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Spätrenaissance - Andrea und Giovanni Gabrieli, Orlando di Lasso


Spätrenaissance

Venezianische Musik

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Biographie G, Gabrielis

Kompositionslehre Gabrielis
1. Hintergründe
2. Theorie
Die Tonartenlehre

Der Tonartencharakter und die Affektenlehre bei Gabrieli

Die Intervallehre des 16. Jahrhunderts

Stimmunfänge, Tonhöhen,

Transpositionsanweisungen und Schlüsselung

Die Entwicklung der "cori spezzati" - Technik

Andrea und Giovanni Gabrieli und ihr Verhältnis zu Orlando di Lasso

3. Aufführungspraxis
4. Beispiele
5. Zusammenfassung
6. Literatur

2.5 Andrea und Giovanni Gabrieli und
ihr Verhältnis zu Orlando di Lasso
aus: Kompositionstechnik und Aufführungspraxis mehrchöriger Werke der venetianischen Spätrenaissance -
dargestellt am Beispiel Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig. Überarbeitete Staatsarbeit von Martin Schlu, Bonn 1984/2011

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(S. 44) Andrea Gabrieli wird um 1510 in Venedig geboren, ist seit 1536 als Kapellsänger an San Marco nachweisbar und nach einem längeren Aufenthalt um 1540 ab dem 30.6.1556 wieder in San Marco angestellt - diesmal als zweiter Organist. In dieser Zeit beschäftigt er sich ausgiebig mit der fünfstimmigen Madrigalkomposition und veröffentlicht die in den 1540er und 1550er Jahren entstandenen Kompositionen  als reifer Mann: Die "Sacrae cantiones" erschenen 1565, drei Madrigalbücher erscheinen 1566.

Ein paar Jahre vorher, 1562, ist Andrea Gabrieli für einige Zeit am Hofe des bayrischen Herzogs Albrecht V. und begegnet dort Orlando di Lasso, der in München schon seit 1556 als Vizekapellmeister und Hofkomponist angestellt ist. Im Herbst 1562 steht die Kaiserkrönung Maximilians II. in Frankfurt an und di Lasso und Gabrieli begleiten Albrecht V. zur Krönung - der Herzog muß sich dort sehen lassen, Kontakte knüpfen und auffrischen und die Hofkapelle muß zur Repräsentation natürlich mit.

Nach der Krönung reisen di Lasso und Gabrieli nach Venedig und versuchen für die bayrische Hofkapelle Sänger anzuwerben - ob erfolgreich oder nicht, ist nicht zu ermitteln, aber es gibt Folgereisen di Lassos nach Venedig in den Jahren 1567, 1574, 1578, 1585 und 1587 reist di Lasso nach Venedig um bei Andrea Gabrielis Begräbnis dabei zu sein. Ganz sicher sind diese häufigen Treffen di Lassos nicht nur dienstlich begründet, sondern es ist in den Jahren 1562 bis zum Tode Gabrielis 1587 natürlich eine Freundschaft der beiden Musiker entstanden. Gleichrangig als Kollegen sind beide, der Venezianer profitiert von den Münchner Kontakten und di Lasso nimmt immer mal wieder neue italienische Kompositionen und den einen oder anderen Musiker mit nach München. Mit Sicherheit wird ein kompositorischer und fachlicher Gedankenaustausch stattgefunden haben und wie eng die Kontakte zwischen Andrea Gabrieli und dem bayrischen Hof in all den Jahren geworden sind, kann man daran ersehen, daß der einundzwanzigjährige Neffe Giovanni zu Orlando di Lasso nach Münschen geschickt wird und von 1575 bis 1579 vier Jahre dort bei di Lasso studiert. Bezahlt wird dies alles vom Münchner Hof und der Familie Fugger, die wiederum in Venedig eine große Zweigstelle ihres Finanzimperiums unterhält und an engen Kontakten zur Serenissima und deren Hauskapelle San Marco interessiert ist.

Nach Paul Winter sind in den Kompositionen zwischen 1562 und 1587 Elemente enthalten, die den Kompositionsaustausch manifestieren: di Lasso verwendet seit der bekanntschaft mit Andrea Gabrieli verstärkt Elemente des "cori spezzato"-Stiles, umgekehrt profitiert Andrea Gabrieli von den kontrapunktischen Ideen di Lassos aus der niederländischen Schule. Zwischen 1564 und 1573 schreibt Lasso verstärkt im sieben- bis zwölfstimmigen Satz, während gabrieli die sechs- bis achtstimmige Konrtapunktik perfektioniert. Darüberhinaus gibt es gemeinsame Entwicklungen wie die Ablösungen der Chorwechsel, die polyphone Durchführung im Tutti und die Gliederung in einen hohen und tiefen Chor.

(S. 45) Von Andrea Gabrielis Neffen Giobanni ist relativ wenig bekannt (Biographie): er wurde 1557 geboren, wuchs bei seinem Onkel auf und lernte bei ihm schon als Kind musikalische Grundlagen. 1571 kann es bei dem vierzehnjährigen Giovanni zu einem Schlüsselerlebnis gekommen sein, als in Venedig der Ssesieg bei der Schlacht von Lepanto gefeiert wurde und Andrea Gabrieli  zur Feier des Tages ein eigenes Werk mit 189 mitwirkenden Musikern von San Marco auf dem Rialtoplatz (heute "piazzo di Goldoni"?) dirigierte (Longworth S. 267). Weitere Musikfestspiele dieser Art inszenierte Andrea noch in späterer Zeit, etwa beim Besuch König Heinrichs II. von Frankreich (1574) oder beim Besuch des japanischen Fürsten (1585) - diese Musikereignisse hatten in Venedig eine gewisse Tradition, von der Giovanni als Kind vermutlich auch stark beeindruckt war.

Als Giovanni 1574 zu di Lasso nach München geschickt wird um dort zu studieren, taucht er nach kurzer Zeit bereits auf den Lohnlisten der Hofkapelle als Organist auf und scheint sein Studium beeindruckend erfolgreich zu betreiben. Bereits 1575 erscheint ein Werk von ihm in einer dem Herzog gewidmeten Sammlung, dessen Druck die Widmung trägt:

"floridi virtuosi del Serenissima Duci de Baviera" (Winter, S. 16).

Lasso unterrichtet Gabreli in Kontrapunktik und zeigt ihm die Ergebnisse der mehrchörigen Werke, die in der Sammlung der Hofkapelle enthalten sind - die Notenbibliothek ist auf dem aktuellsten Stand und hat einen reichhaltigen Fundus an alter und zeitgenössischer Musik. Giovanni profitiert also von beiden Welten, niederländischer und venezianischer Schule, und kann später beide Stile in seinen Werke einfließen lassen. Nach seiner Rückkehr nach Venedig 1579 sammelt Giovanni weitere Erfahrung als zweiter Organist mit Verpflichtung zur Orchesterarbeit - Andrea ist seit 1576 erster Organist - und es ist möglich, daß Govanni weitere Anregungen von Gioseffe Zarlino und Claudio Merulo erhalten hat.
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Literatur:

Longworth, Philipp: Aufstieg und Fall der Republik Venedig
Winter, Paul: Der mehrchörige Stil