Kindheit
1749 - 1763
Jugend
1764-1769
Studium
1769- 1772
-
Erster
Erfolg: "Werther" 1774
Karriere
1775 - 1787
-
Familie
und Beruf 1788 - 1816
Alterswerke
1816 - 1825
Letzte
Jahre... 1826 -1832
Goethe
und Bettina von Arnim
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ins Goethehaus
Erzählung
Werthers
Leiden 1. Teil
Werthers
Leiden 2. Teil
Drama:
Faust
Zueignung-
Vorspiel
auf der Bühne
Prolog
im Himmel -
Der
Tragödie erster Teil
-
Der
Nachbarin Haus
-
Szene
YX ungelöst...
Gedichte
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Johann
Wolfgang von
Goethe
Werthers
Leiden, 1. Buch
erstellt: Juli 2000 von Martin
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- Am
29. Junius 1771
I Am
1. Julius 1771
I Am
6. Julius 1771
I
Am
8. Julius 1771
I Am
10. Julius 1771
I Am
11. Julius 1771
I
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-
Am
29. Junius 1771 -
Seitenanfang
- Vorgestern kam
der Medikus hier aus der Stadt hinaus zum
Amtmann und fand mich auf der Erde unter Lottens
Kindern, wie einige auf mir herumkrabbelten,
andere mich neckten, und wie ich sie kitzelte
und ein großes Geschrei mit ihnen erregte.
Der Doktor, der eine sehr dogmatische Drahtpuppe
ist, unterm Reden seine Manschetten in Falten
legt und einen Kräusel ohne Ende
herauszupft, fand dieses unter der Würde
eines gescheiten Menschen; das merkte ich an
seiner Nase. Ich ließ mich aber in nichts
stören, ließ ihn sehr
vernünftige Sachen abhandeln und baute den
Kindern ihre Kartenhäuser wieder, die sie
zerschlagen hatten. Auch ging er darauf in der
Stadt herum und beklagte, des Amtmanns Kinder
wären so schon ungezogen genug, der Werther
verderbe sie nun völlig.
-
- Ja, lieber
Wilhelm, meinem Herzen sind die Kinder am
nächsten auf der Erde. Wenn ich ihnen
zusehe und in dem kleinen Dinge die Keime aller
Tugenden, aller Kräfte sehe, die sie einmal
so nötig brauchen werden; wenn ich in dem
Eigensinne künftige Standhaftigkeit und
Festigkeit des Charakters, in dem Mutwillen
guten Humor und Leichtigkeit, über die
Gefahren der Welt hinzuschlüpfen, erblicke,
alles so unverdorben, so ganz! - immer, immer
wiederhole ich dann die goldenen Worte des
Lehrers der Menschen: "wenn ihr nicht werdet wie
eines von diesen!" und nun, mein Bester, sie,
die unseresgleichen sind, die wir als unsere
Muster ansehen sollten, behandeln wir als
Untertanen. Sie sollen keinen Willen haben! -
haben wir denn keinen? Und wo liegt das
Vorrecht? - weil wir älter sind und
gescheiter! - guter Gott von deinem Himmel, alte
Kinder siehst du und junge Kinder, und nichts
weiter; und an welchen du mehr Freude hast, das
hat dein Sohn schon lange verkündigt. Aber
sie glauben an ihn und hören ihn nicht -
das ist auch was Altes! - und bilden ihre Kinder
nach sich und - Adieu, Wilhelm! Ich mag
darüber nicht weiter
radotieren.
-
- Am
1. Julius 1771-
- Seitenanfang
- Was Lotte einem
Kranken sein muß, fühl' ich an meinem
eigenen Herzen, das übler dran ist als
manches, das auf dem Siechbette verschmachtet.
Sie wird einige Tage in der Stadt bei einer
rechtschaffnen Frau zubringen, die sich nach der
Aussage der Ärzte ihrem Ende naht und in
diesen letzten Augenblicken Lotten um sich haben
will. Ich war vorige Woche mit ihr, den Pfarrer
von St. zu besuchen; ein Örtchen, das eine
Stunde seitwärts im Gebirge liegt. Wir
kamen gegen vier dahin. Lotte hatte ihre zweite
Schwester mitgenommen. Als wir in den mit zwei
hohen Nußbäumen überschatteten
Pfarrhof traten, saß der gute alte Mann
auf einer Bank vor der Haustür, und da er
Lotten sah, ward er wie neu belebt, vergaß
seinen Knotenstock und wagte sich auf, ihr
entgegen. Sie lief hin zu ihm, nötigte ihn
sich niederzulassen, indem sie sich zu ihm
setzte, brachte viele Grüße von ihrem
Vater, herzte seinen garstigen, schmutzigen
jüngsten Buben, das Quakelchen seines
Alters. Du hättest sie sehen sollen, wie
sie den Alten beschäftigte, wie sie ihre
Stimme erhob, um seinen halb tauben Ohren
vernehmlich zu werden, wie sie ihm von jungen,
robusten Leuten erzählte, die unvermutet
gestorben wären, von der Vortrefflichkeit
des Karlsbades, und wie sie seinen
Entschluß lobte, künftigen Sommer
hinzugehen, wie sie fand, daß er viel
besser aussähe, viel munterer sei als das
letztemal, da sie ihn gesehn. - ich hatte indes
der Frau Pfarrerin meine Höflichkeiten
gemacht. Der Alte wurde ganz munter, und da ich
nicht umhin konnte, die schönen
Nußbäume zu loben, die uns so
lieblich beschatteten, fing er an, uns, wiewohl
mit einiger Beschwerlichkeit, die Geschichte
davon zu geben.
-
- -"den alten",
sagte er,"wissen wir nicht, wer den gepflanzt
hat; einige sagen dieser, andere jener Pfarrer.
Der jüngere aber dort hinten ist so alt als
meine Frau, im Oktober funfzig Jahr. Ihr Vater
pflanzte ihn des Morgens, als sie gegen Abend
geboren wurde. Er war mein Vorfahr im Amt, und
wie lieb ihm der Baum war, ist nicht zu sagen;
mir ist er's gewiß nicht weniger. Meine
Frau saß darunter auf einem Balken und
strickte, da ich vor siebenundzwanzig Jahren als
ein armer Student zum erstenmale hier in den Hof
kam". - Lotte fragte nach seiner Tochter; es
hieß, sie sei mit Herrn Schmidt auf die
Wiese hinaus zu den Arbeitern, und der Alte fuhr
in seiner Erzählung fort: wie sein Vorfahr
ihn liebgewonnen und die Tochter dazu, und wie
er erst sein Vikar und dann sein Nachfolger
geworden. Die Geschichte war nicht lange zu
Ende, als die Jungfer Pfarrerin mit dem
sogenannten Herrn Schmidt durch den Garten
herkam: sie bewillkommte Lotten mit herzlicher
Wärme, und ich muß sagen, sie gefiel
mir nicht übel; eine rasche, wohlgewachsene
Brünette, die einen die kurze Zeit
über auf dem Lande wohl unterhalten
hätte. Ihr Liebhaber (denn als solchen
stellte sich Herr Schmidt gleich dar), ein
feiner, doch stiller Mensch, der sich nicht in
unsere Gespräche mischen wollte, ob ihn
gleich Lotte immer hereinzog. Was mich am
meisten betrübte, war, daß ich an
seinen Gesichtszügen zu bemerken schien, es
sei mehr Eigensinn und übler Humor als
Eingeschränktheit des Verstandes, der ihn
sich mitzuteilen hinderte. In der Folge ward
dies leider nur zu deutlich; denn als Friederike
beim Spazierengehen mit Lotten und gelegentlich
auch mit mir ging, wurde des Herrn Angesicht,
das ohnedies einer bräunlichen Farbe war,
so sichtlich verdunkelt, daß es Zeit war,
daß Lotte mich beim Ärmel zupfte und
mir zu verstehn gab, daß ich mit
Friederiken zu artig getan. Nun verdrießt
mich nichts mehr, als wenn die Menschen einander
plagen, am meisten, wenn junge Leute in der
Blüte des Lebens, da sie am offensten
für alle Freuden sein könnten,
einander die paar guten Tage mit Fratzen
verderben und nur erst zu spät das
Unersetzliche ihrer Verschwendung einsehen. Mich
wurmte das, und ich konnte nicht umhin, da wir
gegen Abend in den Pfarrhof zurückkehrten
und an einem Tische Milch aßen und das
Gespräch auf Freude und Leid der Welt sich
wendete, den Faden zu ergreifen und recht
herzlich gegen die üble Laune zu reden.
-"wir Menschen beklagen uns oft", fing ich an,
"daß der guten Tage so wenig sind und der
schlimmen so viel, und, wie mich dünkt,
meist mit Unrecht. Wenn wir immer ein offenes
Herz hätten, das Gute zu genießen,
das uns Gott für jeden Tag bereitet, wir
würden alsdann auch Kraft genug haben, das
Übel zu tragen, wenn es kommt". -"Wir haben
aber unser Gemüt nicht in unserer Gewalt",
versetzte die Pfarrerin, "wie viel hängt
vom Körper ab! Wenn einem nicht wohl ist,
ist's einem überall nicht recht". - Ich
gestand ihr das ein. -"Wir wollen es also", fuhr
ich fort,"als eine Krankheit ansehen und fragen,
ob dafür kein Mittel ist?" - "Das
läßt sich hören", sagte Lotte,
"ich glaube wenigstens, daß viel von uns
abhängt. Ich weiß es an mir. Wenn
mich etwas neckt und mich verdrießlich
machen will, spring' ich auf und sing' ein paar
Contretänze den Garten auf und ab, gleich
ist's weg". -"das war's, was ich sagen
wollte,"versetzte ich,"es ist mit der üblen
Laune völlig wie mit der Trägheit,
denn es ist eine Art von Trägheit. Unsere
Natur hängt sehr dahin, und doch, wenn wir
nur einmal die Kraft haben, uns zu ermannen,
geht uns die Arbeit frisch von der Hand, und wir
finden in der Tätigkeit ein wahres
Vergnügen". - Friederike war sehr
aufmerksam, und der junge Mensch wandte mir ein,
daß man nicht Herr über sich selbst
sei und am wenigsten über seine
Empfindungen gebieten könne. -"es ist hier
die Frage von einer unangenehmen Empfindung",
versetzte ich, "die doch jedermann gerne los
ist; und niemand weiß, wie weit seine
Kräfte gehen, bis er sie versucht hat.
Gewiß, wer krank ist, wird bei allen
Ärzten herumfragen, und die
größten Resignationen, die bittersten
Arzeneien wird er nicht abweisen, um seine
gewünschte Gesundheit zu erhalten". - ich
bemerkte, daß der ehrliche Alte sein
Gehör anstrengte, um an unserm Diskurse
teilzunehmen, ich erhob die Stimme, indem ich
die Rede gegen ihn wandte". Man predigt gegen so
viele Laster", sagte ich, "ich habe noch nie
gehört, daß man gegen die üble
Laune vom Predigtstuhle gearbeitet hätte.
-"Das müßten die Stadtpfarrer tun",
sagte er, "die Bauern haben keinen bösen
Humor; doch könnte es auch zuweilen nicht
schaden, es wäre eine Lektion für
seine Frau wenigstens und für den Herrn
Amtmann". -
-
- Die
Gesellschaft lachte, und er herzlich mit, bis er
in einen Husten verfiel, der unsern Diskurs eine
Zeitlang unterbrach; darauf denn der junge
Mensch wieder das Wort nahm: "Sie nannten den
bösen Humor ein Laster; mich deucht, das
ist übertrieben". -"Mit nichten", gab ich
zur Antwort, "wenn das, womit man sich selbst
und seinem Nächsten schadet, diesen Namen
verdient. Ist es nicht genug, daß wir
einander nicht glücklich machen
können, müssen wir auch noch einander
das Vergnügen rauben, das jedes Herz sich
noch manchmal selbst gewähren kann? Und
nennen Sie mir den Menschen, der übler
Laune ist und so brav dabei, sie zu verbergen,
sie allein zu tragen, ohne die Freude um sich
her zu zerstören! Oder ist sie nicht
vielmehr ein innerer Unmut über unsere
eigene Unwürdigkeit, ein Mißfallen an
uns selbst, das immer mit einem Neide
verknüpft ist, der durch eine törichte
Eitelkeit aufgehetzt wird? Wir sehen
glückliche Menschen, die wir nicht
glücklich machen, und das ist
unerträglich". - Lotte lächelte mich
an, da sie die Bewegung sah, mit der ich redete,
und eine Träne in Friederikens Auge spornte
mich fortzufahren. -"Wehe denen", sagte ich,
"die sich der Gewalt bedienen, die sie über
ein Herz haben, um ihm die einfachen Freuden zu
rauben, die aus ihm selbst hervorkeimen. Alle
Geschenke, alle Gefälligkeiten der Welt
ersetzen nicht einen Augenblick Vergnügen
an sich selbst, den uns eine neidische
Unbehaglichkeit unsers Tyrannen vergällt
hat".
-
- Mein ganzes
Herz war voll in diesem Augenblicke; die
Erinnerung so manches Vergangenen drängte
sich an meine Seele, und die Tränen kamen
mir in die Augen.
- "Wer sich das
nur täglich sagte", rief ich aus, "du
vermagst nichts auf deine Freunde, als ihnen
ihre Freuden zu lassen und ihr Glück zu
vermehren, indem du es mit ihnen
genießest. Vermagst du, wenn ihre innere
Seele von einer ängstigenden Leidenschaft
gequält, vom Kummer zerrüttet ist,
ihnen einen Tropfen Linderung zu
geben?
-
- Und wenn die
letzte, bangste Krankheit dann über das
Geschöpf herfällt, das du in
blühenden Tagen untergraben hast, und sie
nun daliegt in dem erbärmlichsten Ermatten,
das Auge gefühllos gen Himmel sieht, der
Todesschweiß auf der blassen Stirne
abwechselt, und du vor dem Bette stehst wie ein
Verdammter, in dem innigsten Gefühl,
daß du nichts vermagst mit deinem ganzen
Vermögen, und die Angst dich inwendig
krampft, daß du alles hingeben
möchtest, dem untergehenden Geschöpfe
einen Tropfen Stärkung, einen Funken Mut
einflößen zu
können".
-
- Die Erinnerung
einer solchen Szene, wobei ich gegenwärtig
war, fiel mit ganzer Gewalt bei diesen Worten
über mich. Ich nahm das Schnupftuch vor die
Augen und verließ die Gesellschaft, und
nur Lottens Stimme, die mir rief, wir wollten
fort, brachte mich zu mir selbst. Und wie sie
mich auf dem Wege schalt über den zu warmen
Anteil an allem, und daß ich drüber
zugrunde gehen würde! Daß ich mich
schonen sollte! - O der Engel! Um deinetwillen
muß ich leben!
-
- Am
6. Julius 1771 -
- Seitenanfang
- Sie ist immer
um ihre sterbende Freundin, und ist immer
dieselbe, immer das gegenwärtige, holde
Geschöpf, das, wo sie hinsieht, Schmerzen
lindert und Glückliche macht. Sie ging
gestern abend mit Marianen und dem kleinen
Malchen spazieren, ich wußte es und traf
sie an, und wir gingen zusammen. Nach einem Wege
von anderthalb Stunden kamen wir gegen die Stadt
zurück, an den Brunnen, der mir so wert und
nun tausendmal werter ist. Lotte setzte sich
aufs Mäuerchen, wir standen vor ihr. Ich
sah umher, ach, und die Zeit, da mein Herz so
allein war, lebte wieder vor mir auf. -"Lieber
Brunnen", sagte ich, "seither hab' ich nicht
mehr an deiner Kühle geruht, hab' in
eilendem Vorübergehn dich manchmal nicht
angesehn". - Ich blickte hinab und sah,
daß Malchen mit einem Glase Wasser sehr
beschäftigt heraufstieg. - Ich sah Lotten
an und fühlte alles, was ich an ihr habe.
Indem kommt Malchen mit einem Glase. Mariane
wollt' es ihr abnehmen: "nein!" rief das Kind
mit dem süßesten Ausdrucke,"nein,
Lottchen, du sollst zuerst trinken!" - ich ward
über die Wahrheit, über die Güte,
womit sie das ausrief, so entzückt,
daß ich meine Empfindung mit nichts
ausdrücken konnte, als ich nahm das Kind
von der Erde und küßte es lebhaft,
das sogleich zu schreien und zu weinen anfing.
-"Sie haben übel getan", sagte Lotte. - Ich
war betroffen. -"komm, Malchen, "fuhr sie fort,
indem sie es bei der Hand nahm und die Stufen
hinabführte, "da wasche dich aus der
frischen Quelle geschwind, geschwind, da tut's
nichts". - Wie ich so dastand und zusah, mit
welcher Emsigkeit das Kleine seinen nassen
Händchen die Backen rieb, mit welchem
Glauben, daß durch die Wunderquelle alle
Verunreinigung abgespült und die Schmach
abgetan würde, einen häßlichen
Bart zu kriegen; wie Lotte sagte: "es ist
genug!" und das Kind doch immer eifrig
fortwusch, als wenn Viel mehr täte als
Wenig - ich sage dir, Wilhelm, ich habe mit mehr
Respekt nie einer Taufhandlung beigewohnt; und
als Lotte heraufkam, hätte ich mich gern
vor ihr niedergeworfen wie vor einem Propheten,
der die Schulden einer Nation weggeweiht
hat.
-
- Des Abends
konnte ich nicht umhin, in der Freude meines
Herzens den Vorfall einem Manne zu
erzählen, dem ich Menschensinn zutraute,
weil er Verstand hat; aber wie kam ich an! Er
sagte, das sei sehr übel von Lotten
gewesen; man solle den Kindern nichts weis
machen; dergleichen gebe zu unzähligen
Irrtümern und Aberglauben Anlaß,
wovor man die Kinder frühzeitig bewahren
müsse. - nun fiel mir ein, daß der
Mann vor acht Tagen hatte taufen lassen, drum
ließ ich's vorbeigehen und blieb in meinem
Herzen der Wahrheit getreu: wir sollen es mit
den Kindern machen wie Gott mit uns, der uns am
glücklichsten macht, wenn er uns in
freundlichem Wahne so hintaumeln
läßt.
-
- Am
8. Julius 1771 -
- Seitenanfang
- Was man ein
Kind ist! Was man nach so einem Blicke geizt!
Was man ein Kind ist! - Wir waren nach Wahlheim
gegangen. Die Frauenzimmer fuhren hinaus, und
während unserer Spaziergänge glaubte
ich in Lottens schwarzen Augen - ich bin ein
Tor, verzeih mir's! Du solltest sie sehen, diese
Augen. - Daß ich kurz bin (denn die Augen
fallen mir zu vor Schlaf): siehe, die
Frauenzimmer stiegen ein, da standen um die
Kutsche der junge W., Selstadt und Audran und
ich. Da ward aus dem Schlage geplaudert mit den
Kerlchen, die freilich leicht und lüftig
genug waren. - ich suchte Lottens Augen: ach,
sie gingen von einem zum andern! Aber auf mich!
Mich! Mich! Der ganz allein auf sie resigniert
dastand, fielen sie nicht! - Mein Herz sagte ihr
tausend Adieu! Und sie sah mich nicht! Die
Kutsche fuhr vorbei, und eine Träne stand
mir im Auge. Ich sah ihr nach und sah Lottens
Kopfputz sich zum Schlage herauslehnen, und sie
wandte sich um zu sehen, ach! Nach mir? -
Lieber! In dieser Ungewißheit schwebe ich;
das ist mein Trost: vielleicht hat sie sich nach
mir umgesehen! Vielleicht! - Gute Nacht! O, was
ich ein Kind bin!
-
- Am
10. Julius 1771 -
- Seitenanfang
- Die alberne
Figur, die ich mache, wenn in Gesellschaft von
ihr gesprochen wird, solltest du sehen! Wenn man
mich nun gar fragt, wie sie mir gefällt? -
gefällt! Das Wort hasse ich auf den Tod.
Was muß das für ein Mensch sein, dem
Lotte gefällt, dem sie nicht alle Sinne,
alle Empfindungen ausfüllt! Gefällt!
{das Wort hasse ich auf den Tod. Was muß
das für ein Mensch sein, dem Lotte
gefällt, dem sie nicht alle Sinne, alle
Empfindungen ausfüllt!} Gefällt!
Neulich fragte mich einer, wie mir Ossian
gefiele!
-
- Am
11. Julius 1771 -
- Seitenanfang
- Frau M. ist
sehr schlecht; ich bete für ihr Leben, weil
ich mit Lotten dulde. Ich sehe sie selten bei
einer Freundin, und heute hat sie mir einen
wunderbaren Vorfall erzählt. - der alte M.
ist ein geiziger, rangiger Filz, der seine Frau
im Leben was Rechts geplagt und
eingeschränkt hat; doch hat sich die Frau
immer durchzuhelfen gewußt. Vor wenigen
Tagen, als der Arzt ihr das Leben abgesprochen
hatte, ließ sie ihren Mann kommen (Lotte
war im Zimmer) und redete ihn also an:"ich
muß dir eine Sache gestehen, die nach
meinem Tode Verwirrung und Verdruß machen
könnte. Ich habe bisher die Haushaltung
geführt, so ordentlich und sparsam als
möglich; allein du wirst mir verzeihen,
daß ich dich diese dreißig Jahre her
hintergangen habe. Du bestimmtest im Anfange
unserer Heirat ein Geringes für die
Bestreitung der Küche und anderer
häuslichen Ausgaben. Als unsere Haushaltung
stärker wurde, unser Gewerbe
größer, warst du nicht zu bewegen,
mein Wochengeld nach dem Verhältnisse zu
vermehren; kurz, du weißt, daß du in
den Zeiten, da sie am größten war,
verlangtest, ich solle mit sieben Gulden die
Woche auskommen.
-
- Die habe ich
denn ohne Widerrede genommen und mir den
Überschuß wöchentlich aus der
Losung geholt, da niemand vermutete, daß
die Frau die Kasse bestehlen würde. Ich
habe nichts verschwendet und wäre auch,
ohne es zu bekennen, getrost der Ewigkeit
entgegengegangen, wenn nicht diejenige, die nach
mir das Hauswesen zu führen hat, sich nicht
zu helfen wissen würde, und du doch immer
darauf bestehen könntest, deine erste Frau
sei damit ausgekommen".
- Ich redete mit
Lotten über die unglaubliche Verblendung
des Menschensinns, daß einer nicht
argwohnen soll, dahinter müsse was anders
stecken, wenn eins mit sieben Gulden hinreicht,
wo man den Aufwand vielleicht um zweimal so viel
sieht. Aber ich habe selbst Leute gekannt, die
des Propheten ewiges Ölkrüglein ohne
Verwunderung in ihrem Hause angenommen
hätten.
-
- weiter
zum 13. Julius 1771
- Seitenanfang
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