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Wanderungen
durch die Mark
Brandenburg
1.
Bd.
Die Grafschaft
Ruppin
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Bd. Oderland
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Bd. Havelland
4. Bd. Spreeland
5. Bd. Fünf Schlösser
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Wanderungen
durch die Mark Brandenburg
Bd. 2 "Oderland" (1863)
erstellt
von Martin Schlu 2007
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-
- 1. Teil
Küstrin
- 3. Die
Katte-Tragödie -
Fluchtversuch
- zu
König Friedrich
Wilhelm -
zum
Kronprinz Friedrich
- Stadt und Festung
Küstrin haben eine fünfhundertjährige
Geschichte, die zu skizzieren ich in vorstehendem
bemüht gewesen bin. Nur über einen Tag
innerhalb dieses langen Zeitabschnittes: über den 6.
November 1730, an dem das Haupt Kattes auf Bastion
Brandenburg fiel, bin ich hinweggegangen. Und doch wiegt
dieser Tag schwerer als die Gesamtsumme dessen, was
vorher und nachher an dieser Stelle geschah, und mag als
das Gegenstück zu dem 18. Juni 1675 gelten, zu dem
»Tage von Fehrbellin«. Mit diesen beiden Tagen,
dem heiteren 18. Juni und dem finsteren 6. November,
beginnt unsere Großgeschichte. Aber der 6. November
ist der größere Tag, denn er veranschaulicht
in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus
der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu
liebende Preußen, erwuchs.
-
- Es gibt kaum einen
Abschnitt in unserer Historie, der öfter behandelt
worden wäre als die Katte-Tragödie. Aber so
viele Schilderungen mir vorschweben, das Ereignis selbst
ist bisher immer nur auf den Kronprinzen Friedrich hin
angesehen worden. Oder wenigstens vorzugsweise. Und doch
ist der eigentliche Mittelpunkt dieser Tragödie
nicht Friedrich, sondern Katte. Er ist der Held, und er
bezahlt die Schuld....
-
- Der
Fluchtversuch des Kronprinzen
-
Kriegsgericht
- Seitenanfang
- Schon im November 1729
hatte der Kronprinz vorgehabt, »weil Dero Herr
Vater immer ungnädiger auf ihn geworden«,
außer Landes zu gehen, und seitens des ins
Vertrauen gezogenen Leutnants von Keith, der damals
Pagendienste beim Könige tat, waren einleitende
Schritte geschehen, um die Flucht ins Werk zu setzen.
Aber man stand schließlich von der Ausführung
ab und nahm den Plan erst, nachdem auch ein Entweichen
aus dem sächsischen Lager bei Mühlberg im Mai
1730 gescheitert war, im Juli letztgenannten Jahres
wieder auf.
-
- Um diese Zeit hatte der
König eine Reise nach dem Ansbachschen hin
angetreten, die bis an den Ober- und Unterrhein
ausgedehnt werden sollte. In seiner Begleitung befand
sich wie gewöhnlich der Kronprinz, dem noch im
Momente der Abreise, seitens des inzwischen als
Günstling an die Stelle des von Keith getretenen
Leutnants von Katte, aufs dringendste angeraten worden
war: seine Flucht nicht von Süddeutschland, sondern
lieber erst von Wesel aus zu bewerkstelligen, von welcher
Grenzfestung aus er am leichtesten und schnellsten
über Holland nach England gelangen könne. Diese
Mahnung wurde später schriftlich wiederholt, und
zwar in einem Briefe, den der in Berlin
zurückgebliebene von Katte nach Ansbach hin
richtete. Aber dem Kronprinzen brannte bereits der Boden
unter den Füßen und er antwortete:
- »daß er so lange nicht zu warten, vielmehr
von Sinsheim aus (bei Mannheim) fortzugehen gedenke.
Katte solle nachkommen und ihn, den Kronprinzen, im Haag
unter dem Namen Comte d'Alberville erfragen.
Mißlänge die Flucht, so wolle er in einem
Kloster Zuflucht suchen, wo man unter Skapulier und Kutte
den argen Ketzer nicht entdecken werde.«
- Dieser
der Post anvertraute Brief wurde verhängnisvoll.
...
-
- Da sich zufällig
ein Rittmeister von Katte, ein Vetter des Leutnants, als
Werbeoffizier am Orte befand, so hielt er es für das
Geratenste, diesem den Brief einzuhändigen. Der
Rittmeister von Katte aber, als er von dem Inhalte
Kenntnis genommen, konnte sich seinerseits nicht der
Pflicht entziehen, den Brief durch einen Kurier an den
König zu schicken.
-
- Dieser war mittlerweile
(am 31.) von Ansbach aufgebrochen und ging über
Öttingen, Ludwigsburg und Heilbronn auf Sinsheim zu.
Da letzterer Ort, sehr gegen den Wunsch und Willen des
Königs, am 4. August nicht mehr erreicht werden
konnte, so bequemte man sich, in dem zwei Stunden vorher
gelegenen Dorfe Steinsfurth die Nacht in einer Scheune
zuzubringen. Für die Pläne des Kronprinzen
indes machte Steinsfurth oder Sinsheim keinen
Unterschied, und so beschloß er, in selbiger Nacht
noch seine Flucht von diesem Dorf aus ins Werk zu setzen.
Um 2 Uhr erhob er sich, kleidete sich in einen roten
Roquelaure, der zu diesem Behufe eigens angefertigt war,
und ging auf die Dorfstraße hinaus, wohin er den
Pagen Keith (einen jüngeren Bruder des früher
genannten) mit Pferden bestellt hatte.
-
- Alles dieses war aber
von dem Kammerdiener Gummersbach bemerkt worden, der
nicht säumte, den mit der Beobachtung des
Kronprinzen speziell betrauten Oberstleutnant von Rochow
zu wecken. Dieser sowie Generalmajor von Buddenbrock und
die Obersten von Waldow und von Derschau folgten dem
Kronprinzen auf die Dorfgasse und fanden ihn hier an eine
Wagendeichsel gelehnt, immer noch auf Keith45 und die
Pferde wartend. Die Obersten, über seine Kleidung
erstaunt, baten ihn, die Uniform wieder anzulegen, ehe
ihn der König in diesem Aufzuge sähe. Aber eben
jetzt brachte Keith die Pferde, und Friedrich schickte
sich ohne weiteres an, sich in den Sattel zu werfen und
davonzureiten. Nur mit Mühe gelang es den Obersten,
ihn in die Scheune zurückzunötigen.
- ...
- Prinz Friedrich von
Preußen. Denkmal vor dem Eingangstor zu
Schloß Rheinsberg, Foto: Martin Schlu, April
2007
- Am Abend vorher hatte
man Frankfurt am Main erreicht, allwo der vom Rittmeister
von Katte nachgesandte Kurier dem Könige den
vorerwähnten kompromittierenden Brief
einhändigte. Durch diesen Brief war der Schuldbeweis
gegeben, und der lange zurückgehaltene Zorn brach
jetzt hervor. Das erste Zusammentreffen zwischen Vater
und Sohn fand am Morgen des 8. auf einem Rheinboot statt,
das für die Stromfahrt nach Wesel bestimmt war. Als
der Kronprinz das Schiff betrat, stürzte sich der
König auf ihn und schlug ihn, bis ihn der Oberst von
Waldow durch sein Zwischentreten befreite und auf ein
anderes bereitliegendes Schiff brachte....
-
- Einige Tage nachher
empfingen die mehrgenannten Obersten den Befehl, den
Kronprinzen unter sicherer Bedeckung von Wesel nach
Treuenbrietzen zu schaffen. Schon vorher (ebenfalls am
12.) hatte der König folgende Zeilen an die
Oberhofmeisterin der Königin gerichtet:
»Meine liebe Frau von Kameke. Fritz hat
desertiren wollen. Ich habe mich genöthigt gesehen,
ihn arretiren zu lassen; ich bitte Sie, auf eine gute Art
meine Frau davon zu unterrichten, damit solche Neuigkeit
dieselbe nicht erschrecke. Übrigens beklagen Sie
einen unglücklichen Vater. F.
W.«
- ...
- Am 27. war der
König von Wesel her in Berlin eingetroffen und hatte
schon zwei Stunden später den Arrestanten von Katte
vorfordern lassen. Es war ein schwerer Gang. Die
Prinzessin Wilhelmine stand an einem der hohen Fenster
und sah den Unglücklichen über den
Schloßplatz führen. »Er war bleich und
entstellt«, so schreibt sie, »nahm aber
doch den Hut ab, um mich zu grüßen. Hinter ihm
trug man die Koffer meines Bruders und die seinen, welche
man weggenommen und versiegelt hatte. Gleich darauf
erfuhr der König, dessen Empörung bis dahin
sich gegen uns gerichtet hatte, daß Katte da sei.
Und er verließ uns nun, um den Ausbrüchen
seines Zornes ein neues Ziel zu
geben.«
- Katte bewies eine
Standhaftigkeit, die den König in Verwunderung
setzte, und gestand nur ein, von der Flucht des
Kronprinzen gewußt und die Absicht, ihm zu folgen,
gehabt zu haben. Auf die Frage jedoch, »an welchen
Hof der Prinz sich habe begeben wollen«, antwortete
er, »das wisse er nicht«. Und danach wurde er
in die Gensdarmenwache zurückgebracht.
-
- Während der
Septemberwochen - auch noch bis in den Oktober hinein -
folgte nunmehr Verhör auf Verhör, und als
endlich mit Hilfe derselben ein ausgiebiges Material zur
Anstrengung eines prozessualischen Verfahrens gesammelt
war, wurde die Voruntersuchung geschlossen und ein
Kriegsgericht, das über fünf Angeklagte, in
erster Reihe aber über den Kronprinzen Fritz und den
Leutnant von Katte zu befinden hatte,
zusammenberufen.
-
- Das
Kriegsgericht zu Köpenick
-
Hinrichtung
- Seitenanfang
- ... erst eine
verhältnismäßig sehr neue
Veröffentlichung (1861) ermöglicht einen
solchen Einblick. Diese Veröffentlichung führt
den Titel: »Vollständige Protokolle des
Köpenicker Kriegsgerichts«, und wurde durch
Profes- sor Danneil, den Vorstand des in der Propstei zu
Salzwedel befindlichen Schulenburgschen Familienarchivs,
veranstaltet. In einem kurzen Vorworte gibt der
Herausgeber (Danneil) zunächst Auskunft
darüber, wie dieser Protokollenschatz in das ihm
unterstellte Familienarchiv gelangte. Einfach dadurch,
daß ein Schulenburg, und zwar der Generalleutnant
Achaz von der Schulenburg, der Vorsitzende des
Köpenicker Kriegsgerichts war. »Alle diese
Protokolle«, heißt es dann weiter,
»finden sich in Abschrift vor. Die Originale wurden
dem König überreicht. Sämtliche
Abschriften sind sehr sorgfältig und sicherlich auf
Veranlassung des Generalleutnants von der Schulenburg
selbst angefertigt worden. Ihre Orthographie, weil man
sich an die Originale hielt, weicht hier und dort
untereinander ab. Die von diesen Verhandlungen
bisher allein bekannt
gewordene Kabinettsorder vom 1. November 1730 (in der der
König das nicht auf Tod lautende Urteil des
Kriegsgerichts umstößt, um es seinerseits zu
verschärfen) stimmt mit dem Abdruck derselben bei
Preuß bis auf wenige unwesentliche Punkte
überein.«
-
- Der 28. war der Tag des
eigentlichen Kriegsgerichts, an dem das Endurteil
gefällt werden sollte und auch wirklich gefällt
wurde. Dies Urteil in seiner ganzen weit gedehnten
Motivierung hier zu bringen, verbietet der Raum, weshalb
ich mich auf Wiedergabe des vorerwähnten Achaz von
der Schulenburgschen Separatvotums beschränke.
Dieses Separatvotum deckt sich inhaltlich mit dem
kriegsgerichtlichen Spruch und mag deshalb in Vertretung
desselben hier seine Stelle finden. Es
lautete:
-
- »Nach
fleißiger und genauer Erwägung
sämmtlicher dem General-Kriegs-Gericht
vorgelegenen Akten finde ich, Praeses dieses
Gerichtes, nach meinem Gewissen und abgestatteten Eyde
mich verbunden:
- 1. Was den
Cron-Printzen betrifft, denen sämmtlichen dahin
gehenden Votis beyzufallen, daß deßelben
jetzige Sache nach ihren Umständen von einem
Krieges-Recht nicht gesprochen werden könne,
sondern Sr. K. M. zu überlassen sey,
welchergestalt Sie deßen wiederholte
wehmüthige Reu-Bezeugung, submission und Bitte
als König und Vater in Gnaden anzusehen geruhen
mögten.
- 2. So viel den
Hans Hermann Katten anlanget, muß ich denjenigen
Votis beystimmen, welche ewigen Vestungs-Arrest
erkannt haben, Allermaßen desselben sonst
böser Raht und Anschläge, auch seine dem
Cron-Printzen zur Flucht so offt versprochene und
abgeredete Hülffe dennoch zu keinem Effect und
Würcklichkeit gelanget. Aus meiner gesunden
Vernunft aber und vor mich ich nicht anders begreiffen
kann, als daß auch in den größten
Verbrechen ein sonderbahrer Unterschied zwischen
würklicher Vollziehung der vorgenommenen
bösen That und zwischen denen dazu allererst
genommenen Mesures seyn müsse, und eine Lebens
Straffe zwar bey jener, nicht aber bey diesen
stattfinden könne. Und da es in diesem Falle noch
zu keiner würklichen Desertion gekommen, so kann
ich nach meinem besten Wißen und Gewißen,
auch dem theuer geleisteten Richter-Eyde
gemäß, den Katten mit keiner
Lebens-Straffe, sondern mit ewigem
Gefängniß zu belegen mich
entschließen.«
-
- Am selbigen,
spätestens an dem darauf folgenden Tage wurde das
Urteil - wahrscheinlich unter Beischluß der
Separatvota - dem zu Schloß Wusterhausen in
finsterer Ungeduld wartenden König
eingehändigt. Er war nicht befriedigt und sandte
folgende Bemerkung zurück:
-
- »Sie
sollen recht sprechen und nicht mit dem Flederwisch
darüber gehen. Das Kriegsgericht soll wieder
zusammenkommen und anders
sprechen.«
-
- Worauf nun, de dato
Wusterhausen am 1. November 1730, jener königliche
Machtspruch erfolgte, der den durch Kriegsgericht
lediglich zu lebenslänglicher Festungshaft
verurteilten Katte mit dem Tode bestrafte. Unter
Fortlassung einiger weniger, die drei mitangeklagten
Leutnants von Keith, von Spaen und von Ingersleben48
betreffenden Sätze, lautete diese berühmt
gewordene »Cabinetsordre« wie
folgt:
-
- »Se.
Königliche Majestät in Preußen, Unser
allergnädigster König und Herr, haben das
Denenselben eingesandte Kriegs-Recht durchlesen, und
sind mit demselben in allen Stücken sehr wohl
zufrieden.«
-
- »Was aber
den Lieutenant von Katt und dessen Verbrechen, auch
die vom Kriegs-Recht deshalb gefällte Sentence
anlanget, so sind S. K. M. zwar nicht gewohnt, die
Kriegs-Rechte zu schärfen, sondern vielmehr, wo
es möglich, zu mindern, dieser Katt aber ist
nicht nur in meinen Diensten Offizier bey der Armee,
sondern auch bey der Garde Gens D'Armes, und da bey
der ganzen Armee meine Offiziers mir getreu und hold
sein müssen, so muß solches um so mehr
geschehen von den Offiziers von solchen Regimentern,
indem bey solchen ein großer Unterschied ist,
denn Sie immediatement Sr. Königl. Majestät
und Dero Königlichem Hause attachirt seyn, um
Schaden und Nachtheil zu verhüten, vermöge
eines Eides.
-
- Da aber dieser
Katt mit der künftigen Sonne tramiret, zur
Desertion mit fremden Ministern und Gesandten allemal
durch einander gestecket, und er nicht davor gesetzet
worden, mit dem Kronprinzen zu complottiren, au
contraire es Sr. Königlichen Majestät und
dem Herrn General-Feldmarschall von Natzmer hätte
angeben sollen, so wüßten S. K. M. nicht,
was vor kahle Raisons das Kriegs-Recht genommen, und
ihm das Leben nicht abgesprochen hätten. S. K. M.
werden auf die Art sich auf keinen Offizier noch
Diener, die in Eid und Pflicht stehen, verlassen
können. Denn solche Sachen, die einmal in der
Welt geschehen, können öfters geschehen. Es
würden aber dann alle Thäter den
Prätext nehmen, wie es Katten wäre ergangen,
und weil der so leicht und gut durchgekommen
wäre, ihnen desgleichen geschehen
müßte. S. K.
-
- M. seynd in
Dero Jugend auch durch die Schule geloffen, und haben
das lateinische Sprüchwort gelernet: Fiat
Justitia et pereat mundus! Also wollen Sie hiermit,
und zwar von Rechtswegen, daß der Katte, ob er
schon nach denen Rechten verdient gehabt, wegen des
begangenen Crimen Laesae Majestatis mit glühenden
Zangen gerissen und aufgehenket zu werden, Er dennoch
nur, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwert
vom Leben zum Tode gebracht werden solle. Wenn das
Kriegs-Recht dem Katten die Sentence publicirt, soll
ihm gesagt werden, daß es Sr. K. M. leid
thäte, es wäre aber besser, daß er
stürbe, als daß die Justiz aus der Welt
käme.
- F.
Wilhelm.«
-
-
- Hinrichtung
-
Seitenanfang
-
- Der 6. November
1730
- Der nächste Morgen
war für die Hinrichtung bestimmt. Eine Relation des
Majors von Schack, die derselbe dienstlich an den
Feldmarschall von Natzmer richtete, enthält eine
genaue Schilderung aller Vorgänge von dem Augenblick
an, wo Katte am 5. nachmittags am Küstriner Tore
eintraf. Es ist aus dieser Relation, daß ich
nachstehendes entnehme.
-
- ... Als ich
alles dieses erfahren, ging ich zu dem seligen Herrn
von Katt, nicht ohne Wehmuth und Betrübniß
des Herzens, und sagte ihm, "daß sein Ende
näher sei, als er vielleicht vermuthe". Er fragte
auch unerschrocken, "wann und um welche Zeit?" Da ich
ihm solches hinterbracht, antwortete er mir: "es ist
mir lieb; je eher je lieber"....
Darauf hat ihm
der Gouverneur v. Lepel Essen, Wein und Bier
geschickt, wovon er auch gegessen und
getrunken....
Etwas
später schickte der Herr Präsident von
Münchow auch Essen und ungarischen Wein, wovon er
auch genossen. Dann aber nahm unser Feldprediger
Müller den dasigen Garnisonprediger Besser mit
zur Hülfe und blieb in beständiger Arbeit
mit ihm. Von 8 bis 9 Uhr war ich mit den anderen
Offiziers bey ihm, und wir sangen und beteten mit.
Weil aber die Prediger gern mit ihm allein sein
wollten, gingen wir weg....
-
- Wie kurz vor
7 das Commando der Gens d'Armes da war, fragte er
mich: "Ob es Zeit wäre?" Wie ich solches mit
Ja beantwortet, nahm er Abschied von mir, gieng
hinaus, und das Commando nahm ihn in die Mitte; der
eine Prediger ging zur Rechten, der andre zur
Linken, und beteten und sprachen ihm immer vor. Er
gieng ganz frey und munter, den Hut unter dem Arm,
nicht gezwungen noch affektirt, sondern ganz
naturell weg.
Er war ein
Paar hundert Schritte längs dem Wall
geführet, und waren die Zugänge des Walls
militairisch besetzt, so daß wenig Menschen
oben waren. Im Kreise ward ihm nochmals die Sentenz
vorgelesen, ich kann aber hoch versichern,
daß ich vor Betrübniß nichts
gehöret habe, und wußt' auch nicht drey
Worte zusammen zu bringen. Bei Vorlesung der
Sentenz stund er ganz frey; wie solches vorbey,
fragte er nach den Offiziers von den Gens d'Armes,
gieng ihnen entgegen und nahm Abschied. Hernach
ward er eingesegnet. Darauf gab er die Peruque an
meinen Kerl, der ihm eine Mütze darreichte,
ließ sich den Rock ausziehen und die
Halsbinde aufmachen, riß sich selbst das Hemd
herunter, ganz frey und munter, als wenn er sich
sonsten zu einer serieusen Affaire präpariren
sollen, gieng hin, knieete auf den Sand nieder,
rückte sich die Mütze in die Augen und
fing laut selbst an zu beten: "Herr Jesu! Dir leb'
ich" usw. Weil er aber meinem Kerl gesagt, er
sollt' ihm die Augen verbinden, sich aber hernach
resolviret, die Mütze in die Augen zu ziehen,
so wollte der Kerl, der schrecklich consterniret,
ihm immer noch die Augen verbinden, bis von Katt
ihm mit der Hand winkte und den Kopf
schüttelte.
Darauf fing
er nochmalen an zu beten: "Herr Jesu!" welches noch
nicht aus war, so flog der Kopf weg, welchen mein
Kerl aufnahm, und wieder an seinen Ort setzte.
Seine Présence d'Esprit bis auf die letzte
Minute kann nicht genug admiriren. Seine
Standhaftigkeit und Unerschrockenheit werde mein
Tage nicht vergessen, und durch seine Zubereitung
zum Tode habe vieles gelernet, so noch weniger zu
vergessen
wünsche.«
-
- (zitierte Quelle:
Theodor Fontane, ...Wanderungen... Neue Ausgabe Bd. 10,
267 - 288)
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