Anfangsseite
Biographie
Das
häßliche junge
Entlein
Das
Feuerzeug
Die
Nachtigall
Der fliegende Koffer
Literatur |
- Hans
Christian Andersen
Der fliegende Koffer
- zurück - weiter
-
- Es war einmal ein Kaufmann, der war so reich, dass
er die ganze Straße und fast noch eine kleine Gasse mit Silbergeld
pflastern konnte; aber das tat er nicht, er wusste sein Geld anders
anzuwenden, und gab er einen Groschen aus, so bekam er einen Taler
wieder, ein so kluger Kaufmann war er - bis er starb.
Der Sohn bekam nun all dieses Geld, und er lebte lustig, ging jeden Tag
einem anderen Vergnügen nach, machte Papierdrachen von Talerscheinen
und warf in das Wasser mit Goldstücken anstatt mit einem Steine. So
konnte das Geld wohl zu Ende gehen. Zuletzt besaß er nicht mehr als
vier Groschen und hatte keine anderen Kleider als ein Paar Schuhe und
einen alten Schlafrock. Nun kümmerten sich seine Freunde nicht mehr um
ihn, da sie ja nicht zusammen auf die Straße gehen konnten; aber einer
von ihnen, der gutmütig war, sandte ihm einen alten Koffer mit der
Bemerkung: "Packe ein!" Ja, das war nun ganz gut, aber er hatte nichts
einzupacken, darum setzte er sich selbst in den Koffer.
Das war ein merkwürdiger Koffer. Sobald man an das Schloss drückte,
konnte der Koffer fliegen. Das tat nun der Mann, und sogleich flog er
mit dem Koffer durch den Schornstein hoch über die Wolken hinauf,
weiter und weiter fort; sooft aber der Boden ein wenig krachte, war er
sehr in Angst, dass der Koffer in Stücke gehe, denn alsdann hätte er
einen ganz tüchtigen Luftsprung gemacht. So kam er nach dem Lande der
Türken. Den Koffer verbarg er im Walde unter verdorrten Blättern und
ging dann in die Stadt hinein; das konnte er auch recht gut, denn bei
den Türken gingen ja alle so wie er in Schlafrock und Pantoffeln. Da
begegnete er einer Amme mit einem kleinen Kinde. "Höre du, Türkenamme",
fragte er, "was ist das für ein großes Schloss hier dicht bei der
Stadt, wo die Fenster so hoch sitzen?"
Schloß Amalienborg - Wohnflügel der Königin und damit auch mal Wohnung der Prinzessin
Foto © Martin Schlu 2010
"Da wohnt die Tochter des Königs!" erwiderte die Frau. "Es ist
prophezeit, dass sie über einen Geliebten sehr unglücklich werden
würde, und deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und
die Königin mit dabei sind!"
- "Ich danke!" sagte der Kaufmannssohn, ging
hinaus in den Wald, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach des
Schlosses und kroch durch das Fenster zur Prinzessin.
Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so schön, dass der
Kaufmannssohn sie küssen musste; sie erwachte und erschrak gewaltig,
aber er sagte, er sei der Türkengott, der durch die Luft zu ihr
heruntergekommen sei, und das gefiel ihr.
- So saßen sie beieinander, und er erzählte
ihr Geschichten von ihren Augen; das waren die herrlichsten, dunklen
Seen, und da schwammen die Gedanken gleich Meerweibchen; und er
erzählte von ihrer Stirn, die war ein Schneeberg mit den prächtigsten
Sälen und Bildern; und er erzählte vom Storch, der die lieblichen,
kleinen Kinder bringt.
Ja, das waren schöne Geschichten! Dann freite er um die Prinzessin, und sie sagte sogleich ja!
"Aber Sie müssen am Sonnabend herkommen", sagte sie, "da sind der König
und die Königin bei mir zum Tee! Sie werden sehr stolz darauf sein,
dass ich den Türkengott bekomme, aber sehen Sie zu, dass Sie ein recht
hübsches Märchen wissen, denn das lieben meine Eltern ganz
außerordentlich; meine Mutter will es erbaulich und vornehm und mein
Vater belustigend haben, so dass man lachen kann!"
"Ja, ich bringe keine andere Brautgabe als ein Märchen!" sagte er, und
so schieden sie, aber die Prinzessin gab ihm einen Säbel, der war mit
Goldstocken besetzt, und die konnte er gerade gebrauchen.
Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock und saß dann
draußen im Walde und dichtete ein Märchen; das sollte bis zu Sonnabend
fertig sein, und das ist nicht leicht.
Es wurde fertig, und da war es Sonnabend.
Der König, die Königin und der ganze Hof warteten mit dem Tee bei der Prinzessin. Der Kaufmannssohn wurde freundlich empfangen.
"Wollen Sie uns nun ein Märchen erzählen", sagte die Königin, "eins, das tiefsinnig und belehrend ist?"
"Aber worüber man, auch wenn es viel Weisheit enthält, doch noch lachen kann!" sagte der König.
"Jawohl!" erwiderte er und erzählte; da muss man nun gut aufpassen.
"Es war einmal ein Bund
Streichhölzer, die waren außerordentlich stolz auf ihre hohe Herkunft;
ihr Stammbaum, das heißt, die große Fichte, wovon sie jedes ein kleines
Hölzchen waren, war ein großer, alter Baum im Walde gewesen. Die
Streichhölzer lagen nun in der Mitte zwischen einem alten Feuerzeuge
und einem alten, eisernen Topfe, und diesem erzählten sie von ihrer
Jugend. 'Ja, als wir noch im Baum waren', sagten sie, 'da waren wir
wirklich auf einem grünen Zweig! Jeden Morgen und Abend gab es
Diamanttee, das war der Tau. Den ganzen Tag hatten wir Sonnenschein,
wenn die Sonne da war, und alle die kleinen Vögel mussten uns
Geschichten erzählen.
Wald am Rügener Königsstuhl © Martin Schlu 2009
- Wir
konnten wohl merken, dass wir auch reich waren, denn die Laubbäume
waren nur im Sommer bekleidet, aber unsere Familie hatte Mittel zu
grünen Kleidern sowohl im Sommer als im Winter. Doch da kam der
Holzhauer, und unsere Familie wurde zersplittert; der Stammherr erhielt
Platz als Hauptmast auf einem prächtigen Schiffe, das die Welt umsegeln
konnte, wenn es wollte, die anderen Zweige kamen nach anderen Orten,
und wir haben nun das Amt, der Menge das Licht anzuzünden; deshalb sind
wir vornehmen Leute hier in die Küche gekommen.'
'Mein Schicksal gestaltete
sich auf eine andere Weise!' sagte der Eisentopf, an dessen Seite die
Streichhölzer lagen. 'Vom Anfang an, seit ich in die Welt kam, bin ich
vielmal gescheuert und gewärmt worden; ich sorge für das Dauerhafte und
bin der Erste hier im Hause. Meine einzige Freude ist, nach Tische rein
und sauber auf meinem Platze zu liegen und ein vernünftiges Gespräch
mit den Kameraden zu führen. Wenn ich den Wassereimer ausnehme, der hin
und wieder einmal zum Hof hinunterkommt, so leben wir immer innerhalb
der Türen. Unser einziger Neuigkeitsbote ist der Marktkorb, aber der
spricht zu unruhig über die Regierung und das Volk. Ja, neulich war da
ein alter Topf, der vor Schreck darüber niederfiel und sich in Stücke
schlug; der war gut gesinnt, sage ich euch!' - 'Nun sprichst du
zuviel!' fiel das Feuerzeug ein, und der Stahl schlug gegen den
Feuerstein, dass es sprühte. 'Wollen wir uns nicht einen lustigen Abend
machen?'
'Ja, lasst uns davon sprechen, wer der vornehmste ist!' sagten die Streichhölzer.
'Nein, ich liebe es nicht, von mir selbst zu reden', wendete der
Tontopf bescheiden ein. 'Lasst uns eine Abendunterhaltung veranstalten.
Ich werde anfangen, ich werde etwas erzählen, was ein jeder erlebt hat;
da kann man sich leicht darein finden, und es ist sehr erfreulich! An
der Ostsee bei den Buchen -'
'Das ist ein hübscher Anfang!' sagten die Teller. 'Das wird sicher eine Geschichte, die uns gefällt!'
'Ja, da verlebte ich meine Jugend bei einer stillen Familie; die Möbel
wurden geputzt, die Fußböden gescheuert, und alle vierzehn Tage wurden
neue Vorhänge aufgehängt!'
'Wie gut Sie erzählen!', sagte der Haarbesen. 'Man kann gleich hören,
dass ein Frauenzimmer erzählt; es geht etwas Reines hindurch!'
'Ja, das fühlt man!' sagte der Wassereimer und machte vor Freude einen kleinen Sprung, so dass es auf dem Fußboden klatschte.
Der Topf fuhr zu erzählen fort, und das Ende war ebenso gut wie der Anfang.
Alle Teller klapperten vor Freude, und der Haarbesen zog grüne
Petersilie aus dem Sandloche und bekränzte den Topf, denn er wusste,
dass es die andern ärgern werde. 'Bekränze ich ihn heute', dachte er,
'so bekränzt er mich morgen.'
'Nun will ich tanzen!' sagte die Feuerzange und tanzte. Ja, Gott
bewahre uns, wie konnte sie das eine Bein in die Höhe strecken! Der
alte Stuhlbezug dort im Winkel platzte, als er es sah. 'Werde ich nun
auch bekränzt?' fragte die Feuerzange, und das wurde sie.
'Das ist das gemeine Volk!' dachten die Streichhölzer.
Nun sollte die Teemaschine singen, aber sie sagte, sie sei erkältet,
sie könne nicht, wenn sie nicht koche; doch das war bloß Vornehmtuerei;
sie wollte nicht singen, wenn sie nicht drinnen bei der Herrschaft auf
dem Tische stand.
Im Fenster saß eine alte Feder, womit das Mädchen zu schreiben pflegte;
es war nichts Bemerkenswertes an ihr, außer dass sie gar zu tief in die
Tinte getaucht worden, aber darauf war sie nun stolz. 'Will die
Teemaschine nicht singen', sagte sie, 'so kann sie es unterlassen;
draußen hängt eine Nachtigall im Käfig, die kann singen; die hat zwar
nichts gelernt, aber das wollen wir diesen Abend dahingestellt sein
lassen!'
'Ich finde es höchst unpassend', sagte der Teekessel - er war
Küchensänger und Halbbruder der Teemaschine -, 'dass ein fremder Vogel
gehört werden soll! Ist das Vaterlandsliebe? Der Marktkorb mag darüber
richten!'
'Ich ärgere mich nur', sagte der Marktkorb, 'ich ärgere mich so, wie es
sich kein Mensch denken kann! Ist das eine passende Art, den Abend
hinzubringen? Würde es nicht vernünftiger sein, Ordnung herzustellen?
Ein jeder müsste auf seinen Platz kommen, und ich würde das ganze Spiel
leiten. Das sollte etwas anderes werden!'
'Lasst uns Lärm machen!' sagten alle. Da ging die Tür auf. Es war das
Dienstmädchen, und da standen sie still. Keiner bewegte sich; aber da
war nicht ein Topf, der nicht gewusst hätte, was er zu tun vermöge und
wie vornehm er sei. 'Ja, wenn ich gewollt hätte', dachte jeder, 'so
hätte es ein recht lustiger Abend werden sollen!'
Das Dienstmädchen nahm die Streichhölzer und zündete sich Feuer damit an. Wie sie sprühten und in Flammen gerieten!
'Nun kann doch ein jeder sehen', dachten sie, 'dass wir die Ersten
sind. Welchen Glanz wir haben, welches Licht!' Damit waren sie
ausgebrannt.
"Das war ein herrliches Märchen!" sagte die Königin. "Ich fühle mich
ganz in die Küche versetzt zu den Streichhölzern, ja, nun sollst du
unsere Tochter haben."
"Jawohl!" sagte der König, "du sollst unsere Tochter am Montag haben!"
Denn nun sagten sie du zu ihm, da er ja nun fortan sowieso zur Familie gehören sollte.
Die Hochzeit war nun bestimmt, und am Abend vorher wurde die ganze
Stadt beleuchtet, Zwieback und Brezeln wurden ausgeteilt, die
Straßenbuben riefen hurra und pfiffen auf den Fingern, es war
außerordentlich prachtvoll.
'Ja, ich muss wohl auch etwas tun!' dachte der Kaufmannssohn und kaufte
Raketen, Knallerbsen und alles Feuerwerk, was man erdenken konnte,
legte es in seinen Koffer und flog damit in die Luft.
- Feuerwerk © Martin Schlu 2009
Das war kein kleiner Lärm!
Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, dass ihnen die Pantoffeln um die
Ohren flogen; solche Lufterscheinungen hatten sie noch nie gesehen. Nun
konnten sie begreifen, dass es der Türkengott selbst war, der die
Prinzessin haben sollte.
Sobald der Kaufmannssohn wieder mit seinem Koffer herunter in den Wald
kam, dachte er: 'Ich will doch in die Stadt hineingehen, um zu
erfahren, wie es sich ausgenommen hat'; es war ganz natürlich, dass er
Lust dazu hatte.
Was doch die Leute erzählten! Ein jeder, den er danach fragte, hatte es
auf seine Weise gesehen, aber schön hatten es alle gefunden.
"Ich sah den Türkengott selbst", sagte der eine, "er hatte Augen wie glänzende Sterne und einen Bart wie schäumendes Wasser!"
"Er flog in einem Feuermantel", sagte ein anderer. "Die lieblichsten Engelskinder blickten aus den Falten hervor!"
Ja, das waren herrliche Sachen, die er hörte, und am folgenden Tage sollte er Hochzeit haben.
Nun ging er nach dem Walde zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen -
aber wo war der? Der Koffer war verbrannt. Ein Funken des Feuerwerks
war zurückgeblieben, der hatte Feuer gefangen, und der Koffer lag in
Asche. Nun konnte der Kaufmannssohn nicht mehr fliegen, nicht mehr zu
seiner Braut gelangen.
Sie stand den ganzen Tag auf dem Dache und wartete; sie wartet noch,
aber er durchwandert die Welt und erzählt Märchen, doch sind sie nicht
mehr so lustig wie das Märchen von den Streichhölzern, das er als
Türkengott erzählte.
-
- zur Biographie - Seitenanfang - Das
Feuerzeug - Die
Nachtigall
|