Anfangsseite
Biographie
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1826
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1827
Märchen-Almanach
auf das Jahr 1828
Rahmenhandlung
1. Teil
Die
Sage vom
Hirschgulden
Rahmenhandlung
2.Teil
Das
kalte Herz
Rahmenhandlung
3. Teil
Saids
Schicksale
Rahmehandlung
4. Teil
Die
Höhle von
Steenfoll
Rahmenhandlung
5. Teil
Das
kalte Herz II
Rahmenhandlung
letzter Teil
|
Wilhelm
Hauff
Das kalte Herz II
|
zurück
- weiter
- Das
kalte Herz I
-
- Als Peter am Montagmorgen in seine
Glashütte ging, da waren nicht nur seine Arbeiter
da, sondern auch andere Leute, die man nicht gerne sieht,
nämlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der
Amtmann wünschte Peter einen guten Morgen, fragte,
wie er geschlafen, und zog dann ein langes Register
heraus, und darauf waren Peters Gläubiger
verzeichnet. "Könnt Ihr zahlen oder nicht?" fragte
der Amtmann mit strengem Blick. "Und macht es nur kurz,
denn ich habe nicht viel Zeit zu versäumen, und in
den Turm ist es drei gute Stunden." Da verzagte Peter,
gestand, daß er nichts mehr habe, und
überließ es dem Amtmann, Haus und Hof,
Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen;
und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen
und prüften und schätzten, dachte er, bis zum
Tannenbühl ist's nicht weit; hat mir der Kleine
nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem
Großen versuchen. Er lief dem Tannenbühl zu,
so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen
wären; es war ihm, als er an dem Platz vorbeirannte,
wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen, als halte
ihn eine unsichtbare Hand auf, aber er riß sich los
und lief weiter, bis an die Grenze, die er sich
früher wohl gemerkt hatte, und kaum hatte er,
beinahe atemlos, "Holländermichel! Herr
Holländermichel!" gerufen, als auch schon der
riesengroße Flözer mit seiner Stange vor ihm
stand.
-
- "Kommst du!" sprach dieser lachend.
"Haben sie dir die Haut abziehen und deinen
Gläubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig: Dein
ganzer Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen
Glasmännlein, von dem Separatisten und Frömmler
her. Wenn man schenkt, muß man gleich recht
schenken und nicht wie dieser Knauser. Doch komm", fuhr
er fort und wandte sich gegen den Wald, "folge mir in
mein Haus, dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig
werden."
-
- Handelseinig? dachte Peter. Was kann
er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn
verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will er?
Sie gingen zuerst über seinen steilen Waldsteig
hinan und standen dann mit einem Male an einer dunklen,
tiefen, abschüssigen Schlucht; Holländermichel
sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte
Marmortreppe wäre; aber bald wäre Peter in
Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war,
machte er sich so groß wie ein Kirchturm und reihte
ihm einen Arm, so lang als ein Weberbaum, und eine Hand
daran, so breit als der Tisch im Wirtshaus, und rief mit
einer Stimme, die heraufschallte wie eine tiefe
Totenglocke: "Setzt dich nur auf meine Hand und halte
dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen." Peter tat
zitternd, wie ihm befohlen, nahm Platz auf der Hand und
hielt sich am Daumen des Riesen.
-
- Es ging weit und tief hinab, aber
dennoch ward es zu Peters Verwunderung nicht dunkler; im
Gegenteil, die Tageshelle schien sogar zuzunehmen in der
Schlucht, aber er konnte sie lange in den Augen nicht
ertragen. Der Holländermichel hatte sich, je weiter
Peter herabkam, wieder kleiner gemacht und stand nun in
seiner früheren Gestalt vor einem Haus, so gering
oder gut, als es reiche Bauern auf dem Schwarzwald haben.
Die Stube, in welche Peter geführt wurde,
unterschied sich durch nichts von den Stuben anderer
Leute als dadurch, daß sie einsam
schien.
-
- Die hölzerne Wanduhr, der
ungeheure Kachelofen, die breiten Bänke, die
Gerätschaften auf den Gesimsen waren hier wie
überall. Michel wies ihm einen Platz hinter dem
großen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald mit
einem Krug Wein und Gläsern wieder. Er goß
ein, und nun schwatzten sie, und Holländermichel
erzählte von den Freuden der Welt, von fremden
Ländern, schönen Städten und Flüssen,
daß Peter, am Ende große Sehnsucht danach
bekommend, dies auch offen dem Holländermichel
sagte.
-
- "Wenn du im ganzen Körper Mut
und Kraft, etwas zu unternehmen, hattest, da konnten ein
paar Schläge des dummen Herzens dich zittern machen;
und dann die Kränkungen der Ehre, das Unglück,
wozu soll sich ein vernünftiger Kerl um dergleichen
bekümmern? Hast du's im Kopfe empfunden, als dich
letzthin einer einen Betrüger und schlechten Kerl
nannte? Hat es dir im Magen weh getan, als der Amtmann
kam, dich aus dem Hause zu werfen? Was, sag an, was hat
dir wehe getan?"
-
- "Mein Herz", sprach Peter, indem er
die Hand auf die pochende Brust preßte; denn es war
ihm, als ob sein Herz sich ängstlich hin und her
wendete
-
- "Du hast, nimm es mir nicht
übel, du hast viele hundert Gulden an schlechte
Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es dir
genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen
gesunden Leib gewünscht; ja, bist du deswegen
gesünder geworden? Um die Hälfte des
verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt
gehalten. Segen, ja ein schöner Segen, wenn man
ausgepfändet und ausgestoßen wird! Und was war
es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, sooft
ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte? - Dein
Herz, auch wieder dein Herz und weder deine Augen noch
deine Zunge, deine Arme, noch deine Beine, sondern dein
Herz; du hast dir es, wie man richtig sagt, zu sehr zu
Herzen genommen."
-
- "Aber wie kann man ich denn
angewöhnen, daß es nicht mehr so ist? Ich gebe
mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, und
dennoch pocht mein Herz und tut mir wehe."
-
- "Du freilich", rief jener mit Lachen,
"du armer Schelm kannst nichts dagegen tun; aber gib mir
das kaum pochende Ding, und du wirst sehen, wie gut du es
dann hast."
-
- "Euch mein Herz?" schrie Peter mit
Entsetzen. "Da müßte ich ja sterben auf der
Stelle! Nimmermehr!"
-
- "Ja wenn dir einer eurer Herren
Chirurgen das Herz aus dem Leibe operieren wollte, da
müßtest du wohl sterben; bei mir ist dies ein
anderes Ding; doch komm herein und überzeuge dich
selbst." Er stand bei diesen Worten auf, öffnete
eine Kammertüre und führte Peter hinein. Sein
Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er über die
Schwelle trat, aber er achtete es nicht, denn der
Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und
überraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen
Gläser mit durchsichtiger Flüssigkeit
gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein
Herz; auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und
Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las; da war
das Herz des Amtmanns in F., das Herz des dicken
Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des
Oberförsters; da waren sechs Herzen von
Kornwucherern, acht von Werbeoffizieren, drei von
Geldmäklern - und kurz, es war eine Sammlung der
angesehensten Herzen in der Umgebung von zwanzig
Stunden.
-
- "Schau!" sprach der
Holländermichel. "Diese alle haben des Lebens
Ängsten und Sorgen weggeworfen; keines dieser Herzen
schlägt mehr ängstlich und besorgt, und ihre
ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, daß
sie den unruhigen Gast aus dem Hause habe."
-
- "Aber was tragen sie denn jetzt
dafür in der Brust?" fragte Peter, den dies alles,
was er gesehen, beinahe schwindlig machte.
-
- "Dies", antwortete jener und reichte
ihm aus einem Schubfach - ein steinernes
Herz.
-
- "So?" erwiderte er und konnte sich
eines Schauers, der ihm über die Haut ging, nicht
erwehren. "Ein Herz von Marmelstein? Aber, horch einmal,
Herr Holländermichel, daß muß doch gar
kalt sein in der Brust."
-
- "Freilich, aber ganz angenehm
kühl. Warum soll denn ein Herz warm sein? Im Winter
nützt dir die Wärme nichts, da hilft ein guter
Kirschengeist mehr als ein warmes Herz, und im Sommer
wenn alles schwül und heiß ist - du glaubst
nicht, wie dann ein solches Herz abkühlt. Und wie
gesagt, weder Angst noch Schrecken, weder törichtes
Mitleiden noch anderer Jammer pocht an solch ein
Herz."
-
- "Und das ist alles, was Ihr mir geben
könntet?" fragte Peter unmutig. "Ich hoff' auf Geld,
und Ihr wolltet mir einen Stein geben!"
-
- "Nun, ich denke, an hunderttausend
Gulden hättest du fürs erste genug. Wenn du es
geschickt umtreibst, kannst du bald ein Millionär
werden."
-
- "Hunderttausend?" rief der arme
Köhler freudig. "Nun, so poche doch nicht so
ungestüm in meiner Brust, wir werden bald fertig
sein miteinander. Gut, Michel; gebt mir den Stein und das
Geld, und die Unruh könnet Ihr aus dem Gehäuse
nehmen."
-
- "Ich dachte es doch, daß du ein
vernünftiger Bursche seist", antwortete der
Holländer freundlich lächelnd; "komm, laß
uns noch eins trinken, und dann will ich das Geld
auszahlen."
-
- So setzten sie sich wieder in die
Stube zum Wein, tranken und tranken wieder, bis Peter in
einen tiefen Schlaf verfiel.
-
- Kohlen-Munk-Peter erwachte beim
fröhlichen Schmettern eines Posthorns, und siehe da,
er saß in einem schönen Wagen, fuhr auf einer
breiten Straße dahin, und als er sich aus dem Wagen
bog, sah er in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald
liegen. Anfänglich wollte er gar nicht glauben,
daß er es selbst war, der in diesem Wagen sitze.
Denn auch seine Kleider waren gar nicht mehr dieselben,
die er gestern getragen, aber er erinnerte sich doch an
alles so deutlich, daß er endlich sein Nachsinnen
aufgab und rief: "Der Kohlen-Munk-Peter bin ich, das ist
ausgemacht, und kein anderer."
-
- Er wunderte sich über sich
selbst, daß er gar nicht wehmütig werden
konnte, als er jetzt so zum erstenmal aus der stillen
Heimat, aus den Wäldern, wo er so lange gelebt,
auszog. Selbst nicht, als er an seine Mutter dachte, die
jetzt wohl hilflos und im Elend saß, konnte er
keine Träne aus dem Auge pressen oder nur seufzen;
denn es war ihm alles so gleichgültig. "Ach
freilich", sagte er dann, "Tränen und Seufzer,
Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und dank dem
Holländermichel - das meine ist kalt und von
Stein."
-
- Er legte seine Hand auf die Brust,
und es war ganz ruhig dort und rührte sich nichts.
"Wenn er mit den Hunderttausenden so gut Wort hielt wie
mit dem Herz, so soll es mich freuen", sprach er und fing
an, seinen Wagen zu untersuchen. Er fand
Kleidungsstücke von aller Art, wie er sie nur
wünschen konnte, aber kein Geld. Endlich stieß
er auf eine Tasche und fand viele tausend Taler in Gold
und Scheinen auf Handlungshäuser in allen
großen Städten. Jetzt hab' ich's, wie ich's
wollte, dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des
Wagens und fuhr in die weite Welt.
-
- Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher
und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den
Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als
den Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt
umher und ließ sich die schönsten
Merkwürdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts,
kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz, sein Herz
von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine
Ohren waren abgestumpft für alle Schöne. Nichts
war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und
Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne
Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung
speiste und aus Langeweile schlief. Hie und da erinnerte
er sich zwar, daß er fröhlicher,
glücklicher gewesen sei, als er noch arm war und
arbeiten mußte, um sein Leben zu fristen. Da hatte
ihn jede schöne Aussicht ins Tal, Musik und Gesang
hatten ihn ergötzt, da hatte er sich stundenlang auf
die einfache Kost, die ihm die Mutter zu dem Meiler
bringen sollte, gefreut. Wenn er so über die
Vergangenheit nachdachte, so kam es ihm ganz sonderbar
vor, daß er jetzt nicht einmal lachen konnte, und
sonst hatte er über den kleinsten Scherz gelacht.
Wenn andere lachten, so verzog er nur aus
Höflichkeit den Mund, aber sein Herz - lächelte
nicht mit. Er fühlte dann, daß er zwar
überaus ruhig sei, aber zufrieden fühlte er
sich doch nicht. Es war nicht Heimweh oder Wehmut,
sondern Öde, Überdruß, freudenloses
Leben, was ihn endlich wieder zur Heimat
trieb.
-
- Als er von Straßburg
herüberfuhr und den dunklen Wald seiner Heimat
erblickte, als er zum erstenmal wieder jene
kräftigen Gestalten, jene freundlichen, treuen
Gesichter der Schwarzwälder sah, als sein Ohr die
heimatlichen Klänge stark, tief, aber
wohltönend vernahm, da fühlte er schnell an
sein Herz, denn sein Blut wallte stärker, und er
glaubte, er müsse sich freuen und müsse weinen
zugleich, aber - wie konnte er nur so töricht sein,
er hatte ja ein Herz aus Stein. Und Steine sind tot und
lächeln und weinen nicht.
-
- Sein erster Gang war zum
Holländermichel, der ihn mit alter Freundlichkeit
aufnahm. "Michel", sagte er zu ihm, "gereist bin ich nun,
und habe alles gesehen, ist aber alles dummes Zeug, und
ich hatte nur Langeweile. Überhaupt, Euer steinernes
Ding, das ich in der Brust trage, schützt mich zwar
vor manchem. Ich erzürne mich nie, bin nie traurig,
aber ich freue mich auch nie, und es ist mir, als wenn
ich nur halb lebte. Könntet Ihr das Steinherz nicht
ein wenig beweglicher machen? Oder - gebt mir lieber mein
altes Herz. Ich hatte mich in fünfundzwanzig Jahren
daran gewöhnt, und wenn es zuweilen auch einen
dummen Streich machten, so war es doch munter und ein
fröhliches Herz."
-
- Der Waldgeist lachte grimmig
und bitter. "Wenn du einmal tot bist, Peter Munk",
antwortete er, "dann soll es dir nicht fehlen; dann
sollst du dein weiches, rührbares Herz wiederhaben,
und du kannst dann fühlen, was kommt: Freud oder
Leid. Aber hier oben kann es nicht mehr dein werden! Doch
Peter, gereist bist du wohl, aber so, wie du lebtest,
konnte es dir nichts nützen. Setze dich jetzt hier
irgendwo in den Wald, bau ein Haus, heirate, treibe dein
Vermögen um, es hat dir nur an Arbeit gefehlt; weil
du müßig warst,, hattest du Langeweile und
schiebst jetzt alles auf dieses unschuldige Herz." Peter
sah ein, daß Michel recht habe, was den
Müßiggang beträfe, und nahm sich vor,
reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm
noch einmal hunderttausend Gulden und entließ ihn
als seinen guten Freund.
-
- Bald vernahm man im Schwarzwald die
Märe, der Kohlen-Munk-Peter oder Spielpeter sei
wieder da, und noch viel reicher als zuvor. Es ging auch
jetzt wie immer; als er am Bettelstab war, wurde er in
der Sonne zur Türe hinausgeworfen, und als er nun an
einem Sonntagnachmittag seinen ersten Einzug dort hielt,
schüttelten sie ihm die Hand, lobten sein Pferd,
fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem
dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der
Achtung so hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr
das Glashandwerk, sondern den Holzhandel, aber nur zum
Schein. Sein Hauptgeschäft war, mit Korn und Geld zu
handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach
schuldig, aber er lieh Geld nur auf zehn Prozente aus
oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen
konnten, um den dreifachen Wert. Mit dem Amtmann stand er
jetzt in enger Freundschaft, und wenn einer Herrn Peter
Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann mit
seinen Schergen hinaus, schätzte Haus und Hof,
verkaufte flugs und trieb Vater, Mutter und Kind in den
Wald. Anfangs machte dies dem reichen Peter einige
Unlust, denn die armen Ausgepfändeten belagerten
dann haufenweise seine Türe, die Männer flehten
um Nachsicht, die Weiber suchten das steinerne Herz zu
erweichen, und die Kinder winselten um ein Stücklein
Brot. Aber als er sich ein paar tüchtige
Fleischerhunde angeschafft hatte, hörte diese
Katzenmusik, wie er sie nannte, bald auf. Er piff und
hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander.
Am meisten Beschwerde machte ihm das alte Weib. Das war
aber niemand anders als Frau Munkin, Peters Mutter. Sie
war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof
verkauft hatte, und ihr Sohn, als er reich
zurückgekehrt war, hatte nicht mehr nach ihr
umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und
gebrechlich, an einem Stock vor das Haus. Hinein wagte
sie sich nicht mehr, denn er hatte sie einmal weggejagt;
aber es tat ihr wehe, von den Guttaten anderer Menschen
leben zu müssen, da der eigene Sohn ihr ein
sorgenloses Alter hätte bereiten können. Aber
das kalte Herz wurde nimmer gerührt von dem Anblicke
der bleichen wohlbekannten Züge, von den bittenden
Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der
hinfälligen Gestalt. Mürrisch zog er, wenn sie
sonnabends an die Türe pochte, einen
Sechsbätzner hervor, schlug ihn in ein Papier und
ließ ihn hinausreichen durch einen Knecht. Er
vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und
wünschte, es möge ihm wohlgehen auf Erden; er
hörte sie hüstelnd von der Türe
schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als
daß er wieder sechs Batzen umsonst
ausgegeben.
-
- Endlich kam Peter auf den Gedanken zu
heiraten. Er wußte, daß im ganzen Schwarzwald
jeder Vater ihm gerne seine Tochter geben würde;
aber er war schwierig in seiner Wahl, denn er wollte,
daß man auch hierin sein Glück und seinen
Verstand preisen sollte; daher ritt er umher im ganzen
Wald, schaute hier, schaute dort, und keine der
schönen Schwarzwälderinnen deuchte ihm
schön genug. Endlich, nachdem er auf allen
Tanzböden umsonst nach der Schönsten
ausgeschaut hatte, hörte er eines Tages, die
Schönste und Tugendsamste im ganzen Wald sei des
armen Holzhauers Tochter. Sie lebe still und für
sich, besorge geschickt und emsig ihres Vaters Haus und
lasse sich nie auf dem Tanzboden sehen, nicht einmal zu
Pfingsten und Kirchweih. Als Peter von diesem Wunder des
Schwarzwalds hörte, beschloß er, um sie zu
werben, und ritt nach der Hütte, die man ihm
bezeichnet hatte. Der Vater der schönen Lisbeth
empfing den vornehmen Herrn mit Staunen und erstaunte
noch mehr, als er hörte, es sei dies der reiche Herr
Peter und er wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann
sich auch nicht lange, denn er meinte, all seine Sorge
und Armut werde nun ein Ende haben, sagte zu, ohne die
schöne Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so
folgsam, daß sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin
wurde.
-
- Aber es wurde der Armen nicht so gut,
als sie sich geträumt hatte. Sie glaubte ihr
Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn Peter
nichts zu Dank machen, sie hatte Mitleiden mit armen
Leuten, und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei
keine Sünde, einem armen Bettelweib einen Pfennig
oder einem alten Mann einen Schnaps zu reichen; aber als
Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit
zürnenden Blicken und rauher Stimme: "Warum
verschleuderst du mein Vermögen an Lumpen und
Straßenläufer? Hast du was mitgebracht ins
Haus, das du wegschenken könntest? Mit deines Vaters
Bettelstab kann man keine Suppe wärmen, und wirfst
das Geld aus wie eine Fürstin. Noch einmal laß
dich betreten, so sollst du meine Hand fühlen!" Die
schöne Lisbeth weinte in ihrer Kammer über den
harten Sinn ihres Mannes, und sie wünschte oft,
lieber daheim zu sein in ihres Vaters ärmlicher
Hütte als bei dem reichen, aber geizigen,
hartherzigen Peter zu hausen. Ach, hätte sie
gewußt, daß er ein Herz aus Marmor habe und
weder sie noch irgendeinen Menschen lieben könne, so
hätte sie sich wohl nicht gewundert. Sooft sie aber
jetzt unter der Türe saß und es ging ein
Bettelmann vorüber und zog den Hut und hob an seinen
Spruch, so drückte sie die Augen zu, das Elend nicht
zu schauen, sie ballte die Hand fester, damit sie nicht
unwillkürlich in die Tasche fahre, ein Kreuzerlein
herauszulangen. So kam es, daß die schöne
Lisbeth im ganzen Wald verschrien wurde, und es
hieß, sie sei noch geiziger als Peter Munk. Aber
eines Tages saß Frau Lisbeth wieder vor dem Haus
und spann und murmelte ein Liedchen dazu, denn sie war
munter, weil es schön Wetter und Herr Peter
ausgeritten war über Feld. Da kommt ein altes
Männlein des Weges daher, das trägt einen
großen, schweren Sack, und sie hört es schon
von weitem keuchen. Teilnehmend sieht ihm Frau Lisbeth zu
und denkt, einem so alten Mann sollte man nicht mehr so
schwer aufladen.
-
- Indes keucht und wankt das
Männlein heran, und als es gegenüber von Frau
Lisbeth war, brach es unter dem Sacke beinahe zusammen.
"Ach, habt die Barmherzigkeit, Frau, und reicht mir nur
einen Trunk Wasser", sprach das Männlein; "ich kann
nicht weiter, muß elend verschmachten."
-
- "Aber Ihr solltet in Eurem Alter
nicht mehr so schwer tragen", sagte Frau
Lisbeth.
-
- "Ja wenn ich nicht Botengehen
müßte der Armut halber, und um mein Leben zu
fristen", antwortete er; "ach, so eine reiche Frau, wie
Ihr, weiß nicht, wie wehe Armut tut und wie wohl
ein frischer Trunk bei solcher Hitze."
- Als sie dies hörte, eilte sie
ins Haus, nahm einen Krug vom Gesims und füllte ihn
mit Wasser; doch als sie zurückkehrte und nur noch
wenige Schritte von ihm war und das Männlein sah,
wie es so elend und verkümmert auf dem Sack
saß, da fühlte sie inniges Mitleid, bedachte,
daß ja ihr Mann nicht zu Hause sei, und so stellte
sie den Wasserkrug beiseite, nahm einen Becher und
füllte ihn mit Wein, legte ein gutes Roggenbrot
darauf und brachte es dem Alten. "So, und ein Schluck
Wein mag Euch besser frommen als Wasser, da Ihr schon so
gar alt seid", sprach sie; "aber trinket nicht so hastig
und esset auch Brot dazu."
-
- Das Männlein sah sie staunend
an, bis große Tränen in seinen alten Augen
standen, es trank und sprach dann: "Ich bin alt geworden,
aber ich hab' wenige Menschen gesehen, die so mitleidig
wären und ihre Gaben so schön und herzig zu
spenden wüßten wie Ihr, Frau Lisbeth; aber es
wird Euch dafür auch recht gut gehen auf Erden;
solch ein Herz bleibt nicht unbelohnt."
-
- "Nein, und den Lohn soll sie zur
Stelle haben", schrie eine schreckliche Stimme, und als
sie sich umsahen, war es Herr Peter mit blutrotem
Gesicht.
-
- "Und sogar meinen Ehrenwein
gießest du aus an Bettelleute, und meinen
Mundbecher gibst du an die Lippen der
Straßenläufer? Da nimm deinen Lohn!" Frau
Lisbeth stürzte zu seinen Füßen und bat
um Verzeihung, aber das steinerne Herz kannte kein
Mitleid, er drehte die Peitsche um, die er in der Hand
hielt, und schlug sie mit dem Handgriff von Ebenholz so
heftig vor die schöne Stirne, daß sie leblos
dem alten Manne in die Arme sank. Als er dies sah, war es
doch, als reute ihn die Tat auf der Stelle; er
bückte sich herab, zu schauen, ob noch Leben in ihr
sei, aber das Männlein sprach mit wohlbekannter
Stimme: "Gib dir keine Mühe, Kohlen-Peter; es war
die schönste und lieblichste Blume im Schwarzwald,
aber du hast sie zertreten, und nie mehr wird sie wieder
blühen."
-
- Da wich alles Blut aus Peters Wangen,
und er sprach: "Also Ihr seid es, Herr Schatzhauser? Nun,
was geschehen ist, ist geschehen, und es hat wohl so
kommen müssen. Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht
bei dem Gericht anzeigen als Mörder."
-
- "Elender!" erwiderte das
Glasmännlein. "Was würde es mir frommen, wenn
ich deine sterbliche Hülle an den Galgen
brächte? Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu
fürchten hast, sondern andere und strengere, denn du
hast deine Seele an den Bösen verkauft."
-
- "Und hab' ich mein Herz verkauft",
schrie Peter, "so ist niemand daran schuld als du und
deine betrügerischen Schätze; du
tückischer Geist hast mich ins Verderben
geführt, mich getrieben, daß ich bei einem
andern Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze
Verantwortung." Aber kaum hatte er dies gesagt, so wuchs
und schwoll das Glasmännlein und wurde hoch und
breit, und seine Augen sollen so groß gewesen sein
wie Suppenteller, und sein Mund war wie ein geheizter
Backofen, und Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf
sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schützte
ihn nicht, daß nicht seine Glieder zitterten wie
eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im
Nacken, drehte ihn um wie ein Wirbelwind dürres Laub
und warf ihn dann zu Boden, daß ihm alle Rippen
knackten. "Erdenwurm!" rief er mit einer Stimme, die wie
der Donner rollte. "Ich könnte dich zerschmettern,
wenn ich wollte, denn du hast gegen den Herrn des Waldes
gefrevelt. Aber um dieses toten Weibes willen, die mich
gespeist und getränkt hat, gebe ich dir acht Tage
Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich und
zermalme dein Gebein, und du fährst hin in deinen
Sünden."
-
- Es war schon Abend, als einige
Männer, die vorbeigingen, den reichen Peter Munk an
der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und
suchten, ob noch Atem in ihm sei, aber lange war ihr
Suchen vergebens. Endlich ging einer in das Haus und
brachte Wasser herbei und besprengte ihn. Da holte Peter
tief Atem, stöhnte und schlug die Augen auf, schaute
lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth, aber
keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Männern
für ihre Hilfe, schlich sich dann in sein Haus und
suchte überall, aber Frau Lisbeth war weder im
Keller noch auf dem Boden, und das, was er für einen
schrecklichen Traum gehalten, war bittere Wahrheit. Wie
er nun so ganz allein war, da kamen ihm sonderbare
Gedanken; er fürchtete sich vor nichts, denn sein
Herz war ja kalt; aber wenn er an den Tod seiner Frau
dachte, kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und
wie belastet er dahinfahren werde, schwerbelastet mit
Tränen der Armen, mit tausend ihrer Flüche, die
sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der
Elenden, auf die er seinen Hund gehetzt, belastet mit der
stillen Verzweiflung seiner Mutter, mit dem Blute der
schönen guten Lisbeth, und konnte er doch nicht
einmal dem alten Manne, ihrem Vater Rechenschaft geben,
wenn er käme und fragte: "Wo ist meine Tochter, dein
Weib?" Wie wollte er einem andern Frage stehen, dem alle
Wälder, alle Seen, alle Berge gehörten und die
Leben der Menschen?
-
- Es quälte ihn auch nachts im
Traume, und alle Augenblicke wachte er auf an einer
süßen Stimme, die ihm zurief: "Peter, schaff
dir ein wärmeres Herz!" Und wenn er erwacht war,
schloß er doch schnell wieder die Augen, denn der
Stimme nach mußte es Frau Lisbeth sein, die ihm
diese Warnung zurief. Den andern Tag ging er ins
Wirtshaus, um seine Gedanken zu zerstreuen, und dort traf
er den dicken Ezechiel. Er setzte sich zu ihm, sie
sprachen dies und jenes, vom schönen Wetter, vom
Krieg, von den Steuern und endlich auch vom Tod, und wie
da und dort einer so schnell gestorben sei. Da fragte
Peter den Dicken, was er denn vom Tod halte und wie es
nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, daß
man den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf
zum Himmel oder hinab in die Hölle.
-
- "Also begräbt man das Herz
auch?" fragte Peter gespannt.
-
- "Ei freilich, das wird auch
begraben."
-
- "Wenn aber einer sein Herz nicht mehr
hat?" fuhr Peter fort.
-
- Ezechiel sah ihn bei diesen Worten
schrecklich an. "Was willst du damit sagen? Willst du
mich foppen? Meinst du, ich habe kein Herz?"
-
- "Oh, Herz genug, so fest wie Stein",
erwiderte Peter.
-
- Ezechiel sah ihn verwundert an,
schaute sich um, ob es niemand gehört habe, und
sprach dann: "Woher weißt du es? Oder pocht
vielleicht das deinige auch nicht mehr?"
-
- "Pocht nicht mehr, wenigstens nicht
hier in meiner Brust!" antwortete Peter Munk. "Aber sage
mir, da du jetzt weißt, was ich meine, wie wird es
gehen mit unseren Herzen?"
-
- "Was bekümmert dich dies,
Gesell?" fragte Ezechiel lachend. "Hast ja auf Erden
vollauf zu leben und damit genug. Das ist ja gerade das
Bequeme in unseren kalten Herzen, daß uns keine
Furcht befällt vor solchen Gedanken."
-
- "Wohl wahr, aber man denkt doch
daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne,
so weiß ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor
der Hölle gefürchtet, als ich noch ein kleiner
unschuldiger Knabe war."
-
- "Nun - gut wird es uns gerade nicht
gehen" sagte Ezechiel. "Habe mal einen Schulmeister
darüber gefragt, der sagte mir, daß nach dem
Tode die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich
versündigt hätten. Die leichten steigen auf,
die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere Steine
werden ein gutes Gewicht haben."
- "Ach freilich", erwiderte Peter, "und
es ist mir oft selbst unbequem, daß mein Herz so
teilnahmslos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an
solche Dinge denke."
-
- So sprachen sie; aber in der
nächsten Nacht hörte er fünf- oder
sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: "Peter,
schaff dir ein wärmeres Herz!" Er empfand keine
Reue, daß er sie getötet, aber wenn er dem
Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er
immer dabei: Wohin mag sie wohl gereist sein? Sechs Tage
hatte er es so getrieben, und immer hörte er nachts
diese Stimme und immer dachte er an den Waldgeist und
seine schreckliche Drohung; aber am siebenten Morgen
sprang er auf von seinem Lager und rief: "Nun ja, will
sehen, ob ich mir ein wärmeres schaffen kann, denn
der gleichgültige Stein in meiner Brust macht mir
das Leben nur langweilig und öde." Er zog schnell
seinen Sonntagsstaat an und setzte sich auf sein Pferd
und ritt dem Tannenbühl zu.
-
- Im Tannenbühl, wo die Bäume
dichter standen, saß er ab, band sein Pferd an und
ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu,
und als er vor der dicken Tanne stand, hob er seinen
Spruch an:
-
- Schatzhauser im grünen
Tannenwald,
- Bist viele hundert Jahre
alt.
- Dein ist all Land, wo
Tannen stehn,
- Läßt dich nur
Sonntagskindern sehn.
-
- Da kam das Glasmännlein hervor,
aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern
düster und traurig; es hatte ein Röcklein an
von schwarzem Glas, und ein langer Trauerflor flatterte
herab vom Hut, und Peter wußte wohl, um wen es
traure.
-
- "Was willst du von mir, Peter Munk?"
fragte es mit dumpfer Stimme.
-
- "Ich hab' noch einen Wunsch, Herr
Schatzhauser", antwortete Peter mit niedergeschlagenen
Augen.
-
- "Können Steinherzen noch
wünschen?" sagte jener, "Du hast alles, was du
für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde
schwerlich deinen Wunsch erfüllen."
-
- "Aber Ihr habt mir doch drei
Wünsche zugesagt; einen hab' ich immer noch
übrig."
-
- "Doch kann ich ihn versagen, wenn er
töricht ist", fuhr der Waldgeist fort; "aber wohlan,
ich will hören, was du willst?"
-
- "So nehmet mir den toten Stein heraus
und gebet mir mein lebendiges Herz", sprach
Peter.
-
- "Hab' ich den Handel mit dir
gemacht?" fragte das Glasmännlein. "Bin ich der
Holländermichel, der Reichtum und kalte Herzen
schenkt? Dort, bei ihm mußt du dein Herz
suchen."
-
- "Ach, er gibt es nimmer zurück",
antwortete Peter.
-
- "Du dauerst mich, so schlecht du auch
bist", sprach das Männlein nach einigem Nachdenken.
"Aber weil dein Wunsch nicht töricht ist, so kann
ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So
höre, dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr
bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht
nicht schwerhalten, denn Michel bleibt doch nur der dumme
Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So
gehe denn geradenwegs zu ihm hin und tue, wie ich dir
heiße." Und nun unterrichtete es ihn in allem und
gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas: "Am Leben kann er
dir nicht schaden, und er wird dich freilassen, wenn du
ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du
dann, was du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu
mir an diesen Ort.
-
- Peter Munk nahm das Kreuzlein,
prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging
weiter nach Holländermichels Behausung. Er rief
dreimal seinen Namen, und alsobald stand der Riese vor
ihm. "Du hast dein Weib erschlagen?" fragte er ihn mit
schrecklichem Lachen. "Hätte es auch so gemacht, sie
hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht. Aber
du wirst auf einige Zeit außer Landes gehen
müssen, denn es wird Lärm machen, wenn man sie
nicht findet; und du brauchst wohl Geld und kommst, um es
zu holen?"
-
- "Du hast's erraten", erwiderte Peter,
"und nur recht viel diesmal, denn nach Amerika ist's
weit."
-
- Michel ging voran und brachte ihn in
seine Hütte, dort schloß er eine Truhe auf,
worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen Goldes
heraus. Während er es so auf den Tisch
hinzählte, sprach Peter: "Du bist ein loser Vogel,
Michel, daß du mich belogen hast, ich hätte
einen Stein in der Brust und du habest mein
Herz!"
-
- "Und ist es denn nicht so?" fragte
Michel staunend. "Fühlst du denn dein Herz? Ist es
nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram, kann dich
etwas reuen?"
-
- "Du hast mein Herz nur stillestehen
lassen, aber ich hab' es noch wie sonst in meiner Brust
und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, daß du
uns angelogen hast; du bist nicht der Mann dazu, der
einen das Herz so unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust
reißen könnte; da müßtest du
zaubern können."
-
- "Aber ich versichere dich", rief
Michel unmutig, "du und Ezechiel und alle reichen Leute,
die es mit mir gehalten, haben solche kalte Herzen wie
du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner
Kammer."
-
- "Ei, wie dir das Lügen von der
Zunge geht!" lachte Peter. "Das mache du einem andern
weis. Meinst du, ich habe auf meinen Reisen nicht solche
Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs
nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer. Du bist
ein reicher Kerl, das gebe ich zu; aber zaubern kannst du
nicht."
-
- Da ergrimmte der Riese und riß
die Kammertür auf. "Komm herein und lies die Zettel
alle, und jenes dort, schau, das ist Peter Munks Herz;
siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs
machen?"
-
- "Und doch ist es aus Wachs",
antwortete Peter. "So schlägt ein rechtes Herz
nicht, ich habe das meinige noch in der Brust. Nein,
zaubern kannst du nicht!"
-
- "Aber ich will es dir beweisen!" rief
jener ärgerlich. "Du sollst es selbst fühlen,
daß dies dein Herz ist." Er nahm es, riß
Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und
zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an, und
setzte es behutsam an seine Stelle, und alsobald
fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich
wieder darüber freuen.
-
- "Wie ist es dir jetzt?" fragte Michel
lächelnd.
-
- "Wahrhaftig, du hast doch recht
gehabt", antwortete Peter, in dem er behutsam sein
Kreuzlein aus der Tasche zog. "Hätte ich doch nicht
geglaubt, daß man dergleichen tun
könne!"
-
- "Nicht wahr? Und zaubern kann ich,
das siehst du, aber komm, jetzt will ich dir den Stein
wieder hineinsetzen."
- "Gemach, Herr Michel!" rief Peter,
trat einen Schritt zurück und hielt ihm das
Kreuzlein entgegen. "Mit Speck fängt man Mäuse,
und diesmal bist du der Betrogene." Und zugleich fing er
an zu beten, was ihm nur beifiel.
-
- Da wurde Michel kleiner und immer
kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein
Wurm und ächzte und stöhnte, und alle Herzen
umher fingen an zu zucken und zu pochen, daß es
tönte wie in der Werkstat eines Uhrmachers. Peter
aber fürchtete sich, es wurde ihm ganz unheimlich
zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und
klimmte, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan, denn
er hörte, daß Michel sich aufraffte, stampfte
und tobte und ihm schreckliche Flüche nachschickte.
Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu; ein
schreckliches Gewitter zog auf, Blitze fielen links und
rechts an ihm nieder und zerschmetterten die Bäume,
aber er kam wohlbehalten in dem Revier des
Glasmännleins an.
-
- Sein Herz pochte freudig, und nur
darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf
sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter
ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte.
Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib,
das er aus Geiz gemordet, er kam sich selbst wie der
Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an
Glasmännleins Hügel kam.
-
- Schatzhauser saß unter dem
Tannenbaum und rauchte aus einer kleinen Pfeife, doch er
sah munterer aus als je zuvor. "Warum weinst du,
Kohlenpeter?" fragte er. "Hast du dein Herz nicht
erhalten? Liegt noch das kalte in deiner
Brust?"
-
- "Ach Herr!" seufzte Peter. "Als ich
noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie, meine
Augen waren so trocken als das Land im Juli; jetzt aber
will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich
getan! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf
Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wißt es
ja selbst - wie meine Peitsche auf ihre schöne Stirn
fiel!"
-
- "Peter! Du warst ein großer
Sünder!" sprach das Männlein. "Das Geld und der
Müßiggang haben dich verderbt, bis dein Herz
zu Stein wurde, nicht Freud, nicht Leid, keine Reue, kein
Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt, und wenn
ich nur wüßte, daß dir dein Leben recht
leid tut, so könnte ich schon noch etwas für
dich tun."
-
- "Will nichts mehr", antwortete Peter
und ließ traurig sein Haupt sinken. "Mit mir ist es
aus, kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen; was soll
ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir
nimmer, was ich ihr getan, und vielleicht hab' ich sie
unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth,
meine Frau! Schlaget mich lieber auch tot, Herr
Schatzhauser, dann hat mein elend Leben mit einmal ein
Ende."
-
- "Gut", erwiderte das Männlein,
"wenn du nicht anders willst, so kannst du es haben;
meine Axt habe ich bei der Hand." Es nahm ganz ruhig sein
Pfeifchen aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es
ein. Dann stand es langsam auf und ging hinter die
Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein
Leben war ihm nichts mehr, und erwartete geduldig den
Todesstreich. Nach einiger Zeit hörte er leise
Tritte hinter sich und dachte: Jetzt wird er
kommen.
-
- "Schau dich noch einmal um, Peter
Munk!" rief das Männlein. Er wischte sich die
Tränen aus den Augen und schaute sich um und sah -
seine Mutter und Lisbeth, seine Frau die ihn freundlich
anblickten. Da sprang er freudig auf: "So bist du nicht
tot, Lisbeth? Und auch Ihr seid da Mutter, und habt mir
vergeben?"
-
- "Sie wollen dir verzeihen?" sprach
das Glasmännlein. "Weil du wahre Reue fühlst,
und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines
Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor; bist
du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und
deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als
wenn du zehn Tonnen Goldes hättest." So sprach das
Glasmännlein und nahm Abschied von
ihnen.
- Die drei lobten und segneten es und
gingen heim.
-
- Das prachtvolle Haus des reichen
Peter stand nicht mehr; der Blitz hatte es
angezündet und mit all seinen Schätzen
niedergebrannt; aber nach der väterlichen Hütte
war es nicht weit; dorthin ging jetzt ihr Weg, und der
große Verlust bekümmerte sie
nicht.
-
- Aber wie staunten sie, als sie an die
Hütte kamen! Sie war zu einem schönen
Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber
gut und reinlich.
-
- "Das hat das gute Glasmännlein
getan!" rief Peter.
-
- "Wie schön!" sagte Frau Lisbeth.
"Und hier ist mir viel heimlicher als in dem großen
Haus mit dem vielen Gesinde."
- Von jetzt an wurde Peter Munk ein
fleißiger und wackerer Mann. Er war zufrieden mit
dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und
so kam es, daß er durch eigene Kraft wohlhabend
wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte
nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den
Armen, die an seine Tür pochten. Als nach Jahr und
Tag Frau Lisbeth von einem schönen Knaben genas,
ging Peter nach dem Tannenbühl und sagte sein
Sprüchlein. Aber das Glasmännlein zeigte sich
nicht. "Herr Schatzhauser!" rief er laut. "Hört mich
doch; ich will ja nichts anderes als Euch zu Gevatter
bitten bei meinem Söhnlein!" Aber er gab keine
Antwort; nur ein kurzer Windstoß sauste durch die
Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. "So
will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil Ihr Euch doch
nicht sehen lassen wolltet", rief Peter, steckte die
Zapfen in die Tasche und ging nach Hause; aber als er zu
Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter die
Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte,
da fielen vier stattliche Goldrollen heraus, und als man
sie öffnete, waren es lauter, gute, neue, badische
Taler und kein einziger falscher darunter. Und das war
das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald
für den kleinen Peter.
-
- So lebten sie still und unverdrossen
fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue
Haare hatte, sagte er: "Es ist doch besser zufrieden zu
sein mit wenigem als Gold und Güter und ein kaltes
Herz."
-
- zurück
- weiter
-
|