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- Gent und der Genter Altar
- Text und Fotos: © Martin Schlu 2008-2024 / Stand: 2. November 2024
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- Gent kannte ich als Begriff während meines Geschichtsstudiums,
weil dort ein gewisser Karl von Gent geboren und getauft wurde, der
später als Kaiser Karl V.
über ein Reich herrschte „bei dem die Sonne nicht unterging“, wie es
überliefert ist. Dieser Karl war eine merkwürdige Figur, ein
spanischsprechender Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher
Nation, der sich mit Luther anlegte und verlor, der, obwohl papsttreu,
dennoch Rom verwüsten ließ und am Ende zurücktreten mußte, als er nicht
mehr den Rückhalt seiner spanischen Granden hatte. Karl war der Enkel
der in Brügge begrabenen Maria von Burgund und des ersten habsburgischen Kaisers Maximilian I. Er wurde im Jahre 1500 hier in Gent geboren und auch nach über
500 Jahren kann man sich vorstellen, daß er viele Gebäude so gesehen
hat, wie sie heute noch erhalten sind - dafür hat genug
Originalsubstanz aus dieser Zeit überdauert.
- Bei meinem ersten Besuch in Gent,
lange nach meinem Studium, war ziemlich schlechtes Wetter, ich hatte
keine vernünftige Karte (ein Navi war noch nicht bezahlbar) und als ich
auf der Suche nach der Taufkirche war, fand ich nur eine riesige
Baustelle, weil damals aus einer zu engen Verkehrsführung die heutige
Fußgängerzone gebaut wurde und die Innenstadt für Autos sowieso
gesperrt war. Meine Familie folgte damals murrend durch Sandwüsten und
Matschlöcher und als wir endlich die richtige Kirche gefunden hatten
(es gibt ja zwei, die von der Größe in Frage kommen), sahen wir aus wie
die Schweine. Damals (2009) hatte man unter dem Platz vor der Kirche
irgendwelche mittelalterlichen Fundamente gefunden und die Baustelle
war so weiträumig abgesperrt, daß alle - schon mit Sand und Lehm
bekleckerten - Fußgänger sich über ein glitschiges, weil nasses
Brückchen zwängen mußten. Die Stadt machte es Fremden damals nicht
leicht und auf Google Maps kann man heute noch das Ausmaß der damaligen
Baustelle erkennen. Nach diesem ersten Besuch der Stadt beschloß der Familienrat damals, daß Gent nicht mehr angesteuert werden müßte.
- Der Korenmarkt während der Bauarbeiten 2009 - alle Fußgänger mußten damals über das Brückchen links im Bild.
- Trotzdem war meine Frau
nach ein paar Jahren wieder dazu zu bewegen, der Stadt eine zweite
Chance zu geben. Es regnete nur ein bißchen, das Navi führte uns ins
Parkhaus „Sint Michiels“ und sofort waren wir in der Innenstadt (die anderen zehn Parkhäuser liegen alle
so, daß man in ein paar Minuten im alten Zentrum ist). Bereits wenn man die Stadt über
die Sint-Michielsbrug betritt und die Leie, einen Nebenfluß der
Schelde, überquert, sieht man beim Blick nach links auf dem rechten Ufer die Altstadt und auf dem linken Ufer die
„Neubauten“, die in anderen Städten auch schon wieder als „Altstadt“
gelten würden - es ist immer noch viel vom alten Gent zu sehen.
- Das linke Ufer der Leie wird „Korenlei“ (Kornleie) genannt, das rechte Ufer „Grasleie“ - früher der Stadthafen Gents und Handelsplatz der Zünfte und Gilden.
- In der Mitte kann man die Burg Gravensteen/Grafenstein erkennen.
- Vom Parkhaus Reep über die Brücke entlang, läuft man auf die „drei Türme“ der
Stadt zu: die „Sint Niklaaskerk“, die „Kathedraal“ der Stadt (70m Höhe)
die „Sint-Baafkathedraal“ (89m) und der dazwischen befindliche Belfried
(95m). Die Niklaaskerk war die Prunkkirche der Gilden und Zünfte, die Kirche „Sint Baaf“ der Bischofssitz, das eigentliche geistliche Zentrum und daher auch die Taufkirche der flämischen Herrscherdynastie.
Der Belfried diente, wie schon in Brügge, als Statussymbol,
Brandmeldezentrum und Stadtarchiv. In Gent hat diese Kombination die
Jahrhunderte bislang überdauert und es mußte nur ausgebessert werden.
- St.-Nikolaus-Kirche (Sint Niklaaskerk) am Emile-Braunplein
- Die
Baustelle von 2009 war 2014 zu einem Weihnachtsmarkt geworden und man konnte
trockenen Fußes Richtung Kathedrale gehen. Auch später haben wir nicht
im ersten Versuch die richtige Kirche gefunden, aber man konnte sich
durchfragen und dann haben wir sie auch erkennen können. Sie war auf
der vorderen Fassade doppelt unkenntlich gemacht: vor die Fassade hatte man
eine grüne Folie gehängt und davor das Riesenrad postiert. Durch eine
Gerüstunterführung gelangte man dann in die Kathedrale und konnte erst
einmal ohne Eintritt gucken.
Oben: Die St. Bavo (Baaf)-Kathedrale von innen (sie ist auch für ein Hochformat zu hoch...).
Unten: Am Altar kann man die Größe der Kathedrale erahnen.
- Wenn man in Gent ist, besichtigt man in St. Baaf
(Sankt Bavo) logischerweise das Altarbild des Malers van Eyck, das das
Heilige Lamm Gottes
darstellt. Es ist noch ein bißchen älter als Karl
V. (1432) hat - wie so viele Gemälde - eine bewegte Geschichte hinter
sich und man hat von 2012 bis 2019 daran gearbeitet, es zu restaurieren
und angemessen In St. Baaf zu präsentieren. 2014 sah ich es in einem
kleinen Raum im Belfried, doch jetzt ist der Dom neu hergerichtet um es
angemessen zu zeigen und es steht in einer eigenen Kapelle von St. Baaf.
Bei meinem Besuch des Bildes 2014 war die Besichtigung
einfach chaotisch: Man zahlte an der Kasse des Belfrieds und wurde in einen ca. zehn
mal fünf Meter großen Raum gelassen, in dem schon etwa fünfzig bis
sechzig Personen um freie Plätze an der Glasscheibe kämpften. Stöcke
wurden in Rücken gerammt, Leute wurden umgerempelt und nach drei
Minuten suchten wir das Weite. Ich konnte mit meinen über 1,90 Metern ja
noch etwas sehen, aber meine Frau (einen Kopf kleiner) hatte keine
Chance. Als wir dem Tumult entkommen waren, sah ich noch, wie der
Kassierer ungerührt weitere Tickets verkaufte, obwohl längst keiner
mehr in das Räumchen gelangen konnte.
Genter Altarbild von Jan van Eyck und seinem Bruder Hubert
- Der Altar wurde ab 1420 auf Wunsch und Rechnung des
Stifterpaares Joos Vijd und seine Frau Elisabeth Borluut in Auftrag
gegeben und war für die Stifterkapelle des Ehepaares bestimmt. Jan van Eyck
begann des Werk um 1420, vollendete es aber wohl nicht selbst, obwohl
er erst neun Jahre nach seiner Fertigstellung starb. Sein Bruder Hubert vollendete es vemutlich. Anläßlich der Taufe des zweiten Sohnes von Philipp „dem Guten“
wurde der Altar am 6. Mai 1432 feierlich enthüllt, was eine
gewisse Nähe der Stifter zum flämischen Königshaus nahe legt. Die Stifter selbst haben die Fertigstellung noch erlebt: Joos starb 1441, Elisabeth 1443.
Der erste Sohn Philipps des Guten war bereits kurz nach der Geburt gestorben, der gerade getaufte Junge starb kurz darauf ebenfalls und so wurde erst Philipps dritter Sohn später König (unter dem Namen Philipp „der Schöne“). Dessen Sohn Maximilian I. wurde 1508 der erste Kaiser in Europa.
- Das Altarbild ist zum Aufklappen (Rentabel) und blieb bis auf die
drei Feiertagen Weihnachten, Ostern und Allerheiligen immer
geschlossen. In zugeklapptem Zustand sah man auf den Außenflügeln das
Stifterpaar selber. Bei der jetzigen Ausstellung muß man hinter den Altar treten, um sie zu sehen.
- Das erste Wunder ist das Bild selbst. Bei der
aktuellen Restaurierung wurden alle alten Übermalungen, Reparaturen
und Firnißschichten entfernt, bis auf den Lack, den van Eyck selbst
aufgetragen hatte. Da traten Details zutage, die Jahrhunderte lang
versteckt waren und eine Feinheit der Details zeigten, gegen die die
Kölner Malerschule regelrecht grobschlächtig wirkt. Die Augen des Lamms
beispielsweise sind genau ausgeführt, auch wenn man dies aus fünf
Metern Entfernung nicht unbedingt sehen kann. Dankenswerterweise stand
in einer Seitenkapelle ein Großbildmonitor, der diese Details in einem
Endlosvideo zeigte.
Das Lamm - neu restauriert, so daß man die Details erkennen kann
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Detail aus der Adam-Darstellung: Kain erschlägt Abel
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Anbetung des Lamms: Die klugen Jungfrauen |
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Anbetung des Lamms: Die Schriftgelehrten und Pharisäer
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Anbetung des Lamms: Die Engel und die Heiligen
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- Das zweite Wunder des Altars ist seine bloße Existenz angesichts der Irrwege, die seine Teile zurücklegen mußten. Sie überstanden 1500 die erste nicht ganz fachgerechte Restaurierung. 1566
überlebten sie einen calvinistischen Bildersturm, weil der Altar noch
schnell im Kirchturm versteckt werden konnte. Danach wurde der Altar im
Rathaus aufgestellt, weil dies sicherer war als die Kirche. Als Gent 1584 wieder katholisch wurde, kamen die Tafeln zurück in die Vijd-Kapelle und blieben dort bis 1781.
Da kam Kaiser Joseph zu Besuch (der Mozart-Kaiser). Er empfand die
Nacktheit von Adam und Eva als unpassend und um den Kaiser gnädig zu
stimmen, ließ der damalige Bürgermeister die anstößigen Tafeln
entfernen und lagerte sie im Kirchenarchiv ein.
1794 marschierte Napoleon unter anderem auch in
Flandern ein, hatte mit der Religion aber nichts am Hut und ließ die
zentrale Tafel mit dem Lamm für den neu geplanten Louvre nach Paris
bringen (in Bonn hatte er im gleichen Jahr aus einer Jesuitenkirche einen Stall
für 600 Pferde gemacht). Die übrigen Seitentafeln wanderten danach ebenfalls zu Adam und Eva ins Kirchenarchiv.
1816 wurden diese
Seitentafeln an einen Kunsthändler verkauft, der sie zum zwanzigfachen
Preis an den preußischen König Friedrich III. weiter verkaufte.
Friedrich wollte die Tafeln im Berliner Museum ausstellen und ließ sie
mittig habieren, damit man sie an die Wand hängen konnte. Immerhin
überlebten sie das Zersägen und weil sie ja in Berlin waren, konnte
ihnen der Brand von 1822 in
der Genter Kathedrale nichts mehr anhaben. Allerdings brach die
restliche Zentraltafel durch, als man sie in Sicherheit bringen wollte.
1861 kaufte der
gerade gegründete belgische Staat die Adam- und Eva-Tafeln, stellte sie
in Brüssel aus und finanzierte Kopien, in denen beide - züchtig mit
Tierhaut bedeckt - moralisch passend gekleidet erschienen.
Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Der Kanoniker Van den Gheyn fingierte 1914
ein Schreiben an die Deutschen, daß die in Berlin lagernden Teile zur
Sicherheit nach England gebracht werden sollten, damit ihnen in Berlin
nichts passierte. Tatsächlich wurden sie von eingeweihten belgischen
Beamten nach Gent gebracht und dort in einem Gebäude unter Mauern und
Fliesen versteckt. Nach Kriegsende 1918 bestimmte der Versailler Vertrag, daß diese Teile in Belgien bleiben sollten.
1934 gab es einen
Einbruch bei dem die Tafeln mit den Gerechten und die Tafel mit
Johannes dem Täufer gestohlen wurden. Johannes wurde gegen eine höhere
Geldsumme zurückgegeben. Die Tafel mit den Gerechten wurde bislang
nicht wiedergefunden und das ausgestellte Stück ist eine Kopie.
1940 hatte Hitler die
Idee, in Linz/Donau ein Supermuseum für deutsche (!) Kunst einzurichten,
wenn der Endsieg erst erreicht sei. Zu diesem Zweck wurden ca. 7.000
Kunstwerke aus den besetzten Ländern in einen Salzstollen in
Altaussee/Österreich gebracht. 1942
ließ er den Altar ins bayrische Schloß Neuschwanstein bringen, denn bis
zum Bau des Museums würde es ja noch ein paar Jahre dauern. Nachdem es
mit dem Endsieg nicht klappen
wollte, wollte der GröFaZ im April 1944
diesen Salzstollen sprengen, doch die Arbeiter in diesem Stollen
konnten die Sprengladungen herausbringen. Sie sprengten aber den
Eingang der Mine und blockierte so die Zerstörung. Vier Tage später kam
die amerikanische Kunst-Einheit „Monuments Men“ und sicherte die Kunstwerke. Hier lohnt es sich den Film „Monuments Men“ einmal anzusehen, der die Kriegsgeschehnisse um den Genter Altar anschaulich nacherzählt.
Als der Altar 1945 wieder nach
Gent geflogen wurde, gab es ein technisches Problem und der Pilot mußte
auf einem Acker notlanden. Dennoch kam der Altar wieder in Gent an und
seine Ankunft wurde frenetisch bejubelt.
- Seit 1950 wurde immer wieder an
Teilen des Altars restauriert. Seit 2012 erfolgte die
grundlegende, besprochene Restaurierung und die Kathedrale hat nun eine
hervorragende Präsentation entwickelt, bei der man mit einer VR-Brille
per Hologramm und Projektion in die letzten sechshundert Jahre
Geschichte eintauchen kann. Das Gesamtpakelt für € 16,00 (Rundgang und
Altar) kann man nur als preiswert bezeichnen und es ist mehr als jeden
Cent wert. Der Andrang ist groß und man muß ein paar Minuten Wartezeit einkalkulieren.
Der Autor mit der VR-Brille
- Zum Glück liegen um die Kirche genug Restaurants und Cafés. Im Café Rosario schräg gegenüber kriegen wir für € 21,20 zwei riesige, dick belegte Baguettes, einen Tee und einen Latte und werden davon gut satt.
Das nächste Mal checken wir direkt in Gent ein - es ist noch viel zu sehen.
- Video zur Geschichte des Genter Altars:
https://www.youtube.com/watch?v=FPIW-Ye5Rro (15 min. , englisch mit dt. Untertiteln)
- Vergrößerungen des Genter Altar: http://closertovaneyck.kikirpa.be/
- Weitere Links zum Genter Altar
- http://www.deutschlandradiokultur.de/belgien-kunstkrimi-um-zwei-altarbilder.1278.de.html?dram:article_id=283200
https://visit.gent.be/de/die-abenteuer-des-genter-altar
- Links über Gent:
- http://de.wikivoyage.org/wiki/Gent
- http://de.wikipedia.org/wiki/Gent
- Link zum Belfried
- http://de.wikipedia.org/wiki/Belfried_%28Gent%29
- Literatur
Peter Schmidt: Der Genter Altar, Ludion-Verlag, 2014/2024, ISBN 978-94-9181-911-7
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