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Erstes Buch:
Der alte Seebär

 

Kapitel I
Der alte Seebär im »Admiral Benbow« 

Kapitel II
Der Schwarze Hund taucht auf und verschwindet 

Kapitel III
Der schwarze Fleck 

Kapitel IV
Die Seemannskiste
 

Kapitel V
Das Ende des Blinden

Kapitel VI
Die Papiere des Käpt'ns

Robert L. Stevenson: Die Schatzinsel (Treasure Island)
übersetzt von Martin Schlu, Mai 2008

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Kapitel II
Der Schwarze Hund erscheint und verschwindet 
Nicht besonders lange danach geschah des erste von mehreren merkwürdigen Ereignissen, die uns alle zusammen von dem Käpt'n befreiten - allerdings nicht, wie man sehen wird, von seinen Verstrickungen. Es war ein bitterkalter Winter mit langen und harten Frösten und heftigen Stürmen und es wurde klar, daß mein armer Vater kaum mehr den Frühling erleben würde. Es ging ihm täglich schlechter und meine Mutter und ich hatten beide Hände voll zu tun und waren zu beschäftigt, um uns um unseren schlecht bis nie zahlenden unangenehmen Gast kümmern zu können.
 
 
 
Es war an einem Januarmorgen, sehr früh, ein weißer, frostiger Morgen - die Bucht überall mit Rauhreif überzogen, die leisen Wellen brachen sich sanft an den Steinen, die Sonne stand noch tief und berührte nur die Hügelspitzen mit ihren Strahlen meerwärts. Der Käpt'n war schon früh aufgestanden und zum Strand aufgebrochen, sein Entermesser schwang unter seinen breiten Schößen des alten Rocks, sein Messingfernrohr klemmte unter dem Arm und seinen Hut hatte er auf dem Kopf nach hinten gerückt. Ich erinnere mich, daß sein Atem wie einer Rauchwolke hinter ihm herwehte und das letzte Geräusch, das ich von ihm hörte, als er um den großen Felsen bog, war ein lautes entrüstetes Grunzen, als sei er immer noch mit Dr. Livesey beschäftigt.
 
Also, Mutter war oben bei meinem Vater und ich deckte den Frühstückstisch für die Rückkehr des Käpt'ns, als die Tür der Gaststube geöffnet wurde und ein Mann eintrat, den ich noch niemals gesehen hatte. Er war blaß, talgig aufgedunsen, zwei Finger der linken Hand fehlten und obwohl er einen Säbel trug, sah er nicht aus wie ein Soldat. Ich hatte immer auf den Seemann mit einem oder zwei Beinen geachtet und dies brachte mich durcheinander. Er war kein Seemann, doch er hatte den Geruch der See an sich.
 
Ich fragte ihn nach seinen Wünschen und er sagte, er wollen Rum, doch als ich aus der Gaststube ging, um ihn zu holen, setzte er sich an einen Tisch und machte mir ein Zeichen näher zu kommen. Ich blieb, wo ich war, mit der Serviette in der Hand.
 
"Komm her, Söhnchen," sagte er. "Komm näher zu mir".
 
Ich trat einen Schritt näher.
 
"Ist dies der Tisch für meinen Maat Bill?" fragte er mit einer Art falscher Freundlichkeit.
Ich erklärte ihm, ich kenne seinen Maat Bill nicht und der gedeckte Tisch sei für einen Gast, der bei uns wohnte und von uns mit "Käpt'n" angeredet würde.
 
"Gut", sagte er, "mein Maat Bill würde sich auch mit 'Käpt'n" anreden lassen, warum auch nicht? Er hat einen Schmiß an einer Wange und eine sehr angenehme Art an sich, wenn es darum geht, mit ihm zu saufen - das ist mein Maat Bill. Wir kennen ihn - nehmen wir mal an, daß dein Käpt'n die Narbe an einer Wange hat und nehmen wir mal an, es ist die rechte? Siehst du? Wie ich gesagt habe! Also, ist mein Maat Bill hier im Haus?"
Ich erklärte ihm, er sei spazieren.
 
"Welchen Weg, Söhnchen? Welchen Weg ist er gegangen?"
 
Und als ich auf den Felsen zeigte und erklärte, der Käpt'n käme sicher wieder zurück, vermutlich schon sehr bald, beantwortete ich noch ein paar Fragen von ihm. Ach", sagte er, "das ist fast so gut, wie das Trinken mit Bill!"
 
Sein Gesichtsausdruck war nicht sehr angenehm, als er das sagte und ich hatte meine Gründe zu denken, daß der Fremde falsch war, selbst wenn man glaubte, was er sagte. Aber es war nicht mein Problem, dachte ich und nebenbei gesagt, es war schwierig zu überlegen, was zu tun sei. Der Fremde lehnte sich hinter die Eingangstür und musterte die Gaststube so wie eine Katze, die auf eine Maus lauert. Als ich einmal kurz vor die Tür trat, rief er mich sofort zurück und als ich seinen Ansicht nach nicht schnell genug Folge leistete, erschien ein schrecklicher Gesichtsausdruck auf seinem talgigen Gesicht und er befahl es mir mit einem Fluch, der mich regelrecht springen ließ. Sobald ich wieder zurück war, fiel er in seine vorherige falsche Freundlichkeit, halb kumpelhaft, halb freundlich, schlug mir auf die Schulter und sagte mir, ich sei ein guter Junge und gefalle ihm sehr. "Ich habe selbst einen Sohn", sagte er, "so groß wie du und er ist mein ganzer Stolz. Aber eine wichtige Sache für Jungen ist Disziplin, Söhnchen, Disziplin! Nun, wenn du mit Bill gesegelt wärest, würdest du nicht stehen bleiben, bis man dich zum zweitenmal angesprochen hätte - du nicht. Das war nicht Bills Art oder die von denen, die mit ihm gesegelt sind. Und da, todsicher, kommt mein Maat Bill, mit dem Fernrohr unter dem Arm - gesegnet sei die gute Seele, bestimmt. Du und ich gehen jetzt zurück in die Halle, Söhnchen und wir gehen hinter die Tür und überraschen Bill ein bißchen - gesegnet sei er, sag ich noch mal."
 
Während er dies sagte, zog mich der Fremde hinter sich in die Gaststube und stellte mich so hinter sich, daß wir beide durch die offene Tür verdeckt waren. Ich war sehr angespannt und nervös, wie man sich vorstellen kann und meine Angst wuchs noch, als ich merkte, daß auch der Fremde sehr angespannt war. Er zog seinen Dolch aus der Scheide und und die ganze Zeit, in der wir warteten, hatte ich das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben und nicht herunterschlucken zu können.
 
Doch endlich stürmte der Käpt'n hinein, schlug die Tür hinter sich zu und marschierte, ohne nach links oder rechts zu sehen, geradewegs in den Raum, in dem sein Frühstück auf ihn wartete.
 
"Bill," sagte der Fremde mit einer Stimme, die wohl versuchte, stark und angsteinflößend zu klingen.
 
Der Käpt'n drehte sich um seine Achse und starrte uns an. Alles Braune war aus seinem Gesicht gewichen und selbst seine Nase war blau. Er sah aus, wie jemand, der einen Geist gesehen hat oder den Teufel oder etwas noch Schlimmeres, was es auch sein mag und - mein Ehrenwort - ich hatte auf einmal Mitleid mit ihm, so alt und krank, wie er plötzlich aussah.
 
"Komm, Bill, du kennst mich, du kennst einen alten Schiffskameraden, Bill, bestimmt," sagte der Fremde.
 
Der Käpt'n schnappte nach Luft.
 
"Der Schwarze Hund!" sagte er.
 
"Wer sonst?" erwiderte der andere und bekam Oberwasser. "Der Schwarze Hund kommt in den "Admiral Benbow" um seinen alten Schiffskameraden Billy zu sehen. Ach, Bill, Bill, so lange haben wir uns nicht gesehen, wir zwei, seit ich die beiden Finger verloren habe," während er seine verstümmelte Hand hoch hob.
 
"Gut, so ist es," sagte der Käpt'n; "du hast mich gefunden; hier bin ich; also sprich, was willst du?"
 
"So bist du, Bill," erwiderte der Schwarze Hund, "du packst es gleich richtig an, Billy. Der nette Junge wird mir ein Glas Rum bringen, so wie ich es mag und wir werden hier sitzen, wenn du magst und reden wie alte Schiffskameraden."
 
Als ich mit dem Rum zurückkehrte, saßen beide schon an der anderen Seite des Frühstückstisches, den ich für den Käpt'n gedeckt hatte - der Schwarze Hund seitwärts sitzend in der Nähe der Tür, so daß er ein Auge auf den alten Schiffskameraden hatte und gleichzeitig einen Fluchtweg freihalten konnte. Er bat mich zu gehen und ließ die Tür weit offen. "Wehe, du horchst, Söhnchen!", sagte er und ich ließ die beiden allein und kehrte zur Bar zurück.
 
Für eine lange Zeit konnte ich nicht hören, worüber die zwei in gedämpfter Stimme redeten, obwohl ich mir Mühe gab zuzuhören, doch es war nur der Klang ihrer tiefen Stimme zu vernehmen. Aber schließlich wurden die Stimmen heller und ich konnte ein paar Wortfetzen verstehen, meistens Schreie des Käpt'n.
 
"Nein , nein, nein, nein und nochmals nein!", schrie er auf einmal und "wenn es zum Hängen kommt, hängen alle, sag ich!"
 
Dann, in einer Explosion der Geräusche, hörte ich alles auf einmal: Schreie, das Zerbrechen von Stühlen und Tischen, das Fallen von Metall und andere Geräusche, etwas Stählernes zerbrach und dann hörte man einen Schmerzensschrei und direkt danach sah ich den Schwarzen Hund in voller Flucht, hinter ihm der Käpt'n mit gezogenem Entermesser und dem Flüchtenden lief Blut über die Schulter. Gerade an der Tür hatte der Käpt'n den Flüchtigen eingeholt, holte mit seinem Säbel zu einem fürchterlichen Schlag aus, der dem Schwarzen Hund mit Sicherheit den Schädel gespalten hätte, wenn er nicht durch das Aushängeschild des "Admiral Benbow" aufgehalten worden wäre. Man kann den Hieb noch heute an der unteren Seite des Rahmens gut erkennen.
 
Das war das Ende dieser Schlacht. Weit draußen auf der Straße gab der Schwarze Hund Fersengeld und verschwand nach einer halben Minute hinter den Hügelspitzen. Der Käpt'n dagegen stand wie vom Schlag gerührt und starrte das Wirtshausschild an. Dann rieb er sich mehrere Male über die Augen, drehte sich um und ging ins Haus.
 
"Jim," sagte er, "Rum"; und als er dies sagte, schwankte er ein bißchen und hielt sich mit einer Hand an der Wand fest.
 
"Seid ihr verletzt?" rief ich.
 
"Rum," wiederholte er. "Ich muß hier weg. Rum! Rum!"
 
Ich rannte, um ihn zu holen, aber ich war ziemlich aufgeregt nach allem, was passiert war, ich zerbrach ein Glas und beschädigte den Meßlöffel, und während ich versuchte das Gewünschte zu holen, hörte ich einen lauten Fall aus der Halle, und als ich hinrannte, lag der alte Käpt'n der Länge nach auf dem Fußboden. Im gleichen Augenblick erschien meine Mutter auf der Treppe, aufgescheucht durch die Schreie und den Kampf, und rannte die Treppe hinunter um mir zu helfen. Wir hielten seinen Kopf hoch. Er atmete laut und schwer, aber seine Augen waren geschlossen und seine Gesichtsfarbe war fürchterlich.
 
"Mein Junge, Lieber" weinte meine Mutter, "was für eine Schande in diesem Haus! Und dein Vater ist krank!"
 
In der Zwischenzeit hatten wir weder eine Idee wie wir dem Käpt'n helfen könnten, noch einen anderen Gedanken außer dem, er habe sich im Kampf mit dem Fremden eine schlimme Verletzung geholt. Ich holte den Rum, um sicher zu sein, und versuchte, ihn ihm in die Kehle einzuflößen, aber seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Kiefer waren hart wie Stahl. Es war ein glücklicher Augenblick für uns, als sich die Tür öffnete und Doktor Livesey zur Visite meines Vaters hereinkam
 
"Oh, Doktor," riefen wir, "was sollen wir tun? Wo ist er verletzt?"
 
"Verletzt? Am Holzkopf!" sagte der Doktor. "Nicht mehr verletzt als du und ich. Der Mann hat einen Schlaganfall, wovor ich ihn immer gewarnt habe. Jetzt, Mrs. Hawkins, laufen Sie hoch zu Ihrem Mann und sagen ihm, wenn möglich, nichts von dem hier. Ich für meinen Teil muß nun das Beste tun, um das nutzlose Leben dieses Burschen zu retten. Jim, hole mir eine Schüssel."
 
Als ich mit der Schüssel zurückkam, hatte der Doktor schon den Ärmel des Kapitäns aufgekrempelt und seinen großen muskulösen Arm freigelegt. Er war an vielen Stellen tätowiert. "Glück auf," "Guten Wind," und "Billy Bones Verlobte" waren sehr sauber und lesbar auf dem Unterarm ausgeführt und unterhalb der Schulter war eine Zeichnung eines Galgens und ein Mann hing daran - ausgeführt, wie ich dachte, mit größter Sorgfalt.
 
"Prophetisch," sagte der Arzt, während er das Bild mit den Fingern berührte. "Und jetzt, Master Billy Bones, wenn das Ihr Name ist, werden wir uns die Farbe Ihres Blutes anschauen. Jim," fragte er, "hast Du Angst vor Blut?"
 
"Nein, Sir," sagte ich.
 
"Gut," sagte er, "du hältst die Schüssel" und dann nahm er seine Lanzette und öffnete eine Vene.
 
Es wurde eine erhebliche Menge Blut abgenommen, ehe der Kapitän seine Augen öffnete und mißtrauisch umhersah. Zuerst erkannte er den Doktor mit unverhohlener Abneigung; dann fiel sein Blick auf mich und er wirkte beruhigt. Doch plötzlich wechselte seine Hautfarbe und er versuchte aufzustehen, während er rief: "Wo ist der Schwarze Hund?"
 
"Es gibt hier keinen schwarzen Hund," sagte der Doktor, "ausgenommen den, den Ihr mit Euch herumtragt. Ihr habt zuviel Rum getrunken; Ihr hattet einen Schlaganfall, wie ich es Euch vorhergesagt habe; und ich habe Euch gerade, ausdrücklich gegen meinen eigenen Willen, um Haaresbreite aus dem Grab gezogen. Nun, Mr. Bones -"
 
"Das ist nicht mein Name," unterbrach der ihn.
 
"Ist mir egal," erwiderte der Arzt, "es ist der Name eines Säufers aus meinem Bekanntenkreis und ich sage Euch bei aller Kürze eines und das ist: ein Glas Rum wird Euch nicht umbringen, aber wenn Ihr eines nehmt, dann folgt das nächste und das übernächste, und ich verwette meine Perücke, daß es nicht bei einem bleibt. Ihr werdet sterben - habt Ihr das verstanden? - sterben und zu euren Vätern gehen, wie der Mann aus der Bibel. Kommt nun, versucht aufzustehen. Ich werde Euch sofort ins Bett bringen."
 
Zwischen uns eingehakt, mit viel Mühsal, wuchteten wir ihn die Treppe hoch und legten ihn in sein Bett, wo sein Kopf auf das Kissen fiel, als sei er bereits bewußtlos.
 
"Jetzt zu Ihnen," sagte der Doktor, "ich drücke mich klar aus - bereits das Wort "Rum" wird Sie töten."
 
Und danach ging er heraus um nach meinem Vater zu sehen, während er mich am Arm einhakte.
 
"Es ist nichts," sagte er, sobald er die Tür geschlossen hatte. "Ich habe ihm genug Blut abgenommen,daß er eine Zeitlang Ruhe geben wird; er sollte eine Woche so liegenbleiben wie jetzt - das ist das beste für ihn und Euch, denn der nächste Schlaganfall wird ihn umbringen."
 
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Foto: © Martin Schlu 2006