Kindheit
1749 - 1763
Jugend
1764-1769
Studium
1769- 1772
-
Erster
Erfolg: "Werther" 1774
Karriere
1775 - 1787
-
Familie
und Beruf 1788 - 1816
Alterswerke
1816 - 1825
Letzte
Jahre... 1826 -1832
Goethe
und Bettina von Arnim
Link
ins Goethehaus
Erzählung
Werthers
Leiden 1. Teil
Werthers
Leiden 2. Teil
Drama:
Faust
Zueignung-
Vorspiel
auf der Bühne
Prolog
im Himmel -
Der
Tragödie erster Teil
-
Der
Nachbarin Haus
-
Szene
YX ungelöst...
Gedichte
|
|
|
Johann
Wolfgang von
Goethe
Werthers
Leiden, 1. Buch
erstellt: Juli 2000 von Martin
Schlu
|
->
Querformat bitte
nutzen
|
- Seite
6 von 7 Seite
5 <<
>>
Seite 7
-
- Am
15. August 1771
I Am
18. August 1771
I Am
21. August 1771
I
Am 22. August 1771
I Am
28. August 1771
I
>> weiter
-
- Am
15. August 1771 -
- Seitenanfang
- Es ist doch
gewiß, daß in der Welt den Menschen
nichts notwendig macht als die Liebe. Ich
fühl's an Lotten, daß sie mich ungern
verlöre, und die Kinder haben keinen andern
Begriff, als daß ich immer morgen
wiederkommen würde. Heute war ich
hinausgegangen, Lottens Klavier zu stimmen, ich
konnte aber nicht dazu kommen, denn die Kleinen
verfolgten mich um ein Märchen, und Lotte
sagte selbst, ich sollte ihnen den Willen tun.
Ich schnitt ihnen das Abendbrot, das sie nun
fast so gern von mir als von Lotten annehmen,
und erzählte ihnen das Hauptstückchen
von der Prinzessin, die von Händen bedient
wird. Ich lerne viel dabei, das versichre ich
dich, und ich bin erstaunt, was es auf sie
für Eindrücke macht. Weil ich manchmal
einen Inzidentpunkt erfinden muß, den ich
beim zweitenmal vergesse, sagen sie gleich, das
vorigemal wär' es anders gewesen, so
daß ich mich jetzt übe, sie
unveränderlich in einem singenden
Silbenfall an einem Schnürchen weg zu
rezitieren. Ich habe daraus gelernt, wie ein
Autor durch eine zweite, veränderte Ausgabe
seiner Geschichte, und wenn ie poetisch noch so
besser geworden wäre, notwendig seinem
Buche schaden muß. Der erste Eindruck
findet uns willig, und der Mensch ist gemacht,
daß man ihn das Abenteuerlichste
überreden kann; das haftet aber auch gleich
so fest, und wehe dem, der es wieder auskratzen
und austilgen will!
-
- Am
18. August 1771 -
- Seitenanfang
- Mußte
denn das so sein, daß das, was des
Menschen Glückseligkeit macht, wieder die
Quelle seines Elendes würde?
- Das volle,
warme Gefühl meines Herzens an der
lebendigen Natur, das mich mit so vieler Wonne
überströmte, das rings umher die Welt
mir zu einem Paradiese schuf, wird mir jetzt zu
einem unerträglichen Peiniger, zu einem
quälenden Geist, der mich auf allen Wegen
verfolgt. Wenn ich sonst vom Felsen über
den Fluß bis zu jenen Hügeln das
fruchtbare Tal überschaute und alles um
mich her keimen und quellen sah; wenn ich jene
Berge, vom Fuße bis auf zum Gipfel, mit
hohen, dichten Bäumen bekleidet, jene
Täler in ihren mannigfaltigen
Krümmungen von den lieblichsten
Wäldern beschattet sah, und der sanfte
Fluß zwischen den lispelnden Rohren
dahingleitete und die lieben Wolken abspiegelte,
die der sanfte Abendwind am Himmel
herüberwiegte; wenn ich dann die Vögel
um mich den Wald beleben hörte, und die
Millionen Mückenschwärme im letzten
roten Strahle der Sonne mutig tanzten, und ihr
letzter zuckender Blick den summenden Käfer
aus seinem Grase befreite, und das Schwirren und
Weben um mich her mich auf den Boden aufmerksam
machte, und das Moos, das meinem harten Felsen
seine Nahrung abzwingt, und das Geniste, das den
dürren Sandhügel hinunter wächst,
mir das innere, glühende, heilige Leben der
Natur eröffnete: wie faßte ich das
alles in mein warmes Herz, fühlte mich in
der überfließenden Fülle wie
vergöttert, und die herrlichen Gestalten
der unendlichen Welt bewegten sich allbelebend
in meiner Seele. Ungeheure Berge umgaben mich,
Abgründe lagen vor mir, und
Wetterbäche stürzten herunter, die
Flüsse strömten unter mir, und Wald
und Gebirg erklang; und ich sah sie wirken und
schaffen ineinander in den Tiefen der Erde, alle
die unergründlichen Kräfte; und nun
über der Erde und unter dem Himmel wimmeln
die Geschlechter der mannigfaltigen
Geschöpfe. Ales, alles bevölkert mit
tausendfachen Gestalten; und die Menschen dann
sich in Häuslein zusammen sichern und sich
annisten und herrschen in ihrem Sinne über
die weite Welt! Armer Tor! Der du alles so
gering achtest, weil du so klein bist. - vom
unzugänglichen Gebirge über die
Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans
Ende des unbekannten Ozeans weht der Geist des
Ewigschaffenden und freut sich jedes Staubes,
der ihn vernimmt und lebt. - ach damals, wie oft
habe ich mich mit Fittichen eines Kranichs, der
über mich hin flog, zu dem Ufer des
ungemessenen Meeres gesehnt, aus dem
schäumenden Becher des Unendlichen jene
schwellende Lebenswonne zu trinken und nur einen
Augenblick in der eingeschränkten Kraft
meines Busens einen Tropfen der Seligkeit des
Wesens zu fühlen, das alles in sich und
durch sich hervorbringt.
-
- Bruder, nur die
Erinnerung jener Stunden macht mir wohl. Selbst
diese Anstrengung, jene unsäglichen
Gelüste zurückzurufen, wieder
auszusprechen, hebt meine Seele über sich
selbst und läßt mich dann das Bange
des Zustandes doppelt empfinden, der mich jetzt
umgibt.
-
- Es hat sich vor
meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der
Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt
sich vor mir in den Abgrund des ewig offenen
Grabes. Kannst du sagen: Das ist! Da alles
vorübergeht? Da alles mit der
Wetterschnelle vorüberrollt, so selten die
ganze Kraft seines Daseins ausdauert, ach, in
den Strom fortgerissen, untergetaucht und an
Felsen zerschmettert wird? Da ist kein
Augenblick, der nicht dich verzehrte und die
Deinigen um dich her, kein Augenblick, da du
nicht ein Zerstörer bist, sein mußt;
der harmloseste Spaziergang kostet tausend armen
Würmchen das Leben, es zerrüttet ein
Fußtritt die mühseligen Gebäude
der Ameisen und stampft eine kleine Welt in ein
schmähliches Grab. Ha! Nicht die
große, seltne Not der Welt, diese Fluten,
die eure Dörfer wegspülen, diese
Erdbeben, die eure Städte verschlingen,
rühren mich; mir untergräbt das Herz
die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur
verborgen liegt; die nichts gebildet hat, das
nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst
zerstörte. Und so taumle ich
beängstigt. Himmel und Erde und ihre
webenden Kräfte um mich her: ich sehe
nichts als ein ewig verschlingendes, ewig
wiederkäuendes Ungeheuer.
-
- Am
21. August 1771 -
- Seitenanfang
- Umsonst strecke
ich meine Arme nach ihr aus, morgens, wenn ich
von schweren Träumen aufdämmere,
vergebens suche ich sie nachts in meinem Bette,
wenn mich ein glücklicher, unschuldiger
Traum getäuscht hat, als säß'
ich neben ihr auf der Wiese und hielt' ihre Hand
und deckte sie mit tausend Küssen. Ach,
wenn ich dann noch halb im Taumel des Schlafes
nach ihr tappe und drüber mich ermuntere -
ein Strom von Tränen bricht aus meinem
gepreßten Herzen, und ich weine trostlos
einer finstern Zukunft entgegen.
-
- Am
22. August 1771 -
- Seitenanfang
- Es ist ein
Unglück, Wilhelm, meine tätigen
Kräfte sind zu einer unruhigen
Lässigkeit verstimmt, ich kann nicht
müßig sein und kann doch auch nichts
tun. Ich habe keine Vorstellungskraft, kein
Gefühl an der Natur, und die Bücher
ekeln mich an. Wenn wir uns selbst fehlen, fehlt
uns doch alles. Ich schwöre dir, manchmal
wünschte ich, ein Tagelöhner zu sein,
um nur des Morgens beim Erwachen eine Aussicht
auf den künftigen Tag, einen Drang, eine
Hoffnung zu haben. Oft beneide ich Alberten, den
ich über die Ohren in Akten begraben sehe,
und bilde mir ein, mir wäre wohl, wenn ich
an seiner Stelle wäre! Schon etlichemal ist
mir's so aufgefahren, ich wollte dir schreiben
und dem Minister, um die Stelle bei der
Gesandtschaft anzuhalten, die, wie du
versicherst, mir nicht versagt werden
würde. Ich glaube es selbst. Der Minister
liebt mich seit langer Zeit, hatte lange mir
angelegen, ich sollte mich irgendeinem
Geschäfte widmen; und eine Stunde ist mir's
auch wohl drum zu tun. Hernach, wenn ich wieder
dran denke und mir die Fabel vom Pferde
einfällt, das, seiner Freiheit ungeduldig,
sich Sattel und Zeug auflegen läßt
und zuschanden geritten wird - ich weiß
nicht, was ich soll. - und, mein Lieber! Ist
nicht vielleicht das Sehnen in mir nach
Veränderung des Zustands eine innere,
unbehagliche Ungeduld, die mich überallhin
verfolgen wird?
-
- Am
28. August 1771 -
- Seitenanfang
- Es ist wahr,
wenn meine Krankheit zu heilen wäre, so
würden diese Menschen es tun. Heute ist
mein Geburtstag, und in aller Frühe
empfange ich ein Päckchen von Alberten. Mir
fällt beim Eröffnen sogleich eine der
blaßroten Schleifen in die Augen, die
Lotte vor hatte, als ich sie kennen lernte, und
um die ich sie seither etlichemal gebeten hatte.
Es waren zwei Büchelchen in Duodez dabei,
der kleine Wetsteinische Homer, eine Ausgabe,
nach der ich so oft verlangt, um mich auf dem
Spaziergange mit dem Ernestischen nicht zu
schleppen. Sieh! So kommen sie meinen
Wünschen zuvor, so suchen sie alle die
kleinen Gefälligkeiten der Freundschaft
auf, die tausendmal werter sind als jene
blendenden Geschenke, wodurch uns die Eitelkeit
des Gebers erniedrigt. Ich küsse diese
Schleife tausendmal, und mit jedem Atemzuge
schlürfe ich die Erinnerung jener
Seligkeiten ein, mit denen mich jene wenigen,
glücklichen, unwiederbringlichen Tage
überfüllten. Wilhelm, es ist so, und
ich murre nicht, die Blüten des Lebens sind
nur Erscheinungen! Wie viele gehn vorüber,
ohne eine Spur hinter sich zu lassen, wie wenige
setzen Frucht an, und wie wenige dieser
Früchte werden reif! Und doch sind deren
noch genug da; und doch - o mein Bruder! -
können wir gereifte Früchte
vernachlässigen, verachten, ungenossen
verfaulen lassen?
-
- Lebe wohl! Es
ist ein herrlicher Sommer; ich sitze oft auf den
Obstbäumen in Lottens Baumstück mit
dem Obstbrecher, der langen Stange, und hole die
Birnen aus dem Gipfel. Sie steht unten und nimmt
sie ab, wenn ich sie ihr
herunterlasse.
-
- weiter
zum 30. August
1771
-
- Seitenanfang
-
|
|