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Erstes Buch:
Der alte Seebär
Kapitel
I
Der
alte Seebär im »Admiral
Benbow«
Kapitel
II
Der
Schwarze Hund taucht auf und
verschwindet
Kapitel
III
Der
schwarze
Fleck
Kapitel IV
Die
Seemannskiste
Kapitel V
Das Ende des
Blinden
Kapitel VI
Die Papiere des Käpt'ns
|
Robert
L. Stevenson: Die Schatzinsel
(Treasure
Island)
übersetzt von
Martin Schlu, Mai 2008
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- Inhaltsangabe
-
-
- Kapitel I
- Der alte Seebär im Admiral
Benbow
- Richter Graf Trelawney, Dr. Livesey,
und die anderen ehrenwerten Herren haben mich gebeten,
den ganzen Bericht über die Schatzinsel
aufzuschreiben, vom Anfang an bis zum Ende und nichts
auszulassen bis auf die Positionsangaben der Insel und
das auch nur, weil noch nicht alles abgeholt ist. So
nehme ich meinen Stift im Jahr des Herrn 17xx und gehe in
meiner Erinnerung wieder in die Zeit, als mein Vater das
Gasthaus "Admiral Benbow" führte und der
braungebrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe
Wohnung unter unserem Dach nahm.
-
-
- Ich erinnere mich, als sei es erst
gestern gewesen, wie er triefend naß in der
Tür des Gasthauses stand. Seine Seemannskiste wurde
ihm in einer Schubkarre hinterhergebracht und er war ein
starker, schwerer, nußbrauner Mann. Sein fettiger
Haarzopf fiel ihm über die Schulter auf seinen
verdeckten, blauen Mantel, seine Hände waren
verhornt und vernarbt und hatten schwarze, abgebrochene
Nägel und eine Säbelnarbe lief über eine
Wange und zog eine Linie in einem schmutziggrauen
Weiß. Ich erinnere mich, daß ich sein
Äußeres sorgfältig anschaute,
während er mehr zu sich selbst pfiff, wie er es
später oft tat und dann in das alte Seemanslied
ausbrach, das er später so oft sang:
-
- "Fünfzehn Mann auf des toten
Manns Kiste,
- jo-ho-ho und 'ne Pulle voll
Rum"
-
- in einer hohen, alten, tatterigen
Stimme, die so klang, als sei sie am Ankerspill gebrochen
und zerschlagen worden. Dann schlug er mit einem Stock
wie einem Belegnagel an die Tür, an der er sich
festhielt und als mein Vater erschien, verlangte er grob
ein Glas Rum. Dies trank er, als es ihm gebracht wurde,
langsam, wie ein Genießer, roch den Geschmack und
sah still über die Klippen und zu unserm
Namensschild.
-
- "Das ist eine passable Bucht hier"
sagte er langsam, "und eine schön gelegener
Grogbude. Viel Betrieb, Kumpel?"
- Mein Vater verneinte, es war kaum
Betrieb, katastrophal wenig los.
-
- "Gut so", sagte der Seemann, "das ist
ein Ankerplatz für mich. Hey, Bursche!", rief er dem
Mann zu, der die Schubkarre mit der Kiste gefahren hatte,
"komm längsseits und bring die Kiste hoch. Ich
bleibe hier eine Weile", fuhr er fort, "ich bin ein
genügsamer Mann. Rum und Speck und Eier, mehr
brauche ich nicht und noch einen Platz, um die Schiffe zu
beobachten. Wie Ihr mich nennen sollt? Sagt einfach
"Käpt'n" zu mir. Oh, ich sehe, was Ihr braucht -
hier!" und er warf drei oder vier Goldstücke auf den
Tresen. "Sagt mir, wenn sie aufgebraucht sind", sagte er
und sah so entschlossen aus wie ein
Kommandeur.
-
- Und wirklich, obwohl seine Kleidung
verschlissen und verdreckt war und er vulgär sprach,
hatte er nichts von der Erscheinung eines Seemanns, der
vor dem Mast segelte, sondern eher die Ausstrahlung eines
Steuermanns oder Kapitäns, der zu befehlen oder zu
bestrafen gewohnt war. Der Mann, der die Schubkarre mit
der Kiste gefahren hatte, sagte uns, die Postkutsche habe
ihn am Morgen vor dem Hotel "Royal George" abgesetzt,
dort habe er gefragt, welche Gasthäuser es entlang
der Küste gäbe und, da unseres einen guten Ruf
hatte, und einsam lag, hatte er sich entschlossen, wie
ich vermute, es als Aufenthaltsort auszuwählen. Das
war alles, was wir über unseren Gast erfahren
konnten.
-
-
-
- Er war meistens ein stiller Gast.
Jeden Tag ging er mit einem Fernrohr aus Messing zur
Bucht oder auf die Klippen, jeden Abend saß er in
der Gaststube nahe bei dem Feuer und trank einen Grog,
eher mit viel Rum und weniger heißem Wasser.
Meistens sprach er nicht, doch wurde er angesprochen, sah
er nur ärgerlich kurz hoch und schnaubte dann durch
die Nase, was eher wie ein Nebelhorn klang und wir und
die Leute, die in unser Haus kamen, lernten bald, ihn
einfach in Ruhe zu lassen. Jeden Tag, wenn er von seiner
Tour zurückkam, fragte er, ob ein Seemann über
die Straße gegangen sei. Zuerst dachten wir, er
wolle Gesellschaft von seinesgleichen haben, die ihn
danach fragen ließ, doch später merkten wir,
er wollte diese Gesellschaft sehnlichst vermeiden. Als
einmal wirklich ein Seemann vor dem "Admiral Benbow"
aufkreuzte (wie es schon mal vorkam, weil das Gasthaus an
der Straße nach Bristol lag) sah er ihn erst lange
durch die Türgardine an, bevor er in die Gaststube
eintrat und er war mäuschenstill, solange der
Seemann da war.
-
- Für mich, zumindest, gab es kein
Geheimnis über den Grund, denn ich war
gewissermaßen Mitwisser seiner Furcht. Er hatte
mich eines Tages beiseite genommen und mir für jeden
Ersten einen silbernen Viererpenny versprochen, wenn ich
meine "wasserblauen Augen für einen Seemann mit
einem Bein aufhalten" würde und ihn wissen
ließe, wenn er auftauchen würde. Oft genug,
wenn der Monatserste herangerückt war und ich ihn an
die Abmachung erinnerte, schnaubte er zwar durch die Nase
und starrte mich an, doch bevor die Woche um war, hatte
er sich besonnen, brachte mir mein Vierpennystück
und wiederholte seinen Befehl über den "Seemann mit
einem Bein".
-
- Wie diese Gestalt mich in meinen
Träumen heimsuchte, brauche ich kaum zu
erklären. In stürmischen Nächten, in der
der Wind das Haus an allen vier Ecken durchrüttelte
und die Wellen in die Bucht und an die Klippen schlugen,
sah ich in in tausenderlei Gestalten und mit allen
möglichen teuflischen Details. Mal war das Bein am
Knie abgeschnitten, mal an der Hüfte, mal war er
eine monströse Kreatur, die nie mehr als ein Bein
gehabt hatte und das lag in der Mitte des Körpers.
Ihn über Hecken und Gräben springen zu sehen,
während er mich verfolgte, war das Schlimmste in den
Alpträumen und obwohl ich eigentlich gut mit meinem
monatlichen Vierpennystück für das
Ausschauhalten bezahlt wurde, lag immer ein Schatten der
Angst auf diesem Geld.
-
- Aber obwohl ich so durch die Gestalt
des einbeinigen Seemannes geängstigt wurde, hatte
ich weniger Angst vor dem Käpt'n als jeder andere
der ihn kannte. Es gab Nächte, in denen er mehr Grog
zu sich nahm als sein Kopf vertrug und dann stand er
manchmal auf und sang seine rohen, alten Seemanns- und
Piratenlieder ohne auf irgendeinen Rücksicht zu
nehmen, und manchmal gab er eine Runde für die
Gesellschaft die aus, die seinen Geschichten beim Bier
zuhörte und er zwang sie dann den Refrain mit ihm zu
singen. Wie oft habe ich das Haus wackeln gehört
durch das "Jo-ho-ho, und 'ne Buddel voll Rum," in das
alle Nachbarn aus Leibeskräften einfielen und jeder
sang so laut wie konnte, allerdings aus Todesangst vor
ihm und um Ärger mit ihm zu vermeiden. Denn in
diesen Situationen wurde er der rücksichtsloseste
Kompagnon, den man sich denken konnte, er schlug mit der
Hand auf den Tisch um für Ruhe zu sorgen, er sprang
in einem Anfall von Zorn über eine Frage auf oder
auch, weil keine Frage gestellt wurde und er glaubte, die
Gesellschaft könne seinen Erzählungen nicht
folgen. Außerdem erlaubte er keinem das Gasthaus zu
verlassen, ehe er nicht restlos betrunken war und
entsprechend schwankend ins Bett wankte.
-
- Seine Geschichten waren es, die das
Publikum in Schrecken versetzte: furchtbare
Erzählungen über das Aufhängen, das Laufen
der Verurteilten über die Planke ins Meer,
Geschichten von Orkanen auf dem Meer, von den Inseln bei
Tortuga und von wilden Taten und Plätzen an der
spanischen Amerikaküste (Mittelamerika). Nach seiner
Darstellung mußte er unter den schrecklichsten
Gestalten gelebt haben, denen Gott erlaubt hatte, die See
zu befahren und die Flüche, mit denen er diese
Geschichten ausschmückte, schockierten unsere
einfachen Bauern und Handwerker genauso wie die
Verbrechen, die er beschrieb. Mein Vater sagte zwar
immer, das Gasthaus würde durch ihn ruiniert, denn
die Leute kämen nicht, um sich tyrannisieren und den
Mund verbieten zu lassen, bevor sie zitternd ins Bett
geschickt wurden, doch ich glaube heute wirklich,
daß uns seine Anwesenheit gut tat. Die Leute wurden
eine kurze Zeit erschreckt, aber ich glaube heute, sie
mochten es. Es war etwas Aufregung in ihrem sonst
beschaulichen Landleben und es gab einen Teil
jüngerer Männer, die vorgaben, ihn zu
bewundern, die ihn einen "wahren Seebären" nannten
oder eine "echte, alte Teerjacke" und ähnliche Namen
für ihn fanden und behaupteten, dieser Mann
stände für eine Sorte Seemänner, die
England auf See unbesiegbar gemacht hatten.
-
- In einer Art und Weise schadete er
uns wirklich, denn er blieb Woche um Woche und Monat um
Monat, auch als das am Anfang gezahlte Geld längst
verbraucht war und mein Vater traute sich einfach nicht,
ihn anzusprechen und darauf zu bestehen, daß er
mehr haben müsse. Wenn er es mal versuchte,
schnaubte der Käpt'n so laut durch die Nase, als ob
er brüllen würde und starrte meinen Vater an,
bis der den Raum verließ. Ich habe ihn oft nach
solchen Szenen die Hände ringen sehen und bin heute
sicher, daß der Ärger und die Angst vor dem
Käpt'n, die er ausstehen mußte zu seinem
frühen und unglücklichen Tod beigetragen
haben.
-
- Während der ganzen Zeit, in der
der Käpt'n bei uns lebte, veränderte er nicht
sein Aussehen oder wechselte seine Kleidung, auch wenn er
mal von einem Hausierer ein paar Strümpfe kaufte.
Auch, als sich eine der Spitzen seines Hutes löste
und herunterfiel, ließ er sie einfach von diesem
Tag an hängen, obwohl es sehr unpraktisch bei Sturm
war. Ich erinnere mich, wie sein Umhang aussah, den er
oben in seinem Zimmer mit Flicken reparierte und der am
ende fast nur noch aus Flicken bestand. Er schrieb oder
bekam nie eine Brief, sprach mit keinem außer den
Nachbarn (und mit denen auch nur, wenn er vom Rum
betrunken war). Seine große Seekiste hatte keiner
von uns jemals offen stehen gesehen.
-
- Ein einziges Mal wurde ihm
widersprochen und das war gegen ziemlich am Lebensende
meines Vaters,als dessen Krankheit ihn schon fast besiegt
hatte. Dr. Livesey kam spät am Nachmittag um nach
seinem Patienten zu sehen, aß eine Kleinigkeit von
meiner Mutter und ging in die Gaststube um eine Pfeife zu
rauchen, während sein Pferd vom Dorf gebracht wurde,
denn wir hatten im "Benbow" keinen Stall für
Reisende. Ich folgte ihm und erinnere mich, wie ich den
Kontrast wahrnahm: hier der freundliche Doktor mit
schneeweiß gepuderter Perücke, seine
strahlenden, schwarzen Augen und guten Manieren, der sich
mit dem freundlichen Landvolk gut unterhielt, dagegen
unser schmutzig-verwahrloste Pirat, schwerfällig mit
Triefaugen und Tränensäcken, abgefüllt mit
Rum und den Armen auf dem Tisch. Plötzlich begann er
- der Käpt'n - mit seinem ewig gesungenen
Lied:
-
- "Fünfzehn Mann auf des toten
Manns Kiste,
- Jo-ho-ho, und 'ne Buddel voll Rum!
- Der Suff und der Teufel besorgen
den Rest -
- Jo-ho-ho, und 'ne Buddel voll Rum!
-
- Zuerst hatte ich vermutet die "Kiste
des toten Manns" sei identisch mit der Kiste, die oben in
seinem Zimmer stand und dies war oft auch Gegenstand
meiner Alpträume von dem einbeinigen Seemann
gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten wir längst
aufgehört, diesem Lied noch irgendwelche
Aufmerksamkeit zu schenken, neu warf es an diesem Abend
nur noch für Dr. Livesey und, wie ich sehen konnte,
erzeugte es einen ablehnenden Effekt, denn er sah einen
Moment sehr ärgerlich aus, bevor er ein
Gespräch mit dem alten Gärtner Taylor
fortsetzte, in dem die beiden über neue Kuren
für Rheuma fachsimpelten. Mittlerweile war der
Käpt'n von seiner eigenen "Musik" in Fahrt gekommen
und schlug schließlich mit seiner Hand so auf den
Tisch, daß alle wußten, jetzt müsse man
still sein. Die Gespräche hörten auch sofort
auf, außer Dr. Livesey, der klar und freundlich
weitersprach und zwischen einigen Worten ein paar
Züge aus der Pfeife nahm. Der Käpt'n starrte
ihn eine Weile an, schlug abermals mit der Hand auf den
Tisch, glotzte noch böser den Arzt an und
brüllte dann mit einem schrecklichen, gemeinen
Fluch: "Ruhe dahinten im Zwischendeck!"
-
- "Meint Ihr mich, Sir?", fragte der
Doktor und als der Rüpel ihn mit einem weiteren
bösen Fluch beschimpfte und damit die Frage
beantwortet hatte, setzte er hinzu: "Dann habe ich Euch
nur dies Eine zu sagen, Sir, daß die Welt wohl bald
von einen dreckigen Halunken befreit sein wird, wenn Ihr
den Rum so weiter trinkt wie bisher."
-
- Die Wut des alten Kerls war
furchtbar. Er sprang auf, zog sein Messer, öffnete
die Schneide, nahm es in die Hand und drohte dem Arzt
damit, ihn an die Wand zu nageln.
-
- Der Doktor blieb unbeeindruckt. Er
sprach zu ihm wie vorher über seine Schulter und in
der selben festen Art und Weise, so daß alle im
Raum klar und deutlich hören konnten, was er sagte:
"Wenn Ihr nicht sofort das Messer wieder in der Taschen
verschwinden laßt, verspreche ich Euch bei meiner
Ehre, daß Ihr beim nächsten Gerichtstermin
hängen werdet!"
-
- Dann folgte ein Duell der bösen
Blicke zwischen ihnen, doch der Käpt'n gab klein
bei, steckte seine Waffe wieder weg, setzte sich wieder
hin und knurrte wie ein geprügelter
Hund.
-
- "Und nun, Sir", fuhr der Arzt fort,
"seit ich nun weiß, was für ein Kerl sich in
meinem Bezirk aufhält, darf ich Euch versichern,
daß ich ab sofort Tag und Nacht ein Auge auf Euch
haben werde. Ich bin nicht nur Arzt, sondern auch Amtmann
und wenn ich auch nur das kleinste Vergehen von Euch
erfahre, und sei es so eine Unhöflichkeit wie
gerade, werde ich Mittel und Wege finden, Euch zu finden
und aus diesem Dorf zu jagen. Laßt Euch das gesagt
sein!"
-
- Bald darauf wurde Dr. Liveseys Pferd
gebracht und er ritt davon, doch der Käpt'n hielt
Ruhe an diesem Abend und auch an allen anderen, die noch
kamen.
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- Foto: © Martin Schlu
2008
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