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Kulturgeschichte - Mittelalter


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Oswald von Wolkenstein

Zeittafel zum SpätMA

Oswald von Wolkenstein
Text und Fotos: Martin Schlu, 2024, Stand der Seite: 22.09.2024

„Es fuegt sich“     https://www.youtube.com/watch?v=NrPmmSkVzv0

1.
Es fuegt sich,
do ich was von zehen jaren alt
ich wolt besehen,
wie die welt wär gestalt.
mit ellend, armuet
mangen winkel haiss und kalt
hab ich gepaut
pei cristen, Kriechen, haiden.
Drei pfenning in dem peutel
und ain stücklin brot
das was von haim mein zerung
do ich loff in not.
von fremden, freunden
so hab ich manchen tropfen rot
gelassen seider,
dass ich wand verschaiden.

1.
Es fügte sich,
als ich zehn Jahre alt war,
da wollte ich sehen,
wie die Welt wäre.
In Not und Armut,
in manchem heißen und kalten Ort
habe ich seither gehaust,
bei Christen, Orthodoxen, Heiden.
Drei Pfennig im Gepäck
und ein Stück Brot,
mehr gab's von zuhause nicht,
so lief ich ins Elend.
Im Streit mit Fremden und Freunden
habe ich manchen Tropfen Blut
seitdem gelassen,
daß ich schon zu sterben glaubte.



Oswald von Wolkenstein
Darstellung i.d. Innsbrucker
Liederhandschrift B, 1432
© Universitätsbibliothek Innsbruck

      Links die Quelle Oswalds, rechts meine vorsichtige Übertragung. Wer war Oswald?

1295 - 1319
Oswalds Urgroßvater, Randolf von Villanders, war Richter auf der Trostburg und kaufte sich 1295 die Burg Wolkenstein samt aller Ländereien. Diese Burg wurde die in ca. 1200 Metern Höhe mit einfachsten Mitteln unter einen Felsvorsprung gebaut . Vor die Rückseite des Felsens („Stevia“) wurden zwei Mauern hochgezogen, so dass ein dreieckiger Grundriß entstand. Zwei Geschosse wurden auf Holzbalken aufgeständert und man muss sich den Zugang zu den Wohnetagen mit Leitern vorstellen - mehr war nicht drin. Wer den Ort Wolkenstein im Grödnertal heute besucht, findet mit Glück die Überreste an der Wand der Stevia, die seit sechshundert Jahren verfallen und nie wieder aufgebaut wurden. Diese Burg wird selbst im Sommer nicht richtig warm geworden sein und die Versorgung einer Famile mit Brennstoff und Lebensmitteln war sicherlich sehr zeitraubend. Auch mit dem Auto fährt man heute eine gute halbe Stunde bis ins Tal, wo man bei den Bauern einkaufen konnte, und das Pustertal war schon damals eine extem fruchbare Gegend. Der Ort Wolkenstein selbst ist heute eine furchtbare Ansammlung von Wintersportferienbettenhäusern - so viel, daß es kaum Parkplätze gibt. Offenbar sollen die Skitouristen in Sammelbussen über die Pässe gefahren werden. Fährt man die Straße weiter, kommt man zum Grödner Joch auf 2.200 m Höhe..


Felswand bei Wolkenstein im September 2024 (8° am Nachmittag)
Felswand bei Wolkenstein im September 2024 (8° am Nachmittag)

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1319 - 1377
Der Großvater bekommt diesen Besitz 1319 vom Landesfürten (Bischof von Brixen) bestätigt. Der Vater wiederum muss reich gewesen sein, denn ihm gehörten außer der Burg Wolkenstein auch noch die Trostburg (mit Ländereien), Burg Schöneck, außerdem Burg Hauenstein und Grundstücke bei Kastelruth. Als Oswald von Wolkenstein um 1377  geboren wird, ist Burg Wolkenstein schon nicht mehr der Lebensmittelpunkt der Familie und weil Oswald bereits einen älteren Bruder hat (weitere fünf Geschwister werden folgen), ist man sich in der Fachwelt halbwegs einig, dass er vermutlich auf Burg Schöneck geboren wurde, da der Vater in diesem Jahr eine Urkunde als Hauptmann von Schöneck ausstellte
(Kühn, 13).


Die Burgruine ist nur zu Fußmerreichbar, bei schlechte Wetter lässt man es lieber
(Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Wolkenstein_(Südtirol). Im Hintergrund der Ort Wolkenstein.

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1377- 1387
Über die Kindheit selbst weiß man von Oswald nichts. Sie wurde auch nicht notiert, denn erst mit etwa zehn Jahren hatte man als Kind  eine gewisse Bindung von den Eltern zu erwarten. Bei der hohen Kindersterblichkeit des Mittelalters hängte kein Elternpaar zuviel Liebe an die Erziehung, solange die Kinder nicht aus dem Gröbsten heraus waren und ein paar Krankheiten überlebt hatten. Bis sechs oder sieben Jahre waren Kinder so etwas wie eine Vorserie eines künftigen Menschen und da zählte ein Kinderleben eben nicht viel.

Oswalds Kindheit wird sowieso mit sieben vorbei gewesen sein, denn die Erziehung eines Jungen aus dieser sozialen Schicht sah vor, dass man dann reiten, jagen, fechten und vor allen Dingen gehorchen lernte. Wenn Oswald später - als erfahrener Ritter, Kreuzfahrer und Burgherr - diese Zeilen dichtete und vortrug, waren die Zuhörer oft ähnlich gestrickt wie er und hatten bestimmte Hörerwartungen.

Oswald beschreibt in der ersten Strophe das typische Schicksal des adligen Jungen, der die Welt eben nicht „wolt besehen“ sondern, weil er als Knappe alt genug war, wahrscheinlich eher zwangsweise auf irgendeinen Feldzug mit mußte. Die Erlebnisse von Armut, Hunger und anderen Menschen ( „kristen, kriechen, haiden“ ) sind sicher eher Erlebnisse einer Pilgerfahrt um 1490, die Oswald als Knappe mitzugehen hatte.

Die Behauptung, der Vater habe ihm nur „drei pfennig in dem beutel“ mitgegeben, ist natürlich fett gelogen, denn arm waren die Wolkensteins eben nicht. Aber das passiert  oft, daß man sein Schicksal etwas schwerer macht, als es tatsächlich war, damit man mehr Bewunderung erntet. Das kennen wir alle. Dass ein jahrelanger Dienst als Knappe nicht ganz ohne Blutvergießen abgeht („so hab ich manchen tropfen rot gelassen seider“), ist natürlich klar.


Zwar renner, koch
so was ich doch
und marstaller,
auch an dem rueder
zoch ich zu mir,
das was swer,
gen Kandia und anderswar
ouch widerhar
vil mancher kittel
was mein bestes klaide.

Ich loff ze fuess
mit swerer buess,
bis das mir starb mein vatter zwar,
wol vierzen jar,
nie ross erwarb,
wenn aines roupt,
stal ich halbs zu mal
mit valber varb
und des geleich schied ich
davon mit laide.


Ich war Laufbote, Koch,
sogar mal
Pferdemeister,
auch am Ruder
habe ich gezogen,
das war schwer,
bis nach Kreta
und sonstwohin und wieder zurück.
Oft war ein einfacher Kittel
mein bestes Kleid.


Ich lief zu Fuß
wie ein Büßer,
dann starb mein Vater, ich war
gerade mal vierzehn Jahre,
und nie hatte ich ein Pferd besessen
nur eines, halb geraubt,
halb gestohlen,
ein Schimmel,
und genauso wurde ich ihn wieder los,
aber mit Schaden .




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1391 - 1407
Oswalds Jugend ist von der Knappenzeit geprägt. Seine späteren Zuhörer - meistens in den Wohnräumen der Burg - haben ja Ahnliches erlebt und so liefert er ihnen Bekanntes und Außergewöhnliches. Die Zeit auf der Galeere ist ncht nachweisbar, es mag sein, dass er sie eingebaut hat, damit er mit etwas auftrumpfen konnte, was die meisten nicht erleben (und auch nicht überleben) konnten. Laufbursche, Küchenhilfe und Pferdedienste sind für einen Knappen aber so etwas Normales wie das frühere Ausfegen der Werkstatt für Lehrlinge. Mit vierzehn Jahren werden adelige Jungen zum Knappen und damit eine Art Assistent im Kampf gegen feindliche Heere: Pferde pflegen, Waffen in Ordnung halten und im Bedarfsfalle anreichen, dem Herrn in den Sattel helfen und vor allen Dingen am Leben bleiben. Der einfache Kittel ist dabei ausgesprochen zweckmäßig und wird kaum gepflegt - wozu auch?


2.
Gen Preussen Littwan
Tartarei, Türkei uber mer
gen Frankreich, Lampart
Ispanien mit zwaien kunges her
traib mich die minn
auf meines aigen geldes wer
Ruprecht Sigmund,
baid mit des adlers streiffen.

Franzoisch, mörisch
katlonisch und kastilian,
teutsch, latein, windisch,
lampertisch, reuschisch und roman 
die zehen sprach hab ich gebraucht
wenn mir zerran
auch kund ich fidlen
trummen paugken pfeiffen..


2.
Gegen Preußen und Litauen,
Rumänien, die Türkei (Asien),
gegen Frankreich, Italien,
gegen Spanien (unter zwei Königen),
alles aus Liebe,
nicht aus Gewinnsucht,
gegen Ruprecht und Sigismund,
beide mit den polnischen Zeichen.

Französisch, arabisch,
katalanisch und kastilisch,
deutsch, lateinisch, böhmisch
italienisch, russisch und portugiesisch,
diese zehn Sprachen brauchte ich,
wenn ich weiter mußte,
außerdem konnte ich fiedeln
trommeln, pauken und trompeten...


Nach Dieter Kühn (26f) weisen bereits die Wörter Preussen“ und „Littwan“ auf eine Gepflogenheit hin, die sich um 1390 etabliert hatte. Ritter und Soldaten aus dem Reich und aus Frankreich kamen regelmäßig zu einem Litauenfeldzug zusammen, damit sie unter Führung des Deutschen Ordens die „gottlosen“ Litauer „missionierten“ - etwa wie sich heute Jugendliche dem IS anschließen um für das Kalifat zu kämpfen. Außer Punkten für das ewige Leben konnte man auch Beute machen und sich materiell etwas dazu verdienen: „... alles wegfressen, wegsaufen, plündern, niederbrennen, vergewaltigen, gefangennehmen, niedermache!" (ders. 27f).

Am Feldzug 1391 nahm Oswald also vierzehnjährig teil und er kehrte wohl auch unbeschadet zurück. Ob sich der Feldzug 1394 für Oswald rechnet, sei dahingestellt. Er führte ihn jedenfalls in die kleine Tartarei (die heutige Krim) und er machte Bekanntschaft mit dem Osmanischen Reich, das wenige Jahre zuvor durch die Schlacht auf dem Amselfeld die Balkanvölker vernichtend geschlagen hatte und dessen Nordgrenze nun die Donau war.

Der
Tod des Vaters 1399 ändert für Oswald fast alles: Weil Michael, der ältere Bruder und Haupterbe, schon fast erwachsen war, gab es bei Wolkensteins nur noch bedingt Platz für den Zweiterben.

Oswald ist nun ein fertiger Ritter mit Kampferfahrung und er gibt in Brixen einen Gedenkstein für sich in Auftrag, auf dem er als Kreuzritter zu sehen ist. Kontakte zu König Ruprecht bestehen bereits und nachdem klar ist, dass der Bruder Michael vom Erbe nichts herausrückt, schließt Oswald sich um 1400 dem Italienfeldzug Ruprechts an und ist ab März 1401 in Tirol nicht mehr nachweisbar
(ders. 41f).

Gedenkstein Oswalds als Kreuzritter, heute auf dem Alten Friedhof in Brixen. Leider ist Ruprechts Italienfeldzug  ein ziemliches Deaster (Kühn. 43ff), denn er selbst ist nicht der allseits anerkannte deutsche König, es gibt in Avignon einen zweiten Papst, der mitreden will und Geld ist auch nicht genug da, um ein Heer aus zigtausenden Soldaten zu bezahlen, damit sie das mailändische Heer der Sforza schlagen können. Ruprecht müßte aber  die Sforza besiegen, um in Rom einzurücken, damit ihn der (richtige) Papst zum König salbt und damit ihn die Kurfürsten anerkennen - zu viele Wenns und zuwenig Struktur. Die Geldgeber aus Florenz wollen nicht in Vorkasse gehen und da helfen auch nicht die 20.000 Reiter, die in Augsburg darauf warten, daß es bald losgeht und während des Wartens die Preise der Herbergen nach oben treiben. Als es - viel zu spät - im Oktober 1401 in Brescia endlich zur Schlacht kommt, geht das Unternehmen den Bach herunter und der Rest des Heeres macht sich durch Tirol auf den Rückweg. Erst im Frühjahr 1402 wird München erreicht. Da hat sich Oswald schon abgesetzt - und er hat immer noch kein Geld.
   Nach diesem finanziellen Desaser könnte Oswald eine Handelsreise angetreten haben, die bis 1404 gedauert haben kann. Im Seehandel ließ sich damals schnell ein Vermögen verdienen, wenn man risikobreit war und es mit Wind und Wetter, Piraten, Räubern und Betrügern aufnahm. Später Oswald in einem Lied, er habe Schiffbruch erlitten - sei es wirtschaftlich, sei es real. Jedenfalls leiht er sich nach seiner Rückkehr beim Brixener Erzbischof Ulrich 45 Mark Gold (Gewichtseinheit von ca. 250 g, regional unterschiedlich)mit einem heutigen Wert von ca. einer halben Million Euro. Das reichte für einen Hof oder die Lebenshaltungskosten eines Rtters für ein paar Jahre.
   Als Oswald zwischen 1404 und 1406 sein Erbrecht beim Bruder Michael durchsetzen will, verletzt ihn der mit einem Schwertstich, den Oswald nur knapp überlebt. Erst 1407 kommt es zur Einigung: Michael behält den Löwenanteil mit der Trostburg, doch für Oswald springt die Burg Hauenstein heraus, damals auch eine gute Adresse, heute eine Ruine.
Gedenkstein Oswalds als Kreuzritter,
heute auf dem Alten Friedhof in Brixen.


Die Trostburg von der Autobahn A 22 zwischen Klausen und Lajen
Die Trostburg von der Autobahn A 22 zwischen Klausen und Lajen

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Fortsetzung folgt                             Stand: 22.9.2024



Videos
Eberhard Kummer
singt Oswalds "Es nahet gen der uasenacht"
https://www.youtube.com/watch?v=HWo3kPp8IJo

Kirchzarten: Die Drehleier
- ein fast vergessenes Instrument?
https://www.youtube.com/watch?v=1rLIN0TL0UE

Ain Graserin
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Graserin
https://www.youtube.com/watch?v=ZAqqsA8Mzns
https://www.youtube.com/watch?v=2E6OuDlFF6I               


Literatur:
Kühn, Dieter:
Ich, Wolkenstein. Insel-Verlag, Frankfurt 1979

Müller, Ulrich, Springeth, Margarete (Hrsg.) :
Oswald von Wolkenstein: Leben - Werk - Rezeption, de Gruyter, Berlin/New York, 2011