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Venedig im Winter
Text und Fotos: © Martin
Schlu 2010 / 2022
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- Venedig im Sommer - Venedig für Anfänger
Nach
etlichen Italien und Venedig-Aufenthalten sollte es mal ein Aufenthalt
sein, bei dem die Mehrheit der Mitmenschen keine Touristen sind,
sondern italienisch sprechen und so wurde schon vor Monaten festgelegt,
daß die Tage um Silvester in Venedig verbracht würden. Lucia, bei der
wir schon seit Jahren unsere Bleibe in der Serenissima organisieren,
hatte auch wieder unsere Stammwohnung frei und der Flug war auch schnell gebucht.
Normalerweise ist Fliegen im Winter ja kein Problem...
Unsere Wohung in Dorsoduro, der Balkon dient ganz prima als Kühlschrschrank
- Als ob sie es geahnt
hätte, wurde der Abflug von der Air Berlin allerdings schon im Oktober
einen Tag später gelegt, außerdem sollte es nun nicht nicht mehr von
Köln/Bonn sondern von Düsseldorf losgehen, und weil die Wohnung
ja schon gebucht war, hieß das einen Tag weniger zum gleichen
Preis. Das Schneechaos, das sich seit dem 4. Advent abzeichnete, ließ
uns zwar bis Weihnachten immer überlegen, ob wir nicht doch mit dem
Auto fahren sollten, jedoch sind Parkpreise von bis zu 30.- am Tag
einfach astronomisch (das neue Parkhaus "Tronchetto" kostet "nur"
24.-/Tag, ist allerdings unbewacht). Hinzu kommen die Spritkosten und
die Maut für die Schweiz, wenn man nicht Lust hat, im Raume München zu
übernachten, denn da wird ja seit dreißig Jahren das Verkehrstempo davon
bestimmt , wie schnell die Ersten in Salzburg ihren Parkplatz
finden. Also haben wir uns geärgert und zähneknirschend den gekürzten
Urlaub zur Kenntnis genommen, weil alles andere noch viel teurer
geworden wäre.
- Sonntag, 26.12.
- Für halb sechs am Nachmttag ist
das Einchecken angesagt, draußen liegt Schnee, einige Flughäfen sind
gesperrt und Bahnausfälle sind vorprogrammiert. Also machen wir uns gegen
zwölf Uhr mittag auf den Weg, damit wir um halb sechs da sind. Bis wir
in einem Zug sitzen, dauert es noch zwei Stunden, denn auch am Bonner
Bahnhof ist das Chaos zu merken. Züge fallen aus, bleiben stehen -
jedenfalls sind wir wirklich erst um vier in Düsseldorf und als
die Maschine mit einer Stunde Verspätung in der Luft ist, sind wir froh, daß der Flug überhaupt gestartet ist. Auf dem Display des Bordmonitors sieht man
250 km Rückenwind und weil das Flugzeug darum auf einmal 1099 km
schnell fliegt, landen wir schon nach einer dreiviertel Stunde auf dem Flughafen Marco
Polo. Es ist kurz nach halb neun, als wir ein Taxi nehmen und
der Fahrer schafft die Strecke nach Venedig in knapp fünfzehn Minuten, so daß wir
wirklich um neun am Campo Santa Margherita sind, wo unsere Wohnung liegt. Rein in die Wohnung, Gepäck hingestellt und ab zu den
Dönerbuden, denn ab acht Uhr sind die Bürgersteige hochgeklappt und man
kriegt nur noch die Touristenpreise und die "Menu touristico". Im
Studentenviertel legt der Dönermann gerade einen neuen Spieß auf - es
wird wohl da eine lange Nacht werden - die Student/inn/en stehen schon
Schlange und sind in Feierlaune und irgendwann haben wir etwas
gegessen und genießen eine Flasche Landwein zum Preis eines Rothschilds. Die einzige Bude am Piezzale, die immer aufhat, ließ sich den Service
gut bezahlen - sei's drum! Für's Frühstück werden wir morgen einkaufen
können, Schnee liegt hier nicht, es ist gut fünfzehn Grad wärmer als
zuhause und abends trifft man kaum einen Menschen - außer man treibt sich in San Marco oder Rialto herum.
- Etwa neun Uhr in Dorsoduro - ein paar Nachtschwärmer, aber keine Touristen.
- Montag, 27.12.
- Kurz hinter dem Campo Santa Margherita lag immer ein "punto"-Supermarkt, aber der wird gerade
umgebaut, so daß wir Richtung Zattere laufen, denn da gab es immer den großen "Billa"-Markt. Der ist auch noch da und davor steht ein
Lastkahn mit einem LKW, der gerade entladen wird
und damit ist klar, wie der Supermarkt beliefert wird - mit dem Boot
geht das einfach nicht. Der Markt ist gut sortiert, es gibt
sogar Ziegenmilch, Ziegenkäse und alle die Dinge, die wir für unser
Allergikerlos benötigen. Die Alternative ist der "coop"-Markt am
Piezzale Roma. Der wäre uns jetzt allerdings zu weit.
- Nach dem Frühstück
müssen wir die Wohnung noch bezahlen - Lucia hatte uns als Stammkunden
die Schlüssel schon geschickt, doch es ist noch Geld abzuliefern und
wir hatten versprochen es ihr vorbeizubringen. Adressen in Venedig
bestehen aus dem Stadtteil und der Hausnummer, hier ist es "S.
Marco 1497". Wenn man nicht weiß, wo man suchen soll, ist es schwierig,
denn die Nummern haben kein klares System. Wir wissen zwar, daß wir an der "jewellery behind the church" suchen sollen, laufen auch erst hinter
die Kirche, aber da fängt bereits der nächste Stadtteil an. Jedenfalls
sind wir schon nach zehn Minuten an der Adresse, halten einen kurzen
Plausch und strolchen dann durch San Marco bis zur Rialtobrücke. Man
kommt dort an einem Platz vorbei, den wir immer "Campo di Goldoni" (Campo San Bortolomio)
nennen, weil dort das Goldoni-Denkmal steht. Seit ein paar Jahren gibt
es dort auch einen Disney-Shop (S.Marco 5258) und wenn man genervte Eltern und
erwartungsvolle Kinder sehen will, gibt es keinen besseren Ort als
diesen Laden - kinderbedingt haben wir ähnliche Erfahrungen auch in
Paris gemacht....
- Erst war es McDoof in Cannaregio, nun ist es auch Disney in San Marco - die Amerikanisierung der Jugend macht Fortschritte
- Übrigens
fällt auf,
daß in
Venedig immer noch die Rampen stehen, die vor gut anderthalb Jahren für
den Marathon aufgebaut wurden. Sie sind ein bißchen abgewetzt, was
bedeutet, daß sie auch benutzt werden. Man sollte
Rollstuhlfahrern und Kinderwagenbenutzern nicht gerade vom Besuch der
Stadt abraten, aber
behindertenfreundlich ist Venedig immer noch nicht und einen
Treppenlift
habe ich zwar in der Nähe der Rialtobrücke gesehen, doch er war außer
Betrieb und ein Rollifahrer fluchte ausgiebig und nicht druckreif,
während er die Stufen hochkrabbelte und seine Frau seinen Rolli trug.
Trotzdem sieht man nun den einen oder anderen Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen gibt es auch mehr. Vielleicht greift
die EU-Norm zur Integration der Behinderten ja auch in Venedig allmählich.
- Dienstag, 28.12.
- In Murano steht
jedes Jahr ein gläserner Weihnachtsbaum und weil das Wetter gut
aussieht, laufen wir zur "Accademia", denn da kann man auch Tickets für
die Boote kaufen und muß nicht erst zum Piezzale. Leider sind wir nicht
die Einzigen und erst, als das Boot ablegt, kommen wir dran. Es
ist kompliziert: Schüler müssen für vier Euro einen
Berechtigungsschein kaufen (der am 31.12. natürlich verfällt), dann
dürfen sie für EUR 18.- statt einem Tagesticket ein Dreitagesticket
kaufen, müssen aber dann bei jeder Kontrolle Schülerausweis, Ticket,
Personalausweis und diesen Berechtigungsschein vorweisen. Auch
auf eine
ausrückliche Anfrage muß eine behinderte junge Frau beim
Transportmittel Vaporetto den vollen Satz zahlen - der deutsche
Behindertenausweis wird nicht verstanden oder gilt hier offenbar nicht - wenn das die EU
wüßte. Im Prinzip kauft man am besten ein Dreitagesticket für EUR 33,-,
denn da ist das Verhältnis zwischen Beweglichkeit und Rabatt am
günstigsten und irgendwann mag man nicht mehr Vaporetto fahren. Das
Wochenticket spart
übrigens nur noch einen Euro und irgendwann ist man zu Fuß nicht nur
schneller
als mit der Linie Eins sondern man ist auch den Lärm der alten Motoren
leid - unterhalten kann man sich auf dem offenen Deck nicht, man müßte
brüllen.
- Als
wir alle nötigen
Tickets zusammenhaben, der Drucker neu gestartet wurde, der Computer
ein weiteres Mal abgestürzt und der Ticketverkäufer leicht genervt ist,
sind drei weitere Boote gefahren und die Schlange auf ca. 25 Menschen
angewachsen. Wir machen, daß wir wegkommen. Übrigens gab es auf dem
Boot ein Touristenpaar, das
für die Überfahrt von der Salute nach San Marco (eine Station) zweimal
einen Einzelfahrschein für 6,50.- gelöst hat. Die werden natürlich
überall erzählen, daß Venedig so teuer ist, aber wenn man den Weg zur
nächsten Brücke nicht kennt, hat man keine Wahl - also sollte man am
Anfang immer einen Plan dabei haben.
- Die Fahrt nach
Murano zieht sich hin. Man setzt auf der Linie 4.2 immer die kleinsten
Boote ein, damit sie auch richtig voll werden und bis zur Insel dauert
es knapp eine Stunde. Die erste Station auf Murano wird von den
Erstfahrern gestürmt und im Laufschritt eilen die zu den Glasläden, die
Erfahreneren bleiben einfach sitzen, fahren mit dem Boot drei Stationen
weiter und steigen an der Eisenbrücke aus, denn dann kriegt man im
Restaurant noch Plätze und die interessanten Läden sind sowieso nicht
auf der Touri-Meile. Umsonst ist nur der Anblick der öffentlichen Kunst, das Kleinzeug, die Massenware, kommt vermutlich aus China. Beim
Stöbern durch die Glasbläser-Läden stellt man immer wieder fest, was es
doch für schöne Sachen gibt, die man nicht braucht. Es gilt die Regel,
je schwerer, desto Einzelstück - wenn man etwas kauft, sollte man es
sich auf jeden Fall nach Hause schicken lassen und unter zehn Euro ist
es nicht echt.
- Richtige Glaskunst gibt es sowieso erst ab dem
vierstelligen Bereich und das ist wohl nur etwas für die Dinks (double income, no kids). Übrigens gibt es die Linie DM (Diretto Murano),
die erheblich schneller ist und nur an Umsteigestationen hält - damit
spart man eine gute halbe Stunde Fahrtzeit. Der Weihnachtsbaum ist beim
Besichtigen kein Weihnachtsbaum mehr, sondern eher eine Art
quadratischer Seeigel aus Glas - es soll wohl eine Schneeflocke darstellen, meint meine Frau.
- Der Weihnachtsbaum in Murano - jedenfalls ist er modern...
- Die Trattoria an der
Brücke enttäuscht dieses Mal. Die Portionen sind zu viel klein, der Fischteller
ist verkokelt und versalzen, vier Schüsseln Grünfutter werden als
"Insalata Mista" erst am Ende des Essens gereicht und zum Anmachen
bekommt man Öl und Pfeffer. Als die Teller leer sind, wird noch eine
zweite Runde Weißbrot gereicht - das ist es irgendwie nicht. Wenn man
überlegt, was man für über hundert Euro (vier Personen) bekommen hat,
braucht man hier nicht essen zu gehen, sondern macht es zuhause oder
fährt nach Sizilien
(übrigens zahlt
man bereits pro Person 2,50.- wenn man sich setzt, aber das ist in ganz Venedig so). Selber kochen ist
immer billiger und besser - wenn es die Ferienwohnung denn hergibt.
Darum fahren wir von Murano mit der Linie DM direkt zum Piezzale Roma, gehen
im coop an der Haltestelle einkaufen und fahren den ganzen Krempel mit der Linie 1 bis in
die Nähe der Wohnung. Als wir abends noch mal rausgehen, wird auf dem
Markusplatz bereits das Gerüst für die Silvestersause aufgebaut - man
wird sehen. Murano 2022
- Mittwoch, 29.12.
- Das
Wetter ist schön, also lohnt es sich San Giorgio zu besteigen. Man
muß auch nicht eine Stunde warten wie beim Campanile in San Marco, sondern kann
sofort den Lift betreten. Von
oben
hat man eine sehr schöne Rundsicht über die Dogana (alte Zollstation links), den Campanile von San Marco
(rechts) und den Stadtteil Arsenale (der paßte nicht mehr aufs Bild).
- Als wir runterkommen, ist es noch früh und weil auch wenige
Leute in der Kirche sind, kann ich mir ganz in Ruhe die geschnitzten
Chorstühle in zwei Reihen anschauen - sowas hat noch nicht mal der Kölner Dom.
- Das Chorgestühl steht in zwei Reihen, zusammen etwa 120 Plätze - es müssen viele Mönche gewesen sein.
- Danach nehmen wir die langsame Linie 4.2 nach Murano, steigen am Leuchtturm (Murano Faro) in die Linie LN nach Burano
und nehmen uns Zeit durch die Stadt zu bummeln. Burano lebt noch viel
stärker als Murano von den Touristen und am Hafen gibt es eine Dutzend
Fischerboot, die erkennbar regelmäßig in Betrieb sind, doch zum
Einkaufen muß man wohl mit dem Boot zum Lido oder nach San Basilio zum Supermarkt. Schön ist es, einsam auch, aber ich frage mich, wo die Kinder wohl zur Schule gehen.
- Bunt, idyllisch und ziemlich abgelegen - das ist Burano. Jedes Haus hat eine andere Farbe.
- Donnerstag, 30.12.
- Es ist
etwas diesig und die Jüngste hat sich gewünscht mal den Lido zu sehen.
Also nehmen wir die Zuckellinie 1 und fahren bis Endstation. Zufällig
treffen wir im Boot meinen Kollegen und Freund Arnold, der mit seiner
Frau ebenfalls über Silvester hier ist und für das Kochen einkauft. Da
Arnold hier studiert hat, kennt er die Stadt natürlich von vorne bis
hinten und kann uns eine genaue Beschreibung geben, wie man die Oper "La Fenice" findet und das Haus, in dem Mozart 1771 mal gewohnt hat. Am Giardini steigt er aus - da hat er seit Urzeiten eine Wohnung und vermutlich kennt er noch einen Supermarkt mehr.
- Am Lido gibt es
Autoverkehr wie zuhause und es ist kaum zu glauben, daß man nur zum
Strand kommt, wenn man die Hauptstaße lang geht. Der Strand selber ist
noch winterfest. Die Winterstürme haben entsprechend viel Treibgut
angespült und vor dem großen Hotel (das nun geschlossen ist und in
Eigentumswohnungen umgebaut wird) ist mit Bulldozern eine meterhoher
Sandwall aufgetürmt, der Schlimmeres verhüten soll, sonst muß man im
Frühling wieder soviel Sand anspülen. Am Lido selber ist nichts los,
das Café hat zwei Tische herausgestellt, an denen keiner sitzt und ein
einsamer Verkäufer versucht uns häßliche Schals für fünf Euro
anzudrehen. Große Geschäfte wird er wohl um diese Zeit nicht machen.
- Schwer vorstellbar, daß das einer der teuersten Strände Europas ist - man munkelt von € 3000.- für eine Saisonkarte
- Auf dem Rückweg
schauen wir noch in Klamottenläden (für die Mädchen) und im Supermarkt
(für den Wein) vorbei. Beim Gedränge im Billa frage ich micht, was die Feuerwehr wohl
dazu sagen würde - es gibt einen Engpaß von einem Meter Durchlaß, durch
den sich etwa 100 Kunden zwängen um sich dann auf vier Kassen zu
verteilen. Klar, morgen ist Silvester.
- Am Nachmittag machen
wir zu zweit einen Abstecher in die Oper "La Fenice". Dort kann man
sich einen Audioguide mieten und hat dann unbegrenzt viel Zeit, sich mit
der Architektur und der Geschichte des Hauses auseinanderzusetzen. Inbegriffen ist
eine Besichtigung des Saales und der Königsloge und auf der Bühne ist
viel Betrieb, weil das Neujahrskonzert übermorgen landesweit übertragen
wird. Irgendwann im nächsten oder übernächsten Jahr werden wir uns mal
eine Vorstellung anschauen.
- Die Bühnenarbeiter installieren noch den Blumenschmuck in den Nationalfarben.
- Auf dem Rückweg schauen wir uns nach Arnolds Wegbeschreibung auch das Haus an, in dem Mozart 1771 gewohnt hat.
Die Ponte dei Barcarole ist von fotografierenden Japanern umlagert, die
"Mozart! Mozart" rufen, die Gondolieri singen irgendwelche
Mozart-Konglomerate und ich mache ein paar Bilder. Mittlerweile sind
allerdings so viele Graffiti an diesem Haus, daß man sie besser nicht
zeigt - immerhin war Mozart damals 13 Jahre und keine Mozart-Oper hat
es zu Lebzeiten ins "Fenice"
geschafft - aber das ist eine andere Geschichte.
- Auf dem letzten Weg
durch Dorsoduro dämmert es und der Stadtteil entwickelt seinen
eigentümlichen Reiz. Gerade um das Guggenheim-Museum haben die letzten
Jahre neue Künstler ihre Ateliers aufgemacht. Einer, der unter anderem
hölzerne Unterhosen auf einer Wäscheleine schnitzt, war im letzten Jahr
noch auf dem Campo San Margerita - er hat sich nun verbessert und bekommt hier eine zahlungskräftige Kundschaft. Wofür man allerdings eine
holzgeschnitzte Unterhose braucht, lassen wir mal offen.
- Dämmerung in Dorsoduro - in der Nähe des Guggenheim-Museums gibt es jede Menge Galerien und Ateliers.
- Außerdem packen die
meisten Gondolieri nun ihre Sachen zusammen und machen Schluß. Die Preise
scheinen auch gefallen zu sein. Wiederholt habe ich heute Angebote von
achtzig bis siebzig Euro gehört, normalerweise läuft kein Trip unter
120.- Der Winter macht sich auch im Preisniveau bemerkbar und viele
Gondolieri warten vergeblich auf Kundschaft.
Feierabend - morgen kommen vielleicht mehr Kunden.
- Freitag, 31.12., Silvester
- Am
Vormittag starten wir beim
Fischmarkt in Dorsoduro
und bedauern, daß wir keine vernünftigen
Pfannen haben, die für die Fische groß genug sind, denn hier gibt es
fast alles, was man sich vorstellen kann und weil es außer diesem Markt
nur noch den an den Markthallen gibt, sind die Händler spätestens um
zwei Uhr nachmittags ausverkauft. Man muß also früh da sein, wenn man
seinen Lieblingsfisch haben will. Wer Fisch unbedingt selber zubereiten
will, bringt sich am besten eine richtige Pfanne mit, die meisten
Ferienwohnungen haben nur Pfannen, die bestenfalls für Rührei taugen.
Die Auswahl ist
schon ziemlich gut, leider sind die meisten Ferienwohnungen nicht für
die Fischküche ausgelegt - die Pfannen sind zu klein.
- Danach lassen wir uns
ein bißchen treiben, laufen durch Dorsoduro nach Cannaregio, eine reine Wohngegend, die von Touristen meistens
verschont bleibt, weil die meisten von ihnen den Weg dahin nicht finden. Da gibt es Gegenden, z.B. im "ghetto",
wo die Zeit scheinbar stehengeblieben ist. Traditionell gekleidete
Juden kaufen in den kleinen Läden für ihren religiösen und kulinarischen Bedarf ein, es gibt Läden für alles,
was man für die jüdischen Feste benötigt, mehrere Restaurants weisen
auf ihre koschere Küche hin - das jüdische Viertel scheint halbwegs intakt
zu sein und daß es auf dem Platz eine ständige Polizeipräsenz gibt, ist
wohl auch ein Beleg dafür. Übrigens ist der Begriff des "ghetto",
in Venedig zum ersten Mal verwendet worden, meinte damals diese Siedlung, in der
eben die venezianschen Juden lebten und der Begriff wurde von dort weltweit importiert. Es gibt
im "ghetto",
aber auch Künstlerviertel, kleine Handwerksbetriebe und die meisten
Häuser dort sind bewohnt und dienen eben nicht als Ferienwohnung.
- Der jüdische Laden und der christlich-amerikanische Weihnachtsmann in trauter Nachbarschaft....
- Gegen halb vier
schließen die meisten Läden, die Kneipen machen dafür alles für den
Abend fertig und die ersten Silvesterparties fangen an. Da laufen
wir allmählich nach Hause und und schwelgen später in Nudeln mit
Meeresfrüchten, was zuhause einfach unbezahlbar wäre - hier hat es etwa
den Preis einer Piazza Margherita gekostet. Fernsehempfang geht in der
Wohnung für uns nur mit dem ZDF - so gut italienisch können wir nun
doch nicht - und der fröhlich gemeinte Schwachsinn ist so nervig, daß
die Kiste ausbleibt. Hoffentlich werde ich nie so alt, daß ich diese
Art von Unterhaltungsprogramm gut finde.
- Gegen halb zwölf machen wir uns auf den Weg zur Zattere, denn das Feuerwerk wird im "Bassino di San Marco" abgebrannt
werden, der Stelle zwischen San Marco, San Giorgio und der
Dogana. Erstaunlich weng Menschen sind unterwegs, lediglich an der
Spitze
der Dogana
sind etwa so viele Menschen wie gestern an der Kasse des
Billa und man muß keine Angst haben, daß man in die Lagune geschubst
wird, denn es geht alles ganz gesittet zu. Einige haben sich ihr
Sektfläschchen mitgebracht und halten ihre Gläser bereit, andere sitzen
mit
Rotweinglas auf den Stufen. Um zwölf wird es laut, weil von San Marco
zu hören ist, wie ein paar tausend Menschen rückwärts zählen und als
allgemein gejubelt wird, ist wohl Neujahr (wir haben keine Uhr mit).
Vom Campanile und von San Giorgio hört man leises Glockenläuten (das
volle Geläut hören wir erst am darauffolgenden Nachmittag), ein paar
Böller gehen los, vereinzelte Raketen und wir gucken uns an, denn
eigentlich sollte ja ein großes Feuerwerk stattfinden.
Doch wenig später gibt es drei wahnsinnig laute Böllerschüsse und es
geht ein
Feuerwerk los, wie ich es noch nie gesehen habe. Ein Schiff in der
Lagune ist die Startbasis und was von dort in die Luft geschossen wird,
ist etwa das Dreifache des "Rhein in Flammen", aber in der halben Zeit.
Ohren- und augenbetäubend, vor allen Dingen weil man zwischen Meer und
Himmel keine Sichtbehinderung hat. Es gibt einfach keine Pause und
manchmal ist der ganze Himmel in Flammen.
Ein kurzer Moment des
Feuerwerks, Turm und Kathedrale von San Giorgio im Hintergrund,
links die Lichter gehören zu San Marco.
- Samstag, 1.1. 2011, Neujahr
- Früh
am Morgen sind
wir wieder in der Wohnung und haben die ganze Nacht Feuerwerk, denn
jedesmal wenn ein Böller geworfen wird, hört man den Knall dreimal -
hier ist halt alles aus Stein und es gibt entsprechend Nachhall und Echo. Der Vormittag wird Ausschlaf, Gammel-
und Ausruhtag und erst spät nach dem Mittagessen zieht es uns nach San
Polo. Dort gibt es tolle Läden zum Gucken (und Kaufen), zum Beispiel einen Beatles-Fanshop, der
alles an Devotionalien hat, was man sich vorstellen kann, doch leider hat er zu. In einem anderen, klitzekleinen Laden kaufen meine
Kinder eine echte venezianische
Maske (zu einem echten venezianischen Preis) - vermutlich ist sie
wirklich echt, weil die junge Frau im Laden vor sich einen Arbeitsplatz
hat, an
dem sie ständig Masken beklebt und bemalt. Gegen Abend öffnen die
meisten Geschäfte wieder, es wird voller, drängeliger und auch der
Verkehr an der Zaterre nimmt zu. Vor dem Molina Stucky auf der Giudecca,
der ehemaligen Mühle, die nun zum Hilton-Hotel geworden ist, rauschen
die Boote nur so vorbei. Anscheinend steigen nun die
Nach-Silvesterfeiern.
Reger Schiffsverkehr zwischen Tronchetto und San Marco am Neujahrsabend.
- Sonntag, 2.1. 2011
- Nach dem Frühstück
geht es zum Einkaufen, denn heute haben die Märkte alle wieder auf.
Unterwegs lesen wir eine Ankündigung eines Orgelkonzertes in der Salute (Santa Maria della salute),
der Marienkirche, die anläßlich der überstandenen Pest ab 1630
gebaut wurde. Pünktlich um viertel vor zwölf sind wir da, die letzten
Besucher der zu Ende gegangenen Messe strömen raus, die anderen wollen rein.
In der Salute gibt es keine Kirchenbänke im Hauptschiff, doch vor dem
Altar stehen Bänke für ca. 100 Personen. Leise spielt der Organist eine
Improvisation, wie es bei der Kommunion üblich ist und wir warten, bis
das Konzert anfängt. Nach einer halben Stunde spielt er aber immer noch
seine Improvisationen, die irgendwie auch immer gleich klingen und man
muß genau hinhören, weil das Örgelchen so leise ist. Es klingt zwar
sehr katholisch, das Örgelchen hat ordentlich Zungenregister, Vox coelestis, Posaune und
Sesquialtera, aber es klingt irgendwie immer gleich und erscheint zu
leise, obwohl wir wir höchstens dreißig Meter entfernt sitzen. Mehr als
dreißig Register und einen Sechzehnfuß hat diese Orgel mit Sicherheit nicht,
und das reicht für die Größe dieses Raumes einfach nicht aus. Immerhin ist die "Salute" ist nach San Marco die größte Kirche der Stadt, eben, weil es eine Dank- und Wallfahrtskirche ist. Als
außer uns kein Mensch mehr vorne ist, gehen wir irgendwann auch und
sind über das angekündigte "Konzert" etwas enttäuscht. Venedig hat so
tolle Kirchen, aber die Kirchenmusik scheint in Venedig nicht zu funktionieren.
Der Altarraum hat
etwa ein Zehntel der Kirchengröße, der größte Rest ist unbestuhlt, wie
das untere Foto zeigt. Hinter dem Altar die Orgel.
- Am Nachmittag machen wir noch eine ausgedehnte Runde über die "Accademia" und "San Polo"
und diesmal hat der Beatles-Fanladen auf. Einerseits hat er die
üblichen T-Shirts mit den Motiven aller LP-Hüllen, aber auch
Modellgitarren, Modellschlagzeuge, Beatles-Figuren in allen Größen,
alles mögliche Gitarrenzubehör mit Beatles-Abbildungen und außerdem
einen Schlüsselanhänger der Konkurrenz um Mick Jagger. Spontan fällt
mir eine Karikatur aus den Sechziger Jahren ein, die ein unaufgeräumtes
Jugendzimmer zeigt, bei dem an einem Nagel in der Wand etwas
Undefinierbares hängt mit der Aufschrift "Stoffetzen aus der Jacke von
John Lennon". Solche Sachen hat der Laden leider nicht, aber originale
Promi-Instrumente kann man auch am "Hard Rock Café" am "Bassino Orseole"
bewundern. Weil die Stones-Zunge acht Euro kosten soll, verkneife ich
sie mir und auch das Gibson Modell des SG-Dobleneck von Jimmy Page
macht mich nicht richtig an, obwohl sie mir mit 33.- billig erscheint,
aber sie ist ja auch nur zehn Zentimeter groß. Vielleicht kann ich mir
diese Gitarre ja mal in echt kaufen, denn sie wird immer noch von
Gibson aufgelegt und bei dem gegenwärtigen Dollarkurs ist das Ding mit
ca. € 3.000.- schon fast bezahlbar...
Ein Muß für
Beatles-Fans: der Laden in San Polo liegt auf der Hauptachse zwischen
Rialto und San Marco - einfach den Schildern folgen.
- Auf dem Rückweg über San Marco kommen wir am Uhrtum
neben San Marco, dem "Torre dell' Orologio", vorbei und wollen
hinaufklettern. Ein kleines Schild sagt, daß man sich dafür im "Museo
Correr" anmelden muß. Wir gehen dort vorbei und haben Glück, denn am
nächsten Tag um zehn Uhr morgens sind noch Plätze frei. Ganz zufrieden
gehen wir nach Hause.
- Montag, 3.1. 2011
- Am Morgen ist
Spitzenwetter und wir haben ein gutes Gefühl für die Besichtigung des
"Torre dell' Orologio". Wie verabredet warten wir um zehn beim Eingang
und als die Gruppe zusammen ist, stellen wir fest, daß es außer uns
nur noch eine junge Frau aus Rußland ist. Wie wir später sehen, ginge die
Gruppe gar nicht größer, weil es im Turm so eng ist. Die Führerin
spricht recht gut Englisch und hat alle möglichen Fakten parat. Wir
erfahren, daß der gegenwärtige Turm den Erhaltungszustand von 1499
darstellt, daß das Uhrwerk im Prinzip das gleiche ist wie vor über 500
Jahren und daß der Uhrenwärter mit seiner Familie im Turm gelebt hat -
in jeder Etage ein Zimmer und ständig der Lärm des Uhrwerks, denn pro
Tag fallen 132 Schläge an und mechanische Uhren in dieser Größenordnung machen einfach Lärm.
Beeindruckend sind die Funktionen, die das Uhrwerk seit 1499 hatte,
u. A. eine "digitale Anzeige" im Fünf-Minuten-Rhythmus (jedesmal ein
lautes Klacken, wenn die Anzeigetafel gewechselt wird), jede Stunde
wird per Glockenschlag zwei Minuten vor und zwei Minuten nach der
aktuellen Zeit geschlagen, dazu kommen noch Mondphasen, Meridiane,
Jahreszeiten und vor allen Dingen die dekorativen Uhrenschläger auf dem Dach, die ebenfalls einen Höllenlärm machen.
- Bis 1998 wurde der Uhrturm
ununterbrochen von einem Wärter mit Familie bewohnt - etwa so gut wie
eine Wohnung im Kölner Hauptbahnhof: zentrale Lage, aber gewisse
Einschränkungen. Noch heute gibt es bewohnte Appartements neben dem
Uhrtum. Sie sind mietfrei, dürfen aber nur innerhalb der Familie
vererbt werden und die Aussicht von der oberen Etage ist fast so gut
wie die vom Uhrenturm selbst - im Norden sieht man heute die Dolomiten rosa
schimmern, ein Anblick, den ich in Venedig noch nie erlebt habe.
Die Figuren sind
ca. 2,60 m hoch und schlagen die Glocke wirklich an. Im Hintergrund die
Basilika San Marco, Palazzo Ducale und San Giorgio.
- Nach dem Uhrenturm können wir auf der Eintrittskarte noch ins "Museo Correr"
gehen, einem Museum, das die venezianische Geschichte aus der
Seefahrerperspektive zeigt. Man sieht alte Globen, Karten, eine
Bibliothek aus Tausenden von Büchern, von denen keins jünger als 250
Jahre ist und außerdem wird das nötige Zubehör für die Seefahrer
gezeigt: Kanonen, Gewehren, Messer, Säbel und andere scharfe Totmacher,
aber die sind zumindest so gesichert, daß kein Amokläufer mal eben mit
einer Hellebade herumwüten kann.
- Weil das Wetter immer
noch schön ist, entlassen wir die Töchter, kaufen uns eine Tageskarte
für den Vaporetto und fahren nach San Michele, der venezianischen
Friedhofsinsel. Es gibt einige Gräber, die regelmäßig besucht werden:
Strawinsky mit Ehefrau, Joseph Brodski und natürlich Sergeij Diaghilew.
Im Herbst des letzten Jahres hatte jemand von der John Neumeier Company
das aktuelle Programmheft auf das Grab gelegt. Dieses Mal sind es ein
paar posthume Liebesbriefe ("we miss you so") , Schokolade und jede Menge Blumen. Unvorstellbar.
- Seit dem letzten
Jahr sind außerdem wieder ein paar Grabsteine mehr zerbrochen,
eine riesige Zypresse hat beim Umfallen ein halbes Dutzend Grabsteine
umgemäht, liegt quer über dem Friedhof und muß noch zerkleinert werden.
Der Friedhof erschent ein bißchen morbider als nötig, dabei ist so
schönes Wetter. Auf der Rückfahrt sieht man noch einmal die Dolomiten,
ein Anblick, der bis in die Dämmerung vorhält.
Die Dolomiten schimmern hinter der Friedhofsinsel, oben iegt natürlich Schnee.
- Zu guter Letzt
nehmen wir am nachmittag die Fähre und setzen über zur Insel "Giudecca"
um ein paar Dämmerungsfotos zu machen. Wie im Kitschbild geht die Sonne
unter, es ist absolut still und zwei venezianische Ruderboote liefern
sich ein Wettrennen. Dann ist die Sonne untergegangen, das Licht
weg und die Stimmung futsch.
Nicht gestellt, nicht nachgeholfen - war einfach so. Vielleicht trainierte ja ein venezianischer Sportclub.
- Den Abend beschließen wir in
einem Restauranz an der Zaterre und sind angenehm überrascht: unter
hundert Euro für vier Personen mit zwei Gängen, das Essen doppelt so reichlich wie
letztens in Murano, aber viel, viel besser. Da kann man also hingehen,
hat aber bitte im Kopf, daß die Gedeckgebühr und der "servizio"
bei vier Personen mit siebzehn Euro zu Buche schlagen, das heißt in
Deutschland hätten wir achtzig Euro bezahlt und da kann man nicht
meckern. (Pizzeria Ae Oche, Dorsoduro 1414 an der Zattere).
- Dienstag, 4.1. 2011
- Über
Nacht ist es biestig kalt geworden, Fröstelwetter ist angesagt und so machen
meine Frau und ich uns nur noch einmal zur Redentore auf. Auf der
Überfahrt zur Giudecca ist es schon schweinekalt, viele Venezianerinnen
tragen Pelze und dazu, wegen "aqua alta", Gummistiefel. In der Kirche
stehen zwar vier Heizpilze für frierende Besucher zur Verfügung und die sind
daher merkbar wärmer, aber es ist immer noch ziemlich kalt. Wir schauen uns ein paar Tintorettos an und sind
nach einer halben Stunde der Meinung, es ist für den letzten Tag genug. Unsere Mädchen sind
bei diesem Wetter erst gar nicht rausgegangen. Da der Rückflug erst am
Abend ist, ist es unbezahlbar, daß Lucia meinte, wenn wir gingen, sollten
wir einfach die Schlüssel auf den Tisch legen und die Tür zu ziehen,
denn nun können wir im Warmen warten, bis wir zum Busbahnhof und zum Flughafen müssen.
- Zu Hause liegt noch Schnee, wenigstens das blieb uns heute morgen
erspart, doch ich habe auch alte Bilder gesehen, auf denen der
Markusplatz unter einer Schneedecke lag. Das nächste Mal fahren wir
wieder, wenn Biennale ist oder - wie angedacht - wenn die Fenice etwas
zeigt, was den Flug lohnt.
- Nachtrag zu Hause:
Wenn es irgendwie geht, sollte man an "Marco Polo" landen oder
abfliegen - "Treviso" ist so furchtbar unorganisiert, daß man sich den Streß nach Möglichkeit ersparen sollte.
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