www.martinschlu.de

 

Literatur -Jugendliteratur - Filme


Anfangsseite

Erstes Buch:
Der alte Seebär

 

Kapitel I
Der alte Seebär im »Admiral Benbow« 

Kapitel II
Der Schwarze Hund taucht auf und verschwindet 

Kapitel III
Der schwarze Fleck 

Kapitel IV
Die Seemannskiste
 

Kapitel V
Das Ende des Blinden

Kapitel VI
Die Papiere des Käpt'ns

Robert L. Stevenson: Die Schatzinsel (Treasure Island)
übersetzt von Martin Schlu, Mai 2008

zurück - weiter - Inhaltsangabe
  
 
Kapitel V
Das Ende des blinden Mannes
Meine Neugier war auf eine Art und Weise stärker als meine Angst, denn ich konnte nicht bleiben, wo ich war, kroch aber wieder zurück zur Bank, wo ich, durch mehrere Besen vor Blicken geschützt, vielleicht auf die Straße vor unserer Tür entkommen konnte.
 
Ich war gerade eben in dieser Position, als meine Feinde eintrafen, sieben oder acht vielleicht, im Laufschritt, so wie ihre Schritte auf der Straße zu hören waren, und der Mann mit der Laterne einige Schritte voraus. Drei Männer rannten zusammen, Hand in Hand; und konnte selbst durch den Nebel erkennen, daß der Mittlere dieses Trios der blinde Bettler war. Im nächsten Moment zeigte mir seine Stimme, daß ich recht hatte.
 
"Schlagt die Tür ein!" rief er.
 
"Aye, aye, Sir!" antworteten zwei oder drei und dann wurde der "Admiral Benbow" gestürmt, der Mann mit der Laterne folgte ihnen und dann konnte ich sie sehen, wie sie sich berieten und hörte sie leiser und tiefer sprechen, während sie überrascht feststellten, daß die Tür bereits geöffnet war. Aber diese Pause war kurz, denn der Blinde gab schon die nächsten Kommandos. Seine Stimme klang lauter und greller, als würde er sich in Wut und Rage reden.
 
"Rein, rein, rein!" schrie er, und verwünschte sie für ihr Zögern.
 
Vier oder fünf von ihnen gehorchten sofort, zwei blieben an der Straße bei dem furchtbaren Bettler. Es folgte eine Pause, dann ein Ausruf der Überraschung und dann rief eine Stimme aus dem Haus: "Bill ist tot!"
 
Aber der Blinde verfluchte sie abermals für ihr Zögern.
 
"Sucht ihn, ihr verdammten Penner, und der Rest von euch schaut nach der Kiste," brüllte er.
 
Ich konnte ihre Stiefel über die Treppe stampfen hören, daß das Haus erbebte. Sofort danach hörte man Ausrufe der Überraschung; das Fenster des Kapitänsraums wurde mit einem Knall und dem Geräusch von zerbrechendem Glas aufgerissen ein Mann lehnte sich bis zur Schulter in das Mondlicht hinaus und sprach den Blinden auf der Straße unter ihm an.
 
"Pew," rief er, "sie waren vor uns da. Jemand hat die Kiste bereits durchsucht!"
 
"Ist sie da?" brüllte Pew.
 
"Das Geld ist da."
 
Der Blinde verwünschte das Geld.
 
"Flints Papiere meine ich," schrie er zurück.
 
"Wir sehen sie nirgends," erwiderte der Mann.
 
"Ihr da unten, ist sie bei Bill?" rief der Blinde wieder.
 
Da kam ein anderer Mann, vielleicht einer von denen, die bei der Leiche geblieben waren, zur Eingangstür. "Bill ist schon durchsucht worden,"sagte er, "da ist nichts mehr."
 
"Es sind die verdammten Leute aus dem Gasthof - es ist dieser Junge. Ich wünschte, ich hätte ihm die Augen ausgekratzt" brüllte der blinde Pew. "Da ist keine Zeit zu verlieren, sie hatten die Tür verschlossen, als ich reinwollte. Jungs, sucht und findet sie!"
 
"Sicher, sie haben sogar die Kerze brennen lassen," sagte der Kerl am Fenster.
 
"Jagt und findet sie! Durchsucht das Haus!" wiederholte Pew, während er mit dem Stock auf den Boden stampfte.
 
Daraufhin folgte großer Aktionismus in unserem Gasthaus, entschlossene Schritte hierhin und dorthin, die Möbel wurden umgeworfen und durchsucht, Türen eingetreten, so daß das Getöse bei den Felsen widerhallte und einer nach dem anderen kamen die Männer wieder aus dem Haus und erklärten immer wieder, es gäbe nichts mehr, was man finden könnte. In diesem Augenblick ertönte die gleiche Pfeife, die meine Mutter und mich bei dem toten Käpt'n so in Sorge versetzt hatte, als wir ihn nach Geld durchsuchten. Sie war klar und durchdringend in der Nacht zu hören, wurde aber diesmal zweimal wiederholt. Ich hatte geglaubt, es sei das Signalhorn des Blinden, mit der er seine Crew kommandierte, aber nun dachte ich, es sei ein Signal von den Hügelkuppen bis zur Siedlung, das die Piraten vor irgendetwas warnte.
 
"Das ist wieder Dirk," sagte einer.. "Zum zweitenmal! Wir müssen verschwinden, Kameraden,."
 
"Verschwinden, du Idiot!" brüllte Pew. "Dirk ist ein Dummkopf und ein Feigling erster Güte, dich stört es ja nicht. Sie sind hier in der Nähe, sie können nicht weit sein, ihr tretet ja fast auf sie. Sucht sie und spürt sie auf, ihr Hunde! Oh, verflucht," schrie er, "wenn ich nur Augen hätte!"
 
Der Befehl zeigte sofort Wirkung, denn zwei der Gestalten schauten mal hier, mal da, jedoch halbherzig, wie ich dachte, denn sie hatten mehr Augen für die Situation, in der sie steckten, während der Rest der Mannschaft orientierungslos auf der Straße stand.
 
"Ihr sitzt auf Tausenden von Dublonen, ihr Idioten und ihr steht so blöd herum! Ihr könntet reicher als die Könige sein und ihr tut nichts. Keiner von euch hatte den Schneid, Bill den schwarzen Fleck zu bringen außer mir, einem Blinden. Und jetzt verliere ich meinen Reichtum wegen euch. Ich bin ein armer, kriechender Bettler, erbettele mir Rum, während ich in einer Kutsche fahren könnte. Wenn ihr nur einen Bruchteil von dem wert wäret, den ihr mit der Heuer kriegt, hättet ihr sie schon gefangen."
 
"Laß gut sein, Pew, wir haben doch die Dublonen", murrte einer.
 
"Sie haben das verdammte Ding vielleicht versteckt", sagte ein anderer. "Nimm die Goldstücke, Pew, und steh' hier nicht jammernd rum."
 
Jammern! Das war eine Unverschämtheit! Pews Ärger wurde so groß über diesen Ausdruck, daß er in seinem Zorn, die Oberhand zurückzugewinnen, in blinder Wut nach links und rechts schlug und sein Stock mehr als nur einen traf. Die, die er dabei erwischte kamen zwar zu dem blinden Übeltäter zurück und bedrohten ihn mit schlimmen Flüchen, doch sie versuchten vergeblich ihm seinen Stock abzunehmen oder zu entreißen.
 
Dieses Geplänkel war unsere Rettung, denn während man sich noch heftig stritt, kam ein anderes Geräusch von den Hügelkuppen auf der Seite des Dorfs - das Geräusch galoppierender Pferde. Zum gleichen Zeitpunkt hörte man einen Pistolenschuß, sah den Blitz und hörte das Echo von der gleichen Seite. Das war mit Sicherheit die letzte Warnung vor Gefahr für die Piraten, sie drehten sich um und rannten jeder in eine andere Richtung, einer seewärts zur Küste, ein anderer auf die Hügel zu und so waren in einer halben Minute alle verschwunden, außer Pew. Sie waren ihm desertiert, ob in nackter Panik oder aus Rache für seine krankhaften Ausbrüche weiß ich nicht, aber sie hatten ihn zurückgelassen und so irrte er die Straße lang, versuchte in heller Wut sich tastend zu orientieren und rief immer wieder nach seinen Kameraden. Endlich geriet er in die falsche Richtung, lief ein paar Schritte hinter mit in Richtung des Dorfes und rief: "Johnny, Schwarzer Hund, Dirk," und noch ein paar andere Namen, "ihr laßt doch bitte nicht den alten Pew im Stich, Kameraden - nicht den alten Pew!"
 
In diesem Augenblick wurde das Geräusch lauter und vier oder fünf Reiter kamen durch das Mondlicht in Sicht und ritten in vollem Galopp den Hügel hinunter. Als Pew seinen Irrtum erkannte, drehte er mit einem Aufschrei um und rannte geradewegs in einen Straßengraben, in den er hinein rollte. Doch er war in einer Sekunde wieder auf den Beinen und machte völlig verwirrt einen großen Sprung, direkt unter die Hufe des nächsten galoppierenden Pferdes.
 
Der Reiter versuchte noch ihm auszuweichen, doch vergeblich. Pew fiel mit einem Schrei, der durch die Nacht klang und die vier Hufe trampelten über ihn hinweg und liefen weiter. Er fiel erst auf die eine Seite, brach dann zusammen, fiel auf sein Gesicht und rührte sich nicht mehr.
 
Ich sprang auf und lief zu den Reitern hin. Sie sprangen aus dem Sattel, irgendwie, schockiert über den Unfall und ich sah bald, wer sie waren. Einer, der sich hinter den anderen Männern versteckte, war der Junge, der aus dem Dorf zu Dr. Livesey geritten war, diese anderen Männer waren Miliz-Offiziere, die er auf dem Weg getroffen hatte und er war so intelligent gewesen, sie gleich mitzubringen, als er zu uns ritt. Die Neuigkeiten über den Lugger hatten auch den Bezirkspolizisten Dance erreicht und ihn dazu veranlaßt, sich ebenfalls in unsere Richtung in Marsch zu setzen, so daß diese Umstände dazu geführt hatten, daß meine Mutter und ich durch die Vorsehung vom Tode gerettet worden waren.
 
Pew war tot, mausetot. Nicht so meine Mutter, denn, nachdem wir sie zu Dorf geschafft hatten, sie durch kaltes Wasser und Riechsalz wieder ihr Bewußtsein erlangt hatte, war es nicht das Schlechteste für ihre Angst, sie dort zu lassen, obwohl sie ihre seelische Balance durch die finanzielle Einbuße nocht nicht wirklich wiedergefunden hatte. In der Zwischenzeit war der Bezirkspolizist, so schnell er konnte, zu "Kitt's Hole" geritten, doch die Männer waren entwischt und es hatte keinen Sinn bei Nacht zwischen diesen Hügel nach ihnen herumzutasten und womöglich noch in einen Hinterhalt zu geraten. So war es auch keine Überraschung, als ein paar Männer, die trotzdem hinterhergeritten waren, nur berichten konnten, daß das Schiff schon auf See war und die Männer wohl unter Deck waren.
 
Es war ihnen aber verhagelt worden. Eine Stimme hatte ihnen gedroht, sie sollten bloß aus dem Mondlicht bleiben, sonst würden sie schon sehen, was sie davon hätten und zur gleichen Zeit war eine Kugel haarscharf an einem Arm vorbeigeschossen. Kurz danach hatte der Lugger die Landspitze passiert und war verschwunden. Mr. Dance stand still, "wie ein Fisch auf dem Trockenen" , wie man sagt, und alles, was er tun konnte, war, einen Mann nach B..... zu schicken um vor dem Kutter zu warnen. "Und dies," sagte er, "ist genauso wie nichts zu tun. Sie haben sich aus dem Staub gemacht und nun ist es zu Ende, nur", fügte er hinzu, "bin ich froh, Master Pew zwischen die Augen getroffen zu haben," denn er hatte meine Geschichte ja schon gehört.
 
Ich ging mit ihm zurück zum "Admiral Benbow" und man kann sich nicht vorstellen, in welchem Zustand der Zerstörung das Haus war - die Piraten hatten die Standuhr vor lauter Wut auf meine Mutter und mich umgeworfen und zertrümmert, und obwohl außer dem Münzsäckchen und dem Silberbarren des Käpt'n nichts fehlte, konnte ich erkennen, daß wir ruiniert waren.
 
Mr. Dance konnte daran auch nichts mehr ändern.
 
"Sie haben Geld gefunden, sagst du? Ja, Hawkins, aber wonach haben sie gesucht? Nach mehr Geld, wie ich vermute?"
 
"Nein, Sir, nicht nach Geld", erwiderte ich, "ich denke eher, daß ich das, was sie gesucht haben, unter meinem Hemd trage und um die Wahrheit zu sagen, sollte ich es möglichst schnell in Sicherheit bringen."
 
"Ganz richtig, mein Junge", sagte er, "ich nehme dich mit, wenn du magst."
 
"Ich dachte, vielleicht kann Dr. Livesey", begann ich.
 
"Absolut richtig", untrerbrach er mich sehr heiter, "absolut richtig". Und auch zum richtigen Zeitpunkt - er ist nicht nur ein vornehmer Mann, sondern auch gescheit. und, wenn ich alles bedenke, sollten wir so schnell es geht, zu ihm oder dem Grafen reiten und berichten. Der blinde Pew ist tot, wenigstens etwas ist geschafft - nicht daß ich es bedaure, daß er tot ist, aber die Leute haben jetzt gerne einen Offizier des Königs in der Nähe und ich schaue, daß ich das hinbekomme. Nun, Hawkins, ich sag dir, wenn du willst, nehme ich dich mit."
 
Ich dankte ihm herzlich für sein Angebot und wir gingen zum Dorf zurück, wo die Pferde untergestellt waren. Dabei erklärte ich meiner Mutter meine Absicht und alle gingen in den Sattel.
 
"Dogger," sagte Mr. Dance, "Ihr habt ein gutes Pferd; nehmt diesen Jungen hinter euch."
 
Sobald ich aufgesessen hatte - durch Doggers Gürtel gehalten - gab der Bezirkspolizist das Kommando und die Männer ritten in scharfem Trab zu Dr. Liveseys Haus.
 
zurück - weiter - Seitenanfang