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Vergeltung
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Annette
von Droste-Hülshoff
Die Vergeltung (1842)
|
- I.
-
- Der Kapitän steht an der
Spiere,
- Das Fernrohr in gebräunter
Hand,
- Dem schwarzgelockten
Passagiere
- Hat er den Rücken
zugewandt.
- Nach einem Wolkenstreif im
Sinnen
- Die beiden wie zwei Pfeiler
seh'n,
- Der Fremde spricht: „Was braut
da drinnen?"
- „Der Teufel", brummt der
Kapitän.
-
- Da hebt von morschen Balkens
Trümmer
- Ein Kranker seine feuchte
Stirn,
- Des Äthers Blau, der See
Geflimmer,
- Ach, alles quält sein fiebernd
Hirn!
- Er läßt die Blicke, schwer
und düster,
- Entlangs dem harten Pfühle
gehn,
- Die eingegrabnen Worte liest
er:
- „Batavia. Fünfhundert
Zehn."
-
- Die Wolke steigt, zur
Mittagsstunde
- Das Schiff ächzt auf der Wellen
Höhn,
- Gezisch, Geheul aus wüstem
Grunde,
- Die Bohlen weichen mit
Gestöhn.
- „Jesus, Marie! wir sind
verloren!"
- Vom Mast geschleudert der
Matros,
- Ein dumpfer Krach in allen
Ohren,
- Und langsam löst der Bau sich
los.
-
- Noch liegt der Kranke am
Verdecke,
- um seinen Balken, fest
geklemmt,
- Da kömmt die Flut, und eine
Strecke
- Wird er ins wüste Meer
geschwemmt.
- Was nicht geläng der Kräfte
Sporne,
- Das leistet ihm der starre
Krampf
- Und wie ein Narwal mit dem
Horne
- Schießt fort er durch der
Wellen Dampf.
-
- Wie lange so? Er weiß es
nimmer,
- Dann trifft ein Strahl des Auges
Ball,
- Und langsam schwimmt er mit der
Trümmer
- Auf ödem glitzerndem
Kristall.
- Das Schiff! - die Mannschaft! - sie
versanken.
- Doch nein, dort auf der
Wasserbahn,
- Dort sieht den Passagier er
schwanken
- In einer Kiste morschem
Kahn.
-
- Armsel'ge Lade! sie wird
sinken,
- Er strengt die heisre Stimme
an:
- „Nur grade! Freund, du
drückst zur Linken!"
- Und immer näher schwankt's
heran,
- Und immer näher treibt die
Trümmer,
- Wie ein verwehtes
Möwennest;
- „Courage!" ruft der kranke
Schwimmer,
- „Mich dünkt, ich sehe Land
im West!"
-
-
- Nun rühren sich der Fähren
Ende,
- Er sieht des fremden Auge
Blitz,
- Doch plötzlich fühlt er
starke Hände,
- Fühlt wütend sich gezerrt
vom Sitz.
- „Barmherzigkeit! ich kann nicht
kämpfen."
- Er klammert dort, er klemmt sich
hier;
- Ein heisrer Schrei, den Wellen
dämpfen,
- Am Balken schwimmt der
Passagier.
-
- Dann hat er kräftig sich
geschwungen,
- Und schaukelt durch das öde
Blau,
- Er sieht das Land wie
Dämmerungen
- Enttauchen und zergehn in
Frau.
- Noch lange ist er so
geschwommen,
- Umflattert von der Möwe
Schrei,
- dann hat ein Schiff ihn
aufgenommen,
- Viktoria! nun ist er
frei!
-
-
-
-
- II.
-
- Drei kurze Monde sind
verronnen,
- Und die Fregatte liegt am
Strand,
- Wo mittags sich die Robben
sonnen,
- Und Bursche klettern übern
Rand,
- den Mädchen ist's ein
Abenteuer
- Es zu erschaun vom fernen
Riff,
- Denn noch zerstört ist nicht
geheuer
- Das greuliche
Korsarenschiff.
-
- Und vor der Stadt da ist ein
Waten,
- Ein Wühlen durch das
Kiesgeschrill,
- Da die verrufenen Piraten
- Ein jeder sterben sehen
will.
- Aus Strandgebälken, morsch,
zertrümmert,
- hat man den Galgen dicht am
Meer,
- In wüster Eile
aufgezimmert.
- Dort dräut er von der Düne
her.
-
- Welch ein Getümmel an den
Schranken! -
- „Da kömmt der Frei - der
Hessel jetzt -
- Da bringen sie den schwarzen Franken,
- der hat geleugnet bis
zuletzt."
- „Schiffbrüchig sei er
hergeschwommen",
- Höhnt eine Alte: „Ei, wie
kühn!
- Doch keiner sprach zu seinem
Frommen,
- Die ganze Bande gegen
ihn."
-
- Der Passagier am Galgen
stehend,
- Hohläugig mit zerbrochnem
Mut,
- Zu jedem Räuber flüsternd
flehend:
- „Was tat dir mein unschuldig
Blut!
- Barmherzigkeit! - so muß ich
sterben
- Durch des Gesindel
Lügenwort,
- O mög' die Seele euch
verderben!"
- Da zieht ihn schon der Scherge
fort.
-
- Er sieht die Menge wogend spalten
-
- Er hört das Summen im
Gewühl -
- Nun weiß er, daß des
Himmels Walten
- Nur seiner Pfaffen
Gaukelspiel!
- Und als er in des Hohnes
Stolze
- Will starren nach den
Ätherhöhn,
- Da liest er an des Galgens
Holze:
- „Batavia. Fünfhundert
Zehn."
-
-
- Batavia = damals Hauptstadt
Niederländisch-Ostindiens, heutiges Jakarta auf
Java/Indonesien
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- Fotos entstanden auf Fuerteventura,
© Martin Schlu, Juli 2007
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