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Erstes Buch:
Der alte Seebär
Kapitel
I
Der
alte Seebär im »Admiral
Benbow«
Kapitel
II
Der
Schwarze Hund taucht auf und
verschwindet
Kapitel
III
Der
schwarze
Fleck
Kapitel IV
Die
Seemannskiste
Kapitel V
Das Ende des
Blinden
Kapitel VI
Die Papiere des Käpt'ns
|
Robert
L. Stevenson: Die Schatzinsel
(Treasure
Island)
übersetzt von
Martin Schlu, Mai 2008
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- Inhaltsangabe
-
-
- Kapitel
III
- Der schwarze
Fleck
- Gegen Mittag stand ich
vor der Tür des Käpt'ns mit einigen kalten
Getränken und Medizin. Er lag genauso, wie wir ihn
verlassen hatten nur etwas höher and er schien
beides, schwach und aufgeregt.
-
- "Jim," sagte er, "du
bist der Einzige hier, der irgendwas wert ist, und du
weißt, daß ich immer gut zu dir gewesen bin.
Vor noch nicht einem Monat habe ich dir das silberne
Vier-Penny-Stück gegeben. Und jetzt, wie du siehst,
mein Lieber, bin ich ziemlich unten und von allen
verlassen und, Jim, du wirst mir noch eine Ration Rum
bringen, nicht wahr, Lieber?"
-
- "Aber der Arzt..."
begann ich.
-
- Und nun brach er in
Verwünschungen über den Doktor aus, zwar mit
schwacher Stimme aber von Herzen kommend. "Ärzte
sind alle Flickschuster," sagte er "und dieser Arzt da,
wirklich, was weiß er über Teerjacken? Ich war
an Plätzen, da ging es heiß her, die Kameraden
fielen wie die Fliegen, und gesegnetes Land erhob sich
mit der See zu einem Erdbeben - was weiß der Doktor
über Länder wie diese? Ich sage dir, ich habe
von Rum gelebt. Es war mir Speis und Trank, Mann und Frau
für mich; und wenn ich nicht meinen Rum kriege,
jetzt wo ich alter Mann bald sterben werde, wird mein
Blut über dich, Jim, kommen und diesen Quacksalber
von Doktor", und er fuhr mit Nachdruck nach einer Weile
fort: "Schau, Jim, wie meine Finger zittern," sagte er in
bittendem Ton, "ich kann sie nicht still halten, nicht
ich. Ich habe diesen verdammten Tag noch keinen Tropfen
bekommen. Dieser Doktor ist ein Narr, sag ich dir. Wenn
ich nur etwas Flüssiges oder Rum bekäme, Jim,
ich sehe, dass Furchtbares kommt, ich habe schon etliches
davon gesehen. Ich sah den alten Flint in der Ecke da,
hinter dir; so klar wie ein Bild. Ich habe ihn gesehen;
und noch Schrecklicheres. Ich bin ein Mann der hart und
rauh gelebt hat, and ich habe selbst Kain ausgestochen.
Dein Arzt behauptete eben, ein Glas würde mich
verletzen. Ich gebe dir eine Goldguinea für einen
Becher, Jim."
-
- Er wurde immer
aufgeregter und dies brachte mich in Sorge um meinen
Vater, der an diesem Tag sehr schwach war und Ruhe
brauchte; außerdem war ich verunsichert durch die
Worte des Doktors, die er zu mir gesagt hatte und sehr
aufgebracht durch das Angebot eines
Bestechungsgeldes.
-
- "Ich möchte nichts
von eurem Geld," sagte ich, "nur das, was ihr meinem
Vater schuldet. Ich gebe euch ein Glas und nicht eines
mehr.."
-
- Als ich es ihm brachte,
nahm er es gierig und trank es aus.
-
- "Aye, aye," sagte er,
"das ist schon besser, ganz bestimmt. Und nun, Junge, hat
der Arzt gesagt, wie lange ich in diesem alten Hafen
bleiben muß?"
-
- "Eine Woche
mindestens,"sagte ich.
-
- "Teufel auch!", schrie
er. "Eine Woche! Das kann ich nicht. Sie haben mir den
Schwarzen Fleck geschickt. Der Kerl versucht mir im
Moment die Luft abzuschnüren; er wird versuchen zu
holen, was er holen soll und er wird versuchen mich hier
festzunageln. Ist das seemännisches Benehmen? Das
möchte ich wissen. Aber ich rette mich. Ich habe nie
ein gutes Geschäft ausgelassen oder es verloren und
ich werde sie wieder austricksen. Ich habe keine Angst
vor ihnen. Ich lande an einem anderen Riff, Junge, und
trickse sie wieder aus."
-
- Während er das
sagte, hatte er sich unter großen Schwierigkeiten
vom Bett aufgerichtet und packte mich mit einem Griff an
der Schulter, der mich fast aufschreien ließ und
zog seine Beine wie totes Fleisch hinter sich her. Seine
Worte, mit Vehemenz vorgetragen, paßten so gar
nicht zu des Schwäche seiner Stimme in der er sie
gesagt hatte. Er ruhte sich aus, als er sich in eine
bequemere Position hingesetzt hatte.
-
- "Dieser Arzt macht mich
fertig," murmelte er. "Mir rauscht es in den Ohren. Leg
mich zurück."
-
- Doch bevor ich ihm damit
helfen konnte, war er in seine alte Lage
zurückgefallen wo er eine Weile still
lag
-
- "Jim," sagte er nach
einer Weile, "hast du den Einbeinigen heute
gesehen?"
-
- "Den Schwarzen Hund?"
fragte ich
-
- "Ach, der Schwarze
Hund," sagte er, "Er ist zwar schlecht, doch es gibt
schlimmere, die ihn schicken. Jetzt kann ich nirgendwo
hingehen und sie schicken mir den Schwarzen Fleck. Denk
dran, es ist meine alte Seekiste, hinter der sie her
sind. Besorge dir ein Pferd - du kannst reiten, nicht
wahr? - also, schnapp dir ein Pferd und reite zu - gut,
reite zu dem alten Quacksalber von Arzt, sage ihm er soll
sie alle verhaften lassen - alle zusammen - und sie
sollen sich im Admiral Benbow auf die Lauer legen, sie
kriegen alle - gesamte Mannschaft vom alten Flint,
Männer und Jungen, alle, die bei ihm sind. Ich war
dort Erster Steuermann, wirklich, ich war der Erste Maat
des alten Flint, und ich bin der Einzige, der den Platz
kennt. Er sagte es mir in Savannah, als er im Sterben
lag, ich bin der Einzige, der es weiß, wirklich, du
wirst es sehen. Aber ich kann dich erst einweihen, wenn
sie den Schwarzen Fleck von mir nehmen, oder bis du den
Schwarzen Hund wieder siehst oder den Seemann mit einem
Bein, Jim - ihn vor allem."
-
- "Aber was ist der
Schwarze Fleck, Käpt'n?", fragte ich.
-
- "Das ist eine Vorladung,
Junge. Ich werde es dir später erklären. Aber
halte deine Augen weiter offen Jim, und ich werde alles
mit dir teilen, was ich habe."
-
- Er machte eine
längere Pause, seine Stimme wurde immer
schwächer; doch kurz danach gab ich ihm richtige
Medizin, die er gehorsam nahm wie ein Kind, allerdings
mit der Bemerkung, "wann immer ein Seemann Medizin
braucht, bin ich es". Danach fiel er in einen schweren,
todesähnlichen Schlaf, in dem ich ihn schlafen
ließ. Was ich an diesem Abend hätte tun
sollen, weiß ich heute noch nicht genau, vielleicht
hätte ich die ganze Geschichte schon damals dem
Doktor erzählen sollen, denn ich hatte Todesangst,
daß der Käpt'n denken könnte, ich wisse
zu viel und ein Ende mit mir machen würde.
-
- Doch andere Dinge
entwickelten sich, mein armer Vater starb kurz nach
diesem Abend, und alles andere wurde erst einmal
unwichtig. Unsere erklärliche Erschöpfung, die
Besuche der Nachbarn, die Organisation des
Begräbnisses und all die Arbeit, das Gasthaus
weiterhin zu führen hielten mich so auf Trab,
daß ich keine Zeit hatte, an den Käpt'n zu
denken oder Angst um ihn zu haben.
-
- Er kam am nächsten
Morgen die Treppe hinunter, sicher, sein Essen wie
gewohnt vorzufindenl, obwohl er wenig aß und - da
bin ich mir sicher - mehr als den üblichen Pint Rum
trank, den er sich selber an der Bar eingoß,
knurrend und durch die Nase schnaubend, so daß sich
keiner traute, ihn anzusprechen. In der Nacht vor der
Beerdigung war er betrunken wie immer und es schockierte
mich, in dem Trauerhaus ein seine furchtbaren
Seemannslieder singen zu hören, doch so schwach, wie
er war, hatten wir alle Angst davor, er könne
sterben und der Arzt hatte plötzlich, meilenweit
entfernt, einen neuen Patienten annehmen müssen und
war nach dem Tod meines Vaters nicht mehr im Haus
gewesen. Ich habe gesagt, der Käpt'n war schwach und
es schien, als ob er immer schwächer würde. Er
hielt sich beim Treppensteigen auf und ab fest, ging nur
noch von der Gaststube zur Bar und zurück und
steckte seine Nase nur aus der Tür um die See wieder
zu riechen, wobei er sich an den Wänden festhielt
und schwer atmete, wie ein Mann, der Berge besteigt. Er
sprach mich nicht mehr gezielt an und ich glaube, er
hatte seine Pläne vergessen, doch sein Geist war
hellwach und glich seine körperliche Schwäche
aus - so gesehen war er stärker als
vorher.
-
- Er hatte eine
angsteinflößende Art sein Entermesser zu
ziehen, wenn er betrunken war und es blank vor sich auf
den Tisch zu legen, aber so hielt er auch die Leute still
und es schien, er bliebe in seinen eigenen Gedanken und
Überlegungen. Einmal, zum Beispiel, sang er uns zu
unserem größten Erstaunen ein schwierigeres
Lied vor, eine Art Liebeslied, das er vielleicht in
seiner Jugend gelernt haben mußte bevor der dem Ruf
der See gefolgt war.
-
- So passierte nichts, bis
ich am Tag nach der Beerdigung gegen drei Uhr an einem
kalten, nebeligen und frostigen Nachmittag einen
Augenblick an der Tür stand, voll von
schwermütigen Gedanken an meinen Vater, als ich
jemanden langsam die Straße entlang kommen sah. Er
war offensichtlich blind, denn er klopfte vor sich mit
einem Stock auf den Boden and trug eine große
grüne Klappe über Augen und Nase. Er war
gebeugt, sei es durch sein Alter oder die Schwäche
und er trug einen großen, alten, zerlumpten
Seemantel mit einem Südwester, der seiner Gestalt
ein noch gebeugteres Aussehen gab. Ich habe nie wieder
einen elender aussehenden Menschen gesehen. Er hielt kurz
vor dem Gasthaus, und, während er seine Stimme in
einer Art Sing-Sang erhob, schaute er in die Luft nach
vorne zu mir hin und fragte: "Wird irgendjemand
Freundlicher einen armen blinden Mann, der sein
Augenlicht in den ruhmreichen Verteidigungskriegen
Englands, und - Gott schütze den König - King
Georges - verloren hat, informieren, wo oder in welchem
Teil des Landes er nun ist!"
-
- "Guter Mann, ihr seid am
"Admiral Benbow" in Black Hill Cove," sagte ich
ihm.
-
- "Ich höre eine
Stimme," sagte er, "eine junge Stimme. Mein
höflicher junger Freund, würdest du mir bitte
deine Hand geben und mich hineinführen?"
-
- Ich streckte ihm meine
Hand hin, und die schreckliche, sanft sprechende,
augenlose Kreatur griff zu wie eine Zange. Ich war so
überrumpelt, daß ich wehrlos war, doch der
blinde Mann zog mich mit einer einzigen Armbewegung
sofort zu ihm
-
- "Nun, Junge," sagte er,
"jetzt bring mich zum Käpt'n."
-
- "Sir," sagte ich, "auf
mein Ehrenwort, ich darf nicht."
-
- "Oh," erwiderte er, "so
ist das! Bring mich sofort dahin oder ich breche dir
deinen Arm."
-
- Und er drehte mir,
während er sprach, den Arm so um, daß ich
aufschrie.
-
- "Sir," sagte ich, "ich
sage das nicht für mich. Der Käpt'n ist nicht
das, was er vorgibt zu sein. Er sitzt immer mit einem
gezogenen Entermesser da. Ein anderer
Herr..."
-
- "Komm jetzt, marsch!,"
unterbrach er mich und ich habe nie wieder so eine
grausame Stimme gehört, so kalt und
fürchterlich wie die des blinden Mannes. Sie
erschreckte mich mehr als der Schmerz and ich gehorchte
ihm sofort, ging geradewegs zur Tür und in die
Gaststube, wo unser kranker, alter Säufer saß,
mit Rum abgefüllt. Der blinde Mann ging ganz dicht
hinter mir, faßte mich mit seiner eisernen Faust
und lehnte sich fast mit seinem ganzen Gewicht auf mich,
so daß ich mich kaum rühren konnte.
"Führe mich direkt zu ihm hin und wenn ich in seinem
Blickfeld bin, rufe laut 'Hier ist ein Freund für
dich, Bill!' Wenn du es nicht tust, dann...", und damit
drehte er meinen Arm noch etwas fester um. Zwischen dem
und dem Folgenden war ich so von dem Blinden erschreckt,
daß ich meine Angst vor dem Käpt'n
vergaß, ich öffnete die Tür zur Gaststube
und rief die Worte, die ich rufen mußte, in einer
zitternden Stimme.
-
- Der arme Käpt'n hob
die Augen, wurde mit einem Male wieder nüchtern und
ließ den Rum stehen. Sein Gesichtsausdruck war eine
Mischung aus Abscheu und Todesangst. Er machte eine
Bewegung, als wolle er aufstehen, aber ich glaube, er
hatte nicht mehr genug Kraft in seinem
Körper.
-
- "Nein, Bill, bleibe
sitzen, wo du bist," sagte der Bettler. "Wenn ich sehen
könnte, könnte ich deine Finger zittern sehen.
Geschäft ist Geschäft. Halte deine linke Hand
auf. Junge, nimm seine linke Hand am Gelenk und bringe
sie an meine rechte.
-
- Wir beide händigten
ihm einen Brief aus, und ich sah, daß etwas aus der
hohlen Hand des Bettlers in die Hand des Käpt'n
wanderte, die sofort geschlossen wurde.
-
- "Nun ist es getan,"
sagte der Blinde; und als er diese Worte gesprochen
hatte, ließ er mich plötzlich los und mit
unbeschreiblicher Sicherheit verließ er die
Gaststube und ging wieder auf die Straße, wo ich,
während ich bewegungslos dastand, hören konnte,
wie sich das Tap-Tap des Stockes in der Ferne
verlor.
-
- Es dauerte etwas, bis
der Käpt'n und ich wieder unsere Sinne beisammen
hatten, doch nach dieser Zeit, ungefähr im gleichen
Moment, bemerkte ich, daß ich ihn immer noch am
Handgelenk hielt, and er schaute in die andere Hand und
sah auf eine Palme
-
- "Zehn Uhr!", schrie er.
"Sechs Stunden. Wir schaffen es noch," und er sprang auf.
In diesem Augenblick, brach er zusammen, faßte sich
mit der Hand an die Kehle, schwankte einen kurzen Moment,
und dann, mit einem merkwürdigen Geräusch, fiel
er längelang mit dem Gesicht voran auf den
Boden.
-
- Ich rannte sofort zu
ihm, während ich nach meiner Mutter rief. Aber alle
Eile war umsonst. Den Käpt'n hatte ein zweiter
tödlicher Schlaganfall hingestreckt. Es ist seltsam,
das Folgende zu verstehen, denn, obwohl ich diesen Mann
sicher nicht geliebt hatte, trauerte ich um ihn, sobald
ich merkte, daß er tot war und ich brach in eine
Flut von Tränen aus. Es war der zweite Tote, den ich
gesehen hatte, und die Trauer um den ersten war in meinem
Herzen noch lebendig.
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