Auch wollte es sein
Unglück, daß, als er eines Tages am einsamen
Ufer stand und in bestimmter Hoffnung auf das bewegte
Meer hinausblickte, als solle ihm von dort sein
großes Glück kommen, eine große Welle
unter einer Menge losgerissenen Mooses und Gesteins eine
gelbe Kugel - eine Kugel von Gold zu seinen
Füßen rollte.
- Wilm stand wie bezaubert; so waren
denn seine Hoffnungen nicht leere Träume gewesen,
das Meer hatte ihm Gold, schönes reines Gold
geschenkt, wahrscheinlich die Überreste einer
schweren Barre, welche die Wellen auf dem Meeresgrund bis
zur Größe einer Flintenkugel abgerieben. Und
stand es klar vor seiner Seele, daß einmal irgendwo
an dieser Küste ein reichbeladenes Schiff
gescheitert sein müsse und daß er dazu ersehen
sei, die im Schoße des Meeres begrabenen
Schätze zu heben. Dies ward von nun an sein einziges
Streben; seinen Fund sorgfältig selbst vor seinem
Freunde verbergend, damit nicht auch andere seiner
Entdeckung auf die Spur kämen, versäumte er
alles andere und brachte Tage und Nächte an dieser
Küste zu, wo er nicht sein Netz nach Fischen,
sondern eine eigens dazu verfertigte Schaufel - nach Gold
auswarf. Aber er fand nichts als Armut; denn er selbst
verdiente nichts mehr, und Kaspars schläfrige
Bemühungen reichten nicht hin, sie beide zu
ernähren. Im Suchen größerer Schätze
verschwand nicht nur das gefundene Gold, sondern
allmählich auch das ganze Eigentum der Junggesellen.
Aber so wie Strumpf früher stillschweigend von Falke
den besten Teil seiner Nahrung hatte erwerben lassen, so
ertrug er es auch jetzt schweigend und ohne Murren,
daß die zwecklose Tätigkeit desselben sie ihm
jetzt entzog; und gerade dieses sanftmütige Dulden
seines Freundes war es, was jenen nur noch stärker
anspornte, sein rastloses Suchen nach Reichtum noch mehr
fortzusetzen. Was ihn aber noch tätiger machte, war,
daß, sooft er sich zur Ruhe niederlegte und seine
Augen sich zum Schlummer schlossen, etwas ihm ein Wort
ins Ohr raunte, das er zwar sehr deutlich zu vernehmen
glaubte und das ihm jedesmal dasselbe schien, das er aber
niemals behalten konnte. Zwar wußte er nicht, was
dieser Umstand, so sonderbar er auch war, mit seinem
jetzigen Streben zu tun haben könnte; aber auf ein
Gemüt, wie Wilm Falkes, mußte alles wirken,
und auch dieses geheimnisvolle Flüstern half ihn in
dem Glauben bestärken, daß ihm ein
großes Glück bestimmt sei, das er nur in einem
Goldhaufen zu finden hoffte.
- Eines Tages überraschte ihn ein
Sturm am Ufer, wo er die Goldkugel gefunden hatte, und
die Heftigkeit desselben trieb ihn an, in einer nahen
Höhle Zuflucht zu suchen. Diese Höhle, welche
die Einwohner die Höhle von Steenfoll nennen,
besteht aus einem langen unterirdischen Gange, welcher
sich mit zwei Mündungen gegen das Meer öffnet
und den Wellen einen freien Durchgang läßt,
die sich beständig mit lautem Brüllen
schäumend durch denselben hinarbeiten. Diese
Höhle war nur an einer Stelle zugänglich, und
zwar durch eine Spalte von oben her, welche aber selten
von jemand anderm als mutwilligen Knaben betreten ward,
indem zu den eigenen Gefahren des Ortes sich noch der Ruf
eines Geisterspuks gesellte. Mit Mühe ließ
Wilm sich in denselben hinab und nahm ungefähr
zwölf Fuß tief von der Oberfläche auf
einem vorspringenden Stein und unter einem
überhängenden Felsenstück Platz, wo er mit
den brausenden Wellen unter seinen Füßen und
dem wütenden Sturm über seinem Haupte in seinen
gewöhnlichen Gedankenzug verfiel, nämlich von
dem gescheiterten Schiff, und was für ein Schiff es
wohl gewesen sein möchte; denn trotz allen seinen
Erkundigungen hatte er selbst von den ältesten
Einwohnern von keinem an dieser Stelle gescheiterten
Fahrzeuge Nachricht erhalten können. Wie lange er so
gesessen, wußte er selbst nicht; als er aber
endlich aus seinen Träumereien erwachte, entdeckte
er, daß der Sturm vorüber sei; und er wollte
eben wieder emporsteigen, als eine Stimme sich aus der
Tiefe vernehmen ließ und das Wort Carmil-han ganz
deutlich in sein Ohr drang. Erschrocken fuhr er in die
Höhe und blickte in den leeren Abgrund hinab.
"Großer Gott!" schreit er. "Das ist das Wort, das
mich in meinem Schlafe verfolgt! Was, um Himmels willen,
mag es bedeuten?" - "Carmilhan!" seufzte es noch einmal
aus der Höhle herauf, als er schon mit einem
Fuß die Spalte verlassen hatte, und er floh wie ein
gescheuchtes Tier seiner Hütte zu.
- Wilm war indessen keine Memme; die
Sache war ihm nur unerwartet gekommen, und sein Geldgeiz
war auch überdies zu mächtig in ihm, als
daß ihn irgendein Anschein von Gefahr hätte
abschrecken können, auf seinem gefahrvollen Pfade
fortzuwandern. Einst, als er spät in der Nacht beim
Mondschein der Höhle von Steenfoll gegenüber
mit seiner Schaufel nach Schätzen fischte, blieb
dieselbe auf einmal an etwas hängen. Er zog aus
Leibeskräften, aber die Masse blieb unbeweglich.
Inzwischen hob sich der Wind, dunkle Wolken
überzogen den Himmel, heftig schaukelte das Boot und
drohte umzuschlagen; aber Wilm ließ sich nicht
irremachen; er zog und zog, bis der Widerstand
aufhörte, und da er keine Gewicht fühlte,
glaubte er, sein Seil wäre gebrochen. Aber gerade
als die Wolken sich über dem Monde zusammenziehen
wollten, erschien eine runde schwarze Masse auf der
Oberfläche, und es erklang das ihn verfolgende Wort:
Carmilhan! Hastig wollte er nach ihr greifen, aber ebenso
schnell, als er den Arm danach ausstreckte, verschwand
sie in der Dunkelheit der Nacht, und der eben
losbrechende Sturm zwang ihn, unter den nahen Felsen
Zuflucht zu suchen. Hier schließ er vor
Ermüdung ein, um im Schlafe, von einer
ungezügelten Einbildungskraft gepeinigt, aufs neue
die Qualen zu erdulden, die ihn sein rastloses Streben
nach Reichtum am Tage erleiden ließ. Die ersten
Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf den jetzt
ruhigen Spiegel des Meeres, als Falke erwachte. Eben
wollte er wieder hinaus an die gewohnte Arbeit, als er
von Ferne etwas auf sich zukommen sah. Er erkannte es
bald für ein Boot und in demselben eine menschliche
Gestalt; was aber sein größtes Erstaunen
erregte, war, daß das Fahrzeug sich ohne Segel oder
Ruder fortbewegte, und zwar mit dem Schnabel gegen das
Ufer gekehrt, und ohne daß die darinsitzende
Gestalt sich im geringsten um das Steuerruder zu
bekümmern schien, wenn es ja eins hatte. Das Boot
kam immer näher und hielt endlich neben Wilms
Fahrzeug stille. Die Person in demselben zeigte sich
jetzt als ein kleines, verschrumpftes altes
Männchen, das in gelbe Leinwand gekleidet war und
mit roter, in der Höhe stehender Nachtmütze,
mit geschlossenen Augen und unbeweglich wie ein
getrockneter Leichnam dasaß. Nachdem er es
vergebens angerufen und gestoßen hatte, wollte er
eben einen Strick an das Boot befestigen und
wegführen, als das Männchen die Augen aufschlug
und sich zu bewegen anfing, auf eine Weise, welche selbst
den kühnen Fischer mit Grausen
erfüllte.
- "Wo bin ich?" fragte es nach einem
tiefen Seufzer auf holländisch Falke, welcher von
den holländischen Heringsfängern etwas von
ihrer Sprache gelernt hatte, nannte ihm den Namen der
Insel und fragte, wer er den sei und was ihn
hierhergebracht.
- "Ich komme, um nach dem Carmilhan zu
sehen."
- "Dem Carmilhan? Um Gottes willen! Was
ist das?" rief der begierige Fischer.
- "Ich gebe keine Antwort auf Fragen,
die man mir auf diese Weise tut", erwiderte das
Männchen mit sichtbarer Angst.
- "Nun", schrie Falke, "was ist
Carmilhan?" -
- "Der Carmilhan ist jetzt nichts, aber
einst war es ein schönes Schiff, mit mehr Gold
beladen, als je ein anderes Fahrzeug
getragen."
- "Wo ging es zu Grunde und
wann?"
- "Es war vor hundert Jahren; wo,
weiß ich nicht genau; ich komme, um die Stelle
aufzusuchen und das verlorene Gold aufzufischen; willst
du mir helfen, so wollen wir den Fund miteinander
teilen."
- "Mit ganzem Herzen, sag mir nur, was
muß ich tun?"
- "Was du tun mußt, erfordert
Mut; du mußt dich gerade vor Mitternacht in die
wildeste und einsamste Gegend auf der Insel begeben,
begleitet von einer Kuh, die du dort schlachten und dich
von jemand in ihre frische Haut wickeln lassen
mußt. Dein Begleiter muß dich dann
niederlegen und allein lassen, und ehe es ein Uhr
schlägt, weißt du, wo die Schätze des
Carmilhan liegen."
- "Auf diese Weise fiel der alte Engrol
mit Leib und Seele ins Verderben!" rief Wilm mit
Entsetzen. "Du bist der böse Geist", fuhr er fort,
indem er hastig davonruderte, "geh zur Hölle! Ich
mag nichts mit dir zu tun haben."
- Das Männchen knirschte,
schimpfte und fluchte ihm nach; aber der Fischer, welcher
zu beiden Rudern gegriffen hatte, war ihm bald aus dem
Gehör, und nachdem er um einen Felsen gebogen, auch
aus dem Gesicht. Aber die Entdeckung, daß der
böse Geist sich seinen Geiz zunutze zum machen und
mit Gold in seine Schlinge zu locken suchte, heilte den
verblendeten Fischer nicht, im Gegenteil, er meinte die
Mitteilung des gelben Männchens benützen zu
können, ohne sich dem Bösen zu
überliefern; und indem er fortfuhr, an der öden
Küste nach Gold zu fischen, vernachlässigte er
den Wohlstand, den ihm die reichen Fischzüge in
andern Gegenden des Meeres darboten, sowie alle andern
Mittel, auf die er ehemals seinen Fleiß verwendet,
und versank von Tag zu Tage nebst seinem Gefährten
in tiefere Armut, bis es endlich oft an den notwendigsten
Lebensbedürfnissen zu fehlen anfing. Aber obgleich
dieser Vorfall gänzlich Falkes Halsstarrigkeit und
falscher Begierde zugeschrieben werden mußte und
die Ernährung beider jetzt Kaspar Strumpf allein
anheimfiel, so machte ihm doch dieser niemals den
geringsten Vorwurf; ja er bezeigte ihm immer noch
dieselbe Unterwürfigkeit, dasselbe Vertrauen in
seinen besseren Verstand als zu Zeit, wo ihm seine
Unternehmungen allezeit geglückt waren; dieser
Umstand vermehrte Falkes Leiden um ein großes, aber
trieb ihn, noch mehr Gold zu suchen, weil er dadurch
hoffte, auch seinen Freund für sein
gegenwärtiges Entbehren schadlos halten zu
können. Dabei verfolgte ihn das teuflische
Geflüster des Wortes Carmilhan noch immer in seinem
Schlummer. Kurz, Not, getäuschte Erwartung und Geiz
trieben ihn zuletzt zu einer Art von Wahnsinn, so
daß er wirklich beschloß, das zu tun, was ihm
das Männchen angeraten, obgleich er, nach der alten
Sage, wohl wußte, daß er sich damit den
Mächten der Finsternis übergab.
- Alle Gegenvorstellungen Kaspars waren
vergebens. Falke ward nur um so heftiger, je mehr jener
ihn anflehte, von seinem verzweifelten Vorhaben
abzustehen. Und der gute, schwache Mensch willigte
endlich ein, ihn zu begleiten und ihm seinen Plan
ausführen zu helfen. Beider Herzen zogen sich
schmerzhaft zusammen, als sie einen Strick um die
Hörner einer schönen Kuh, ihr letztes Eigentum,
legten die sie vom Kalbe aufgezogen und die sie sich
immer zu verkaufen geweigert hatten, weil sie's nicht
übers Herz bringen konnten, sie in fremden
Händen zu sehen. Aber der böse Geist, welcher
sich Wilms bemeisterte, erstickte jetzt alle besseren
Gefühle in ihm, und Kaspar wußte ihm in nichts
zu widerstehen. Es war im September, und die langen
Nächte des schottischen Winters hatten angefangen.
Die Nachtwolken wälzten sich schwer vor dem rauhen
Abendwinde und türmten sich wie Eisberg im
Clydestrom, tiefer Schatten füllte die Schluchten
zwischen dem Gebirge und den feuchten Torfsümpfen,
und die trüben Bette der Ströme blickten
schwarz und furchtbar wie Höllenschlünde. Falke
ging voran, und Strumpf folgte, schaudernd über
seine eigene Kühnheit, und Tränen füllten
sein mattes Auge, sooft er das arme Tier ansah, welches
so vertrauensvoll und bewußtlos seinem baldigen
Tode entgegenging, der ihm von der Hand werden sollte,
die ihm bisher seine Nahrung gereicht. Mit Mühe
kamen sie in das enge sumpfige Bergtal, welches hie und
da mit Moos und Heidekraut bewachsen, mit großen
Steinen übersät war und von einer wilden
Gebirgskette umgeben lag, die sich in grauen Nebel verlor
und wohin der Fuß eines Menschen sich selten
verstieg. Sie näherten sich auf wankendem Boden
einem großen Stein, welcher in der Mitte stand und
von welchem ein verscheuchter Adler krächzend in die
Höhe flog. Die arme Kuh brüllte dumpf, als
erkenne sie die Schrecknisse des Ortes und das ihr
bevorstehende Schicksal. Kaspar wandte sich weg, um sich
die schnellfließenden Tränen abzuwischen. Er
blickte hinab durch die Felsenöffnung, durch welche
sie heraufgekommen waren, von wo aus man die ferne
Brandung des Meeres hörte; und dann hinauf nach den
Berggipfeln, auf welche sich ein kohlschwarzes
Gewölk gelagert hatte, aus welchem man von Zeit zu
Zeit ein dumpfes Murmeln vernahm. Als er sich wieder nach
Wilms umsah, hatte dieser bereits die arme Kuh an den
Stein gebunden und stand mit aufgehobener Axt, im
Begriff, das gute Tier zu fällen.
- Dies war zuviel für seinen
Entschluß, sich in den Willen seines Freundes zu
fügen. Mit gerungenen Händen stürzte er
sich auf die Knie. "Um Gottes willen, Wilm Falke!" schrie
er mit der Stimme der Verzweiflung. "Schone dich, schone
die Kuh! Schone dich und mich! Schone deine Seele! -
Schone dein Leben! Und mußt du Gott so versuchen,
so warte bis morgen und opfere lieber ein anderes Tier
als unsere liebe Kuh!"
- "Kaspar, bist du toll?" schrie Wilm
wie ein Wahnsinniger, indem er noch immer die Axt in die
Höhe geschwungen hielt. "Soll ich die Kuh schonen
und verhungern?"
- "Du sollst nicht verhungern",
antwortete Kaspar entschlossen. "Solange ich Hände
habe, sollst du nicht verhungern. Ich will vom Morgen bis
in die Nacht für dich arbeiten. Nur bring dich nicht
um deiner Seelen Seligkeit und laß mir das arme
Tier leben!"
- "Dann nimm die Axt und spalte mir den
Kopf", schrie Falke mit verzweifeltem Tone, "ich gehe
nicht von diesem Fleck, bis ich habe, was ich verlange. -
Kannst du die Schätze des Carmilhan für mich
heben? Können deine Hände mehr erwerben als die
elendsten Bedürfnisse des Lebens? - Aber sie
können meinen Jammer enden - komm und laß mich
das Opfer sein!"
- "Wilm, töte die Kuh, töte
mich! Es liegt mir nichts daran, es ist mir ja nur um
deine Seligkeit zu tun. Ach! Dies ist ja der Piktenaltar,
und das Opfer, das du bringen willst, gehört der
Finsternis."
- "Ich weiß von nichts
dergleichen", rief Falke wild lachend, wie einer, der
entschlossen ist, nichts wissen zu wollen, was ihn von
seinem Vorsatz abbringen könnte. "Kaspar, du bist
toll und machst mich toll - aber da", fuhr er fort, indem
er das Beil von sich warf und das Messer vom Steine
aufnahm, wie wenn er sich durchstoßen wollte, "da
behalte die Kuh statt meiner!"
- Kaspar war in einem Augenblick bei
ihm, riß ihm das Mordwerkzeug aus der Hand, er
faßte das Beil, schwang es hoch in die Luft und
ließ es mit solcher Gewalt auf des geliebten Tieres
Kopf fallen, daß es ohne zu zucken tot zu seines
Herrn Füßen niederstürzte.
- Ein Blitz, begleitet von einem
Donnerschlage, folgte dieser raschen Handlung, und Falke
starrte seinen Freund mit Augen an, womit ein Mann ein
Kind anstarren würde, das sich das zu tun getrauet,
was er selbst nicht gewagt. Strumpf schien aber weder von
dem Donner erschreckt noch durch das starre Erstaunen
seines Gefährten außer Fassung gebracht,
sondern fiel, ohne ein Wort zu reden, über die Kuh
her und fing an, ihr die Haut abzuziehen. Als Wilm sich
ein wenig erholt hatte, half er ihm in diesem
Geschäfte, aber mit so sichtbarem Widerwillen, als
er vorher begierig gewesen war, das Opfer vollendet zu
sehen. Während dieser Arbeit hatte sich das Gewitter
zusammengezogen, der Donner brüllte laut im Gebirge,
und furchtbare Blitze schlängelten sich um den Stein
und über das Moor der Schlucht hin, während der
Wind, welcher diese Höhe noch nicht erreicht hatte,
die unteren Täler und das Gestade mit wildem Heulen
erfüllte. Und als die Haut endlich abgezogen war,
fanden beide Fischer sich schon bis auf die Haut
durchnäßt. Sie breiteten jene auf dem Boden
aus und Kaspar wickelte und band Falke, so wie dieser es
ihn geheißen, in derselben ein. Dann erst, als dies
geschehen war, brach der arme Mensch das lange
Stillschweigen, und indem er mitleidig auf seinen
betörten Freund hinabblickte, fragte er mit
zitternder Stimme: "Kann ich noch etwas für dich
tun, Wilm?"
- "Nichts mehr", erwiderte der andere,
"lebe wohl!"
- "Leb wohl", erwiderte Kaspar, "Gott
sei mit dir und vergebe dir, wie ich es tue!"
- Dies waren die letzen Worte, welche
Wilm von ihm hörte, denn im nächsten
Augenblicke war er in der immer zunehmenden Dunkelheit
verschwunden. Und in demselben Augenblicke brach auch
einer der fürchterlichsten Gewitterstürme, die
Wilm nur je gehört hatte, aus. Er fing an mit einem
Blitz, welche Falke nicht nur die Berge und Felsen in
seiner unmittelbaren Nähe, sondern auch das Tal
unter ihm, mit dem schäumenden Meere und den in der
Bucht zerstreut liegenden Felseninseln zeigte, zwischen
welchen er die Erscheinung eines großen,
fremdartigen und entmasteten Schiffes zu erblicken
glaubte, welches auch im Augenblicke wieder in der
schwärzesten Dunkelheit verschwand. Die
Donnerschläge wurden ganz betäubend. Eine Masse
Felsenstücke rollte vom Gebirge herab und drohte ihn
zu erschlagen. Der Regen ergoß sich in solcher
Menge, daß er in einem Augenblicke das enge
Sumpftal mit einer hohen Flut durchströmte, welche
bald bis zu Wilms Schultern hinaufreiche, denn
glücklicherweise hatte ihn Kaspar mit dem oberen
Teile des Körpers auf eine Erhöhung gelegt,
sonst hätte er auf einmal ertrinken müssen. Das
Wasser stieg immer höher, und je mehr Wilm sich
anstrengte, sich aus seiner gefahrvollen Lage zu
befreien, desto fester umgab ihn die Haut. Umsonst rief
er nach Kaspar. Kaspar war weit weg. Gott in seiner Not
anzurufen, wagte er nicht, und ein Schauder ergriff ihn,
wenn er die Mächte anflehen wollte, deren Gewalt er
sich hingegeben fühlte.
- Schon drang ihm das Wasser in die
Ohren, schon berührte es den Rand der Lippen. "Gott
ich bin verloren!" schrie er, indem er einen Strom
über sein Gesicht hinwegstürzen fühlte -
aber in demselben Augenblick drang ein Schall, wie von
einem nahen Wasserfall, schwach an sein Gehör, und
sogleich war auch sein Mund wieder unbedeckt. Die Flut
hatte sich durch das Gestein Bahn gebrochen, und da zu
gleicher Zeit der Regen etwas nachließ und das
tiefe Dunkel des Himmels sich etwas verzog, so ließ
auch seine Verzweiflung nach, und es schien ihm ein
Strahl der Hoffnung zurückzukehren. Aber obgleich er
sich wie von einem Todeskampfe erschöpft fühlte
und sehnlich wünschte, aus seiner Gefangenschaft
erlöst zu sein, so war doch der Zweck seines
verzweifelten Strebens noch nicht erreicht, und mit der
verschwundenen unmittelbaren Lebensgefahr kam auch die
Habsucht mit all ihren Furien in seine Brust zurück.
Aber überzeugt, daß er in seiner Lage
ausharren müsse, um sein Ziel zu erreichen, hielt er
sich ruhig und fiel vor Kälte und Ermüdung in
einen festen Schlaf.
- Er mochte ungefähr zwei Stunden
geschlafen haben, als ihn ein kalter Wind, der ihm
übers Gesicht fuhr, und ein Rauschen, wie von
herannahenden Meereswogen, aus seiner glücklichen
Selbstvergessenheit aufrüttelte. Der Himmel hatte
sich aufs neue verfinstert. Ein Blitz, wie der, welcher
den ersten Sturm herbeigeführt, erhellte noch einmal
die Gegend umher, und er glaubte abermals das fremde
Schiff zu erblicken, das jetzt dicht vor der
Steenfollklippe auf einer hohen Welle zu hängen und
dann jählings in den Abgrund zu schießen
schien. Er starrte noch immer nach dem Phantom, denn ein
unaufhörliches Blitzen hielt jetzt das Meer
erleuchtet, als sich auf einmal eine berghohe Wasserhose
aus dem Tale erhob und ihn mit solcher Gewalt gegen einen
Felsen schleuderte, daß ihm alle Sinne vergingen.
Als er wieder zu sich selbst kam, hatte sich das Wetter
verzogen, der Himmel war heiter, aber das Wetterleuchten
dauerte noch immer fort. Er lag dicht am Fuße des
Gebirges, welches dieses Tal umschloß, und er
fühlte sich so zerschlagen, daß er sich kaum
zu rühren vermochte. Er hörte das stillere
Brausen der Brandung und mittendrinnen eine feierliche
Musik, wie Kirchengesang. Diese Töne waren anfangs
so schwach, daß er sie für Täuschung
hielt. Aber sie ließen sich immer wieder aufs neue
vernehmen, und jedesmal deutlicher und näher, und es
schien ihm zuletzt, als könne er darin die Melodie
eines Psalms unterscheiden, die er im vorigen Sommer an
Bord eines holländischen Heringsfängers
gehört hatte.
- Endlich unterschied er sogar Stimmen,
und es deuchte ihm, als vernehme er sogar die Worte jenes
Liedes. Die Stimmen waren jetzt in dem Tale, und als er
sich mit Mühe zu einem Steine hingeschoben, auf den
er den Kopf legte, erblickte er wirklich einen Zug von
menschlichen Gestalten, von welchen diese Musik ausging
und der sich gerade auf ihn zubewegte. Kummer und Angst
lag auf den Gesichtern der Leute, deren Kleider von
Wasser zu triefen schienen. Jetzt waren sie dicht bei
ihm, und ihr Gesang schwieg. An ihrer Spitze waren
mehrere Musikanten, dann mehrere Seeleute, und hinter
diesen kam ein großer, starker Mann in
altväterlicher, reich mit Gold besetzter Tracht, mit
einem Schwert an der Seite, und einem langen dicken
spanischen Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand. Ihm zur
Linken ging ein Negerknabe, welcher seinem Herrn von Zeit
zu Zeit eine lange Pfeife reichte, aus der er einige
feierliche Züge tat und dann weiterschritt. Er blieb
kerzengerade vor Wilm stehen, und ihm zu beiden Seiten
stellten sich andere, minder prächtig gekleidete
Männer, welche alle Pfeifen in den Händen
hatten, die aber nicht so kostbar schienen als die
Pfeife, welche dem dicken Manne nachgetragen wurde.
Hinter diesen traten andere Personen auf, worunter
mehrere Frauenspersonen, von denen einige Kinder in den
Armen oder an der Hand hatten, alle in kostbarer, aber
fremdartiger Kleidung. Ein Haufen holländischer
Matrosen schloß den Zug, deren jeder den Mund voll
Tabak und zwischen den Zähnen ein braunes Pfeifchen
hatte, das sie in düsterer Stille
rauchten.
- Der Fischer blickte mit Grauen auf
diese sonderbare Versammlung; aber die Erwartung dessen,
was da kommen werde, hielt seinen Mut aufrecht. Lange
standen sie so um ihn her, und der Rauch ihrer Pfeifen
erhob sich wie eine Wolke über sie, zwischen welcher
die Sterne hindurchblickten. Der Kreis zog sich immer
enger um Wilm her, das Rauchen ward immer heftiger und
dicker die Wolke, die aus Mund und Pfeifen hervorstieg.
Falke war ein kühner, verwegener Mann; er hatte sich
auf Außerordentliches vorbereitet; aber als er
diese unbegreifliche Menge immer näher auf ihn
eindringen sah, als wollte sie ihn mit ihrer Masse
erdrücken, da entsank ihm der Mut, dicker
Schweiß trat ihm vor die Stirne, und er glaubte,
vor Angst vergehen zu müssen. Aber man denke sich
erst seinen Schrecken, als er von ungefähr die Augen
wandte und dicht an seinem Kopfe das gelbe Männchen
steif und aufrecht sitzen sah, wie er es zum erstenmal
erblickt, nur daß es jetzt, wie zum Spotte der
ganzen Versammlung, auch eine Pfeife im Munde hatte. In
der Todesangst, die ihn jetzt ergriff, rief er zu der
Hauptperson gewendet: "Im Namen dessen, dem Ihr dienet,
wer seid Ihr? Und was verlangt Ihr von mir?" Der
große Mann rauchte drei Züge, feierlicher als
je, gab dann die Pfeife seinem Diener und antwortete mit
schrecklicher Kälte: "Ich bin Alfred Franz van der
Swelder, Befehlshaber des Schiffes Carmilhan von
Amsterdam, welches auf dem Heimwege von Batavia mit Mann
und Maus an dieser Felsenküste zu Grunde ging; dies
sind meine Offiziere, dies meine Passagiere und jenes
meine braven Seeleute, welche alle mit mir ertranken.
Warum hast du uns aus unseren tiefen Wohnungen im Meer
hervorgerufen? Warum störest du unsere
Ruhe?"
- "Ich möchte wissen, wo die
Schätze des Carmilhan liegen."
- "Am Boden des Meeres."
- "Wo?"
- "In der Höhle von
Steenfoll."
- "Wie soll ich sie
bekommen?"
- "Eine Gans taucht in den Schlund nach
einem Hering; sind die Schätze des Carmilhan nicht
ebensoviel wert?"
- "Wieviel davon werde ich
bekommen?"
- "Mehr als du je verzehren wirst." Das
gelbe Männchen grinste, und die ganze Versammlung
lachte laut auf. "Bist du zu Ende?" fragte der Hauptmann
weiter.
- "Ich bin's. Gehabt dich
wohl!"
- "Leb wohl, bis aufs Wiedersehen",
erwiderte der Holländer und wandte sich zum Gehen,
die Musikanten traten aufs neue an die Spitze, und der
ganze Zug entferne sich in derselben Ordnung in welcher
er gekommen war, und mit demselben feierlichen Gesang,
welcher mit der Entfernung immer leiser und undeutlicher
wurde, bis er sich nach einiger Zeit gänzlich im
Geräusche der Brandung verlor. Jetzt strengte Wilm
seine letzten Kräfte an, sich aus seinen Banden zu
befreien, und es gelang ihm endlich, einen Arm
loszubekommen, womit er die ihn umwindenden Stricke
löste und sich endlich ganz aus der Haut wickelte.
Ohne sich umzusehen, eile er nach seiner Hütte und
fand den armen Kaspar Strumpf in starrer
Bewußtlosigkeit am Boden liegen. Mit Mühe
brachte er ihn wieder zu sich selbst, und der gute Mensch
weinte vor Freude, als er den verloren geglaubten
Jugendfreund wieder vor sich sah. Aber dieser
beglückende Strahl verschwand schnell wieder, als er
von diesem vernahm, welch verzweifeltes Unternehmen er
jetzt vorhatte.
- "Ich wollte mich lieber in die
Hölle stürzen als diese nackten Wände und
dieses Elend länger ansehen. - Folge mir oder nicht,
ich gehe." Mit diesen Worten faßte Wilm eine
Fackel, ein Feuerzeug und ein Seil und eilte davon.
Kaspar eilte ihm nach, so schnell er's vermochte, und
fand ihn schon auf dem Felsstück stehen, auf welchem
er vormals gegen den Sturm Schutz gefunden, und bereit,
sich an dem Stricke in den brausenden schwarzen Schlund
hinabzulassen. Als er fand, daß alle seine
Vorstellungen nichts über den rasenden Menschen
vermochten, bereitete er sich, ihm nachzusteigen, aber
Falke befahl ihm, zu bleiben und den Strick zu halten.
Mit furchtbarer Anstrengung, wozu nur die blindeste
Habsucht den Mut und die Stärke geben konnte,
kletterte Falke in die Höhle hinab und kam endlich
auf ein vorspringendes Felsenstück zu stehen, unter
welchem die Wogen schwarz und mit weißem Schaume
bekräuselt brausend dahineilten. Er blickte begierig
umher und sah endlich etwas gerade unter ihm im Wasser
schimmern. Er legte die Fackel nieder, stürzte sich
hinab und erfaßte etwas Schweres, das er auch her
aufbrachte. Es war ein eisernes Kästchen voller
Goldstücke. Er verkündete seinem
Gefährten, was er gefunden, wollte aber durchaus
nicht auf sein Flehen hören, sich damit zu
begnügen und wieder heraufzusteigen. Falke meinte,
dies wäre nur die erste Frucht seiner langen
Bemühungen. Er stürzte sich noch einmal hinab -
es erscholl lautes Gelächter aus dem Meere, und Wilm
Falke ward nie wieder gesehen. Kaspar ging allein nach
Hase, aber als ein anderer Mensch. Die seltsamen
Erschütterungen, die sein schwacher Kopf und sein
empfindsames Herz erlitten, zerrütteten ihm die
Sinne. Er ließ alles um sich her verfallen und
wanderte Tag und Nacht gedankenlos vor sich starrend
umher, von allen seinen vorigen Bekannten bedauert und
vermieden. Ein Fischer will Wilm Falke in einer
stürmischen Nacht mitten unter der Mannschaft des
Carmilhan am Ufer erkannt haben, und in derselben Nacht
verschwand auch Kaspar Strumpf.
- Man suchte ihn allenthalben, allein
nirgends hat man eine Spur von ihm finden können.
Aber die Sage geht, daß er oft nebst Falke mitten
unter der Mannschaft des Zauberschiffes gesehen worden
sei, welches seitdem zu regelmäßigen Zeiten an
der Höhle von Steenfoll erschien.
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