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19. Jahrhundert - Frühromantik - Eichendorff - Marienburg


5. 1. Personen und Orte


5. 2. Nach Tannenberg:
(Szenen
1.2, 2.1)

5. 3. Der Komtur und Rominta (Szenen 3.1 und 3.2 )

5. 4. Frieden von Thorn und Reparation
(Szenen
3.1 und 3.2 )


5. 5. Das Wirsberg-Attentat
(Szenen
2.2 , 2.3 , 2.4 , 3.3 , 4.1 , 4.2 , 4.3 , 4.4 , 4.5 und 5.3 )

5. 6. Von Plauen und Schwarzburg (Szenen
5.1 und 5.2 )

5. 7. Besinnung, Sterbeszene und Epilog
(Szene
5.4 )

5. 8. Zusammenfassung

5.9. Nachwort, fast zwanzig Jahre später

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857)
Der letzte Held von Marienburg
erstellt von Martin Schlu 2003/06

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5. Abweichungen Eichendorffs von der historischen Vorlage nach Vogt
 
5. 5. Das Wirsberg-Attentat
(Szenen
2.2 , 2.3 , 2.4 , 3.3 , 4.1 , 4.2 , 4.3 , 4.4 , 4.5 und 5.3 )  
 
Das Wirsberg-Attentat
Der Attentatsversuch Georgs von Wirsberg fällt in die Zeit um Ostern 1411, den Zeitpunkt, zu dem Küchmeister ständig in diplomatischer Mission unterwegs ist. Wirsberg, mit König Sigismund von Böhmen gut bekannt und ihm ergeben, war Komtur des Hauses Rheden und wohnte auf der gleichnamigen Burg (4.5). Zusammen mit Nicolaus von Renys, Friederich von Kynthenau, dessen Bruder Johannes von Polkau und zwei anderen Rittern wurde geplant, aus Böhmen viertausend Söldner (4.1) in Rheden zu stationieren, mit ihnen Marienburg zu überfallen und den Hochmeister entweder zu vergiften oder in den Kerker zu werfen. Geldmittel waren vorhanden, da Wirsberg vom Hochmeister beauftragt worden war, die für die Reparationszahlungen nötigen Gelder einzuziehen und zu verwalten.
 
Durch einen Verrat wurde die Verschwörung jedoch bekannt, Wirsberg, Kynthenau, Polkau und die beiden anderen entkamen nach Polen. Renys wurde zum Tode verurteilt, Wirsberg zu "ewiger Haft", einer Möglichkeit für den Orden zu verhindern, daß etwas nach außen dringen konnte. Aus diesem Grund ist die Quellenlage über diesen Prozeß so schlecht. Wirsberg wurde 1429 freigelassen und ging außer Landes.
 
Diese komplexe historische Handlung läßt sich dramaturgisch natürlich nicht so einfach integrieren. Aus diesem Grund greift Eichendorff zu einem beliebten dramaturgischen Mittel: der Intrige. Dieses Mittel ermöglicht es, mehrere für die Dramaturgie wichtige Sachverhalte miteinander zu kombinieren. So wird bereits im ersten Aufzug der Boden für die Liebesbeziehung zwischen einem Deutschordensritter (von Wirsberg) und einer polnischen Edeldame (Rominta) bereitet (1.2). Dies ermöglicht dramaturgische Gewissenskonflikte zwischen Liebe und Nationalität, zwischen vaterländischer Pflicht und erotischer Spannung. Ähnlich ist hier die Begegnung zwischen Gertrud und Wirsberg: aus Liebe kann Wirsberg seine Identität nicht preisgeben, als sie durch Gertruds Vater aber offenbar wird, ist er gezwungen, wieder ein rastloser Wanderer zu werden. Sein schlechtes gewissen treibt ihn zu Rominta, ihr schlechtes Gewissen treibt sie zu Plauen. Während Plauen dem Attentat entkommt, sterben sie, die ihn töten wollten, oder es irgendwann einmal vorgehabt haben.
 
Eichendorff benutzt die Intrige um das Attentat des öfteren: insgesamt wird im zweiten Aufzug gleich doppelt intrigiert um Plauen auszuschalten. Der gesamte vierte Akt ist die Planung, Durchführung und das Mißlingen eines weiteren Mordanschlags, nur daß dieses Attentat im Drama der historischen Vorlage noch am nächsten kommt. Daß zwischenzeitlich Küchmeister in diese Intrige hineingerät, ist vielleicht als "surprising end" zu werten, denn von der Personifizierung her würde man erwarten, daß er sich auf die Seite der Attentäter stellt. Daß er gegen sie ankämpft, läßt ihn in einem besseren Licht erscheinen.
 
Hochdramatisch ist die Schlußszene des vierten Akts, in der Wirsberg versehentlich seine Geliebte ersticht und sich angesichts des Übermenschen Plauens zu Todes stürzt. Als darauf bezogene Nebenhandlung ist die Episode in zu 5.3 sehen, in der Gertrud ihren vermeintlich nur fortgereisten Schatz sucht und es wohl bis an ihr Lebensende tun wird.
 
Insgesamt dient das Attentat Wirsbergs schon fast als Rahmenhandlung des Dramas, zumindest ist es der Gegenpol zum reformatorischen, geistlichen und übermenschlichen Schaffen Plauens. Reale versuche der Polen, Plauen zu beseitigen, ließen sich nur schwer realisieren, so z.B. die historische Absicht, bei einer Kapitelversammlung den das Gewölbe tragenden Pfeiler zu beschießen um den Saal einstürzen zu lassen. Aus diesem Grund ist eine zweite Intrige einfach nötig, da Plauen ja nicht nur gegen Küchmeister und ungetreue Ritter zu bestehen hat, sondern auch noch gegen Polen und Samaiten.
 
Die Szene zwischen Elsbeth und Gertrud (5.3) dient hier offensichtlich nur zur Abrundung der Wirsberg-Affäre und als Hinweis darauf, daß einige Jahre ins Land gegangen sind. Der Auftritt der - nach Eichendorff unrechtmäßigen neuen Führung (5.2) hat eine zentrale Funktion für das Drama: obwohl vollends dichterische Freiheit herrscht, wird klar, daß Küchmeister nicht der richtige Hochmeister ist, weil er die Polen nicht unter Kontrolle halten kann und unfähig ist, zu verhindern, daß die Marienburg belagert wird. Verdeutlicht wird dies auch später, als Küchmeister den Befehl gibt, den ehemals engsten vertrauten von Plauens, den Grafen Schwarzburg, zur Unterstützung zu bitten. Spätestens hier macht Eichendorff deutlich, daß nur ein von Plauen Hochmeister sein kann.
 
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