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Biographie
Das
häßliche junge
Entlein
Das
Feuerzeug
Die
Nachtigall
Der fliegende Koffer
Literatur |
- Hans
Christian Andersen
Die Nachtigall - zurück - weiter
- In China, weißt du ja wohl, ist
der Kaiser ein Chinese, und alle, die er um sich hat,
sind Chinesen. Es sind nun viele Jahre her, aber gerade
deshalb ist es wert, die Geschichte zu hören, ehe
sie vergessen wird. Des Kaisers Schloß war das
prächtigste der Welt, ganz und gar von feinem
Porzellan, so kostbar, aber so spröde, so
mißlich daran zu rühren, daß man sich
ordentlich in acht nehmen mußte. Im Garten sah man
die wunderbarsten Blumen, und an die
allerprächtigsten waren Silberglocken gebunden, die
erklangen, damit man nicht vorbeigehen möchte, ohne
die Blumen zu bemerken. Ja, alles war in des Kaisers
Garten fein ausgedacht, und er erstreckte sich so weit,
daß der Gärtner selbst das Ende nicht kannte;
ging man immer weiter, so kam man in den herrlichsten
Wald mit hohen Bäumen und tiefen Seen. Der Wald ging
gerade hinunter bis zum Meere, das blau und tief war.
Große Schiffe konnten unter den Zweigen hinsegeln,
und in diesen wohnte eine Nachtigall, die so herrlich
sang, daß selbst der arme Fischer, der soviel
anderes zu tun hatte, stillhielt und horchte, wenn er
nachts ausgefahren war, um das Fischnetz aufzuziehen.
"Ach Gott, wie ist das schön!" sagte er, aber dann
mußte er auf sein Netz achtgeben und vergaß
den Vogel; doch wenn dieser in der nächsten Nacht
wieder sang und der Fischer dorthin kam, sagte er wieder:
"Ach Gott, wie ist das doch schön!"
- Von allen Ländern kamen Reisende
nach der Stadt des Kaisers und bewunderten sie, das
Schloß und den Garten; doch wenn sie die Nachtigall
zu hören bekamen, sagten sie alle: "Das ist doch das
Beste!"
-
- Die Reisenden erzählten davon,
wenn sie nach Hause kamen, und die Gelehrten schrieben
viele Bücher über die Stadt, das Schloß
und den Garten, aber die Nachtigall vergaßen sie
nicht, sie wurde am höchsten gestellt, und die,
welche dichten konnten, schrieben die herrlichsten
Gedichte über die Nachtigall im Walde bei dem tiefen
See.
-
- Die Bücher durchliefen die Welt,
und einige kamen dann auch einmal zum Kaiser. Er
saß in seinem goldenen Stuhl, las und las, jeden
Augenblick nickte er mit dem Kopfe, denn er freute sich
über die prächtigen Beschreibungen der Stadt,
des Schlosses und des Gartens. "Aber die Nachtigall ist
doch das Allerbeste!" stand da geschrieben.
-
- "Was ist das?" fragte der Kaiser.
"Die Nachtigall kenne ich ja gar nicht! Ist ein solcher
Vogel hier in meinem Kaiserreiche und sogar in meinem
Garten? Das habe ich nie gehört; so etwas soll man
erst aus Büchern erfahren?"
-
- Da rief er seinen Haushofmeister. Der
war so vornehm, daß, wenn jemand, der geringer war
als er, mit ihm zu sprechen oder ihn um etwas zu fragen
wagte, er weiter nichts erwiderte als: "P!" Und das hat
nichts zu bedeuten.
- "Hier soll ja ein höchst
merkwürdiger Vogel sein, der Nachtigall genannt
wird!" sagte der Kaiser. "Man spricht, dies sei das
Allerbeste in meinem großen Reiche; weshalb hat man
mir nie etwas davon gesagt?"
-
- "Ich habe ihn früher nie nennen
hören", sagte der Haushofmeister. "Er ist nie bei
Hofe vorgestellt worden!"
-
- "Ich will, daß er heute abend
herkomme und vor mir singe!" sagte der Kaiser. "Die ganze
Welt weiß, was ich habe, und ich weiß es
nicht!"
-
- "Ich habe ihn früher nie nennen
hören!" sagte der Haushofmeister. "Ich werde ihn
suchen, ich werde ihn finden!"
-
- Aber wo war er zu finden? Der
Haushofmeister lief alle Treppen auf und nieder, durch
Säle und Gänge, keiner von allen denen, auf die
er traf, hatte von der Nachtigall sprechen hören.
Und der Haushofmeister lief wieder zum Kaiser und sagte,
daß es sicher eine Fabel von denen sei, die da
Bücher schreiben. "Dero Kaiserliche Majestät
können gar nicht glauben, was da alles geschrieben
wird; das sind Erdichtungen und etwas, was man die
schwarze Kunst nennt!"
-
- "Aber das Buch, in dem ich dieses
gelesen habe", sagte der Kaiser, "ist mir von dem
großmächtigen Kaiser von Japan gesandt, also
kann es keine Unwahrheit sein. Ich will die Nachtigall
hören; sie muß heute abend hier sein! Sie hat
meine höchste Gnade! Und kommt sie nicht, so soll
dem ganzen Hof auf den Leib getrampelt werden, wenn er
Abendbrot gegessen hat!"
-
- "Tsing-pe!" sagte der Haushofmeister
und lief wieder alle Treppen auf und nieder, durch alle
Säle und Gänge; und der halbe Hof lief mit,
denn sie wollten nicht gern auf den Leib getrampelt
werden. Da gab es ein Fragen nach der merkwürdigen
Nachtigall, die von aller Welt gekannt war, nur von
niemand bei Hofe.
-
- Endlich trafen sie ein kleines, armes
Mädchen in der Küche. Sie sagte: "O Gott, die
Nachtigall, die kenne ich gut, ja, wie kann die singen!
Jeden Abend habe ich die Erlaubnis, meiner armen, kranken
Mutter einige Überbleibsel vom Tische mit nach Hause
zu bringen. Sie wohnt unten am Strande, wenn ich dann
zurückgehe, müde bin und im Walde ausruhe,
höre ich Nachtigall singen. Es kommt mir dabei das
Wasser in die Augen, und es ist gerade, als ob meine
Mutter mich küßte!"
-
- "Kleine Köchin", sagte der
Haushofmeister, "ich werde dir eine feste Anstellung in
der Küche und die Erlaubnis, den Kaiser speisen zu
sehen, verschaffen, wenn du uns zur Nachtigall
führen kannst; denn sie ist zu heute abend
angesagt."
-
- So zogen sie allesamt hinaus in den
Wald, wo die Nachtigall zu singen pflegte; der halbe Hof
war mit. Als sie im besten Zuge waren, fing eine Kuh zu
brüllen an.
-
- "Oh!" sagten die Hofjunker, "nun
haben wir sie; das ist doch eine merkwürdige Kraft
in einem so kleinen Tiere! Die habe ich sicher schon
früher gehört!"
-
- "Nein, das sind Kühe, die
brüllen!" sagte die kleine Köchin. "Wir sind
noch weit von dem Orte entfernt!"
- Nun quakten die Frösche im
Sumpfe.
-
- "Herrlich!" sagte der chinesische
Schloßpropst. "Nun höre ich sie, es klingt
gerade wie kleine Tempelglocken."
- "Nein, das sind Frösche!" sagte
die kleine Köchin. "Aber nun, denke ich werden wir
sie bald hören!"
-
- Da begann die Nachtigall zu
singen.
-
- "Das ist sie", sagte das kleine
Mädchen. "Hört, hört! Und da sitzt sie!"
Sie zeigte nach einem kleinen, grauen Vogel oben in den
Zweigen.
-
- "Ist es möglich?" sagte der
Haushofmeister. "So hätte ich sie mir nimmer
gedacht; wie einfach sie aussieht! Sie hat sicher ihre
Farbe darüber verloren, daß sie so viele
vornehme Menschen um sich erblickt!"
- "Kleine Nachtigall", rief die kleine
Köchin ganz laut, unser gnädigste Kaiser will,
daß Sie vor ihm singen möchten!"
- "Mit dem größten
Vergnügen", sagte die Nachtigall und sang dann,
daß es eine Lust war.
- "Es ist gerade wie Glasglocken!"
sagte der Haushofmeister. "Und seht die kleine Kehle, wie
sie arbeitet! Es ist merkwürdig, daß wir sie
früher nie gesehen haben; sie wird großes
Aufsehen bei Hofe machen!"
- "Soll ich noch einmal vor dem Kaiser
singen?" fragte die Nachtigall, die glaubte, der Kaiser
sei auch da.
- "Meine vortreffliche, kleine
Nachtigall", sagte der Haushofmeister, "ich habe die
große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute abend
einzuladen, wo Sie Dero hohe Kaiserliche Gnaden mit Ihrem
prächtigen Gesange bezaubern werden!"
-
- "Der nimmt sich am besten im
Grünen aus!" sagte die Nachtigall, aber sie kam doch
gern mit, als sie hörte, daß der Kaiser es
wünschte.
-
- Auf dem Schlosse war alles
aufgeputzt. Wände und Fußboden, die von
Porzellan waren, glänzten im Strahle vieler tausend
goldener Lampen, und die prächtigsten Blumen, die
recht klingeln konnten, waren in den Gängen
aufgestellt. Da war ein Laufen und ein Zugwind, aber alle
Glocken klingelten so, daß man sein eigenes Wort
nicht hören konnte.
-
- Mitten in dem großen Saal, wo
der Kaiser saß, war ein goldener Stab hingestellt,
auf dem sollte die Nachtigall sitzen. Der ganze Hof war
da, und die kleine Köchin hatte die Erlaubnis
erhalten, hinter der Tür zu stehen, da sie nun den
Titel einer wirklichen Hofköchin bekommen hatte.
Alle waren in ihrem größten Staate, und alle
sahen nach dem kleinen, grauen Vogel, dem der Kaiser
zunickte.
-
- Die Nachtigall sang so herrlich,
daß dem Kaiser die Tränen in die Augen traten,
die Tränen liefen ihm über die Wangen
hernieder, und da sang die Nachtigall noch schöner;
das ging recht zu Herzen. Der Kaiser war sehr erfreut und
sagte, daß die Nachtigall einen goldenen Pantoffel
um den Hals tragen solle. Aber die Nachtigall dankte, sie
habe schon Belohnung genug erhalten.
-
- "Ich habe Tränen in des Kaisers
Augen gesehen, das ist mir der reichste Schatz! Gott
weiß es, ich bin genug belohnt!" Und darauf sang
sie wieder mit ihrer süßen, herrlichen
Stimme.
-
- "Das ist die liebenswürdigste
Stimme, die wir kennen!" sagten die Damen ringsherum, und
dann nahmen sie Wasser in den Mund, um zu klucken, wenn
jemand mit ihnen spräche; sie glaubten, dann auch
Nachtigallen zu sein. Ja, die Diener und
Kammermädchen ließen melden, daß auch
sie zufrieden seien, und das will viel sagen, denn sie
sind am schwierigsten zu befriedigen. Ja, die Nachtigall
machte wahrlich Glück.
-
- Sie sollte nun bei Hofe bleiben,
ihren eigenen Käfig haben, samt der Freiheit,
zweimal des Tages und einmal des Nachts
herauszuspazieren. Sie bekam zwölf Diener mit, die
ihr ein Seidenband um das Bein geschlungen hatten, woran
sie sie festhielten. Es war durchaus kein Vergnügen
bei solchem Ausflug.
-
- Die ganze Stadt sprach von dem
merkwürdigen Vogel, und begegneten sich zwei, dann
seufzten sie und verstanden einander: Ja, elf
Hökerkinder <elternlose Kinder, die bei Bedarf als Sklaven verkauft (verhökert) wurden> wurden nach ihr benannt, aber nicht eins
von ihnen hatte einen Ton in der Kehle.
-
- Eines Tages erhielt der Kaiser eine
Kiste, auf der geschrieben stand: "Die
Nachtigall."
-
- "Da haben wir nun ein neues Buch
über unseren berühmten Vogel!" sagte der
Kaiser; aber es war kein Buch, es war ein
Kunststück, das in einer Schachtel lag, eine
künstliche Nachtigall, die der lebenden gleichen
sollte, aber überall mit Diamanten, Rubinen und
Saphiren besetzt war. Sobald man den künstlichen
Vogel aufzog, konnte er eins der Stücke, die der
wirkliche sang, singen, und dann bewegte sich der Schweif
auf und nieder und glänzte von Silber und Gold. Um
den Hals hing ein kleines Band, und darauf stand
geschrieben: "Des Kaisers von Japan Nachtigall ist arm
gegen die des Kaisers von China."
-
- "Das ist herrlich!" sagten alle, und
der Mann, der den künstlichen Vogel gebracht hatte,
erhielt sogleich den Titel: 'Kaiserlicher
Oberhofnachtigallbringer'.
-
- "Nun müssen sie zusammen singen!
Was wird das für ein Genuß
werden!"
-
- Sie mußten zusammen singen,
aber es wollte nicht recht gehen, denn die wirkliche
Nachtigall sang auf ihre Weise, und der Kunstvogel ging
auf Walzen. "Der hat keine Schuld", sagte der
Spielmeister; "der ist besonders taktfest und ganz nach
meiner Schule!" Nun sollte der Kunstvogel allein singen.
Er machte ebenso viel Glück wie der wirkliche, und
dann war er viel niedlicher anzusehen; er glänzte
wie Armbänder und Brustnadeln.
-
- Dreiunddreißigmal sang er ein
und dasselbe Stück und war doch nicht müde; die
Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört,
aber der Kaiser meinte, daß nun auch die lebendige
Nachtigall etwas singen solle. Aber wo war die? Niemand
hatte bemerkt, daß sie aus dem offenen Fenster fort
zu ihren grünen Wäldern geflogen
war.
-
- "Aber was ist denn das?" fragte der
Kaiser; und alle Hofleute schalten und meinten, daß
die Nachtigall ein höchst undankbares Tier sei. "Den
besten Vogel haben wir doch!" sagten sie, und so
mußte der Kunstvogel wieder singen, und das war das
vierunddreißigste Mal, daß sie dasselbe
Stück zu hören bekamen, aber sie konnten es
noch nicht ganz auswendig, denn es war sehr schwer. Der
Spielmeister lobte den Vogel außerordentlich, ja,
er versicherte, daß er besser als die wirkliche
Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen
herrlichen Diamanten betreffe, sondern auch
innerlich.
-
- "Denn sehen Sie, meine Herrschaften,
der Kaiser vor allen! Bei der wirklichen Nachtigall kann
man nie berechnen, was da kommen wird, aber bei dem
Kunstvogel ist alles bestimmt; man kann es erklären,
man kann ihn aufmachen und das menschliche Denken zeigen,
wie die Walzen liegen, wie sie gehen und wie das eine aus
dem andern folgt!"
-
- "Das sind ganz unsere Gedanken!"
sagten sie alle, und der Spielmeister erhielt die
Erlaubnis, am nächsten Sonntag den Vogel dem Volke
vorzuzeigen. Es sollte ihn auch singen hören, befahl
der Kaiser, und es hörte ihn, und es wurde so
vergnügt, als ob es sich im Tee berauscht
hätte, denn das ist ganz chinesisch; und da sagten
alle: "Oh!" und hielten den Zeigefinger in die Höhe
und nickten dazu. Aber die armen Fischer, welche die
wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: "Es
klingt hübsch, die Melodien gleichen sich auch, aber
es fehlt etwas, wir wissen nicht was!"
-
- Die wirkliche Nachtigall ward aus dem
Lande und Reiche verwiesen.
-
- Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf
einem seidenen Kissen dicht bei des Kaisers Bett; alle
Geschenke, die er erhalten, Gold und Edelsteine, lagen
rings um ihn her, und im Titel war er zu einem
,Hochkaiserlichen Nachttischsänger' gestiegen, im
Range Numero eins zur linken Seite, denn der Kaiser
rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das
Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser
links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von
fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel;
das war so gelehrt und lang, voll von den allerschwersten
chinesischen Wörtern, daß alle Leute sagten,
sie haben es gelesen und verstanden, denn sonst
wären sie ja dumm gewesen und auf den Leib
getrampelt worden.
-
- So ging es ein ganzes Jahr; der
Kaiser, der Hof und alle die übrigen Chinesen
konnten jeden kleinen Kluck in des Kunstvogels Gesang
auswendig, aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am
allerbesten; sie konnten selbst mitsingen, und das taten
sie. Die Straßenbuben sangen." Ziziiz!
Kluckkluckkluck!" und der Kaiser sang es. Ja, das war
gewiß prächtig!
-
- Aber eines Abends, als der Kunstvogel
am besten sang und der Kaiser im Bette lag und darauf
hörte, sagte es "Schwupp" inwendig im Vogel; da
sprang etwas. "Schnurrrr!" Alle Räder liefen herum,
und dann stand die Musik still.
-
- Der Kaiser sprang gleich aus dem
Bette und ließ seinen Leibarzt rufen. Aber was
konnte der helfen? Dann ließen sie den Uhrmacher
holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen brachte er
den Vogel etwas in Ordnung, aber er sagte, daß er
sehr geschont werden müsse, denn die Zapfen seien
abgenutzt, und es sei unmöglich, neue so
einzusetzen, daß die Musik sicher gehe. Das war nun
eine große Trauer! Nur einmal des Jahres durfte man
den Kunstvogel singen lassen, und das war fast schon
zuviel, aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede
mit schweren Worten und sagte, daß es ebensogut wie
früher sei, und dann war es ebensogut wie
früher.
-
- Nun waren fünf Jahre vergangen,
und das ganze Land bekam eine wirkliche, große
Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde allesamt
große Stücke auf ihren Kaiser, und jetzt war
er krank und konnte nicht länger leben. Schon war
ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand
draußen auf der Straße und fragte den
Haushofmeister, wie es seinem alten Kaiser
gehe.
-
- "P!" sagte er und schüttelte mit
dem Kopfe.
-
König Christian IV. auf dem Totenbett, Sammlung Schloß Rosenborg, Foto: ©Martin Schlu 2010
- Kalt und bleich lag der Kaiser in
seinem großen, prächtigen Bett. Der ganze Hof
glaubte ihn tot, und ein jeder lief, den neuen Kaiser zu
begrüßen, die Kammerdiener liefen hinaus, um
darüber zu sprechen, und die Kammermädchen
hatten große Kaffeegesellschaft. Ringsumher in
allen Sälen und Gängen war Tuch gelegt, damit
man niemand gehen höre, und deshalb war es sehr
still. Aber der Kaiser war noch nicht tot; steif und
bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den langen
Samtvorhängen und den schweren Goldquasten, hoch
oben stand ein Fenster auf, und der Mond schien herein
auf den Kaiser und den Kunstvogel.
-
- Der arme Kaiser konnte kaum atmen, es
war gerade, als ob etwas auf seiner Brust
säße. Er schlug die Augen auf, und da sah er,
daß es der Tod war. Er hatte sich eine goldene
Krone aufgesetzt und hielt in der einen Hand des Kaisers
goldenen Säbel, in der andern seine prächtige
Fahne. Ringsumher aus den Falten der großen
Samtbettvorhänge sahen allerlei wunderliche
Köpfe hervor, einige ganz häßlich, andere
lieblich und mild; das waren des Kaisers gute und
böse Taten, die ihn anblickten, jetzt, da der Tod
ihm auf dem Herzen saß.
-
- "Entsinnst du dich dessen?" Und dann
erzählten sie ihm so viel, daß ihm der
Schweiß von der Stirne rann.
-
- "Das habe ich nie gewußt!"
sagte der Kaiser. "Musik, Musik, die große
chinesische Trommel", rief er, "damit ich nicht alles zu
hören brauche, was sie sagen!"
-
- Aber sie fuhren fort, und der Tod
nickte wie ein Chinese zu allem, was gesagt wurde.
"Musik, Musik!" schrie der Kaiser. "Du kleiner herrlicher
Goldvogel, singe doch, singe! Ich habe dir Gold und
Kostbarkeiten gegeben, ich habe dir selbst meinen
goldenen Pantoffel um den Hals gehängt, singe doch,
singe!"
-
- Aber der Vogel stand still, es war
niemand da, um ihn aufzuziehen, sonst sang er nicht, und
der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen,
leeren Augenhöhlen anzustarren, und es war still,
erschrecklich still.
-
- Da klang auf einmal vom Fenster her
der herrlichste Gesang. Es war die kleine, lebendige
Nachtigall, die auf einem Zweige draußen saß.
Sie hatte von der Not ihres Kaisers gehört und war
deshalb gekommen, ihm Trost und Hoffnung zu singen; und
so wie sie sang, wurden die Gespenster bleicher und
bleicher, das Blut kam immer rascher und rascher in des
Kaisers schwachen Gliedern in Bewegung, und selbst der
Tod horchte und sagte: "Fahre fort, kleine Nachtigall!
Fahre fort!"
-
- "Ja, willst du mir den
prächtigen, goldenen Säbel geben? Willst du mir
die reiche Fahne geben? Willst du mir des Kaisers Krone
geben?"
-
Krone Christians IV; Sammlung Schloß Rosenborg, Foto: ©Martin Schlu 2010
- Der Tod gab jedes Kleinod für
einen Gesang, und die Nachtigall fuhr fort zu singen. Sie
sang von dem stillen Gottesacker, wo die weißen
Rosen wachsen, wo der Flieder duftet und wo das frische
Gras von den Tränen der Überlebenden befeuchtet
wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und
schwebte wie ein kalter, weißer Nebel aus dem
Fenster.
-
- "Dank, Dank!" sagte der Kaiser, "du
himmlischer, kleiner Vogel, ich kenne dich wohl! Dich
habe ich aus meinem Lande und Reich gejagt, und doch hast
du die bösen Geister von meinem Bette weggesungen,
den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich dir
lohnen?"
-
- "Du hast mich belohnt!" sagte die
Nachtigall. "Ich habe deinen Augen Tränen entlockt,
als ich das erstemal sang, das vergesse ich nie; das sind
die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen. Aber
schlafe nun und werde stark, ich werde dir
vorsingen!"
-
- Sie sang, und der Kaiser fiel in
süßen Schlummer; mild und wohltuend war der
Schlaf!
-
- Die Sonne schien durch das Fenster
herein, als er gestärkt und gesund erwachte. Keiner
von seinen Dienern war noch zurückgekehrt; denn sie
glaubten, er sei tot; aber die Nachtigall saß noch
und sang.
-
- "Immer mußt du bei mir
bleiben!" sagte der Kaiser. "Du sollst nur singen, wenn
du selbst willst, und den Kunstvogel schlage ich in
tausend Stücke."
-
- "Tue das nicht", sagte die
Nachtigall, "der hat ja das Gute getan, solange er
konnte, behalte ihn wie bisher. Ich kann nicht nisten und
wohnen im Schlosse, aber laß mich kommen, wenn ich
selbst Lust habe, da will ich des Abends dort beim
Fenster sitzen und dir vorsingen, damit du froh werden
kannst und gedankenvoll zugleich. Ich werde von den
Glücklichen singen und von denen, die da leiden; ich
werde vom Bösen und Guten singen, was rings um dich
her dir verborgen bleibt. Der kleine Singvogel fliegt
weit herum zu dem armen Fischer, zu des Landmanns Dach,
zu jedem, der weit von dir und deinem Hofe entfernt ist.
Ich liebe dein Herz mehr als deine Krone, und doch hat
die Krone einen Duft von etwas Heiligem um sich. Ich
komme und singe dir vor! Aber eins mußt du mir
versprechen!"
-
- "Alles!" sagte der Kaiser und stand
da in seiner kaiserlichen Tracht, die er angelegt hatte,
und drückte den Säbel, der schwer von Gold war,
an sein Herz. "Um eins bitte ich dich; erzähle
niemand, daß du einen kleinen Vogel hast, der dir
alles sagt, dann wird es noch besser gehen!"
-
- So flog die Nachtigall
fort.
-
- Die Diener kamen herein, um nach
ihrem toten Kaiser zu sehen; ja, da standen sie, und der
Kaiser sagte: "Guten Morgen!"
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Feuerzeug
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