Spätrenaissance
Venezianische
Musik
Anfangsseite
Biographie
G, Gabrielis
Kompositionslehre
Gabrielis
1.
Hintergründe
2.
Theorie
3.
Aufführungspraxis
3.1.
Raumhall und
Modulationsgeschwindigkeit
3.2.Aufstellung
und Aufteilung der
Chöre
3.3.
Stimmbesetzung, Einzelchöre und
Verstärkungschöre
3.4.
Takt, Dirigat und Koordination der
Chöre
3.5.
Realisation der Werke - Kommentar zu
Notenausgaben.
4.
Beispiele
5.
Zusammenfassung
6.
Literatur
|
3.3.
Stimmbesetzung,
Einzelchöre und
Verstärkungschöre
aus:
Kompositionstechnik und Aufführungspraxis
mehrchöriger Werke der venetianischen
Spätrenaissance - dargestellt am Beispiel
Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig.
Überarbeitete Staatsarbeit von Martin
Schlu, Bonn 1984 / 16.7. 2008
|
zurück
- weiter
Seiten
53
- 54
- 55
- 56
- 57
- 58
- 59
- 60
- 61
-
- Beispiel
"Canzon Quarti Toni
(1597)
- Instrumente
- Zusammenfassung
- Anwendung
- Verstärkungschöre
- (S.53)
Veränderungen
der Aufführungspraxis lassen sich am ehesten durch
einen Vergleich der Besetzungsangaben aufzeigen. Dies ist
jedoch bei Gabrieli und Zeitgenossen ziemlich schwierig,
weil diese Angaben so selten sind, daß man nicht
sicher sein kann, eine aufgeschriebene Ausnahme vor sich
zu haben (man schreibt sich das Selbstverständliche
ja sonst auch nicht auf).
-
- Von den von mir
untersuchten 89 Kompositionen aus den Hauptwerken "Sacrae
Symphoniae" von 1597 und 1615 findet man nur in siebzehn
Werken überhaupt Angaben, die auch dann noch sehr
spärlich sind, etwa der lakonische Hinweis "capella"
für die Stimmen 9 - 12 im zwölfstimmigen
"Kyrie" oder die karge Beschreibung "voce"
für die sechste Stimme im ebenfalls
zwölfstimmigen "Exaudi Deus". Von allen von Gabrieli
hinterlassenen Besetzugsangaben gibt es lediglich in der
"Canzon Quarti Toni" von 1597 Angaben für jede
Stimme, in der Ausgabe von 1615 sind es immerhin vier
Werke, denen Gabrieli die Besetzung vorschreibt:
"Jubilate Deo", "Surrexit Christus", "Suscipe" und "In
Ecclesiis". Das Eis, auf dem getanzt wird, ist also recht
dünn.
-
- Es gibt Gründe
für diese spärlichen Angaben. Einerseits darf
man nicht übersehen, daß im Vorwort beider
Sammlungen der Hinweis steht: .."tam vocibus, quam
instrumentis" (sowohl
mit Stimmen als auch
instrumental),
andererseits ist es in der damaligen Zeit üblich, so
zu besetzen, wie es aufgrund der vorhandenen
"musici" am besten paßt (auch
hier eine Parallele zur heutigen kirchenmusikalischen
Arbeit). Ich
halte es daher für wahrscheinlich, daß
Gabrieli die Ausnahme notiert hat und damit kann man vom
Besonderen auf das Allgemeine
schließen.
-
- "Canzon
Quarti Toni" (1597) -
Seitenanfang
- Als erstes Beispiel sei
die "Canzon Quarti Toni" von 1597 genannt. Nach den
Angaben Benvenutis (IM, 1932) ist die ursprüngliche
Schlüsselung und Besetzung folgende:
-
- Primi
Coro
Violinschlüssel
|
C
|
g2
|
Cornetto
|
Altschlüssel
|
A
|
c3
|
Trombone
|
Tenorschlüssel
|
T
|
c4
|
Trombone
|
Baritonschlüssel
|
5
|
f3
|
Trombone
|
Subbaßschlüssel
|
B
|
f5
|
Trombone
|
-
- Secondo
Coro
Altschlüssel
|
7
|
c3
|
Violino
|
Tenorschlüssel
|
8
|
c4
|
Trombone
|
Baritonschlüssel
|
6
|
f3
|
Trombone
|
Baßschlüssel
|
8II
|
f4
|
Trombone
|
Subbaßschlüssel
|
9
|
f5
|
Trombone
|
-
- Tertio
Coro
Sopranschlüssel
|
11
|
c1
|
Cornetto
|
Altschlüssel
|
11II
|
c3
|
Trombone
|
Tenorschlüssel
|
12
|
c4
|
Trombone
|
Baritonschlüssel
|
10
|
f3
|
Trombone
|
Subbaßschlüssel
|
12II
|
f5
|
Trombone
|
-
- (S.54)
Es sind also drei
Chöre, die bis auf die jeweilige Diskantsstimme mit
Posaunen besetzt sind, woraus man schließen kann,
daß Gabrieli wohl nicht unter Posaunistenmangel
litt. Die Besetzung läßt
Rückschlüsse auf die Art der verwendeten
Instrumente zu: sie ist so zu besetzen, daß vier Posaunen eine
Violine nicht zudecken. Kennt man diese
Renaissanceposaunen, weiß man warum, denn die
Mensur dieser Posaunen ist viel enger als heutige
Instrumente, das Schallstück hat gerade eine
Handbreit Durchmesser und man kann diese Instrumente viel
leiser anblasen, als die heute gebräuchlichen
Orchesterinstrumente. Angabe
- (Ergänzung 2008:
Wilhelm Ehmann (Posaunenchorbläsern ein fester
Begriff) hat in den Fünfziger Jahren erste
Erfahrungen mit den Nachbauten des 16. und 7.
Jahrhunderts gesammelt und darüber publiziert, der
Hersteller Finke hatte ihn damals unterstützt und
heute sind diese Instrumente allgemein erhältlich,
wenn auch nicht ganz billig) - Fußnote
zur Diskantposaune
-
- Instrumente
-
Seitenanfang
- Ein Blick in die Noten
zeigt, welche Instrumente verwendet wurden. Weil die
Stimmen Bassus, Nonus und Duodecimus II ständig bis
zum großen C geführt werden, wird es sich um
F-Posaunen handeln, die sogenannten "Schwengelposaunen"
(weil die sechste Lage bei normaler Armlänge nicht
zu erreichen ist, haben diese Instrumente einen
klappbaren Bügel, der als Armverlängerung
dient). Vermutlich wird jeder Chor mit einer sogenannten
"Familie" besetzt gewesen sein, Baßposaune,
Tenorposaune, Altposaune. Ob es damals eine
Diskantposaune gegeben hat, muß offenbleiben -
bautechnisch wäre sie möglich gewesen,
spielerisch sehr heikel und schwierig (ich habe sie als
hoher Bläser ausprobiert und bin nicht mit ihr
zurechtgekommen, eine Trompeterin allerdings auf Anhieb).
Wahrscheinlicher ist ein Zink oder eine Naturtrompete mit
Grifflöchern.
-
- Die Violine wird nicht
viel anders ausgesehen haben als die heutigen
Instrumente, ist aber mit Dramsaiten bespannt und klingt
leiser und weicher. Sie kann in dieser Zeit evtl auch
eine Diskantgambe sein.
-
- Ein
weiteres Beispiel für damalige
Aufführungspraxis findet sich im "Suscipe" zu
zwölf Stimmen von 1615. Hier stehen sechs mit "voce"
bezeichneten Stimmen sechs "tromboni"
gegenüber, also sechs Posaunen. Während der
Posaunensatz von Anfang an recht dicht gehalten ist,
setzen die Solisten nacheinander ein, singen jedoch nur
in wenigen Fällen alle gleichzeitig (T. 29-32,
T.58-60, Schluß).
-
- (S.55)
Hier wird der
Posaunensatz offenbar dazu benötigt, eine
harmonische Stütze für die Solisten abzugeben,
die auf dem Unterbau ihre Koloraturen singen können
(T. 37f). Daß für dies Begleitfunktion
ausdrücklich Posaunen gefordert werden, legt den
Schluß nahe, daß im Normalfall Streicher mit
diesen Aufgaben betraut wurden. Es besteht aber auch die
Möglichkeit, daß sechs Posaunen im Orchester
von San Marco fest angestellt waren
(vgl.
S.18)
und als
eingespieltes Team die Schwierigkeiten einer solchen
Komposition bewältigen konnten - immerhin
verfügt ein größerer Posaunensatz
über eine dynamische Bandbreite, die auch heute noch
von Streichern nie erreicht werden kann.
-
- Ein weiteres Beispiel,
in dem Solisten (?) gegen ein groß angelegtes
Orchester ansingen müssen, findet sch im "Surrexit
Christus" von 1615:
-
Sopranschlüssel
|
C
|
g1
|
Cornetto
|
Sopranschlüssel
|
7
|
g1
|
Cornetto
|
Altschlüssel
|
9
|
c3
|
Violin
|
Tenorschlüssel
|
10
|
c4
|
Violin
|
Altschlüssel
|
11
|
c3
|
Trombone
|
Tenorschlüssel
|
5
|
c4
|
Trombone
|
Tenorschlüssel
|
8
|
c4
|
Trombone
|
Baßschlüssel
|
B
|
f4
|
Trombone
|
Altschlüssel
|
A
|
c3
|
voce
|
Tenorschlüssel
|
T
|
c4
|
voce
|
Baßschlüssel
|
6
|
f4
|
voce
|
- Cantus und Settimus
werden vermutlich mit Zink (Cornetto) besetzt, Nonus und
Decimus mit Violine und die Stimmen Undecimus, Quintus,
Ocatvus und Bassus jeweils mit Posaunen. Entsprechend den
Schlüsselungen sind die Stimmen Altus, Tenore und
Sesto mit "voce" besetzt. Wenn man eine Blockung
zwischen Instrumentalstimmen und Chören annimmt,
sind die mit "voce" besetzten Stimmen wohl nicht
einzeln besetzt gewesen (sie hätten gegen die
Übermacht der Instrumentalstimmen auch keine Chance,
sich durchzusetzen), sondern eher eine Solistengruppe -
etwa die "favoriti". Gabrieli verwendet bei
anderen Chorstimmen bereits die Bezeichnung
"coro", die hier aber fehlt. Daraus könnte
man schließen, daß es drei Möglichkeiten
gab, die Stimmen CATB vokal zu besetzen: solistisch bei
Stimmenparität (C-2-A-5-T-6-7-B), als "voce"
doppelt oder dreifach besetzt ("favoriti") und
eben chorisch ("coro").
-
- Andererseits gibt es
genug Hinweise, daß die "capella" einzelne
Partien ausdrücklich übernehmen soll ("Kyrie
á 12", "Sanctus", "Magnificat", "Nunc Dimittis",
"Omnes gentes"; alle aus der Sammlung von 1597).
Demzufolge wird manchmal ausdrücklich der
solistische Klang gewünscht die mit
"sinfonia" überschriebene Einleitung bereitet
rein instrumental auf den "a capella"-Einsatz vor.
Daß es innerhalb der Stimmen eine Korrespondenz
zwischen Vokal- und Instrumentalstimmen gab, liegt auf
der Hand.
-
- (S.56)
Eine weitere
Besonderheit in der Besetzungsangabe Gabrielis ist der
Hinweis "voce e trombone". Einserseits ist er ein
Beleg für den an Vokalstimmen angepaßten Klang
der damaligen Posaunen (vgl.
S. 54),
andererseits beweist er die Praxis, einen Chor mit
Posaunen zu mischen um den Stimmenklang zu konzentrieren
und ein Absacken der Intonation zu vermeiden
(wieder eine Parallele zur
heutigen kirchenmusikalischen Arbeit).
Im zehnstimmigen
"Jubilate Deo" von 1615 findet sich dreimal der Hinweis
"voce", siebenmal dagegen der Zusatz "cornetti"
oder "trombone" oder "fagotto e voce si
placet". Außerdem steht in der Sinfonia am
Anfang des Werls nochmals der Zusatz "si placet" <wenn es gefällt oder wenn es paßt>.
Sollten also einmal nicht genügend
Instrumentalstimmen zur Verfügung stehen, war ein
Streichen der Sinfonia bereits eingeplant. Innerhalb der
Komposition sind die solistischen Stimen Altus, Cantus,
Tenore in den Gesamtklang eingebettet. Die
Baßstimme ist dagegen höchstwahrscheinlich
instrumental für Fagott oder F-Posaune gedacht, denn
sie wird häufig bis zum "C"
geführt.
-
-
-
- Zusammenfassung
-
Seitenanfang
- Es zeichnen sich also
regelrechte Besetzungsgepflogenheiten ab:
-
- 1.
Stimmenbezeichnungen wie Cantus, Altus,
Tenore sind fast immer solistisch besetzt, es sei
denn, sie sind innerhalbe einer kleinen Gruppe
zusammengefaßt ("voce") oder innerhalb
eines Chores (primo coro, secondo coro) als
"favoriti" eingesetzt. Wenn es keine Textierung
gibt, ist es eine Instrumentalstimme. Stimmen, die
durch Zahlen bezeichnet werden, sind meistens
Instrumentalstimmen - die Ausnahmen werden durch
"voce" gekennzeichnet.
-
- 2. Eine
Schlüsselung SATB oder SATBar
läßt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine
vokale Ausführung schließen, die in
Verbindung mit dem ersten Choreinsatz normalerweise
von den "favoriti" ausgeführt
wird.
-
- 3. Die
Schlüsselung des Soprans mit einem
Violinschlüssel deutet auf eine instrumentale
Ausführung hin, es sei denn, es liegt ein Hinweis
auf eine Abwärtstransposition vor.
(vgl. Kap. 2.3,
S.34f).
-
- 4. Die
Baßstimme wird in der Regel
instrumental ausgeführt, evtl. auch in
Verbindung mit dem Chorbaß. Ab 1615 ist generell
ein "Basso per l'Organo" (Basso seguente)
vorgeschrieben.
-
- 5. Bei
unterschiedlich hohen Chören ("coro
superior", "coro grave") wird der tiefe Chor
"coro grave" in der Regel mit Posaunen
ausgeführt. Ein Fagott wird nur eingesetzt, wenn
es ausdrücklich vorgeschrieben ist.
-
- (S.57)
6. Der Hinweis
"cornetto" besagt nicht unbedingt
eine Besetzungsanforderung mit Zinken.
"cornetto" steht lediglich für eine
instrumentale Ausführung der Diskantpartie (vgl.
Punkt 3). Noch bei Mozart ist der Hinweis
"cornetto" abwechselnd als Besetzungsvorschrift
für Oboe oder Diskantposaune zu verstehen
(s. u.g. Fußnote).
Ich möchte diese Besetzungsvorschrift bei
Gabrieli als "höchstes Blasinstrument"
erklären - im Gegensatz zum Cantus, der die
höchste Singstimme bezeichnet.
-
- 7.
Streichinstrumente werden nur als "coro
complementa" (Ergänzungschor) eingesetzt und
treten als Tuttisten an vom Dirigenten bezeichnete
Stellen hinzu. Möglich ist aber auch ein
Streichorchester als drittes oder viertes
Klangregister gegenüber Sängern und
Bläsern.
-
- 8. Chitarronen und
Lauten werden als eine Art
Generalbaßinstrument in Verbindung mit den
Streichern als "coro complementa" eingesetzt
oder als Baß des Favoritchores, wenn der erste
Choreinsatz ausdrücklich vokal ist.
-
- Fußnote zur
Diskantposaune -
zurück
- Seitenanfang
- Der Gebrauch der Diskantposaune
ist bis heute
(1985) noch umstritten gewesen.
Wilhelm Ehmann hat in den fünfziger Jahren im Rahmen
der Kirchenmusikschule Herford und mit Hilfe des WDR mit
engmensurierten Posaune in Verbundung mit Gesangssolisten
experimentiert und dabei Ergebnisse erzielt, die heute
als als allgemein bekannte Aufführungspraxis im
Gebrauch sind. Er erwähnt in seinem Bericht
über diese Arbeit (Voce et Tuba, S. 536ff)
ausführlich, daß er keine Diskantposaune zur
Verfügung hatte und auch nicht wußte, ob die
Instrumente überhaupt spielbar sind. Gleichzeitig
waren in verschiedenen Posaunenchören aber schon
Diskant (B-Stimmung)- und Altposaunen (Es-Stimmung) in regelmäßigem
Gebrauch. In Dresden sind in den letzten Jahren innerhalb
der Heinrich-Schütz-Forschung mehrere
aufführungspraktische Versuche mit einem reinen
Posaunensatz durchgeführt wurden, die allesamt ein
überaus positives Ergebnis zeigten, sofern diese
Posaunen mit normalen Posaunenmundstücken angeblasen
wurden. Auf der diesjährigen
(1985)
Frankfurter Musikmesse hatten verschiedene Hersteller
auch Diskantposaunen im Programm, die allerdings nur mit
Trompetenmundstücken angeblasen werden konnten. Bis
zum mittleren Forte angeblasen klangen sie wie ein
Naturhorn, schärfer und lauter gespielt hatten sie
den typischen Trompetenklang und waren auch genauso
laut.
-
-
- Anwendung -
Seitenanfang
-
- (S.58)
Am Beispiel der
Schlüsselung der klanglichen Balance und der
Reihenfolge der Einsätze seien mehrere Beispiele
für eine aufführungspraktische Lösung der
Besetzungsproblematik gegeben. Als Vorlage dient die
Motette "O Magnum Mysterium" von 1597 (CMM 12.1.S. 10ff)
Die Notation hat im Original Mensurstriche und daher
keine übergebundenen Noten, (Klangbeispiel,
MIDI-Datei).
-
-
-
- (S.59)
Die Stimmen Cantus,
Altus und Tenore sind auf jeden Fall als Chor zu
besetzen, da sie innerhalb eines Chores
zusammengefaßt sind. Eine solistische Besetzung
kommt daher nicht in Frage. Der Sesto muß aus zwei
Gründen instrumental ausgeführt werden:
einerseits benötigen die freiliegenden Chorstimmen
eine Intonationsstütze, damit sie nicht absinken,
andererseits deuten die vielen Hilfslinien bereits auf
eine instrumentale Ausführung hin, denn dieser
Tonumfang übersteigt den der Sänger. Die
Stimmen Settimus, Quintus und Bassus sind von der
Schlüsselung her einem "coro grave"
zuzuordnen und wahrscheinlich von Posaunen
auszuführen. Soll gegenüber dem Chor
respondierend musiziert werden (die abwechselnden Rufe in
T9 und T10 lassen darauf schließen), muß der
Octavus mit einem hohen Tenoristen besetzt werden, damit
der Text des ersten Chores aufgegriffen werden kann. Weil
das Stück bereits im transponierten 1. Ton (dorisch
g) notiert ist und keine Transpositionsschlüsselung
vorliegt, sind die Realtonhöhen auszuführen.
Stünde der Cantus im Violinschlüssel,
müßte das Stück jedoch eine Terz tiefer
musiziert werden - es ergäbe sich die Tonart
dorisch-es.
-
- Gerechtfertigt wird die
Posaunenbesetzung auch durch den Affektengehalt der
Komposition: mystische Klänge lassen sich durch
einen Posaunensatz besser ausdrücken als durch einen
Streichersatz in tiefen Lagen. Stünde ein Chitarrone
zur Verfügung, wäre es hier sinnvoll, ihn den
Sesto des "coro superior" ausführen zu
lassen, es sei denn der zweite Chor wäre rein
instrumentaliter ausgeführt. Wäre der Sesto mit
"Basso" bezeichnet, würde der Chitarrone auf jeden
Fall im ersten Chor eingesetzt.
-
-
(S.60)
Einsatz von Verstärkungschören
-
Seitenanfang
- Es
bestand zu Zeiten Gabrielis bereits die Praxis, Passagen,
in denen ein Forte gewünscht wurde, oder in denen es
darauf ankam, bestimmte Textteile herauszustellen, mit
zusätzlichen Verstärkungschören zu
besetzen. Diese Verstärkungschören wurden als
eigene Chöre zusammengefaßt und getrennt
aufgestellt. Weil das Stimmenmaterial, um die "cori
complementi" nicht erweitert zu werden brauchte,
finden sich in den Stimmbüchern bzw. in den
Partiturabschriften auch keine genauen Anweisungen
über deren Zusammensetzung. Es war jedoch die
gängige Regelung, den Einsatz bzw. das Verstummen
dieser Chöre durch ein "R" für "ripieno"
zu kennzeichnen. Paul Winter zitiert mehrere Berichte
über den Gebrauch der Complementchöre (S. 50
f), wonach z.B. der zweite Chor als "Forte-Register"
einzusetzen war, der stark instrumental besetzt wurde,
damit die Wirkung größer wurde. Eine andere
Verfahrensweise lag in der Praxis, z.B. bei gegebener
Stimmenzahl CA5T 768B die Stimmen CATB instrumental
besetzt als dritten Chor an anderer Stelle zu postieren
und eventuell mit 4' (Fuß)-Instrumenten wie hohen
Streichern oder Flöten klanglich zu verbreitern.
Nach Winter sind von den "Salmi Boscarecci" von Ignatius
Donati von 1623 außer den sechs Stimmen auch sechs
Zusatzstimen überliefert, die wahlweise zur
instrumentalen Verstärkung oder zum Singen in
mehreren Chören dienten. Sie wurden an den
Tuttistellen eingesetzt. Desweiteren wurden Partien von
der Orgel übernommen, man konnte einen hohen
Verstärkungschor zu drei Stimmen und einen tiefen
Chor - ebenfalls zu drei Stimmen - getrennt aufstellen
und hatte darüberhinaus noch die Möglichkeit,
die originale Komposition "a capella" singen zu
lassen. Weiterhin war Stimmentausch gestattet. Es war
also möglich, den Tenor als 4'-Register und den
Cantus als 16'-Register zu besetzen. Daß dies
Auswirkungen auf die kontrapunktische Satztechnik gehabt
haben muß, liegt auf der Hand - auch wenn man
darüberhinwegsehen konnte, daß durch diese
Besetzungsfreiheit gelegentlich Quartsextakkorde,
verbotene Parallelen oder andere Fehler entstehen
konnten.
-
- (S.61)
Möglich wurde
diese Besetzungsfreiheit nur durch den Zusammenklang der
einzelnen Chöre. Bei einer großen
Baßbesetzung
fallen
Tiefverdoppelungen der Sopranlage nicht unangenehm auf,
ebenso verhält es sich mit Hochoktavierungen der
Unterstimmen (übrigens
ist diese Praxis im Blasorchester bis heute Standard, MS
2008). Voraussetzung
war allerdings, daß das klangliche Gleichgewicht
immer zugunsten der Realtonhöhen überwiegen
mußte.
-
- Von Michael
Praetorius
ist für ein vierchöriges Werk folgende
Disposition überliefert und mag als Beispiel dienen
(nach Winter, S. 51):
-
coro
primo
|
"capella"
|
Cantus
|
Vocalisten
|
Altus
|
mit
|
Tenore
|
Orgel
|
Bassus
|
|
coro
secondo
|
Solist mit
Begleitung
|
Cantus
|
Diskantviole
|
Altus
|
Tenorviole
|
Tenore
|
Sänger
|
Bassus
|
Baßviole
und Gesang
|
coro
tertio
|
Solist mit
Begleitung
|
Cantus
|
Zink (?)
|
Altus
|
vokal mit Quer- oder
Blockflöte
|
Tenore
|
Posaune
|
Bassus
|
Dulzian oder
Fagott
|
coro
quattuo
|
Posaunensatz
|
Cantus
|
Posaune
|
Altus
|
Posaune
|
Tenore
|
Posaune mit
Vokalisten
|
Bassus
|
Posaune mit Theorbe oder
Gambe
|
-
- Es ergeben sich wieder
die Besetzungen, die wahrscheinlich auch auf San Marco
und Giovanni Gabrieli übertragbar sind: Der erste
Chor ist die "capella" mit den besten Sängern
und ggf. von der Orgel unterstützt, den zweiten Chor
bildet ein Solist mit instrumentaler Begleitung, den
dritten Chor ebenfalls ein Solist, doch mit gemischter
Instrumentalbegleitung und den vierten Chor bildet ein
Solist mit Posaunensatz und zusätzlichem Baß.
Allgemein üblich ist die Praxis, den ersten Chior
als Favoritchor ("favoriti") zu besetzen und den
tiefen Chor mit Posaunen. Jeder weitere Chor wird als
Ergänzungschor betrachtet, entweder als "coro
superior" oder "coro complementa".
-
- zurück
- weiter
- nach
oben
-
|