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Biographie
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1826
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1827
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1828
Rahmenhandlung
1. Teil
Die
Sage vom
Hirschgulden
Rahmenhandlung
2.Teil
Das
kalte Herz
Rahmenhandlung
3. Teil
Saids
Schicksale
Rahmehandlung
4. Teil
Die
Höhle von
Steenfoll
Rahmenhandlung
5. Teil
Das
kalte Herz II
Rahmenhandlung
letzter Teil
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Wilhelm
Hauff
Die Sage vom Hirschgulden
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- In Oberschwaben stehen noch
heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die
stattlichste der Gegend war: Hohenzollern. Sie erhebt
sich auf einem runden steilen Berg, und von ihrer
schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So
weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land
umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern
gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in
allen deutschen Landen. Nun lebte vor mehreren hundert
Jahren, ich glaube das Schießpulver war kaum
erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein
sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß
er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen
Nachbarn in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute
ihm niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge,
seiner krausen Stirn und seinem einsilbigen,
mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer
dem Schloßgesinde, die ihn je hätten
ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn
wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und
schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte:
"Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schön Wetter",
so antwortete er: "Dummes Zeug!" oder "Weiß
schon!". Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht,
für ihn oder seine Rosse, begegnete ihn ein Bauer im
Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen
nicht schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud
sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen; doch
hat man nie gehört, daß er bei solchen
Gelegenheiten einen Bauern geschlagen hätte. In der
Gegend aber hieß man ihn "das böse Wetter von
Zollern".
-
- Das böse Wetter von Zollern
hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm und so mild
und freundlich war wie ein Maitag. Oft hat sie Leute, die
ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch
freundliche Worte und ihre gütigen Blicke wieder mit
ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat sie Gutes, wo sie
konnte, und ließ es sich nicht verdrießen,
sogar im heißen Sommer oder im schrecklichsten
Schneegestöber den steilen Berg herabzugehen, um
arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr
auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch:
"Weiß schon, dummes Zeug!" und ritt
weiter.
-
- Manch andere Frau hätte dieses
mürrische Wesen abgeschreckt oder
eingeschüchtert; die eine hätte gedacht, was
gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie
für dummes Zeug hält; die andere hätte
vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so
mürrischen Gatten erkalten lassen; doch nicht so
Frau Hedwig von Zollern. Die liebte ihn nach wie vor,
suchte mit ihrer schönen weißen Hand die
Falten von seiner braunen Stirn zu streichen und liebte
und ehrte ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein
junges Gräflein zum Angebinde bescherte, liebte sie
ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Söhnchen
dennoch alle Pflichten einer zärtlichen Mutter
erzeigte. Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von
Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo
er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn
dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihm
der Amme zurück. Als jedoch der Kleine "Vater" sagen
konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden -dem Kind
machte er kein fröhlicheres Gesicht.
-
- An seinem dritten Geburtstag aber
ließ der Graf seinem Sohn die ersten Höslein
anziehen und kleidete ihn prächtig in Samt und
Seide; dann befahl er, seinen Rappen und ein anderes
schönes Roß vorzuführen, nahm den Kleinen
auf den Arm und fing an, mit klirrenden Sporen die
Wendeltreppe hinunterzusteigen. Frau Hedwig erstaunte,
als sie dies sah. Sie war sonst gewohnt, nicht zu fragen,
wo aus und wann heim?, wenn er ausritt, aber diesmal
öffnete die Sorge um ihr Kind ihre Lippen. "Wollt
Ihr ausreiten, Herr Graf?" sprach sie weiter. "Kuno wird
mit mir spazierengehen."
-
- "Weiß schon!" entgegnete das
böse Wetter von Zollern und ging weiter; und als er
im Hofe stand, nahm er den Knaben bei einem
Füßlein, hob ihn schnell in den Sattel, band
ihn mit einem Tuch fest, schwang sich selbst auf den
Rappen und trabte zum Burgtor hinaus, indem er den
Zügel vom Rosse seines Söhnleins in die Hand
nahm.
- Dem Kleinen schien es anfangs
großes Vergnügen zu gewähren, mit dem
Vater den Berg hinabzureiten. Er klopfte in die
Hände, er lachte und schüttelte sein
Rößlein an den Mähnen, damit es schneller
laufen sollte, und der Graf hatte seine Freude daran,
rief auch einige Male: "Kannst ein wackerer Bursche
werden."
-
- Als sie aber in der Ebene angekommen
waren und der Graf statt Schritt Trab anschlug, da
vergingen dem Kleinen die Sinne; er bat anfangs ganz
bescheiden, sein Vater möchte langsamer reiten, als
es aber immer schneller ging und der heftige Wind dem
armen Kuno beinahe den Atem nahm, da fing er an, still zu
weinen, wurde immer ungeduldiger und schrie am Ende aus
Leibeskräften.
-
- "Weiß schon! Dummes Zeug!" fing
jetzt sein Vater an. "Heult der Junge beim ersten Ritt;
schweig oder ..." Doch den Augenblick, als er mit einem
Fluche sein Söhnlein aufmuntern wollte, bäumte
sich sein Roß; der Zügel des andern entfiel
seiner Hand, er arbeitete sich ab, Meister seines Tieres
zu werden, und als er es zur Ruhe gebracht hatte und sich
ängstlich nach seinem Kinde umsah, erblickte er
dessen Pferd, wie es ledig und ohne den kleinen Reiter
der Burg zulief.
-
- So ein harter, finsterer Mann der
Graf von Zollern sonst war, so überwand doch dieser
Anblick sein Herz; er glaubte nicht anders, als sein Kind
liege zerschmettert am Weg; er raufte sich den Bart und
jammerte. Aber nirgends, so weit er zurückritt, sah
er eine Spur von dem Knaben; schon stellte er sich vor,
das scheu gewordene Roß habe ihn in einen
Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da
hörte er von einer Kinderstimme hinter sich seinen
Namen rufen, und als er sich flugs umwandte -sieh, da
saß ein altes Weib unweit der Straße unter
einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren
Knien.
-
- "Wie kommst du zu dem Knaben, alte
Hexe?" schrie der Graf in großem Zorn. "Sogleich
bringe ihn heran zu mir."
- "Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer
Gnaden!" lachte die alte häßliche Frau.
"Könntet sonst auch ein Unglück nehmen auf
Eurem stolzen Roß! Wie ich zu dem Junkerlein kam,
fragtet Ihr? Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur
noch mit einem Füßchen angebunden, und das
Haar streifte fast am Boden, da habe ich ihn aufgefangen
mit meiner Schürze."
-
- "Weiß schon!" rief der Herr von
Zollern unmutig. "Gib ihn jetzt her; ich kann nicht wohl
absteigen, das Roß ist wild und könnte ihn
schlagen."
-
- "Schenket mir einen Hirschgulden!"
erwiderte die Frau demütig bittend.
- "Dummes Zeug!" schrie der Graf und
warf ihr einige Pfennige unter den Baum.
- "Nein! Einen Hirschgulden könnte
ich gut brauchen", fuhr sie fort.
-
- "Was, Hirschgulden! Bist selbst einen
Hirschgulden wert!" eiferte der Graf. "Schnell das Kind
her, oder ich hetze die Hunde auf dich!"
-
- "So? Bin ich keinen Hirschgulden
wert?" antwortete jene mit höhnischem Lächeln.
"Na! Man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen
Hirschgulden wert ist ; aber da, die Pfennige behaltet
für Euch." Indem sie dies sagte, warf sie die drei
kleinen Kupferstücke dem Grafen zu, und so gut
konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz gerade
in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in
der Hand hielt.
-
- Der Graf wußte einige Minuten
vor Staunen über diese wunderbare Geschicklichkeit
kein Wort hervorzubringen, endlich aber löste sich
sein Staunen in Wut auf. Er faßte seine
Büchse, spannte den Hahn und zielte dann auf die
Alte. Diese herzte und küßte ganz ruhig den
kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt
daß ihn die Kugel zuerst hätte treffen
müssen. "Bist ein guter, frommer Junge", sprach sie,
"bleibe nur so, und es wird dir nichts fehlen." Dann
ließ sie ihn los, drohte dem Grafen mit dem Finger:
"Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch
schuldig!" rief sie und schlich, unbekümmert um die
Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen
in den Wald. Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von
seinem Roß, hob das Herrlein in den Sattel, schwang
sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den
Schloßberg hinauf.
-
- Es war dies das erste und letzte Mal
gewesen, daß das böse Wetter von Zollern sein
Söhnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt
ihn, weil er geweint und geschrien, als die Pferde im
Trab gingen, für einen weichlichen Jungen, aus dem
nicht viel Gutes zu machen sei, sah ihn nur mit Unlust
an, und sooft der Knabe, der seinen Vater herzlich
liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knien kam,
winkte er ihm fortzugehen und rief: "Weiß schon!
Dummes Zeug!" Frau Hedwig hatte alle bösen Launen
ihres Gemahls gerne getragen, aber dieses unfreundliche
Benehmen gegen das unschuldige Kind kränkte sie
tief; sie erkrankte mehrere Male aus Schrecken, wenn der
finstere Graf den Kleinen wegen irgend eines geringen
Fehlers hart abgestraft hatte, und starb endlich in ihren
besten Jahren, von ihrem Gesinde und der ganzen Umgegend,
am schmerzlichsten aber von ihrem Sohne
beweint.
-
- Von jetzt an wandte sich der Sinn des
Grafen nur noch mehr von dem Kleinen ab: Er gab ihn
seiner Amme und dem Hauskaplan zur Erziehung und sah
nicht viel nach ihm um, besonders da er bald darauf
wieder ein reiches Fräulein heiratete, das ihm nach
Jahresfrist Zwillinge, zwei junge Gräflein,
schenkte.
-
- Kunos liebster Spaziergang war zu dem
alten Weiblein, die ihm einst das Leben gerettet hatte.
Sie erzählte ihm immer vieles von seiner
verstorbenen Mutter, und wieviel Gutes diese an ihr getan
habe. Die Knechte und Mägde warnten ihn oft, er
solle nicht soviel zu der Frau Feldheimerin, so
hieß die Alte, gehen, weil sie nichts mehr und
nichts weniger als eine Hexe sei; aber der Kleine
fürchtete sich nicht, denn der Schloßkaplan
hatte ihn gelehrt, daß es keine Hexen gebe und
daß die Sage, daß gewisse Frauen zaubern
können und auf der Ofengabel durch die Luft und auf
den Brocken reiten, erlogen sei. Zwar sah er bei der Frau
Feldheimerin allerlei Dinge, die er nicht begreifen
konnte; des Kunststückchens mit den drei Pfennigen,
die sie seinem Vater so geschickt in den Beutel geworfen,
erinnerte er sich noch ganz wohl, auch konnte sie
allerhand künstliche Salben und Tränklein
bereiten, womit sie Menschen und Vieh heilte; aber das
war nicht wahr, was man ihr nachsagte, daß sie eine
Wetterpfanne habe, und wenn sie diese über das Feuer
hänge, komme ein schreckliches Donnerwetter. Sie
lehrte den kleinen Grafen mancherlei, was ihm
nützlich war, zum Beispiel, allerlei Mittel für
kranke Pferde, einen Trank gegen die Hundswut, eine
Lockspeise für Fische und viele andere
nützliche Sachen. Die Frau Feldheimerin war auch
bald seine einzige Gesellschaft, denn seine Amme starb
und seine Stiefmutter kümmerte sich nicht um
ihn.
-
- Als seine Brüder nach und nach
heranwuchsen, hatte Kuno ein noch traurigeres Leben als
zuvor, sie hatten Glück, beim ersten Ritt nicht vom
Pferde zu stürzen, und das böse Wetter von
Zollern hielt sie daher für ganz vernünftige
und taugliche Jungen, liebte sie ausschließlich,
ritt alle Tage mit ihnen aus und lehrte sie alles, was er
selbst verstand. Da lernten sie aber nicht viel Gutes;
lesen und schreiben konnte er selbst nicht, und seine
beiden trefflichen Söhne sollten sich auch nicht die
Zeit damit verderben; aber schon in ihrem zehnten Jahre
konnten sie so gräßlich fluchen als ihr Vater,
fingen mit jedem Händel an, vertrugen sich unter
sich selbst so schlecht wie ein Hund und Kater, und nur
wenn sie gegen Kuno einen Streich verüben wollten,
verbanden sie sich und wurden Freunde.
-
- Ihrer Mutter machte dies nicht viel
Kummer, denn sie hielt es für gesund und
kräftig, wenn sich die Jungen balgten; aber dem
alten Grafen sagte es eines Tages ein Diener, und er
antwortete zwar: "Weiß schon, dummes Zeug!", nahm
sich aber dennoch vor, für die Zukunft auf ein
Mittel zu sinnen, daß sich seine Söhne nicht
gegenseitig totschlügen; denn die Drohung der Frau
Feldheimerin, die er in seinem Herzen für eine
ausgemachte Hexe hielt: "Na, man wird ja sehen, was von
Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist" -lag ihm noch
immer in seinem Sinn. Eines Tages, da er in der Umgegend
seines Schlosses jagte, fielen ihm zwei Berge ins Auge,
die ihrer Form wegen wie zu Schlössern geschaffen
schienen, und sogleich beschloß er, auch dort zu
bauen. Er baute auf den einen das Schloß
Schalkberg, das er nach dem kleineren der Zwillinge so
nannte, weil dieser wegen allerlei böser Streiche
längst von ihm den Namen "kleiner Schalk" erhalten
hatte; das andere Schloß, das er baute, wollte er
anfänglich Hirschguldenberg nennen, um die Hexe zu
verhöhnen, weil sie sein Erbe nicht einmal eines
Hirschguldens wert achtete, er ließ es aber bei
einem einfachen Hirschberg bewenden, und so heißen
die beiden Berge noch bis auf den heutigen Tag, und wer
die Alb bereist, kann sie sich zeigen lassen.
-
- Das böse Wetter von Zollern
hatte anfänglich im Sinn, seinen ältesten Sohn
Zollern, dem kleinen Schalk Schalksberg und dem andern
Hirschberg im Testament zu vermachen; aber seine Frau
ruhte nicht eher, bis er es änderte: "Der dumme
Kuno", so nannte sie den armen Knaben, weil er nicht so
wild und ausgelassen war wie ihre Söhne, "der dumme
Kuno ist ohnedies reich genug durch das, was er von
seiner Mutter erbte, und er soll auch noch das
schöne, reiche Zollern haben? Und meine Söhne
sollen nichts bekommen als jeder eine Burg, zu welcher
nichts gehört als Wald?"
-
- Vergebens stellte ihr der Graf vor,
daß man Kuno billigerweise das Erstgeburtsrecht
nicht rauben dürfe, sie weinte und zankte so lange,
bis das böse Wetter, das sonst niemand sich
fügte, des lieben Friedens willen nachgab und im
Testament dem kleinen Schalk Schalksberg, Wolf, dem
größeren Zwillingsbruder, Zollern, und Kuno:
Hirschberg mit dem Städtchen Balingen verschrieb.
Bald darauf, nachdem er also verfügt hatte, fiel er
auch in eine schwere Krankheit. Zu dem Arzt, der ihm
sagte, daß er sterben müsse, sagte er: "Ich
weiß schon!", und dem Schloßkaplan, der ihn
ermahnte sich zu einem frommen Ende vorzubereiten,
antwortete er : "Dummes Zeug!", fluchte und raste fort
und starb, wie er gelebt hatte, roh und als ein
großer Sünder.
-
- Aber sein Leichnam war noch nicht
beigesetzt, so kam die Frau Gräfin schon mit dem
Testament herbei, sagte zu Kuno, ihrem Stiefsohn,
spöttisch, er möchte jetzt seine Gelehrsamkeit
beweisen und selbst nachlesen, was im Testament stehe,
nämlich daß er in Zollern nichts mehr zu tun
habe, und freute sich mit ihren Söhnen über das
schöne Vermögen und die beiden Schlösser,
die sie ihm, dem Erstgeborenen, entrissen
hatten.
-
- Kuno fügte sich ohne Murren in
den Willen des Verstorbenen; aber mit Tränen nahm er
Abschied von der Burg, wo er geboren worden, wo seine
gute Mutter begraben lag und wo der gute
Schloßkaplan und nahe dabei seine einzige alte
Freundin, Frau Feldheimerin, wohnte. Das Schloß
Hirschberg war zwar ein schönes, stattliches
Gebäude, aber es war ihm doch zu einsam und
öde, und er wäre bald krank vor Sehnsucht nach
Hohenzollern geworden.
-
- Die Gräfin und die
Zwillingsbrüder, die jetzt achtzehn Jahre alt waren,
saßen eines Abends auf dem Söller und schauten
den Schloßberg hinab; da gewahrten sie einen
stattlichen Ritter, der zu Pferde heraufritt und dem eine
prachtvolle Sänfte, von zwei Maultieren getragen,
und mehrere Knechte folgten. Sie rieten lange hin und
her, wer es wohl sein möchte, da rief endlich der
kleine Schalk: "Ei, das ist niemand anders als unser Herr
Bruder von Hirschberg."
-
- "Der dumme Kuno?" sprach die Frau
Gräfin verwundert. "Ei, der wird uns die Ehre antun,
uns zu sich einzuladen, und die schöne Sänfte
hat er für mich mitgebracht, um mich abzuholen nach
Hirschberg; nein, so viel Güte und Lebensart
hätte ich meinem Herrn Sohn, dem dummen Kuno, nicht
zugetraut; eine Höflichkeit ist der andern wert,
lasset uns hinuntersteigen in das Schloßtor, ihn zu
empfangen; macht auch freundliche Gesichter, vielleicht
schenkt er uns in Hirschberg etwas, dir ein Pferd und dir
einen Harnisch, und den Schmuck seiner Mutter hätte
ich schon lange gerne gehabt."
-
- "Geschenkt mag ich nichts von dem
dummen Kuno", antwortete Wolf, "und ein gutes Gesicht
mache ich ihm auch nicht. Aber unserem seligen Herrn
Vater könnte er meinetwegen bald folgen, dann
würden wir Hirschberg erben und alles, und Euch,
Frau Mutter, wollten wir den Schmuck um billigen Preis
ablassen."
-
- "So, du Range!" eiferte die Mutter.
"Abkaufen soll ich Euch den Schmuck? Ist das der Dank
dafür, daß ich Euch Zollern verschafft habe?
Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den Schmuck umsonst
haben?"
-
- "Umsonst ist der Tod, Frau Mutter!"
erwiderte der Sohn lachend. "Und wenn es wahr ist,
daß der Schmuck so viel wert ist als manches
Schloß, so werden wir wohl nicht die Toren sein,
ihn Euch um den Hals zu hängen. Sobald Kuno die
Augen schließt, reiten wir hinunter, teilen ab, und
meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt ihr dann mehr
als der Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn
haben."
-
- Sie waren unter diesem Gespräche
bis unter das Schloßtor gekommen, und mit Mühe
zwang sich die Frau Gräfin, ihren Grimm über
den Schmuck zu unterdrücken, denn soeben ritt Graf
Kuno über die Zugbrücke. Als er seiner
Stiefmutter und seiner Brüder ansichtig wurde, hielt
er sein Pferd an, stieg ab und grüßte
höflich. Denn obgleich sie ihm viel Leids angetan,
bedachte er doch, daß es seine Brüder seien
und daß sein Vater diese böse Frau geliebt
habe.
-
- "Ei, das ist ja schön, daß
der Herr Sohn uns auch besucht", sagte die Frau
Gräfin mit süßer Stimme und huldreichem
Lächeln. "Wie geht es denn auf Hirschberg? Kann man
sich dort eingewöhnen? Und gar eine Sänfte hat
man sich angeschafft? Ei, und wie prächtig es
dürfte sich keine Kaiserin daran schämen; nun
wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr lange fehlen,
daß sie darin im Lande umherreist.!"
-
- "Habe bis jetzt noch nicht daran
gedacht, gnädige Frau Mutter", erwiderte Kuno, "will
mir deswegen andere Gesellschaft zur Unterhaltung ins
Haus nehmen und bin deswegen mit der Sänfte
hierhergereist."
- "Ei, Ihr seid gar gütig und
besorgt", unterbrach ihn die Dame, indem sie sich
verneigte und lächelte.
- "denn er kommt doch nicht mehr gut zu
Pferde fort", sprach Kuno ganz ruhig weiter, "der Pater
Joseph nämlich, der Schloßkaplan. Ich will ihn
zu mir nehmen, er ist mein alter Lehrer, und wir haben es
so abgemacht, als ich Zollern verließ. Will auch
unten am Berge die alte Frau Feldheimerin mitnehmen.
Lieber Gott! Sie ist jetzt steinalt und hat mir einst das
Leben gerettet, als ich zum erstenmal ausritt mit meinem
seligen Vater; habe ja Zimmer genug in Hirschberg, und
dort soll sie absterben." Er sprach es und ging durch den
Hof, um den Pater Schloßkaplan zu
holen.
-
- Aber der Junker Wolf biß vor
Grimm die Lippen zusammen, die Frau Gräfin wurde
gelb vor Ärger, und der kleine Schalk lachte laut
auf. "Was gebt Ihr mir für meinen Gaul, den ich von
ihm geschenkt kriege?" sagte er. "Bruder Wolf, gib mir
deinen Harnisch, den er dir gegeben, dafür. Ha, ha,
ha, den Pater und die alte Hexe will er zu sich nehmen?
Das ist ein schönes Paar, da kann er nun vormittags
Griechisch lernen beim Kaplan und nachmittags Unterricht
im Hexen nehmen, bei der Frau Feldheimerin. Ei! Was macht
doch der dumme Kuno für Streiche."
- "Er ist ein ganz gemeiner Mensch!"
erwiderte die Frau Gräfin. "Und du solltest nicht
darüber lachen, kleiner Schalk; das ist eine Schande
für die ganze Familie, und man muß sich ja
schämen vor der ganzen Umgebung, wenn es
heißt, der Graf von Zollern hat die alte Hexe, die
Feldheimerin, abgeholt in einer prachtvollen Sänfte
und Maulesel dabei und läßt sie bei sich
wohnen. Das hat er von seiner Mutter, die tat auch immer
so gemein mit Kranken und schlechtem Gesindel. Ach, sein
Vater würde sich im Sarge wenden, wüßte
er es."
-
- "Ja", setzte der kleine Schalk hinzu,
"der Vater würde noch in der Gruft sagen: Weiß
schon, dummes Zeug!"
- "Wahrhaftig! Da kommt er mit dem
alten Mann und schämt sich nicht, ihn selbst unter
dem Arm zu führen", rief die Frau Gräfin mit
Entsetzen, "kommt, ich will ihm nicht mehr
begegnen."
-
- Sie entfernten sich, und Kuno
begleitete seinen alten Lehrer bis an die Brücke und
half ihm selbst in die Sänfte; unten aber am Berge
hielt er vor der Hütte der Frau Feldheimerin und
fand sie schon fertig, mit einem Bündel voll
Gläschen und Töpfchen und Tränklein und
anderem Gerät nebst ihrem Buchsbaumstöcklein
einzusteigen.
- Es kam übrigens nicht also, wie
die Frau Gräfin von Zollern in ihrem bösen Sinn
hatte voraussehen wollen. In der ganzen Umgebung wunderte
man sich nicht über Ritter Kuno. Man fand es
schön und löblich, daß er die letzten
Tage der alten Frau Feldheimerin aufheitern wollte, man
pries ihn als einen frommen Herrn, weil er den Pater
Joseph in sein Schloß aufgenommen hatte. Die
einzigen, die ihm gram waren und auf ihn schmähten,
waren seine Brüder und die Gräfin. Aber nur zu
ihrem eigenen Schaden, denn man nahm allgemein ein
Ärgernis an so unnatürlichen Brüdern, und
zur Wiedervergeltung ging die Sage, daß sie mit
ihrer Mutter schlecht und in beständigem Hader
lebten und unter sich selbst sich alles mögliche
zuleide täten. Graf Kuno von Zollern-Hirschberg
machte mehrere Versuche, seine Brüder mit sich
auszusöhnen; denn es war ihm unerträglich, wenn
sie oft an seiner Feste vorbeiritten, aber nie
einsprachen, wenn sie ihm in Wald und Feld begegneten und
ihn kälter begrüßten als einen
Landfremden. Aber seine Versuche schlugen fehl, und er
wurde noch überdies von ihnen verhöhnt. Eines
Tages fiel ihm noch ein Mittel ein, wie er vielleicht
ihre Herzen gewinnen könnte, denn er wußte,
sie waren geizig und habgierig. Es lag ein Teich zwischen
den drei Schlössern, beinahe in der Mitte, jedoch
so, daß er noch in Kunos Revier gehörte. In
diesem Teich befanden sich aber die besten Hechte und
Karpfen der ganzen Umgebung, und es war für die
Brüder, die gerne fischten, ein nicht geringer
Verdruß, daß ihr Vater vergessen hatte, den
Teich auf ihr Teil zu schreiben. Sie waren zu stolz, um
ohne Vorwissen ihres Bruders dort zu fischen, und doch
mochten sie ihm auch kein gutes Wort geben, daß er
es ihnen erlauben möchte. Nun kannte er aber seine
Brüder, daß ihnen der Teich am Herzen liege;
er lud sie daher eines Tages ein, mit ihm dort
zusammenzukommen.
-
- Es war ein schöner
Frühlingsmorgen, als beinahe in demselben
Augenblicke die drei Brüder von den drei Burgen dort
zusammenkamen. "Ei! sieh da!" rief der kleine Schalk.
"Das trifft sich ordentlich! Ich bin mit Schlag sieben
Uhr von Schalkberg weggeritten."
-
- "Ich auch -und ich", antworteten die
Brüder vom Hirschberg und vom Zollern.
- "Nun, da muß der Teich hier
gerade in der Mitte liegen", fuhr der Kleine fort. "Es
ist ein schönes Wasser."
- "Ja, und ebendarum habe ich euch
hierherbeschieden. Ich weiß, ihr seid beide
große Freunde vom Fischen, und ob ich gleich auch
zuweilen gerne die Angel auswerfe, so hat doch der Weiher
Fische genug für drei Schlösser, und an seinen
Ufern ist Platz genug für unserer drei, selbst wenn
wir alle auf einmal angeln kämen. Darum will ich von
heute an, daß dieses Wasser Gemeingut für uns
sei, und jeder von euch soll gleiche Rechte daran haben
wie ich."
-
- "Ei, der Herr Bruder ist ja gewaltig
gnädig gestimmt", sprach der kleine Schalk mit
höhnischem Lächeln, "gibt uns wahrhaftig sechs
Morgen Wasser und ein paar hundert Fischlein! Nu -und was
werden wir dagegen geben müssen? Denn umsonst ist
der Tod!"
-
- "Umsonst sollt ihr ihn haben", sprach
Kuno, "ach, ich möchte euch ja nur zuweilen an
diesem Teich sehen und sprechen. Sind wir doch eines
Vaters Söhne."
-
- "Nein", erwiderte der vom Schalkberg,
"das ginge schon nicht, denn es ist nichts
Einfältigeres, als in Gesellschaft zu fischen, es
verjagt immer einer dem andern die Fische. Wollen wir
aber Tage ausmachen, etwa Montag und Donnerstag du, Kuno,
Dienstag und Freitag Wolf, Mittwoch und Sonnabend ich -so
ist es mir ganz recht."
- "Mir nicht einmal dann!" rief der
finstere Wolf. "Geschenkt will ich nichts haben und will
auch mit niemand teilen. Du hast recht, Kuno, daß
du uns den Weiher anbietest, denn wir haben eigentlich
alle drei gleichen Anteil daran, aber lasset uns darum
würfeln, wer ihn in Zukunft besitzen soll; werde ich
glücklicher sein als ihr, so könnt ihr immer
bei mir anfragen, ob ihr fischen
dürftet."
-
- "Ich würfle nie", entgegnete
Kuno, traurig über die Verstocktheit der
Brüder.
-
- "Ja, freilich", lachte der kleine
Schalk, "er ist ja gar fromm und gottesfürchtig, der
Herr Bruder, und hält das Würfelspiel für
eine Todsünde. Aber ich will euch etwas vorschlagen,
woran sich der frömmste Klausner nicht schämen
dürfte. Wir wollen uns Angelschnüre und Haken
holen, und wer diesen Morgen, bis die Glocke in Zollern
zwölf Uhr schlägt, die meisten Fische angelt,
soll den Weiher eigen haben."
-
- "Ich bin eigentlich ein Tor", sagte
Kuno, "um das noch zu kämpfen, was mir mit Recht als
Erbe zugehört. Aber damit ihr sehet, daß es
mir mit der Teilung Ernst war, will ich mein
Fischgerät holen."
-
- Sie ritten heim, jeder nach seinem
Schloß. Die Zwillinge schickten in aller Eile ihre
Diener aus, ließen aller alten Steine aufheben, um
Würmer zur Lockspeise für die Fische im Teiche
zu finden, Kuno aber nahm sein gewöhnliches
Angelzeug und die Speise, die ihn einst Frau Feldheimerin
zubereiten gelehrt, und war der erste, der wieder auf dem
Platze erschien. Er ließ, als die beiden Zwillinge
kamen, diesen die besten und bequemsten Stellen
auswählen und warf dann selbst seine Angel aus. Da
war es, als ob die Fische in ihm den Herrn dieses Teiches
erkannt hätten. Ganze Züge von Karpfen und
Hechten zogen heran und wimmelten um seine Angeln. Die
ältesten und größten drängten die
kleinen weg, jeden Augenblick zog er einen heraus, und
wenn er die Angel wieder ins Wasser warf, sperrten schon
zwanzig, dreißig die Mäuler auf, um an den
spitzigen Haken anzubeißen. Es hatte noch nicht
zwei Stunden gedauert, so lag der Boden um ihn her voll
der schönsten Fische. Da hörte er auf zu
fischen und ging zu seinen Brüdern, um zu sehen, was
für Geschäfte sie machten. Der kleine Schalk
hatte einen kleinen Karpfen und zwei elende
Weißfische; Wolf drei Barben und zwei kleine
Gründlinge, und beide schauten trübselig in den
Teich, denn sie konnten die ungeheure Menge die Kuno
gefangen, gar wohl von ihrem Platze aus bemerken. Als
Kuno an seinem Bruder Wolf herankam, sprang dieser halb
wütend auf, zerriß die Angelschnur, brach die
Rute in Stücke und warf sie in den Teich. "Ich
wollte, es wären tausend Haken, die ich hineinwerfe,
statt des einen, und an jedem müßte eine von
diesen Kreaturen zappeln", rief er; "aber mit rechten
Dingen geht es nimmer zu, es ist Zauberspiel und
Hexenwerk, wie solltest du denn, dummer Kuno, mehr Fische
fangen in einer Stunde als ich in einem
Jahr?"
-
- "Ja, ja, jetzt erinnere ich mich",
fuhr der kleine Schalk fort, "bei der Frau Feldheimerin,
bei der schnöden Hexe, hat er das Fischen gelernt,
und wir waren Toren, mit ihm zu fischen; er wird doch
bald Hexenmeister werden."
- "Ihr schlechten Menschen!" entgegnete
Kuno unmutig. "Diesen Morgen habe ich hinlänglich
Zeit gehabt, euren Geiz, eure Unverschämtheit und
eure Roheit einzusehen. Geht jetzt und kommt nie wieder
hierher und glaubt mir, es wäre für eure Seelen
besser, wenn ihr nur halb so fromm und gut wäret wie
diese Frau, die ihr eine Hexe scheltet."
-
- "Nein, eine eigentliche Hexe ist sie
nicht", sagte der Schalk spöttisch lachend. "Solche
Weiber können wahrsagen, aber Frau Feldheimerin ist
sowenig eine Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden
kann. Hat sie doch dem Vater gesagt, von seinem Erbe
werde man einen guten Teil um einen Hirschgulden kaufen
können, das heißt, er werde ganz verlumpen,
und doch hat bei seinem Tode alles ihm gehört, so
weit man von der Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh,
Frau Feldheimerin ist nichts als ein törichtes altes
Weib und du der dumme Kuno."
- Nach diesen Worten entfernte sich der
Kleine eilig, denn er fürchtete den starken Arm
seines Bruders, und Wolf folgte ihm, indem er alle
Flüche hersagte, die er von seinem Vater gelernt
hatte.
-
- In tiefster Seele betrübt ging
Kuno nach Hause, denn er sah jetzt deutlich, daß
seine Brüder nie mehr mit ihm sich vertragen
wollten. Er nahm sich auch ihrer harten Worte so sehr zu
Herzen, daß er des andern Tages sehr krank wurde,
und nur der Trost des würdigen Paters Joseph und die
kräftigen Tränklein der Frau Feldheimerin
retteten ihn vom Tode.
-
- Als aber seine Brüder erfuhren,
daß ihr Bruder Kuno schwer darniederliege, hielten
sie ein fröhliches Bankett, und im Weinmut sagten
sie sich zu, wenn der dumme Kuno sterbe, so solle der,
welcher es zuerst erfahre, alle Kanonen lösen, um es
dem andern anzuzeigen, und wer zuerst schieße,
solle das beste Faß Wein aus Kunos Keller
vorwegnehmen dürfen. Wolf ließ nun von da an
immer einen Diener in der Nähe von Hirschberg Wache
halten, und der kleine Schalk bestach sogar einen Diener
Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm schnell anzeige,
wenn sein Herr in den letzten Zügen
liege.
-
- Dieser Knecht aber war seinem milden
und frommen Herrn mehr zugetan als dem bösen Grafen
von Schalksberg. Er fragte also eines Abends Frau
Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden seines Herrn,
und als diese sagte, daß es ganz gut mit ihm stehe,
erzählte er ihr den Anschlag der beiden Brüder,
und daß sie Freudenschüsse tun wollten auf des
Grafen Kuno Tod. Darüber ergrimmte die Alte sehr.
Sie erzählte es flugs wieder dem Grafen, und als
dieser an eine so große Lieblosigkeit seiner
Brüder nicht glauben wollte, so riet sie ihm, er
solle die Probe machen und aussprengen lassen, er sei
tot, so werde man bald hören, ob sie kanonieren oder
nicht. Der Graf ließ den Diener, den sein Bruder
bestochen, vor sich kommen, befragte ihn nochmals und
befahl ihm, nach Schalkberg zu reiten und sein nahes Ende
zu verkünden.
-
- Als nun der Knecht eilends den
Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener des Grafen Wolf
von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin er so eilends
zu reiten willens sei. "Ach", sagte dieser, "mein armer
Herr wird diesen Abend nicht überleben, sie haben
ihn alle aufgegeben."
-
- "So? Ist's um diese Zeit?" rief
jener, lief nach seinem Pferde, schwang sich auf und
jagte so eilends nach Zollern und den Schloßberg
hinan, daß sein Pferd am Tore niederfiel und er
selbst nur noch "Graf Kuno stirbt!" rufen konnte, ehe er
ohnmächtig wurde. Da donnerten die Kanonen von
Hohenzollern herab, Graf Wolf freute sich mit seiner
Mutter über das gute Faß Wein und das Erbe,
den Teich, über den Schmuck und den starken
Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er für
Widerhall gehalten, waren die Kanonen von Schalksberg,
und Wolf sagte lächelnd zu seiner Mutter: "So hat
der Kleine auch einen Spion gehabt, und wir müssen
auch den Wein gleichteilen wie das übrige Erbe."
Dann aber saß er zu Pferde, denn er argwöhnte,
der kleine Schalk möchte ihm zuvorkommen und
vielleicht einige Kostbarkeiten des Verstorbenen
wegnehmen, ehe er käme.
-
- Aber am Fischteiche begegneten sich
die beiden Brüder, und jeder errötete vor dem
andern, wie beide zuerst nach Hirschberg hatten kommen
wollen. Von Kuno sprachen sie kein Wort, als sie zusammen
ihren Weg fortsetzten, sondern sie berateten sich
brüderlich, wie man es in Zukunft halten wolle und
wem Hirschberg gehören solle. Wie sie aber die
Zugbrücke und in den Schloßhof ritten, da
schaute ihr Bruder wohlbehalten und gesund zum Fenster
heraus; aber Zorn und Unmut sprühten aus seinen
Blicken. Die Brüder erschraken sehr, als sie ihn
sahen, hielten ihn anfänglich für ein Gespenst
und bekreuzten sich; als sie aber sahen, daß er
noch Fleisch und Blut habe, rief Wolf: "Ei, so wollt' ich
doch! Dummes Zeug, ich glaubte, du wärest
gestorben."
-
- "Nun, aufgeschoben ist nicht
aufgehoben", sagte der Kleine, der mit giftigen Blicken
nach seinem Bruder hinaufschaute.
-
- Dieser aber sprach mit donnernder
Stimme: "Von dieser Stunde an sind alle Bande der
Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe eure
Freudenschüsse wohl vernommen, aber sehet zu, auch
ich habe fünf Feldschlangen hier auf dem Hofe stehen
und habe sie euch zu Ehren scharf laden lassen. Machet,
daß ihr aus dem Bereiche meiner Kugeln kommt, oder
ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg
schießt." Sie ließen es sich nicht zweimal
sagen, denn sie sahen ihm an, wie Ernst es ihm war; sie
gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen
Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoß
eine Stückkugel hinter ihnen her, die über
ihren Köpfen wegsauste, daß sie beide zugleich
eine tiefe und höfliche Verbeugung machten; er
wollte sie aber nur schrecken und nicht verwunden. "Warum
hast du denn geschossen?" fragte der kleine Schalk
unmutig. "Du Tor, ich schoß nur, weil ich dich
hörte."
-
- "Im Gegenteil, frag nur die Mutter!"
erwiderte Wolf. "Du warst es, der zuerst schoß, und
du hast diese Schande über uns gebracht, kleiner
Dachs."
-
- Der Kleine blieb ihm keinen
Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich angekommen
waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom alten
Wetter von Zollern geerbten Flüche zum besten und
trennten sich in Haß und Unlust.
-
- Tags darauf aber machte Kuno sein
Testament, und Frau Feldheimerin sagte zum Pater: "Ich
wollte was wetten, er hat keinen guten Brief für die
Schützen geschrieben." Aber so neugierig sie war und
sooft sie in ihren Liebling drang, er sagte ihr nicht,
was im Testament stehe, und sie erfuhr es auch nimmer,
denn ein Jahr nachher verschied die gute Frau, und ihre
Salben und Tränklein halfen ihr nichts; denn sie
starb an keiner Krankheit, sondern am achtundneunzigsten
Jahr, das auch einen ganz gesunden Menschen endlich unter
den Boden bringen kann. Graf Kuno ließ sie
bestatten, als ob sie nicht eine arme Frau, sondern seine
Mutter gewesen wäre, und es kam ihm nachher noch
viel einsamer vor auf seinem Schloß, besonders da
der Pater Joseph der Frau Feldheimerin bald
folgte.
-
- Doch diese Einsamkeit fühlte er
nicht sehr lange; der gute Kuno starb schon in seinem
achtundzwanzigsten Jahre, und böse Leute behaupteten
an Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht
hätte.
-
- Wie dem aber auch sei, einige Stunden
nach seinem Tode vernahm man wieder den Donner der
Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat man
fünfundzwanzig Schüsse. "Diesmal hat er doch
daran glauben müssen", sagte der Schalk, als sie
unterwegs zusammentrafen.
-
- "Ja", antwortete Wolf, "und wenn er
noch einmal aufersteht und zum Fenster herausschimpft wie
damals, so hab' ich ein Büchse bei mir, die ihn
höflich und stumm machen soll."
-
- Als sie den Schloßberg
hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit Gefolge zu
ihnen, den sie nicht kannten. Sie glaubten, er sei
vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn
beisetzen zu helfen. Daher gebärdeten sie sich
kläglich, priesen vor ihm den Verstorbenen,
beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine
Schalk preßte sich sogar einige
Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete ihnen
aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite
den Hirschberg hinauf. "So, jetzt wollen wir es uns
bequem machen und Wein herbei, Kellermeister, vom
besten!" rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die
Wendeltreppe hinauf und in den Saal; auch dahin folgte
ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz
breit an den Tisch gesetzt hatten, zog jener ein
Silberstück aus dem Wams, warf es auf den
Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte,
und sprach: "So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es
wird just recht sein, ein Hirschgulden." Da sahen sich
die beiden Brüder verwundert an, lachten und fragten
ihn, was er damit sagen wolle.
-
- Der Ritter aber zog ein Pergament
hervor, mit hinlänglichen Siegeln, darin hatte der
dumme Kuno alle Feindseligkeiten aufgezeichnet, die ihm
die Brüder bei seinen Lebzeiten bewiesen, und am
Ende hatte er verordnet und bekannt, daß sein
ganzes Erbe, Hab und Gut, außer dem Schmuck seiner
seligen Mutter, auf dem Fall seines Todes an
Württemberg verkauft sei, und zwar - um einen
elenden Hirschgulden! Um den Schmuck aber solle man in
der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.
-
- Da erstaunten nun die Brüder,
abermals, lachten aber nicht dazu, sondern bissen die
Zähne zusammen, denn sie konnten gegen
Württemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das
schöne Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und
selbst -den Fischteich verloren und nichts geerbt als
einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig
in den Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein
Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruß
an dem württembergischen Kommissär vorbei,
schwang sich auf sein Roß und ritt nach
Zollern.
-
- Als ihn aber am andern Morgen seine
Mutter mit Vorwürfen plagte, daß sie Gut und
Schmuck verscherzt hätten, ritt er hinüber zum
Schalk auf Schalksburg: "Wollen wir unser Erbe verspielen
oder vertrinken?" fragte er ihn.
- "Vertrinken ist besser", sagte der
Schalk, "dann haben wir beide gewonnen. Wir wollen nach
Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz dort sehen
lassen, wenn wir auch gleich das Städtlein
schmählich verloren."
- "Und im Lamm schenkt man Roten, der
Kaiser trinkt ihn nicht besser", setzte Wolf
hinzu.
-
- So ritten sie miteinander nach
Balingen ins Lamm und fragten, was die Maß vom
Roten koste, und tranken sich zu, bis der Gulden voll
war. Dann stand Wolf auf, zog das Silberstück mit
dem springenden Hirsch aus dem Wams, warf es auf den
Tisch und sprach: "Da habt Ihr Euren Gulden, so wird's
richtig sein."
-
- Der Wirt aber nahm den Gulden, besah
ihn von links, besah ihn rechts und sagte lächelnd:
"Ja, wenn es kein Hirschgulden wär', aber gestern
Nacht kam der Bote von Stuttgart, und heute früh hat
man es ausgetrommelt im Namen des Grafen von
Württemberg, dem jetzt das Städtlein eigen; die
sind abgeschätzt, und gebt mir nur anderes
Geld."
-
- Da sahen sich die beiden Brüder
erbleichend an. "Zahl aus", sagte der eine. "Hast du
keine Münze?" sagte der andere; und kurz, sie
mußten den Gulden schuldig bleiben im Lamm in
Balingen. Sie zogen schweigend und nachdenkend ihren Weg;
als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es rechts nach
Zollern und links nach Schalksberg ging, da sagte der
Schalk: "Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger geerbt
als gar nichts, und der Wein war überdies
schlecht."
-
- "Jawohl", erwiderte sein Bruder.
"Aber was die Feldheimerin sagte, ist doch eingetroffen:
Seht zu, wieviel von seinem Erbe übrigbleiben wird
um einen Hirschgulden! Jetzt haben wir nicht einmal eine
Maß Wein dafür kaufen
können."
-
- "Weiß schon!" antwortete der
von Schalksberg.
- "Dummes Zeug!" sagte der Zollern und
ritt zerfallen mit sich und der Welt seinem Schloß
zu.
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